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das Erste, 1.3k

Hör’ mal, wer da hämmert – die neue antikapitalistische Bewegung ist da.

Ralf, 15.1k „Die zehn Jahre dauernden Flitterwochen des triumphierenden globalen Kapitalismus sind vorbei, das lange überfällige ‚verflixte siebte Jahr’ hat begonnen.“
(Slavoj Zizek)

„Action speaks louder than words“ – dieser dümmste aller mir seit langer Zeit untergekommenen Sprüche taugt für die nächste Zeit grandios zur linken Gretchenfrage: Sage mir, wie du diesen findest, und ich sage dir, wer du bist.
Der Bannstrahl der „Globalisierungsproteste“ hat die Linken aller Coleur getroffen. Motiviert durch die mediale Inszenierung – ob selbst- oder fremd- ist dabei völlig egal – ist sie auferstanden: die „erste soziale Bewegung der Postmoderne“ (Spiegel). Und diese Inszenierung konstruiert tatsächlich mehr als man sich gegen die Pomos (Postmodernen) eingestehen wollte, jene Realität einer Protestbewegung, die es so erst durch die permanente öffentliche Wiederholung deren angeblicher ach so heterogener Existenzweise gibt.
Da werden längst als erledigt geglaubte Karteileichen wie Subcommandante Marcos genauso wieder ans Tageslicht gezerrt wie „Terror der Ökonomie“, das Buch von Viviane Forrester, werden Dinge aufeinander bezogen, die partout nichts miteinander zu tun haben (vgl. dazu auch dieses Cee Ieh, in welchem im Kommentar direkt in diese Falle getappt wird und man in der Review Corner zumindest in diese zu tappen droht) – von den Manic Street Preachers bis Naomi Klein („No Logo“), von Pierre Bourdieu bis Jan Delay, von Frederic Beigbeder („Neununddreißigneunzig“) bis Noam Chomsky oder vom französischen äußerst populären Bauerntölpel José Bové („Der Markt muß dem Menschen dienen, nicht umgekehrt“) bis Blumfeld. Eine Bewegung soll es sein. Nicht etwa eine halbe ganz, sondern eine ganze halb. Denn die kritische Affirmation gehört mittlerweile zum guten Ton jedes linken Grüppchens, das auch nur ein wenig auf sich hält. Der kritische Meinungspluralismus wird groß geschrieben und das obligatorische „solidarische Verhalten“ zueinander zwar noch klein, aber schon dicke praktiziert. Das liegt wohl daran, daß es mit dem Märtyrer der Bewegung bisher noch nicht so recht geklappt hat. Der – wenn man so will – fast-Benno-Ohnesorg von Göteborg ist keiner, weil er durch den Bullenschuß nicht drauf gegangen ist, sondern es nur fürs Koma gereicht hat.
Auf leisen Sohlen schleicht auch der mögliche Sartre der Bewegung daher. Slavoj Zizek heißt er und beschreit das, was noch fehlt: alles neu, alles besser, alles anders an der Bewegung – im Gegensatz zu sonst. Sie sei der „Kern einer neuen wirklich globalen Bewegung“, die im Gegensatz zum abstrakten der „kapitalistischen Globalisierung (...) für die konkrete Universalität“ stünde. Und wie es sich gehört, hat Zizek auch schon das Konzept in der Tasche: „Der wahre neue Weg ist der dritte Weg zwischen der institutionalisierten Politik und den neuen sozialen Bewegungen.“ Wie das auszusehen hat, verriet Zizek vor einigen Wochen im Interview mit der Tageszeitung junge Welt: den starken Staat wiederentdecken als Ökodiktatur und Lenins Partei neuen Typs als neuen Typ begründen.
Dieses protofaschistische Gequatsche erdulden angebliche ach so radikale Staatskritiker wie Toni Negri und Konsorten ohne mit der Wimper zu zucken. Deshalb sollte man äußerst beunruhigt der Dinge harren, die da kommen, denn unter bestimmten Vorzeichen wird es für „die Bewegung“ kein Halten mehr geben. Kritik wird dann mit dem sich wieder zum geflügelten Wort einer jeden Bewegung aufschwingenden „Sektierertum“ niedergetrampelt, -gebrüllt oder -geboxt werden, „unsolidarisches Verhalten“ zum Schwerstverbrechen in der Bewegung usw. usf. Die Vorzeichen stehen auf Sturm, denn es gehe einzig und allein darum, daß „noch mehr Linke noch militanter ihre radikale Ablehnung der Verhältnisse zum Ausdruck bringen“ (Bündnis gegen Rechts Leipzig – BgR).
Der Fetisch Militanz wird zur sinnerfüllenden Leidenschaft – auch das ist nicht ganz neu. Das Faszinosum dieser Spektakel wird über kurz oder lang auch wieder die militärische Frage von Strategie und Taktik von Belang werden lassen. Und militärische Gruppen dürfen dann wieder seitenweise ihren Müll abgedruckt finden, nur weil sie militärische Gruppen sind – und sonst gar nichts. Die Vorboten sind solche Spinner wie die italienischen Tute Bianchi, denen scheinbar nicht nur der Sinn nach symbolischer Politik steht, sondern auch nach symbolischem Denken. Dieses Symbolhafte steigert sich ins Irreale einer Kritik, die längst keine mehr ist: „Es läßt sich also feststellen, daß eine Kritik an den so genannten Symbolen des Kapitalismus (WTO, IWF, G8, WEF) wiederum nur symbolisch erfolgen kann, will sie nicht eine verkürzte sein. Und damit ist sie gleichzeitig als Kritik an einem Großteil der ‘Antiglobalisierungsbewegung’ zu verstehen.“ (BgR Leipzig) So einfach geht das. Kritik an Symbolen tut man irgendwie symbolisch machen, das ist die doppelte Negation der Wirklichkeit, gegen die Marx immer und immer wieder polemisiert hat, weil sie nur „Halbheiten“ hervorbringt – nicht zuletzt gegen die kommunistischen und sozialdemokratischen Politzausel von Lassalle bis Bebel. Wer davon schwafelt, Symbole extra noch zu symbolisieren, kann einfach kein guter Kommunist sein. Denn wie Marx selbst mit Engels feststellte, ist der Kommunismus „die wirkliche Bewegung, welche den Zustand aufhebt“ und „nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll“. Das tatsächlich allgegenwärtige Unbehagen im Kapitalismus ist noch lange keines am Kapitalismus. Es tut wohl mehr als Not, des öfteren daran zu erinnern. Denn wer von der „zunehmenden Vernetzung des Kapitals“ (BgR Leipzig) redet, hat mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Vorstellung vom Kapital, das einem Plenum von libertären Einzelkapitalien gleicht, auf dem dann mal so mir nichts dir nichts beschlossen wird, sich wegen besserer Kommunikation und Funktionsweise zu „vernetzen“. Zum Glück aber gibt es noch die FAZ, deren Größe und Bedeutung sich nicht zuletzt daran bestimmt, daß sie gerade den Linken immer noch etwas ins Stammbuch zu schreiben vermag. In einem großen Feuilletonbeitrag am sechsten Juni diesen Jahres hieß es dort unter dem Titel „Der Antikapitialismus wird unironisch“ eiskalt, nüchtern und schnörkellos gegen alle symbolhaften Politspinnereien des verkürzten Antikapitalismus mit stringent-marxistischen Termini: „Eine ‘autonome’ Fetischkritik kann dem Perpetuum mobile der Entfremdung (...) ebensowenig entkommen wie die autonome Kunst dem Spiel der in sich leerlaufenden Selbstüberbietung. Ein Antikapitalismus, der sich etwas wert ist, bedarf eben nicht nur eines Gegners, sondern auch eines Fundaments.“
Der Jargon des Verbalradikalismus („Für einen kämpferischen Antikapitalismus“ etc.) kann weder die Waffe der Kritik noch die Kritik der Waffen ersetzen. Er lockt stattdessen in den Protest-Zug nach Nirgendwo, der am Ende aber im Staat – im Sozialstaat seinen Zielbahnhof haben wird.
Es ist das Gebot der Stunde, sich gegen die Proteste zu stellen. Und es wäre sehr wünschenswert, dies nicht vereinzelt, sondern geballt zu tun, damit man von der Dynamik der kommenden Bewegung nicht allzu leicht hinweggefegt werden kann: kritische Kreise dieser Welt, hört die Signale!
Ralf

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last modified: 28.3.2007