home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[72][<<][>>]

Der Text zum Bild (siehe CEE IEH #71, S. 55)

Den folgenden Beitrag entnahmen wir der Zeitschrift „calcül“, Nr. 6 (1999), zum Thema „Antisemitismus in der Linken“. Die Zeitschrift ist im Antifa-Presse-Archiv ausleihbar.

„Das Gut-Böse-Raster“

Broschüre, 18.5k

Zur Auseinandersetzung um das Wandbild in der Hamburger Hafenstraße

Kaum eine Publikation zum Thema „Antisemitismus und deutsche Linke“ in der es nicht abgebildet ist. Die Rede ist vom Wandbild in der Hamburger Hafenstraße, das im Frühjahr bzw. Sommer 1988 heftige öffentliche Reaktionen auslöste. Aus Protest gegen die drakonischen Maßnahmen der israelischen Armee im Laufe der Intifada, des vor allem von jugendlichen Palästinenserlnnen getragenen Aufstandes in den von Israel besetzten Gebieten, hatten Hafenstraßen-Bewohnerlnnen in meterhohen Buchstaben die Parole „Boykottiert ‘Israel’! Waren, Kibbuzim und Strände. Palästina – Das Volk wird Dich befreien. Revolution bis zum Sieg“ an eine der Hauswände gemalt. Zusätzlich, wohl um zu verdeutlichen, mit welchen Methoden diese Forderungen umgesetzt werden sollten, hatten die Aktivistlnnen die Parole noch mit zwei Kalaschnikows illustriert.
Die inhaltliche Aussage des Wandbildes und die Argumente derjenigen, die es politisch rechtfertigten, verdeutlichen exemplarisch die zentralen Bestandteile eines, damals innerhalb der deutschen Linken noch hegemonialen, antizionistisch aufgeladenen, antiimperialistischen Diskurses, der die Welt unter Mißachtung der tatsächlich existierenden, ausdifferenzierten, komplexen sozioökonomischen Herrschaftsstrukturen in ein simplifizierendes, binäres „Gut-Böse“-Raster sortierte. Auf der einen Seite, das Böse verkörpernd, steht demnach der von den USA dominierte imperialistische Machtblock, der, gestützt auf seinen Militärapparat, die nach Freiheit und Selbstbestimmung strebenden „Völker“ ausbeutet und unterdrückt. Eine strategisch wichtige Position kommt in diesem Zusammenhang dem Staat Israel zu, der nach Auffassung antiimperialistischer Theoretikerlnnen nichts anderes als ein „Brückenkopf“ des US-lmperialismus im Nahen Osten darstellt, und dessen primäre Funktion darin besteht, die sich emanzipierenden arabischen „Völker“ unter Kontrolle zu halten. Diese Sichtweise spiegelte auch die Parole in der Hafenstraße wider. Um den ihrer Ansicht nach illegitimen Charakter Israels auch visuell hervorzuheben, setzten die Hafenstraßenaktivistlnnen Israel, genauso wie die Springerpresse die DDR, in Anführungszeichen. Den positiven, „guten“ Gegenentwurf zum „bösen“ Israel repräsentierte Palästina bzw. das „Volk“, das Palästina, notfalls mit Gewalt, befreien sollte. Daß Israel, übrigens der einzige Staat in der Region, der über ein pluralistisches Parteiensystem, legale Gewerkschaften und freie Medien verfügt, für hunderttausende Jüdinnen und Juden aus aller Welt, nicht zuletzt für zahlreiche Überlebende der Shoah einen einigermaßen sicheren Zufluchtsort darstelIt, wurde in der Rethorik deutscher Antizionistlnnen im allgemeinen, wie auch in diesem besonderen Fall allzugern ignoriert. Statt eine zweifellos gerechtfertigte, aber differenzierte Kritik am Vorgehen der israelischen Armee in den besetzten Gebieten zu formulieren, denunzierte man Israel pauschal als rassistisch und faschistisch.
Dieser „Analyse“ folgend, initiierten verschiedene Palästina-Soligruppen, autonome und antiimperialistische Gruppen im Laufe des Jahres 1988 in Hamburg (und nicht nur dort) eine regelrechte Kampagne unter dem Motto: „Boykottiert Israel!“ Neben der Parole in der Hafenstraße, Flugblättern und Straßenfesten mit palästinensischen Tänzen und Musik kam es auch zu militanten Aktionen: So kippten z.B. Demonstrantlnnen auf einem Wochenmarkt Blut und rote Farbe über Verkaufsstände, die Produkte aus Israel anboten. Aufgrund solcher oder ähnlicher Aktionen, sowie der fatal an den Nazi-Aufruf „Kauft nicht bei Juden!“ erinnernden Forderung, Waren aus Israel zu boykottieren, sahen sich die Hafenstraßenbewohner (sowie andere Palästina-Aktivistlnnen) mit von verschiedenen Seiten erhobenen Antisemitismusvorwürfen konfrontiert, die jedoch entrüstet zurückgewiesen wurden. Zwar bemerkte mensch unangenehm berührt, daß die Boykott-Kampagne neuen, ungeahnten Koalitionen Tür und Tor öffnete: „Bei den praktischen Mobilisierungsversuchen in den Stadtteilen [...] stellte sich uns ein neues Problem: Wir mußten uns mit den Leuten auseinandersetzen, die uns aus ihrem versteckten oder zugedeckten Antisemitismus heraus applaudierten.“(1) Zu einer Neubewertung oder gar einem Abbruch der Aktionen führten diese Beobachtungen jedoch nicht. Statt auch nur ansatzweise Diktion und Inhalt der eigenen Äußerungen seIbstkritisch zu hinterfragen, sah sich die Hafenstraße einer übermächtigen Koalition aus reetablierten Altnazis, Zionistlnnen und jüdischem Kapital gegenüber, die das Wandbild bzw. die Parole bewußt falsch interpretieren würde: „Ihre Propaganda vergleicht mit der Reichskristallnacht und macht daraus: ‘Kauft nicht bei Juden.’ Eine Geschichtsklitterung ohnegleichen; begangen von einem System, das noch in der Kriegsniederlage aus pol. Gründen von den Yankees die Möglichkeit bekam, die gesamte Machtstruktur des Faschismus zu übernehmen. [...] Aus dieser Ecke, gemeinsam mit Vertretern israelischer Konzerne bzw. Propagandisten des Zionismus wird unser Aufruf verdreht. Aus einem antiimperialistischen Aufruf, der aus einem Solidaritätsgefühl zu einem Volk entstand, das mit aller Kraft um seine Freiheit kämpft, wird ganz in ihrer Art der Entpolitisierung und Verdrehung der Geschichte, Antisemitismus, gleichzusetzen mit Faschismus.“(2) Ganz davon abgesehen, daß die Autorlnnen des Flugblattes mit der Behauptung einer Zusammenarbeit von Nazis und Zionistlnnen oder durch den Hinweis auf den Einfluß israelischer Konzerne, auf einige klassische antizionistische und strukturell antisemitische Mythen rekurrierten, offenbarten sie ein vollkommen eingeschränktes, rein ökonomistisches Verständnis von Faschismus, in dem der Antisemitismus lediglich eine untergeordnete Rolle spielte. Der Hinweis auf die zumindest in Deutschland zentrale Bedeutung des Antisemitismus für die faschistische Ideologie, wurde als Versuch der „Entpolitisierung“ des Faschismus denunziert. Die Autorlnnen betonten vielmehr dessen Klassencharakter. Der Faschismus sei demnach in erster Linie eine Strategie der „Herrschenden“ gewesen, um die sozialistische Opposition und die Arbeiterbewegung zu zerschlagen. Die massenhafte Beteiligung der deutschen Bevölkerung an den nationalsozialistischen Verbrechen genauso wie die Passivität der Arbeiterlnnenklasse, die eben nicht nur durch den faschistischen Terror bedingt war, wurde dagegen kaum thematisiert. Stattdessen dominierten Interpretationen, die gar eine mehrheitlich oppositionelle Haltung des (deutschen) Volkes gegenüber dem Nationalsozialismus behaupteten. So fabulierte ein anderes Flugblatt von „im Faschismus auf die Spitze getriebenen Klassengegensätze(n)“, die nach 1945 leider „nicht ausgekämpft wurden.“(3), während das bereits zitierte Hafenstraßen-Flugblatt „Yankees“ und traditionelle Eliten für den Aufbau einer in „faschistischer Kontinuität“ stehenden Bundesrepublik verantwortlich machte: „Die Kontinuität des Faschismus drückt sich genau in diesen Fakten aus. [...] Sie war aber auch nötig um in einem Land, das vom Imperialismus die Schnauze voll hatte, erneut eine Politik durchzusetzen, die genau wie im Faschismus auf Ausbeutung und Unterdrückung ausgerichtet ist.“(4) Zwar ist es richtig, daß die US-Politik im Zuge des Kalten Krieges nichts oder nur wenig gegen die Reetablierung von Altnazis in die deutsche Politik und Wirtschaft unternahm, ob dies jedoch tatsächlich im Widerspruch zum Willen der Bevölkerung geschah, darf ebenso bezweifelt werden, wie die These, die Deutschen hätten nach dem Nationalsozialismus vom Imperialismus „die Schnauze voll“ gehabt und wären mit der „Stunde Null“ allesamt zu potentiellen Sozialistlnnen geworden. Die Verfasserlnnen des Flugblattes wähnten die ganz „normalen“ Deutschen also eher auf der Opferseite, während die Täterlnnen einer festumrissenen Gruppe von „faschistischen Wehrmachtsoffizieren“, „faschistischen Richtern“ und „Mördern der Gestapo“(5) zugeordnet wurden. Dementsprechend sah man sich genötigt, den angeblich erhobenen Vorwurf einer Kollektivschuld zurückzuweisen, einen, wie wir wissen, lediglich imaginierten Vorwurf, der wie Günther Anders treffend bemerkte, nur existiere, um von den Deutschen zurückgewiesen zu werden. Ganz in diesem Sinne argumentierten die Aktivistlnnen der Palästina-Solidarität in verschwörungstheoretischer Diktion, „in der BRD (würde) das Bewußtsein der Menschen im Interesse der Herrschenden [...] mit der KollektivschuId-Ideologie gelenkt.“(6) Wurde der Holocaust in diesem Zusammenhang überhaupt erörtert, spielte er ebenso wie der Antisemitismus für die politische und historische Interpretationen des Faschismus keine allzu große Rolle. So wußten z.B. diejenigen, die bereits die Funktion der Kollektivschuldideologie „analysiert“ hatten, daß in „Israel der Holocaust von den Herrschenden bis heute dazu benutzt (wird), die Verbrechen gegen das palästinensische Volk zu legitimieren.“(7) Diese Feststellung traf zwar auf einige israelische Politiker und Militärs zu, die Antizionistlnnen vergaßen jedoch (bewußt), in diesem Kontext zu erwähnen, daß es wiederum der Holocaust war und ist, der wie kein zweiter Grund das Existenzrecht Israels legitimiert. Auch HafenstraßenbewohnerInnen wollten offensichtlich nicht ständig an den Holocaust erinnert werden; bereits im November 1987 spielte der Sender „Radio Hafenstraße“ ein Lied der Band „Daily Terror“, in dem es u.a. hieß: „Der Holocaustkredit ist längst verspielt, sie haben lang genug auf unser Mitleid geschielt [...].“(8)

Doch wie setzte sich die Auseinandersetzung um das Wandbild in der Hafenstr und die „Boykottiert Israel“-Kampagne fort? Der damalige Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) erklärte die Parole in der Hafenstraße und deren Beseitigung zur „wichtigen Staatsangelegenheit“, die Stadt müsse, „vor der unerträglichen Gefahr“ geschützt werden, „in den Ruf eines Horts neuen Antisemitismus gebracht zu werden.“(9) Obgleich in diesem Kontext anzumerken ist, daß die Grundlagen von Voscheraus Politik in seiner weiteren Amtszeit nicht unbedingt von antifaschistischen oder anti-antisemitischen Prämissen bestimmt waren, was sich spätestens 1992 zeigte, als orthodoxe Juden in Hamburg-Ottensen gegen die Zerstörung eines jüdischen Friedhofs, auf dessen Gelände ein Einkaufszentrum entstehen sollte (und schließlich auch entstand), protestierten und sich unversehens mit der Polizei konfrontiert sahen, die von Bürgermeister und Innensenator den Auftrag erhalten hatte, den Bauplatz notfalls mit Gewalt zu sichern.(10)
Die Palästina-Aktivistlnnen aus der Hafenstraße und anderen Gruppen) beharrten auch in der Folgezeit auf ihren antizionistischen Positionen. Nachdem das Wandbild im Herbst 1988 zwangsweise, aber ohne direkten Widerstand hervorzurufen, übermalt worden war, entstanden in der Stadt verteilt kleinere antiisraelische Wandbilder, außerdem kursierten in Hamburg und zahlreichen anderen Städten Plakate und Flugblätter, auf denen die Hafenstraßen-Parolen abgebildet waren.(11) Teile der Göttinger Linken wollten da nicht abseits stehen: Am Juzi hing im Herbst 1988 ein meterhohes Transparent, das zum Boykott des „Rassistenregimes Israel“ aufrief. Im März 1990 veranstalteten diverse Soligruppen schließlich einen Palästinakongreß in Hamburg, der aber erwartungsgemäß keine kritische Auseinandersetzung über die Inhalte des linken deutschen Antizionismus nach sich zog. Eine gewisse Entwicklung im Diskussionsprozeß zeichnete sich während des Golfkrieges 1991 ab, wobei allerdings zu bemerken ist, daß die Aktivistlnnen der Hafenstraße sich auch zu diesem Zeitpunkt nicht von der liebgewonnenen Parole verabschieden wollten. Der Demo-Aufruf „Hafenstraße verteidigen, den Krieg stoppen – jetzt!“ endete mit den Forderungen: „Boykottiert Israel – Solidarität mit der Intifada. Arabien den arabischen Völkern.“(12) Trotzdem: Zumindest einige der damals beteiligten Hafenstraßenbewohnerlnnen begannen, aufgrund der Diskussionen um das Wandbild, ihre eigenen Positionen, wenn schon nicht zu ändern, dann doch wenigstens zu überdenken: „Für mich hat sich auch die Frage gestellt: Was heißt das eigentlich ‘internationale Solidarität’ oder ‘Nationalismus’. Heißt das, daß man einfach alles nachplappert [...] was irgendwo von einer Befreiungsbewegung oder von Gruppen, die irgendwo kämpfen kommt; und reicht das denn? [...] Das Verhältnis genauer zu fassen, das geht nur, wenn du dir Gedanken über deine eigenen Beweggründe machst.“(13) Zukunftsweisende Sätze am Ende einer insgesamt äußerst unrühmlichen Geschichte.
Basisgruppe Geschichte

Fußnoten
(1) aus: Reader zum Palästina-Kongreß, 2.-4. März 1990 in Hamburg, S. 85.
(2) Flugblatt aus der Hafenstraße, 10.8.1988 (Grammatik und Rechtschreibung so im Original).
(3) Flugblatt des Arbeitskreises zur Unterstützung der Intifada, Hamburg, 12.3.1990.
(4) Flugblatt aus der Hafenstraße, 10.8.1988.
(5) ebenda
(6) aus: Reader zum Palästina-Kongreß, S. 84.
(7) ebenda
(8) Radio Hafenstraße, Novemher 1987; Mit- schnitt liegt der Basisgruppe vor.
(9) zit. in: taz vom 16.7.1988.
(10) vgl. dazu Tolmein, Oliver: „Der Alptraurn von Ottensen“, in: konkret 7/92, S.42f.
(11) vgl. dazu Sigmund, Monika/ Stroux, Marily: Zu bunt. Wandbilder in der Hafenstraße, Hamburg1996, S. 31.
(12) Flugblatt aus der Hafenstraße: „Hafenstraße verteidigen, den Krieg stoppen – jetzt!“, Februar 1991
(13) zit. in: Sigmund, Monika/ Stroux, Marily: a. a. O., S. 30.



home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[72][<<][>>][top]

last modified: 28.3.2007