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Deutschland hat Spaß!

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Gegen das Gebrüll der neuen Spaßkultur kommt keine Gesellschaftskritik an. Zwar sind ab und an die Ressentiments des linksliberalen Feuilletons hörbar, ein Grund zur Freude sind sie jedoch nicht.

zlatko, 15.4k Nur ein Eremit schaffte es der deutschen Spaß-Offensive 2000 zu entgehen. Aus den Lautsprechern der Republik tönt BB-Zlatkos Nummer Eins-Hit, noch die ost-miefigste Rundfunkstation versucht sich an Comedy und TV-Müll à la Stefan Raab (TV-Total) wird gierig Tag für Tag von einem Millionen-Publikum aufgesaugt. Was abends aus der Klotze und morgens aus dem Frühstücksradio witzelt, wird am Arbeitsplatz, in Familie und Verein noch diletantischer als es ohnehin schon ist, wiedergekäut. Auch Medienmuffel können nicht entkommen. Flächendeckend lauert der Schwachsinn.
Selbst vor den Gefilden der Alternativ-Szene machte die Fun-Welle keinen Halt. Am WG-Tisch werden Zlatkos Witze rezitiert und seine Prolohymne, verhalten noch, aber immerhin, mitgesummt. Falls sich hier die Fraternalisierung mit den Prolls noch ihrer Triebe schämt, legitimiert man sich als findiger Linker die Lust am banalen Spaß mit „kulturellem Rezeptionsinteresse“.
Die angeblich besonders reflexive Sichtweise gestattet auch die Lacher bei Harald-Schmidt-Show und Niels Ruf. An den beiden Gurus einer geschmacklich etwas abgesetzten Nische der neuen deutschen Spaßkultur bewundert das distinguierte Publikum besonders gerne die zynische Schlagfertigkeit. Wer wäre nicht gerne so abgebrüht und cool bei der Kommentierung trostloser Zustände. Ironie und Zynik begeistern mehr als trockene linke Ideologie.
Und trotzdem müßten dem linken Publikum die Lacher im Halse stecken bleiben. Schon weil die alternativen Spaßvögel im Gleichklang mit den normalen Humoridioten lachen, denen sonst wohl begründet ihre Verachtung gilt.
In den Produktionsabteilungen des Humorstandortes Deutschland ist die Freude selbstverständlich groß, wenn sich eine Minderheit etwas darauf einbildet, mit dem Mainstream zu schmunzeln. Es ist ja kinderleicht die Banalität des Reizstoffes, mit dem die Menschen, oder besser, ihr jeweiliges Selbstbild bedient werden, zu variieren. Am Ende zählt das Ergebnis, also ob die Ware Humor ihre Abnehmer fand oder nicht. Aber wem versaut schon die profane linke Weisheit, daß von der um sich greifenden Spaßkultur die Unterhaltungsindustrie profitiert, den Fernsehgenuß?
Was aber wirklich an der neuen Spaßbewegung stören sollte, ist deren ideologischer Gehalt. „Fun ist ein Stahlbad. Die Vergnügungsindustrie verordnet es unablässig. Lachen in ihr wird zum Instrument des Betrugs am Glück.“ Wie die Faust aufs Auge passt das Adorno-Zitat aus der „Dialektik der Aufklärung“.
Der neoliberale Rollback, der härtere oder keine Arbeit, weniger Geld, radikalisierten Rassismus und andere Humorlosigkeiten mit sich bringt, hat seine eigene Gruppentherapie im Gepäck. Die ganze Gesellschaft übt sich wie eine Psychosekte im Motivationstraining. Alle Mitglieder ziehen sich gegenseitig die Lachmuskeln nach oben und hoffen über diesen physischen Kraftakt eine Verbesserung des generellen Wohlbefindens zu erreichen. Der Trick funktioniert. Die Massen sind begeistert. Denen, die sich dem erzeugten Lachwahn verweigern, droht ein erheblicher Verlust an sozialem Prestige. Politisch motivierte Einwände gegen Kunst- und Kulturprodukte, die sich eines Inhalts bedienen, statt einfach hohl mit loszubrüllen und in die Hände zu klatschen, handeln sich schnell den Spaßverderber-Vowurf ein. Vom Dummproll bis zum Szenemusikanten findet sich die von intellektueller Reflexionslosigkeit gekennzeichnete Erregung gegen „linke Zensurkomandos“. Wenn die Politniks kritisieren, verstehen sie keinen Spaß. Weil viele heute mit dieser Denkattrappe um sich werfen, läßt sich darüber wirklich nicht mehr lachen.
Auch Harald Schmidt und Niels Ruf gehören mit ihrer oberflächlichen Abrechnung der Alltagserscheinungen zum Ensemble der Animatoren, die dem Volk das Funktionieren zum Vergnügen machen. Wenn ihren Witzen über dämliche Nazis problemlos rassistische Kalauer folgen, wird ersichtlich, daß sie nicht von Gesellschaftskritik getrieben werden.Vielmehr ist ihre Rundum-Ironisierung der Zustände nur Ausdruck eines prinzipiellen Einverständnisses mit der Welt. Es gibt sich als radikale Positionslosigkeit, die an allem etwas auszusetzen hat. Dabei erzeugt jene Pseudo-Kritik ein Bewußtsein, mit dem das Bestehende auch bleiben kann, wie es ist. Das zynische Dauerfeuer richtet sich nicht gegen „oben“ oder gegen „rechts“, so wie es Jahre lang Tradition von Witz und Satire war. (Wer sich noch an das geniale ZAK von Küppersbusch erinnert, oder Titanic liest, weiß was ich meine.) In der heutigen Spaßkultur hat die Gesellschaftskritik weder einen Standpunkt noch ein Ziel. Nichts ist so schlimm, daß nicht darüber gelacht werden kann. Ja auch über sich selber sollte nur noch gelacht werden, denn man fühlt sich wohl und traut sich sowieso null Veränderungswirkung zu.
Es scheint so als stünden linke Politjunkies mit ihrer Ablehnung des neudeutschen Lachwahns ziemlich alleine da. Die konservative Kulturkritik fällt als Bündnispartner weg. Zur Begründung muß ein hier anwendbares Bonmot von Erich H. reichen: Vorwärts immer, rückwärts nimmer. Verlockender erscheint da schon das Treiben des linksliberalen Feuilletons, welches sich in jüngster Zeit mit Beiträgen über die neue deutsche Lust am banalen Quatsch (z.B. „Spiegel“, 23/00, „SZ“, 138/00) als geistiger Kompagnon anbietet.
Aber auch wenn radikale Linke ziemlich ausgehungert nach punktuell Gleichgesinnten suchen, so richtig glücklich werden sie mit den etablierten 68ern nicht werden.
Da sitzen im besten Fall weltoffene, halbwegs tolerante Bildungbürger in ihren Chefsesseln, wählen vielleicht noch grün oder schon seit Jahren SPD, haben aber auf jeden Fall die linken Ideale lange an der Garderobe abgegeben und maßen sich dennoch an, der Spaßkultur die Affirmation der Verhältnisse vorzuwerfen. Sie, die durch ihren Status, den Ort ihres Tuns nichts als allgemeine Zufriedenheit symbolisieren, ningeln über die Entpolitisierung der Kultur, über Larmoyanz, Verwöhnheit und materielle Orientierung der Generation Golf als ob sich ihr eigener Opportunismus mehr als nur durch einen reicheren Wortschatz von dem der Angegriffenen unterscheiden würde.
Der Verbund mit einem solchen zwielichtigen Standpunkt, bei dem sich die Kritik auch bloß als Hülle offenbart, taugt nicht sonderlich bei der Abwehr der um sich greifenden Spaß-Idiotie. Also bis auf weiteres lieber einsamer Spaßverderber als dämlich oder verlogen.
ulle

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last modified: 28.3.2007