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Der Hase im Pfeffer

Können Linke, sobald sie sich links schimpfen, automatisch antisexistisch und antipatriarchal sein? Und was ist überhaupt das Problem? Das Definitionsrecht einer Vergewaltigung oder der Umgang damit?
Von Ralf
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„Frauen, die das Machtverhältnis zwischen Frauen und Männern bekämpfen, Frauen, die der patriarchalen Norm, diesem zähen und erbitterten Feind des Mensch-Seins den Krieg erklären, Frauen, die die herrschenden Verhältnisse, die Herrschaft im wahren Sinne des Wortes radikal aufheben wollen, bedürfen nicht so sehr der männlichen Genossen, die sich für ihre Freunde halten, als der männlichen Genossen, die bereit sind, zum Feind des Mannes zu werden.“
(Ingrid Strobl in: Drei zu Eins, Texte zu den Themen Patriarchat, Rassismus und Internationalismus, Edition ID-Archiv Berlin-Amsterdam 1993)
„Nicht die Feststellung biologischer Differenz und ihrer sozialen Folgen, aber das Beharren auf biologischer Differenz als Wert perpetuiert hierarchisches Denken, perpetuiert Norm. Solange Menschen, Frauen wie Männer, biologische Differenz als Wert an sich anerkennen, liefern sie die TrägerInnen der Differenzen der Bewertung durch die Macht, der Bewertung
Ingrid Strobl ignoriert die von ihr selbst analysierte Tatsache, dass diese Gesellschaft keine linke, sondern eine patriarchale ist.
durch die jeweils herrschende Norm aus. Das als Andere Definierte ist immer das Höhere oder das Mindere, nie das Gleichwertige.“

(Ingrid Strobl in: Drei zu Eins, Texte zu den Themen Patriarchat, Rassismus und Internationalismus, Edition ID-Archiv Berlin-Amsterdam 1993)

Die Frage nach dem antisexistischen und antipatriarchalen Anspruch der radikalen Linken ist letztlich die Frage des jeweiligen Umganges, der jeweiligen Zugrundelegung von Standards. Erst dort drückt sich ersichtlich aus, was in den Köpfen so vor sich geht.
Insbesondere ist dabei die Formulierung von Ansprüchen immer eine Frage von Vermittlung nach innen – z.B. innerhalb der Gruppe. Es kann davon ausgegangen werden, dass Antisexismus und Antipat. keine „klassischen“ bis gar keine Einstiegsthemen in die Linke sind. In aller Regel existiert bei Männern gar kein Problembewußtsein und bei Frauen ein diffus-subjektives unreflektiertes Empfinden einer gesellschaftlichen Ungleichbehandlung auf Grund des Frau-Seins. D.h., die Reproduktion patriarchaler Muster steht solange in voller Blüte, bis dieser zumindest partiell Teile des Nährbodens entzogen werden. Es ist an jeder Gruppe, an jedem Zusammenhang, in welcher Intensität die Vermittlung erfolgen soll. Dies steht in direkter Abhängigkeit des eigenen Schwerpunktes, des Selbstverständnisses und dem jeweiligen Ziel. So ist beispielweise bei einer Antifa-Gruppe, deren Politikverständnis die Transparenz ganz oben anstehen läßt, die Tendenz, aus dem antipatriarchalen, antisexistischen Grundverständnis ein formalisiertes strukturelles Vorbauen im Umgang unter- und miteinander innerhalb der Gruppe zu entwickeln, stärker ausgeprägt, als bei einer reinen Theorie-Gruppe, deren Aussenwirkung gen Null tendiert.
Bewußt ist hier maximal die Rede von Gruppen oder Organisierungszusammenhängen, weil der Begriff einer „linken Szene“ nicht mehr beschreibt, wie sich innerhalb der sogenannten autonomen Linken eine ehemalige dynamische Bewegung zu einer eher ausgebombten,
Es ist unmöglich, die eigene Identität so zu wechseln wie Klamotten vorm Schlafengehen.
kraterähnlichen Gruppenlandschaft entwickelt hat. Es läßt sich konstatieren, daß mit zunehmender Grauzonisierung, der willkürlichen und unverbindlichen Zuordnung, was nun jeweilig Szene sein soll und was eben nicht, sich umso stärker auf die konzentriert wird, die mit Sicherheit noch einen linken bzw. linksradikalen Anspruch vertreten. Das umso verstärkter, wenn diese linksradikalen Gruppierungen nicht aus der gängigen autonomen Anonymität heraus operieren, sondern mit fester Adresse und festem Absender.
Wenn Ingrid Strobl im Eingangszitat fordert, dass „männliche Genossen“ bereit sein müssen, „zum Feind des Mannes“ zu werden, so ignoriert dies die von ihr selbst analysierte Tatsache, dass diese Gesellschaft keine linke ist, sondern eine patriarchale, in der alle, ob nun Frauen oder Männer, in unterschiedlichster Art und Weise genau diese patriarchale Realität mittragen und reproduzieren. Und selbst dann, wenn „die“ Frau als sozial konstruiertes zweckrationales kapitalistisches Wesen in mehrfacher Hinsicht Opfer dieser Gesellschaft ist.
Es ist faktisch unmöglich, innerhalb der Gesellschaft die eigene Identität so absolut abzulegen oder zu wechseln wie Klamotten vorm Schlafengehen. Ginge das, was Ingrid Strobl fordert, wirklich, so entsprünge daraus ein traumatischer Selbsthass, der die Fähigkeit zu wirklichem emanzipatorischen Denken und Handeln – innerhalb des Patriarchats, nicht ausserhalb – verbaute.
Nur wer die radikale Linke, oder vielmehr ihren übrig gebliebenene Rest, zu einer Parallewelt ausserhalb der patriarchalisch-kapitalistischen verklärt, kann dazu übergehen, auf die Vermittlung innerhalb der
Es fand eine Art Ent-Marxismusierung statt, die im Bürgerrechtsbewegtsein endete.
Linken, auf die immer und immer wieder notwendige Diskussion zu verzichten und an deren Stelle die Forderung des devoten Korpsgeistes der Widerspruchslosigkeit zu setzen.
Genau so nämlich läßt sich auf den Punkt bringen, was mit dem zäh und hart erkämpften sogenannten Definitionsrecht der Frau gemacht wird.
Jenes Defintionsrecht legt fest, dass die betroffene Frau darüber entscheidet, wann für sie ein sexualiserter Übergriff oder gar eine Vergewaltigung stattgefunden hat. Dieses Defintionsrecht schließt die Möglichkeit des Vetos des beschuldigten Mannes aus und benennt ihn so als Täter.
Es sei hier klar und deutlich gesagt: Nicht das Defintionsrecht ist das Problem, sondern der Umgang damit. Genau an dieser Stelle irrt beispielsweise die Antifaschistische Aktion Berlin (AAB) mit ihrem Papier „Neue Sachlichkeit“. In diesem Papier wird fälschlicherweise Ursache und Wirkung verwechselt, was wiederum nicht heißt, dass gerade die Kritik am Umgang mit diesem Defintionsrecht dort sehr anschaulich und treffend formuliert ist.
Der gängige Umgang mit dem Defintionsrecht hat eine Geschichte, die dort ihren Anfang nimmt, als aus dem Verständnis der gesellschaftlichen Frauenunterdrückung ein neues revolutionäres Subjekt der Frauen konstruiert wurde. Es war die Zeit der Entstehung der sogenannten Neuen Linken, die das Proletariat als revolutionäres Subjekt aufgab und und an seine Stelle sukzessive neue Subjektkonstitutionen setzte. Neben dem der Frauen die Migranten oder etwas später die Neuen Sozialen Bewegungen (Jugendzentrenbewegung, Anti-AKW etc.). All jenen war es immanent, sich in sehr starkem Masse mit der Hinwendung zu moralischen Kategorien von Unterdrückung und Herrschaft von den theoretisch analysierten
Es ist der feministischen Bewegung gelungen, dem bürgerlich-patriarchalen Verständnis ein antipatriarchal-bürgerliches entgegenzusetzen.
ökonomischen Gründen innerhalb des Kapitalismus zu entfernen. Es fand nach und nach eine Art Ent-Marxismusierung statt, die zu einer Verselbstständigung der sogenannten Teilbereichskämpfe führte, deren Bezugsrahmen nun nicht mehr die „gemeinsame“ marxistische Kapitalismuskritik war. Somit veränderte sich auch der Charakter des linken Widerstandes: aller Kampf für die neuen Subjekte endete im Bürgerrechtsbewegtsein. Alleinig daraus läßt sich das Defintionsrecht als erkämpfter Fortschritt begreifen: Es ist der feministischen Bewegung gelungen, zumindest innerhalb der autonomen Linken dem bürgerlich-patriarchal geprägten Verständnis von Vergewaltigung und sexualisierter Gewalt ein antipatriarchal-bürgerliches Verständnis der autonomen Linken entgegenzusetzen. Nicht mehr aber auch nicht weniger!
Das ist durchaus vergleichbar mit dem schon längst praktizierten Verständnis und Quasi-Defintionsrecht bei Naziübergriffen: Wenn ein Migrant oder Nicht-Deutscher sagt, dass er von Nazis angegriffen wurde, wird dies innerhalb der Linken niemand ernsthaft anzweifeln – schon gar nicht, wenn das Verständnis von der Gesellschaft als eine rassistische eben genau das ist, was sie ist!
Insofern kann sich die Aufregung um Pro und Contra Defintionsrecht eigentlich legen und es könnte sich der eigentlichen Frage des Umganges damit zugewendet werden. Dort nämlich liegt der Hase im Pfeffer.



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last modified: 28.3.2007