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Juden sind trendy

Die „Woche der Brüderlichkeit" zur Verständigung von Deutschen und Juden ist eine Farce. Je mehr gefeiert wird, desto mieser ist die gesellschaftliche Stimmung.
Von Yael Kupferberg

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Schalom chawerin, Schalom chawerin, Schalom, Schalom ...“ Diese musikalischen Asoziationen drängen sich mir unweigerlich auf – vor meinem geistigen Auge sehe ich sie: Lila Halstuch tragende Männer und Frauen, emotional betroffen und christlich mitfühlend. Menschen, die etwas Gutes wollen – und es nicht erreichen: Brüderlichkeit.
Sie erreichen es aus einigen Gründen nicht: es sind die falschen Träger. Aus dem Munde des Bundesinnenministers etwa ertönt es: „Die Gesellschaften (für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit) leisten auf der Ebene des praktischen Tuns vor Ort eine unersetzliche Arbeit.“ Nur zu schmerzlich glaube ich mich an einen anderen, schärferen Ton desselben Ministers zur Debatte um „Ausländerüberflutung“ erinnern zu können. Solche Aussprüche brechen das Bild dieser Veranstaltung erheblich. Hier wird nicht verstanden: Juden nehmen in Deutschland eine priviligierte Stellung ein, sie haben einen gesellschaftlichen Sonderstatus in jeglicher Hinsicht. Antisemitismus verbirgt sich hinter der Maske des Philosemitismus, nicht immer, aber häufig. Um das Phänomen Antisemitismus verständlich zu machen und um es schließlich überwinden zu können, wäre es vonnöten, Antisemitismus endlich in den Kontext des Rassismus zu bringen. Die in Deutschland lebenden Juden sind nicht die Menschen, die es zum heutigen Zeitpunkt am schlimmsten trifft. Denn wer wird diskriminiert? Wer wird diffamiert, wer verfolgt? Das sind meine ehemaligen türkischen Mitschüler, das sind ausländisch aussehende Studenten, das sind Asylsuchende. Aber das geht scheinbar unter. Jüngstes Beispiel: Bei der Kundgebung gegen die Neonazidemo am 12. März vor dem Brandenburger Tor wurde ausgerechnet jiddische Musik gespielt. Wieso nicht eine deutsche oder eine türkische Weise? Immerhin bilden die türkischen Bürger der Stadt Berlin und nicht die Juden die größte Minderheitsgruppe.
Die „Woche der Brüderlichkeit“ und die sie tragenden Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (GCJZ) erfüllen eine ganz bestimmte Aufgabe: Das Ringen um ein neues Verhältnis zu den Juden und zu den jüdischen Themen wurde und wird aus dem säkularen gesellschaftlichen Raum herausgenommen und in einen vom Politischen relativ abgehobenen humanistisch-religiösen Bereich transferiert. Das ist der Bereich, der sich schon seit jeher mit Scham und Schuld befaßte. Hier kann Schuld angenommen und verhandelt werden. Die für den Mord und die Versklavung mitverantwortliche Wirtschaft und Industrie kann sich hinter diesen Initiativen verstecken. So geschieht die wahre Auseinandersetzung mit der Problematik nicht in der Politik. Diese Initiativen bleiben folglich Randerscheinungen und gehen nur minimal in den Bereich politischer Aktion über. Insofern nimmt es nicht wunder, wenn repräsentative Personen gebraucht werden, um öffentliches Interesse zu erwecken. Doch Repräsentanten sind niemals Akteure und somit in ihrer Person beliebig austauschbar. Das macht solche Festakte zu einer Farce, bedauerlicherweise. Je mehr gefeiert wird, desto mieser ist die gesellschaftliche Situation.
Und gefeiert wird. Berlin erlebt geradezu eine Renaissance des Judentums. Vor allem der Ostteil der Stadt ist davon befallen. Rund um den Hackeschen Markt blüht das jüdische Leben, nur leider ohne lebende Juden. Juden sind trendy – im Moment. Wie jede Modeerscheinung wird auch diese vergehen. Was nach der Euphorie kommt, wird vielleicht die wahren Verhältnisse offenbaren. Denn das ganze Arsenal antijüdischer Klischees ist immer noch – und in jeder Gesellschaftsschicht – sofort abrufbar. Oben wie unten, rechts wie links, jeder hat diese Klischees parat. Wer lehrt und tradiert sie? Diese Fragen stellen sich mir, wenn ich Kommilitonen, spaßhaft, vom typisch jüdischen Geiz sprechen höre. Ein Paradoxon geradezu: die Juden sind verschwunden, die Vorurteile sind geblieben, auch in der jungen Generation, von der ja gesagt wird, das sie völlig frei und unbelastet von Geschichte sei. Anscheinend nicht frei genug und das an falscher Stelle.
Der Name der Verantsaltung „Woche der Brüderlichkeit“ offenbart die Absurdität und drückt im Grunde einen anderen Zustand aus, den wahren und alltäglichen, der gar nicht so solidarisch abläuft. Wo Brüderlichkeit beschworen werden muß, ist sie nicht existent. Ja, und da kommen schon die Schlußverse, es tönt leise und verheißungsvoll: „Lehitraot, Lehitraot, Schalom, Sch-a-lom ...“
(Den Artikel haben wir der Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 7 vom 30. März 2000, entnommen.)

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last modified: 28.3.2007