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Instrumentalisierte
Stichwortgeber
Nachfolgend dokumentieren wir ein Flugblatt des Leipziger Bündnisses gegen Rechts (BgR), das während der Antifa-Demonstration am 12. Februar diesen Jahres gegen die Ansiedlung des NPD-Zeitungsverlages Deutsche Stimme in Riesa verteilt wurde. Die Demonstration fand unter dem Motto „Die Deutsche Stimme verstummen lassen“ statt. An ihr beteiligten sich rund tausend Leute.
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Genau zwei Wochen ist es her, als die Nazis wieder mit wehenden Fahnen durch das Brandenburger Tor marschieren und dort ihre verbrecherische und menschenverachtende Ideologie verbreiten konnten. Für alle, denen der Zusammenhang zwischen diesem Aufmarsch und der Nazizentrale der Deutschen Stimme in Riesa nicht auf der Hand liegen sollte, sei gesagt:
Jürgen Günz, 10.3k

„Anstachler der jugendlichen Nazi-Szene in Riesa“ – NPD-Neonazi Jürgen Günz, zwar Stadtrat in Riesa aber er wurde dort schon seit Monaten nicht mehr gesehen
In Berlin marschierten die Macherinnen und Macher, Leserinnen und Leser der NPD-Zeitung Deutsche Stimme gemeinsam auf.
Nach haargenau 67 Jahren kriegten sich die Nazis von heute gar nicht wieder ein: Der Rechtsnachfolger des NS-Staates ermöglichte ihnen einen Triumphzug durch das symbolträchtige Tor wie am 30. Januar 1933, dem Tag der Machtübernahme durch die NSDAP.
Eine nennenswert breite Öffentlichkeit protestierte nicht – genau wie damals. Zwar nannte die Bundesregierung den Nazi-Aufmarsch „pervers“, doch die gängige Reaktion in Deutschland war der schnelle Übergang zur Tagesordnung. Es waren ausschliesslich linke und linksradikale Antifaschistinnen und Antifaschisten, die sich den Nazis in den Weg stellen wollten. Sie wurden durch die Staatsgewalt, die Polizei, massiv daran gehindert. Auf eine Antifaschistin bzw. Antifaschisten kamen drei Bullen.
Statt einer Diskussion über die effektive Bekämpfung der Nazis begann in Deutschland eine öffentliche Debatte über die Einschränkung bzw. Abschaffung des Demonstrationsrechtes. Es ist offensichtlich: Der Naziaufmarsch wurde genutzt, um über die weitere Einschränkung bzw. Abschaffung von Grundrechten zu debattieren.
Eine der derzeitigen gesellschaftlichen Funktionen der Nazis besteht darin, dass sie bewusst für die Einschränkungen von Grundrechten instrumentalisiert werden. Das wissen wir spätestens seit den Anschlägen und Pogromen der Nazis und dem Jubel ihrer Sympathisantinnen und Sympathisanten in der Bevölkerung. Damals, Anfang der 90er, liess man die Nazis und ihren Anhang bewusst gewähren, um sich demokratisch ummantelt dem angeblichen „Druck von der Strasse“ beugen zu müssen – das Grundrecht auf Asyl wurde faktisch ausgehöhlt und damit zur menschenverachtenden Farce.
Eine andere gesellschaftliche Rolle, die die Nazis im verstärktem Masse seit den 70ern spielten und spielen, besteht in ihrer Funktion als Stichwortgeber. Insbesondere bei der sogenannten Vergangenheitsbewältigung gelingt es ihnen, die Stichworte für deutsche Diskurse der Gegenwart abzuliefern. Ist ihnen das gelungen, werden sie allerdings gesellschaftlich geschnitten. Dadurch haben wir in Deutschland folgende Situation, die sich an einem Beispiel gut darstellen lässt: Eines der Aushängeschilder deutscher Schriftstellerei, Herr Martin Walser, redet gleichlautend der Nazipropaganda, die durch den offen ausgebrochenen deutschen Nationalismus endgültig salonfähig geworden ist. Walser meinte ende 1998 in einer Rede in Frankfurt/Main vor DEN politischen und geistigen Repräsentantinnen und Repräsentanten Deutschlands dasselbe wie die Nazis: er sagte, er könne von Auschwitz nichts mehr hören. Dafür heimste er sich stehende Ovationen ein. Hätte ein bekannter Nazi dasselbe gesagt – alle hätten ihn verteufelt und sich von ihm abgegrenzt.
Seit Jahren versucht der Staat BRD, antifaschistischen Widerstand von linker und linksradikaler Seite mundtot zu machen: Demonstrationen werden verboten bzw. mit reinen Schikanen beauflagt, es finden Massenverhaftungen statt, antifaschistische Demonstrantinnen und Demonstranten werden regelmässig brutal von der Polizei angegriffen und zusammengeschlagen, die linke und linksradikale Antifa-Szene wird mit Straf- und Haftbefehlen überzogen, es finden willkürliche Observationen und Hausdurchsuchungen statt.
Eine bürgerliche oder liberale Öffentlickeit empört sich darüber so gut wie gar nicht. Vielmehr geht es scheinbar allen in Deutschland um eine Gleichsetzung von uns Antifaschistinnen und Antifaschisten mit dem Nazi-Pack. Nach dem Motto: Alles eine Sosse – alles Radikale, Extremistinnen und Extremisten.
Auch in Riesa versucht insbesondere der Oberbürgermeister (OBM) gegen uns Stimmung zu machen. Und weil der vor Ort so ähnlich unangreifbar zu sein scheint wie die Figur Helmut Kohl auf Bundesebene, kuschen die meisten vor seiner Autorität.
Es stimmt etwas grundsätzlich nicht, wenn der bekennende Neonazi Jürgen Günz, seines Zeichens Stadtrat in Riesa und Besitzer des Neonazi-Zentrums der Deutschen Stimme, öffentlich erklärt, dass der Riesaer OBM Horst Barth ein „hervorragender Bürgermeister“ sei und beim Immobilien-Deal zur Schaffung des neuen Nazi-Zentrums „alle (...) dicht gehalten“ hätten – insbesondere die Volksbank Riesa, die den Kauf des Gebäudes gar hätte verhindern können, wenn deren Verantwortlichen gewollt hätten (Quelle: Berliner Zeitung v. 08.02.2000).
Formulieren wir es ganz pragmatisch: die Riesaer Welt ist dann für uns akzeptierbar, wenn der Nazi-Stadtrat Günz den Oberbürgermeister Barth und die anderen Verantwortlichen aus Politik und Verwaltung in Riesa nicht mehr „hervorragend“ finden kann, sondern fürchten und gar hassen muss und die Volksbank in Riesa versucht, ihren schweren Fehler zu korrigieren.
Es gibt ein gutes Beispiel, dessen Kenntnisnahme durchaus weiter helfen kann: Das Nazizentrum der Deutschen Stimme im oberbayerischen Sinning musste auf Grund gemeinsamer Proteste von linksradikaler Antifa bis zur konservativen CSU abdanken. Nur deshalb haben sich die Nazis nach einem anderen Grundstück umsehen müssen. In Riesa sind sie auf Grund aktiver Nazis vor Ort fündig geworden, weil diese Nazis in Allerseelen-Ruhe seit Jahren in und um Riesa schalten und walten können.
Wir sagen es deutlich: Niemand von uns hat die Absicht, gegen die Sportstadt Riesa an sich zu wettern oder über sie her zu ziehen. Ganz im Gegenteil: es ist uns sympathisch, wenn sich eine Stadt ein weltoffenes und tolerantes Image geben will, weil damit zwangsläufig eine Positionierung gegen Nazis und Rassismus einher gehen muss. Entgegengesetzt zu diesem Image ist die Tatsache einzuordnen, dass Riesa zu den – glücklicherweise – wenigen Orten gehört, wo die Nazis genügend Stimmen für den Einzug ins örtliche Parlament bei den Kommunalwahlen erhalten haben. Nimmt man die Wählerstimmen für die Nazis in Riesa zum Masstab und Gradmesser, lässt sich feststellen: das offene Bekenntnis zum Nazismus ist weiter verbreitet als in den Orten, wo die Nazis nicht in den örtlichen Parlamenten sitzen. Desweiteren ist es ein offenes Geheimnis, dass das Wählerpotential in Deutschland für die Nazis um ein vielfaches höher ist, als es sich in Prozenten zur Wahl ausdrückt.
Dass die Nazis in Riesa einen Achtungserfolg bei den Wahlen erzielen konnten, liegt nicht zuletzt an der starken Nazi-Jugendszene in der Region. Speziell sie sorgt durch ihr aggressives militantes Auftreten dafür, dass antifaschistische Positionen öffentlich kaum ungestraft geäussert werden können. Angestachelt durch die Nazi-Kader wie Stadtrat Günz und motiviert durch die verständnisvolle Zuneigung und Umarmung durch die jeweiligen Eltern und einer fatalen Jugendpolitik fühlt sich die lokale Nazi-Jugend als Hilfspolizei auf den Strassen von Riesa und Umgebung: Ausländer, Linke, Alternative u.a., die sie als ihre Feinde auserkoren haben, müssen um Leib und Leben fürchten.
Nach jahrelanger Analyse sind wir längst davon überzeugt, dass gegen diese jugendliche Naziszene nicht etwa noch mehr Zuneigung und Aufmerksamkeit hilft, sondern weniger! Jede öffentliche nazistische oder rassistische Äusserung muss für sie den privaten wie öffentlichen Liebesentzug zur Folge haben! Gleichzeitig muss denjenigen Gruppen zur öffentlichen Wahrnehmung verholfen werden, die von den Nazis als Opfer und Feinde auserkoren wurden! D.h. insbesondere: aktive Unterstützung und Förderung antifaschistischer Jugendkulturen und Initiativen als direkte und wirksamste Zurückdrängung und Bekämpfung der Nazi-Jugendszene!
Die Faktoren, die zu einer starken Nazi-Szene führen, gleichen sich allerorten: Die Bagatellisierung des Nationalsozialismus durch die Gleichsetzung von Links und Rechts, eine Reduzierung der Nazi-Ideologie auf „Gewalt“, falscher Lokalpatriotismus, der ein Naziproblem deckelt, ein gleiches Wertemodell wie die Nazis – basierend auf den sogenannten deutschen Sekundärtugenden von Ordnung, Fleiss und Disziplin – die pauschale Ablehnung von Menschen und Lebensformen, die als fremd, Eindringlinge oder höchstverdächtige Normabweicher begriffen werden sowie Bejahung und Unterstützung des kapitalistischen Konkurrenzdenkens.
Gegen diese Faktoren setzen wir als Antifaschistinnen und Antifaschisten unser Verständnis eines toleranten und solidarischen Miteinanders, das auf einem Wissen um das verbrecherische System des Faschismus und Nationalsozialismus basiert.
Als linke und linksradikale antifaschistische Gruppe wissen wir um die Ungerechtigkeiten des Kapitalismus. Im Mittelpunkt dieser Gesellschaftsordnung steht nicht der Mensch, sondern das Geld, die Ware und der Profit. Darüber definiert sich alles. Die Nazis stellen ihre Ideologie gern als Systemalternative zum Kapitalismus dar. Sie wollen jedoch nur kapitalistische Tugenden verstärken, den barbarischen unbedingten Gehorsam und die unbedingte Unterwerfung unter die völkische Gemeinschaft mit ihnen koppeln. Dieser Sozialdarwinismus des Fressen-Und-Gefressen-Werden trägt einen aggressiv-vernichtenden Charakter in sich: Nur durch ein Feindbild kann er existieren. Der Nazismus muss unbedingt vernichten. Deshalb sehen wir in ihm die schlimmste Ideologie, die wir unbedingt bekämpfen müssen.
Als Linke und Linksradikale sind wir davon überzeugt, dass der Kapitalismus die Probleme der Menschheit nicht löst, sondern erzeugt. Deshalb kämpfen wir für eine Gesellschaft, in der die Ausbeutung abgeschafft ist.
Unsere Antwort auf die Nazi-Ideologie ist eine linke, linksradikale emanzipatorische Politik, die die gesellschaftlichen Verhältnisse attackiert und die Option einer solidarischen Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung als linke Perspektive aufzeigt.
Faust, 2.4k Riesa, den 12. Februar 2000

BgR-Logo, 0.5k
PF 54
04251 Leipzig
Fax: 0341-3013269
e-mail: bgr@mail.nadir.org

Wurzen-Demo, 9.2k

Wurzen im November 1996: „Wir sagen es deutlich: Niemand von uns hat die Absicht, über Riesa herzuziehen“ – 6000 Antifas aus ganz Deutschland mußten in die Stadt unweit von Riesa kommen, um gegen die Ignoranz gegenüber der dortigen Nazi-Szene zu demonstrieren


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last modified: 28.3.2007