home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[64][<<][>>]

kultur-logo, 6.8k Alltag als Märchen
Ein Text über das Kiezdenken,
Espresso und Redezirkel.
Das Zoro, der Leipziger Treffpunkt traditioneller Punks und Autonomer, schießt mit seinem Monatsflyer für Februar den Vogel ab. Als literarischer Connewitz-Spaziergang mit illustratorischen Schmäckerchen getarnt, wird dabei der Versuch unternommen, die sogenannte Alternativkultur entgegen gängiger Werbestrategien zu promoten. Das mag zwar peppig klingen, geht aber, nicht nur ästhetisch, ganz schön nach hinten los...
, 0.0k
zoro-flyer, 10.4k Individuelle Idylle im Zoro-Flyer
„Es war wieder eine dieser Nächte! Stumpf saß ich in meinem Zimmer herum (...) Ich beschloß als erstes bei einem kleinem Kino an der Straßenecke vorbeizuschauen (...) Liwi hieß es...“ (1) Was wie ein mittelschlechter Krimi vom Schlage eines amerikanischen Großstadtautoren in der Zeit der Goldenen Zwanziger erscheint, sind die ersten Zeilen der monatlichen Zoro-Selbstdarstellung, einer kleinen Geschichte, vollgepackt mit „lyrischem“ Quark, handelnd vom „wie mache ich es mir am gemütlichsten hier im Kiez“ oder anders, wie belüge ich mich selbst, wie baue ich mein Traumschloß, wie finde ich meine Niesche...etc,etc.
Krasser Style oder esoterischer Mist, möchte man meinen, die Sache links liegen lassen und dem guten alten Corporate-Design seinen Tribut zollen, aber das wäre dann doch zu einfach. Welchen Teufel hat die MacherInnen da nur geritten. Outet sich im Zoro-Flyer ein neuer Aktivist der Social-Beat-Fraktion oder ist gar ein verkappter Volontär des „Jetzt“-Magazins der Süddeutschen am Werk? Oder ist diese Form der Socialising-Anleitung ab jetzt Standart in Connewitzer Kulturprojekten? Was vielleicht als Antipode zu den ansonsten gängigen schlecht layouteten Kopien oder wahlweise Vierfarbdruck auf Hochglanz nett gemeint ist, offenbart eine Haltung, die verrät, wie es denn aussieht hinter den mit Bastmatten verhangen Fenstern der Kiezgemeinde – verdammt finster nämlich. Denn was zählt, ist augenscheinlich und ausschließlich eine, umschreiben wir es mal nett, persönliche Erlebnisbefriedigung unter dem Scheuklappenblick der typischen Nieschenmentalität. Um am Beispiel zu bleiben, „Wenn du was zu sagen hast, kannst du dich auf einem der vielen Plenen austoben“. Genau. Zum Beispiel beim Bündnis gegen Rechts (BgR) oder Offenes Antifaschistisches Plenum (OAP) – sogenannten „Redezirkeln“, da sitzen die frustrierten Politniks und Labertaschen und quatschen sich die Köpfe heiß. Ansonsten seid doch bitte etwas cooler und machts wie der Autor des Zoro-Heftchens, der hebt die zoro-flyer, 7.5k Flasche und stellt fest: „Mein Kopf war voll nicht nur von Sternburg und ich kehrte dem Geschehen den Rücken. Schließlich wollte ich heute Nacht noch was erleben...“ Was mit Martini und Espresso(!) anfing, endet nicht nur mit gutem Sterni, sondern, und nur das wird affirmiert, im angeblich heilen Mikrokosmos des Bermudadreiecks. In dem nämlich läuft das nach guter allgemeiner Autonomen-Tradition favorisierte Leben im selbst abgesteckten Freiraum dann so, wie sich der Wind dreht, sozusagen beliebig. Was dann als Selbstverständnis passiert, als Rückzug ins Private ohne jede Kontextualisierung, ist wenn überhaupt, mit schlichter Konsumhaltung zu bezeichnen, ansonsten nichts. Wer Connewitz mitsamt seinen Projekten als sweeten Wohn- und Erlebnispark definiert, zu dem der „Bullenterror“ per se gehört wie der „Anarcho-Schuppen“ um die Ecke, und nur darin seinen Freiraum festmacht, dem wird seine aufgebaute Idylle schnell über dem Kopf zusammenbrechen. Spätestens wenn der Polizei-Hubschrauber unseres Vertrauens auch auf deinem Dach landet. Doch dann wird erstmal ein Espresso angesetzt, oder?
Lars

(1) Kursivgeschriebenes sind Originalzitate des Zoro Flyers



home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[64][<<][>>][top]

last modified: 28.3.2007