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review-corner, 3.7k

Regression ist kein Schicksal.

Der Film „American Beauty“ zeigt den Utopierverlust einer Generation, für die Glück nur noch im individuellen Anderssein möglich scheint.
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American Beauty, 15.1k

American Beauty

Regie: Sam Mendes

USA 1999

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„My name is Lester Burnham. This is my neighbourhoud, this is my street, this is my life. I am 42 years old and in six months I am already dead.“
Die Kamera fährt in Vogelperspektive über die amerikanische Vorstadtsiedlung, in der alles ist wie es ist: ökonomisch abgesichert (vermeintlich) und langweilig. Die neuen Nachbarn, ein schwules Päarchen, stellen sich dem Vietnamveteranen im Nebenhaus vor, der bellt seinen Dienstgrad heraus, signalisiert, daß Schwule keinen Platz in seinem Redneckweltbild haben und dabei spielt es keine Rolle, daß die beiden dem selben Milieu angehören: amerikanischer Mittelstand in den 90ern. Lester onaniert morgens unter der Dusche, danach geht der Tag nur noch bergab. Sein Brötchengeber, eine Werbeagentur, läßt im Zuge von Sparmaßnahmen Leistungsprofile der MitarbeiterInnen erstellen. Lester, der weiß, daß er eh durch dieses Raster fallen würde, hält altlinks dagegen, kündigt, wobei er dem Chef eine satte Abfindung abpreßt: die individuelle, politische Tat eines ehemaligen 68ers. Der Rest ist gesellschaftlicher Ausbruch im Normformat, geplanter Kontrollverlust eben. Er verliebt sich in die blonde Cheerleader-Freundin seiner Tochter („Ich möchte einen Vater, der nicht gleich in seine Shorts abspritzt, wenn ich mal ‘ne Freundin nach Hause bringe“), fängt wegen ihr und seiner Figur mit Bodybuilding an, kifft und entblödet sich nicht, Pink Floyd zu hören. Im Gegensatz zu seiner Frau Carolyn ist er nicht mehr bereit, den Status Quo zu wahren. So wie es ihn nicht mehr stört, wenn sie ihn beim Masturbieren „erwischt“, genauso wird der familiäre Bruch nach außen gekehrt. Wenn die Nachbarn es wissen, um so besser. Carolyn Burnham kanalisiert alle familiären Probleme um so stärker in ihren Job als Immobilienmaklerin, läßt sich von einem Kollegen der Konkurrenz verführen, geht mit ihm auf den Schießübungsplatz. Beider Verhältnis zu Tochter Jane ist am Nullpunkt, Kommunikation findet nicht mehr statt, wie alle Eltern wollen auch die Burnhams für ihr Kind nur das Beste oder wie Carolyn sagt: „Ich mußte in einem Doppelhaus aufwachsen, wir hatten nicht einmal ein freistehendes.“ Ricky, Nachbar und Sohn des Militärs, vertickt Gras an Janes Vater und andere, finanziert sich damit seine riesige Videoausrüstung, seinen Gastrojob macht er nur des Vaters wegen, der alle 6 Wochen eine Urinprobe von ihm fordert, um auszuchecken, ob er clean ist. Rickys Wahrnehmung funktioniert über seine Kamera, er filmt Jane im Garten, in ihrem Zimmer, die intimsten Augenblicke zwischen beiden werden dem Zuschauer auf Video präsentiert, etwa wenn Jane Ricky von ihrem Vater erzählt oder sich am Fenster gegenüber vor ihm auszieht.
Ähnlich stellt sich die Wirklichkeit als rein medial vermittelte den Eltern da: Ihre sexuellen Phantasien und Handlungen folgen strikt bekannten Images, die der eigenen sozialen Realität sowohl entbehrt als auch entspricht. Lesters Vision, in der die Tochter der Freundin nackt in Rosen gebettet vor ihm liegt, findet ihre Entsprechung (auf der tatsächlichen Handlungsebene) in der Beischlafszene von Jane mit dem Immobilientypen, in der sie sich verhält wie in sonst was für einem Film.
Lester macht sein Ding, verzichtet auf den Sex mit der Cheerleaderin nachdem sie ihm offenbart, daß sie noch jungfräulich ist, läßt sich am Schluß vom Kriegsveteranen, der ihn bezichtigt, seinen Sohn verführt zu haben, selbst aber der eigenen homosexuellen Option gerade mal so standhält, erschießen. Er stirbt mit einem Lächeln auf dem Gesicht und der Gewißheit, sein Ausbruch habe sich gelohnt. Daß dieser nicht zu einem gesellschaftlichen Ausschluß führt, liegt in der regressiven Form begründet, sprich: Lester erlebt einen Teil seiner Jugend neu oder wieder – folgerichtig aus eigenem Antrieb. Eine andere Option hat er nicht, den Utopieverlust teilt er mit dem Rest seiner Generation, Glück ist scheinbar nur noch im individuellen Anderssein möglich. Seinen Protagonisten gesteht der Film nur das Quentchen Eskapismus zu, wie es deren Milieu, das dem des Publikums entsprechen dürfte, erträgt.
Lester hat die Geschichte aus seiner Perspektive erzählt und beendet sie auch im Abspannmonolog, der dem Rückblendenintro entspricht. Der Film weist ihn als handelnde Person aus, als Mann agiert er selbstständig, während die ihn umgebenden Frauen jeweils auf den Anstoß ihres männlichen Gegenübers angewiesen sind. Nur das reicht nicht, „American Beauty“ als Männerfilm zu dissen. Die Kombination von männlichem Regisseur, Erzähler und Hauptdarsteller ergibt nicht zwangsläufig das Produkt „Von Mann für Männer“. In ihrem gesellschaftlichen Funktionieren sind sich alle Personen gleich. Lesters Ausbruchversuch bleibt so stereotyp wie die Handlungen der anderen. Die Darstellung der Frauen, wie die der Nachbarin, die jeglichen Draht zur Welt, jede Bodenhaftung verloren zu haben scheint, sagt mehr über die Männer – über die sie definiert wird – aus, als über sie selbst.
heike

Filmszene, 19.7k

„nicht mehr bereit, den Status Quo zu wahren“ –
das Filmehepaar Burnham in American Beauty



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last modified: 28.3.2007