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Nominier' mich!
Der Goldene Rüdiger '99 , 0.0k

Bestechen die allmonatlichen Ilses Erika-Veranstaltungen wie „D.U. am Donnerstag“, „Glücksrad“ oder „Das Familienduell“ in der Regel durch das humoristische Persiflieren grauenhaft deutscher Talkshowrealitäten, so haben sich die Betreiber von „Leipzigs Wohnzimmer-Club“ mit ihren „Ilses Erika Awards 1999“ gründlich in die (eigens kultivierten) Nesseln gesetzt. Ein Verriß.
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kultur-logo, 3.5k Zugegebenermaßen lag schon Spannung in der Luft, vor der Verleihung des Goldenen Rüdigers 1999. Was sollte man anziehen, vielleicht sogar nochmal zum Friseur oder ist man gar selber nominiert? Mit dem Taxi vorgefahren, vom Einlaß mit Handschlag begrüßt, der Garderobe ein Trinkgeld gegeben, das hatte schon was. Mit dem Sektglas in einer der vorderen Reihen plaziert, im Arm das schönste Mädchen der Stadt, ein bißchen Smalltalk mit Donis, konnte man getrost der Vorstellung der Nominierungen harren. Chrisse Krass begann auch in bekannt souveräner Manier mit der ersten Kategorie, der Wahl zur Musikzeitschrift des Jahres. Konnte man sich hier noch fragen, welche Relevanz futur drei, png und Fieberkurve im Musikleben der Stadt wohl haben; konnte man auch noch drüberhinwegsehen, daß roter stern im Rennen mit cantonas united nicht bestehen konnte, da sie ohnehin offener Sieger der letzten Saison sind, so begann mit der Wahl zum Journalisten des Jahres der Abstieg. Zwei LVZ-Nominierungen und Alina Kanitz, die jugendliche Mittdreißigerin, die uns jeden Donnerstag mit einer neuen Ausgabe von „Voll das Leben“ beglückt, erhielt den Zuschlag. Es folgten Kneipe, Gitarrist und Schauspieler des Jahres. Spätestens ab jetzt hielt man es nur noch an der Bar aus. Natalie Hühne und Patrick Imhof, des Kreuzers Schauspiellieblinge Leipzigs brachten Gottschedstraßenflair in die Kulturfabrik. Nur, den Großteil der „500 feingekleideten Damen und Herren“, kurz „die Szene dieser Stadt“ (LVZ), brachte das nicht in Verlegenheit. Lediglich die zahlreichen Anhänger des ohnehin frustrierten roten sterns quittierten das Abdriften in vermeintlich großstädtische Gefilde mit lautstarken „Schiebung“-Rufen. In der Tat stieß nur wenigen Gästen auf, auf welch belangloses Gleis sich Veranstalter und die Mehrzahl der
erika, 10.4k
"keine Besserung in Sicht" – Bild vom 28.12.1999
Nomineés sich hier begaben. Wie auch, wenn sich 90% der Anwesenden wahrscheinlich als Befürworter der Kulturmeile Süd definieren und sich den Termin der Wiedereröffnung der Löffelfamilie im Kalender bereits dick angestrichen haben. Auch nach der Pause war keine Besserung in Sicht und so frönten ein paar Unverbesserliche weiterhin ausgelassen (oder eher deprimiert?) dem Abend-kittenden Bruder Alkohol. Ihm ist es auch zu verdanken, daß ich zur Verleihung des Ehren-Rüdigers fürs Lebenswerk an Donis schon wieder friedlich im Bett schlummerte und von meinem baldigen Volontariat bei der Bühne-Redaktion der LVZ träumte.
Bleibt die Frage, ob der Abend in dieser Form zu erwarten war? Betrachtet man sich den Werdegang von Ilses Erika, liegt die Beantwortung der Frage mit „ja“ auf der Hand. Auch wenn man an der Grenze zum Bermudadreieck (wohl-)situiert ist, sagt das noch lange nichts über kulturpolitische Zielsetzungen aus. Das Ganze glich schon 1998 eher dem „ins-gemachte-Nest-setzen“, als einer konstruktiven Anbindung an die Connewitzer Szene. Insofern kann man nur von einem verdammt aufgeweichten Szeneverständnis sprechen, die Wahl der Kategorien und ihre Nominierungen unterstrichen das nur noch. Und das Publikum? Über das muß eigentlich nicht mehr verloren werden, als ohnehin schon gesagt worden ist. Stellt man sich belanglose Vorgaben, kommt belangloses Publikum. Was aber am meisten überraschte und dabei auch am meisten anwiderte, war der szenegerechte Schulterschluß aller Beteiligten. Bei aller Distanz war es vor Jahren noch cool, als die Beastie Boys bei den mtv-awards die Vorgehensweise der USA im Irak kritisierten. Zur Kritik allerdings fehlte es beim Goldenen Rüdiger 1999 allen an Mut und Courage. Weil sich Kritik und das Wesen einer Preisverleihung schon im Ursprung verbieten? Wahrscheinlich. In feister Selbstbeweihräucherung wurde vielmehr nur praktiziert, was ohnehin schon Essenz allen Handelns geworden ist: Über die Riten und Mythen einer Preisverleihung dem Wunsch Ausdruck zu verleihen, möglichst bald selber in die Schaltzentralen und Entscheidungspositionen des kulturell und politisch reaktionären Mittelbaus dieser Stadt vorzurücken.
boris


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last modified: 28.3.2007