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Redebeiträge zum 9. November

Nachfolgend dokumentieren wir zwei Redebeiträge, die auf der Demonstration am 9. November diesen Jahres anlässlich des 61. Jahrestages der Reichspogromnacht in Leipzig stattfand. An der Demonstration beteiligten sich rund 300 Menschen.
Die Route der Demo musste sich tatsächlich via Verwaltungsgericht erklagt werden. Die Stadt Leipzig hatte beabsichtigt, die Demo in der Innenstadt nur über Seitenstrassen führen zu lassen. Die Veranstalter der Demo bekamen vor Gericht in allen beklagten Punkten Recht.
Die Demo führte also direkt durch Leipzigs Innenstadt und endete symbolisch vor dem Goerdeler-Denkmal. Neben den nachfolgenden inhaltlichen Thematisierungen wurde in einem weiteren Redebeitrag an die Person Johann-Georg Elsers erinnert, der als Mitglied des Roten Front Kämpferbundes vor 60 Jahren ein Attentat auf Hitler verübte, das bekanntlich scheiterte.
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Carl Friedrich Goerdeler und die Reichspogromnacht
Wir stehen hier beim Denkmal von Carl Friedrich Goerdeler. Diejenigen, die ihm dieses Denkmal gesetzt haben, betonen vor allem das, wogegen Goerdeler sich gewandt hat. Sie heben hervor, daß er Hitler stürzen wollte, daß er wegen der Entfernung des Mendelsohn-Denkmales als Oberbürgermeister von Leipzig zurückgetreten ist und antisemitische Pogrome, insbesondere auch die vom 9. November 1938 scharf verurteilt hat. Dass Goerdeler auf der anderen Seite die Ernennung von Hitler zum Reichskanzler befürwortet hat und bereits vor den Nürnberger Gesetzen Verordnungen geschaffen hat, mit denen die Juden aus dem öffentlichen Leben Leipzigs immer mehr verdrängt wurden, wird damit gerechtfertigt, daß Goerdeler im Laufe der Zeit einen Lernprozeß durchgemacht habe oder als taktisches Verhalten verharmlost.
Tatsächlich war aber Goerdelers Politik immer zielstrebig, direkt und unter anderen durch folgende stark ausgeprägte Haltungen bestimmt: Antisemitismus, Nationalismus und ein erzkonservatives Rechts- und Moralverständnis. Von diesen Haltungen ist Goerdeler in keiner seiner Schriften erkennbar abgewichen. Sein Entsetzen über die Pogrome und den weiteren Verlauf des Holocaust war echt. Das ist aber kein Argument gegen seinen Antisemitismus. Das, was Goerdeler und die Mehrheit der Deutschen einte, war die Grundlage ihres Antisemitismus. Goerdeler sah in den Juden eine eigene Rasse, die zudem nicht von der deutschen Gesellschaft assimilierbar war, sondern ihr vielmehr schadete. Deshalb, so Goerdeler, müßten die Juden aus der deutschen Gesellschaft entfernt werden. In dieser Haltung war sich Goerdeler mit allen anderen deutschen Antisemiten einig. Diese Haltung bildete die ideelle Grundlage zur industriellen Vernichtung von 6 Millionen Menschen. Auch wenn Goerdeler den Holocaust verurteilt hat, so hat er ihn doch durch seine eigene antisemitische Politik mit vorbereitet.
Durch das Entsetzen Goerdelers über den Holocaust ist es seitens derjenigen, die ihm hier ein Denkmal gesetzt haben, möglich, Goerdeler zum Gegner des Antisemitismus umzudeuten. Problemlos lassen sich Zitate finden, die eben dieses Entsetzen wiedergeben. Aber einige dieser Zitate zeigen auch, wie dicht bei Goerdeler Entsetzen und tief sitzender Antisemitismus beieinander liegen. Eines der Zitate, die am Rande dieses Denkmals stehen lautet wie folgt: „Die Judenverfolgung, die sich in den unmenschlichsten und unbarmherzigsten, tief beschämenden und gar nicht wieder gutzumachenden Formen vollzogen hat, ist sofort eingestellt. Wer geglaubt hat, sich am jüdischen Vermögen bereichern zu können, wird erfahren, daß es eine Schande für jeden Deutschen ist, nach unredlichem Besitz zu streben.’’ Hier endet das Zitat und die Denkmalerbauer unterschlagen damit den nächsten Satz. Der lautet: „Mit Marodeuren und Hyänen unter den von Gott geschaffenen Geschöpfen will das deutsche Volk auch in Wahrheit gar nichts zu tun haben.’’ Diese Worte entstammen der geplanten Regierungserklärung für den Fall eines gelungenen Putsches.
Damit ist klar, dass es den Politikern von heute darum geht, mit Goerdeler einen guten Deutschen zu schaffen, in dessen Tradition sich die heutige Politik stellen kann. Die Ehrung von Goerdeler ist ein Teil des deutschen Geschichtsrevisionismus. Mit der Denkmalsetzung für Goerdeler stellen sich dessen Befürworter auch in die antisemitische Tradition in Deutschland.
Goerdeler selbst distanzierte sich deshalb von den Nazis, weil er der Auffassung war, daß die Nazis Deutschland in Gefahr brachten. Es war weniger eine Differenz in inhaltlichen Positionen, die Goerdeler zum Rücktritt bewegten, als vielmehr eine Differenz darüber, wie ein judenfreies Großdeutschland zu erreichen sei. Auch wenn wir Goerdeler keine Mordlust unterstellen wollen, so war der Antisemitismus dennoch bei ihm tief verwurzelt.
burn, 8.7k Das Gedenken an die Opfer der Reichspogromnacht verbindet sich für uns mit einer Kampfansage gegen jede Form des Antisemitismus und Nationalismus.
Kein Denkmal für Antisemiten!
Bündnis gegen Rechts (Leipzig)

Kein Friede mit Deutschland!
Genossen und Genossinnen, Feinde des Vaterlands! Ihr werdet heute keinen wissenschaftlichen Text von uns zu hören bekommen. Zu oft ist in letzter Zeit viel geredet und nichts gesagt worden. Wir wissen, das ohne Kenntnis des Gegenstands dessen Zerstörung unmöglich ist, ja nicht einmal die einfache emotionale Reaktion zustande käme. Aus der Unkenntnis des Gegenstands kommen die Peinlichkeiten zustande, die von einer theorielosen Linken zu erwarten sind und die allzuoft mit einer erschreckenden Vehemenz vertreten werden. Viele Beiträge langweilen, oft schaffen es nicht einmal die Schlußparolen die eigentlich notwendige Emotion hervorzubringen. Vermutlich hat auch das mit der mangelnden Kenntnis des Gegenstands – dieser Gesellschaft – zu tun. Es ist eben nicht so, daß der Schritt in die Theorie die Emotion dämpft. Es ändert sich, nicht mehr jeden Scheiß mitzumachen; mit der Notwendigkeit aber zu wissen, wann es an der Zeit ist, die Wut herauszuschreien. Den Musterdeutschen am Goerdelerdenkmal unser Anliegen entgegenzukotzen, kurz und prägnant zu sagen, was zu sagen ist, ihnen die Möglichkeit zu entziehen, uns in ihren demokratischen Diskurs einzubinden, war gut und ein Schritt in die richtige Richtung. Getroffen zu haben bestätigte auch die LVZ, als ihr Kommentator schrieb, einzig gut wäre gewesen, daß der Aktion, „der Grossteil der Linken ferngeblieben sei“. Mehr davon. Theorie und ihre praktische Fortführung ist wichtig, um das deutsche Gesindel da zu treffen, wo es ihnen wehtut. Wir könnten heute versuchen, euch klarzumachen, welche Wurzeln der Nationalsozialismus hatte und das viele dieser Voraussetzungen noch bestehen, wieder zum Vorschein gekommen sind, sie sich in ihrer Qualität verändert haben. Wir sehen das als zentrales Moment unserer Politik gegen diese Gesellschaft und dieses Land und denken dass wir damit – wenigstens im kleinen Rahmen – den Opfern des NS gerecht werden können. Dieses Anliegen muß alltäglich werden, der heutige Tag dagegen aber muß Besonderes bleiben. Ich rede also nicht in wissenschaftlichem Ton über die Voraussetzungen von Auschwitz, es gibt gute Bücher darüber. Es ist zum Verzweifeln zu sehen, wie uns die Realität die wenigen Chancen, das Leben menschenwürdig zu gestalten, mehr und mehr verbaut und der rechte Intellektualismus marschiert. Wir müssen uns mehr über unsere Situation klar werden: Verzweiflung ist eine gute Voraussetzung für den Haß auf die Verhältnisse, die Wut auf die Mitwissenden, die Mitmacher und die Initiatoren, die Trauer um die zahlreichen und täglichen Opfer. Jeder hier müsste wissen, wie sich die Situation verschärft hat. Ich will keine Zahlen vorrechnen – die eh und je nur die Spitze des Eisberges waren und sind – um ein bißchen Betroffenheit abzuholen. Ihr wißt selber, wie wir abstumpfen, Meldungen von Übergriffen überlesen, abwägen, wo und wie es lohnt, den Protest zu organisieren. Es schmerzt, unter den wenigen Aktionen noch immer viele zu finden, die unbedacht und dumm – die vor allen Dingen intellektuellen – Schwächen der Linken zum Vorschein bringen. Gleichsam zum Kotzen: die Sicht nach vorn. Perspektive haben wir nur, wenn wir ein Haus mit Fundament bauen, begreifen, daß die Welt, so wie sie besteht, keine des Menschen ist und dass, wenn wir uns als Menschen verstehen, diese Welt nicht unsere ist, wir vielmehr Fremde sind. Konsequenz ist, dass es sehr wohl ein Richtig und ein Falsch gibt und dass für den Bürger Mitmachen richtig ist, für uns dagegen das Falscheste und Fatalste. Was her muß, ist das, was Leo Löwenthal einmal als das „Wesen der kritischen Theorie“ bezeichnet hat: „Genau das Negative war für uns das Positive, dieses Bewußtsein des Nichtmitmachens, des Verweigerns; die unerbittliche Analyse des Bestehenden.“ Nur so können wir uns Distanz zur vereinnahmenden Normalität schaffen. Es ist der Bezug auf uns selber, dem die Chance innewohnt, das Bedürfnis des Einzelnen überhaupt wahrzunehmen und uns selbst als Maß der Dinge zu betrachten. Diese Wahrnehmung im Kern fehlt und wird mit Vehemenz abgewehrt, wenn Menschen zu Deutschen werden und Deutsche zu Mördern.
Was heute gilt ist diesen Tag zu verteidigen: Die Erinnerung an den Anfang der systematischen Vernichtung des europäischen Judentums. An den 9. Novembern dieses Jahrhunderts ist in Deutschland viel passiert. 1918 haben Deutsche gezeigt, wie eine Revolution nicht zu machen ist, schon damals fungierte die revolutionäre Bewegung als Krisenreaktionskräfte der Volksgemeinschaft, die die Neuordnung der Ordnung ordentlich organisierten. 1923 haben Deutsche Deutschen gezeigt, wie wichtig Ordnung und Autorität ist, um die rechten Ziele zu verwirklichen. Wie üblich, lernten die vorerst übereifrigen Deutschen unter dem Einfluß der Autorität besonders gut. 1938 wurde der durch und durch wahnsinnige Grundstein für einen neuen Krisenlösungsreflex gelegt, das Judentum hatte Namen und Anschriften, gründlich säuberten und selektierten die Deutschen. Es zeigte sich, dass die geistigen Voraussetzungen der Shoa nicht erst ‘33 die Herzen der Deutschen erreichten. Das Ausmaß dieses Wunsches nach Ordnung und Sauberkeit ist eigentlich zu Genüge dokumentiert worden, die Wahrnehmung dessen eine des Wollens oder Nicht-Wollens. Das Nicht-Wollen hat diesen Tag seit jeher begleitet und wird – es ist absehbar – in Zukunft diesen Tag bestimmen. Es fängt mit dem Gedenken an das totalitäre System der Nachkriegszeit an, nach und nach wird es sich weiter in den Tag drängen, diese unbändige Freude dieser zwei Würste, endlich wieder ein Haufen zu sein. Vergessen ist der Grund der Teilung bei dem Großteil des Packs in Ost und West schon seit dem notorischen Gejammer dieses Volkes, das schon immer Opfer war, als von verdienstvollen Politikern eine Bresche in die unselige Gemeinschaft in Form der Mauer geschlagen wurde. Der Abriß dieses so bitter notwendigen Gemäuers, war der erste große Schlag der Deutschen sich von Auschwitz zu befreien.
Wir trauern um die Opfer des Novemberpogroms und die, die schon davor und so massenhaft in den Jahren danach dem Nationalsozialismus zum Opfer vielen. Unsere Trauer gilt ebenso Ignatz Bubis der, nachdem er Auschwitz überlebte, an der postfaschistischen Normalität zerbrach. Als Relikt der Kohl-Ära war er über, zuletzt stand er nur noch im Weg. Unüberhörbar das Aufatmen der politischen Elite, die ihm letztendlich das Grab geschaufelt hat. Trauer gilt den Menschen, die auch in diesem Jahr dem paranoiden Wahn der Deutschen zum Opfer fielen, insbesondere der jugoslawischen Bevölkerung, die seit jeher unter deutschen Weltplanungsversuchen zu leiden hat.
Scheiß Deutschland. Bomber Harris: Don’t miss the right time!
Antinationale Gruppe Leipzig (ANG)



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last modified: 28.3.2007