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Voraussetzungen und Prämissen für die Entwicklung von Strategien und Konzepten linksradikaler kultureller Perspektiven

Das Vehikel zur Politisierung.

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von Ringo Starr jr.

Eine radikale deutsche Linke existiert faktisch nicht mehr als gesellschaftlich auch nur annähend relevante Kraft – und das insbesondere nicht mehr so, wie sie als sogenannte Neue Linke, im praktischen wie theoretischen Bruch mit der traditionellen Arbeiterbewegungs-Linken seit dem Ende der Sechziger, in den Siebzigern und Achtzigern, quantitativ wahrgenommen werden konnte. Ein überschaubares Netz von Grüppchen, Zirkeln und Einzelpersonen existiert zwar, doch stellt sich dies von außen betrachtet maximal als milieuhaftes Randphänomen der Freiheitlich-demokratischen Grundordnung dar.
Dieser Zustand wurde nicht zuletzt durch den 89er Sieg des Kapitalismus weltweit und die Unfähigkeit der radikalen Linken, darauf zu reagieren, besiegelt.
Dieser Text ist mit der Motivation verfaßt, sich mit der gegebenen Konstitution der radikalen Linken nicht zufrieden zu geben und schon gar nicht in den Ruf mit einzustimmen, das Ende der Geschichte der radikalen Linken wäre längst gekommen.
Wenn hier von der radikalen Linken die Rede ist, so meint dies insbesondere das theoretische wie praktische Bezugssystem, dem sich die Neue Linke in der Bundesrepublik – und natürlich selbstredend territorial darüber weit hinaus – verpflichtet und verbunden gefühlt hat.(1) Das jedoch gemäß der gültigen Prämisse, die Gesellschaftsordnung des Kapitalismus überwinden zu wollen bzw. eine grundsätzliche Kapitalismuskritik zu leisten oder anzustreben.
Um über Voraussetzungen für die Entwicklung von Strategien und Konzepten schreiben zu können, muß außerdem geklärt sein, was wir unter Kultur verstehen, wenn von kulturellen Perspektiven die Rede ist.
Kultur wird hier verstanden als eine Summe aller Ansichten und allen Verhaltens reflektierter und unreflektierter gesellschaftlicher Einflüsse und Beeinflussungen auf der Basis eines eigenen sozialen Bezugssystems. Also das, was umfassend ein Wertesystem als Basis ausmacht, wie auch das Tun und Handeln selbst.
Aus dem allumfassenden Anspruch dieser Kulturdefinition und der realen totalen gesellschaftlichen kapitalistischen Durchdringung der bestehenden Verhältnisse, die keine Nische zuläßt, die nicht selbst der Sachzwanglogik des Kapitalismus unterläge, ergibt sich, daß es eine explizit linke Kultur – jenseits des Kapitalismus – als selbständiges (!) wahrnehmbares Bezugssystem nicht geben kann, solange der Einfluß der Markförmigkeit und des Warendenkens direkt oder auch nur peripher seine durchaus attraktiven Spuren hinterläßt.(2)Lediglich die inhaltliche Codierung oder Ideologisierung – also eine entsprechende Aufladung – sich gerade entwickelnder oder gar bereits bestehender kultureller Erscheinungen ist möglich. Diese aber entheben sich niemals der symbolischen Ebene, die in Abhängigkeit eines Diskurses hergestellt werden. Entscheidend ist dabei immer die Benennung, das Mitliefern, des Absenders – dem Kontext, aus dem oder von dem aus etwas öffentlich verlautbart wird. Wesentlich ist dabei aber die Grundannahme, daß der jeweilige Kontext keinesfalls objektiv, sondern stets subjektiv bestimmt wird und es somit den objektiv-wissenschafltich bestimmten Klassenantagonismus, aus dem heraus sich ja laut Marx und Engels die objektive Interessenlage und Mission der Arbeiteklasse ergeben soll, nicht mehr gibt. Das trifft aber ebenso auch auf die sogenannten neuen revolutionären Subjekte der Neuen Linken zu. Die immanenten schreienden kapitalistischen Ungerechtigkeiten in den Lebensverhältnissen und in der Ausbeutung reichen nicht aus, um daraus Objektivitäten ableiten zu können. Offensichtliche gesellschaftliche Minoritäten als Subjekte können ebenso keinen objektiven Anspruch auf Befreiung einfordern, weil dieser angeblich objektive Anspruch nur deshalb als solcher formuliert werden konnte, weil rein subjektiv, von einer ganz bestimmten – in aller Regel ideologischen - Position aus formuliert wurde. Was dabei als ungerecht oder gerecht angesehen wird, ist ebenso subjektiv umstritten wie die fomulierten Ansprüche selbst. Wenn also von radikal linker Seite die Forderung erhoben wird, die Eigentumsverhältnisse zu ändern oder die Warengesellschaft abzuschaffen und an ihre Stelle eine Gebrauchtwert-orientierte nach kommunistischem Verständnis aufzubauen, so sind das eben keine objektiven Notwendigkeiten, die sich alleinig aus einem sozialen Status ableiten ließen. Objektiv ist maximal, daß wir in einer kapitalistischen Warengesellschaft leben. Die notwendige Transparenz der hier näher erläuterten Sprecherposition ermöglicht erst die jeweilige Identifikation oder Abgrenzung.

Die veränderten ökonomischen Bedingungen im Kapitalismus

Ein gesellschaftliches Ding, sei es nun Erscheinung oder Produkt, kann nur dann entsprechend codiert werden, wenn um deren Definition gerungen wird. Dieses Ringen soll letztlich zu einer Definitionsmacht führen, bei der von den Definierenden festgelegt werden kann, was zulässig und was unzulässig ist.
Im Gegensatz zu den Zeiten, als die Arbeiterkultur sich als schroffer Gegensatz zur Hochkultur selbst inszenierte, und umgedreht die Hochkultur als Domäne der Aristokratie, der gesellschaftlichen Eliten und der Machthaber sich absolut gegen Einflüsse der für Arbeiterkultur gehaltenenen Erscheinungen und Produkte sperrte – ob im Alltagsleben oder in der Kunst –, stellt sich dieser Gegensatz als quasi-antiquiert und überwunden dar.
Diese Entwicklung ergab sich durch das bürgerlichen Kultur- und Kunstverständnis, das es trotz traditioneller Affinitäten zur sogenannten Hochkultur immer mit sich brachte, daß kulturelle oder künstlerische Avantgarden seit Beginn des 20. Jahrhunderts in immer stärkerem Maße marktfähig gemacht und als Ware kapitalistisch vereinnahmt wurden. Die jeweiligen Protagonisten einer neuen Schöpfung oder Entwicklung sind dabei historisch niemals nur als Objekte eines kapitalistischen Marktgesetzes zu begreifen, sondern immer als Subjekte der Entwicklung. Das heißt, in der Regel sie selbt trifft ebensolche Schuld bei der warenförmigen Vereinnahmumg einer kulturell oder künstlerischen Entwicklung wie diejenigen, die aussschließlich aus einer Idee Profit schlagen wollen, um noch mehr Profit zu machen. Um zu ergründen, was die wesentliche Triebkraft solcher Entwicklungen ist, muß eben auch bei dieser, dem Kapitalismus immanenten Entwicklung, darauf verwiesen werden, wie vereinnahmend das gesellschaftliche Warendenken als totale Erscheinung ist (siehe weiter oben). Im Alltag wird dieses Warendenken durch den trivial begriffenen materiellen Zwang (z.B. Job wegen Kohle oder Bedürfnisweckung durch Werbung) und den Sachzwang demokratischer Mitgestaltung (z.B. die Vereinsmeierei) gelebt.
Insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg beschleunigte sich die Entwicklung der Popularisierung von Warengütern und Ideen in Westeuropa und Nordamerika enorm, wobei es immer stärker darum ging, ein spezielles Produkt als Ausdruck einer kulturellen Erscheinung anzupreisen, die dann wiederum als Ausdruck eines bestimmten Lebensgefühls angesehen werden konnte. So hat sich bis heute die Zielgruppenorientierung zu einer sogenannten Marktsegmentierung ausgewachsen, wo kein Produkt mehr blindlings allen angeboten wird oder einer möglichst großen Konsumentenschicht, sondern einer möglichst zielgenau bestimmten und eingrenzbaren. Tatsächliche Beschleuniger dieser Entwicklung waren nicht etwa clevere Markstrategen, die diese Entwicklung vom Reißbrett aus bestimmt haben. Nein, entscheidend dafür waren die sich nach 1945 stark verändernden Produktions- und Lebensbedingungen als dynamischer Prozeß. So ermöglichte das sogenannte Wirtschaftswunder der Fünfziger in der Bundesrepublik, angekurbelt durch den Marshall-Plan und seiner Dollar-gestützten Währungsreform 1948, den Wohlstand der Fünfziger und Sechziger.(3) Die Logik dabei: quantitativ und qualitativ stark erhöhte Produktion verlangt entsprechend nach Absatz. Und so diente eine harte Währung allen sozialen Schichten – mal mehr, mal weniger – zur Konsumierung der Waren einer riesigen Produktpalette.
Der Bereich des Konsumierens wird marxistisch als Konsumtionssphäre bezeichnet. Ihm gegenüber steht die Produktionssphäre – der Bereich, in dem produziert, oder besser, in dem gearbeitet wird. Im großen und ganzen ist die Konsumtionssphäre gleichzusetzen mit dem Bereich der Freizeit. Jenem Bereich, den Marx für die Reproduktion der Arbeitskraft kennzeichnete, wo also die Arbeitskraft wieder aufgetankt wird durch Sport, Spiel, Spannung, Joghurette sozusagen. Dieser Bereich ist für Lohnarbeiter in den Jahrzehnten seit dem Frühkapitalismus bis heute ständig erweitert worden. Und zwar als Ergebnis von modernisierter Produktion und erhöher Produktivität, mit der jeweils immens mehr Profit abgeworfen wurde, und als Ergebnis von geführten Arbeitskämpfen um Arbeitszeiten, Feiertage, Lohnerhöhungen, soziale Verbesserungen im allgemeinen.
Welche Rolle der Staat als ideeller Gesamtkapitalist (Marx) dabei spielt, unterliegt der Einflußssphäre der Politik. Durch den Staat (Legislative, Exekutive, Judikative) nimmt die Politik regulierenden Einfluß auf gesellschaftliche Erscheinungen – wenn nötig, eben auch mit der Anwendung des Gewaltmonopoles (den sog. Sicherheitsbehörden). Entsprechend versuchen alle Lobbygruppierungen, ob sie nun von seiten des Kapitals (z.B. Unternehmerverbände), seitens der Arbeitnehmer (z.B. Gewerkschaften) oder – sagen wir – von seiten der Kulturindustrie (z.B. das Musikfernsehen Viva in Nordrhein-Westfalen) ihre Interessen durchsetzen wollen, Einfluß auf politische Entscheidungen durch die Entscheidungsträger (Politiker, Parteien) zu gewinnen. Das gelingt mal besser, mal schlechter und ist abhängig von dem jeweilig eingeschlagenen Gesamtkurs, der vom ideellen Gesamtkapitalisten, dem Staat, vorgegeben wird und in einer Demokratie einem ständigen Reißen und Zerren, und somit einer ständigen partiellen(!) Veränderung, unterliegt.
In der Bundesrepublik wie auch in allen hochentwickelten kapitalistischen Staaten Westeuropas und Nordamerikas setzte sich in den Siebzigern unter dem Einfluß der Sozialademokratie das nach Maynard Keynes benannte Wirtschaftsmodell des Keyneseanismus durch. Dabei ging es darum, die Konjunktur, die anfang der Siebziger durch Wirtschaftskrisen teilweise zum Erliegen kam, neu anzukurbeln. Nach Keynes muß der Staat in einer Situation der wirtschaftlichen Flaute eine durch den Staat künstlich erzeugte Nachfrage schaffen, um darüber die Produktion neu anzuschieben. Zu bewerkstelligen ist dies durch die Aufnahme von Krediten seitens des Staates. Neben der Ankurbelung der herkömmlichen Industrie- und Wirtschaftszweige wurden so auch neue Berufsbilder im nicht-produzierenden öffentlichen Sektor und im Diensleitstungsbereich geschaffen (so z.B. der Sozialarbeiter), die längerfristig explizit nur durch die öffentliche Hand (durch Steuergelder) bezahlt werden konnten.
Dem Arbeitsmarkt wie der Wirtschaft tat das gut und die Gesellschaft insgesamt wog sich durchaus in einem Netz sozialer Sicherheit. Jedoch war dieser Zustand tatsächlich ein Zustand auf Pump, dessen Ende dadurch besiegelt war, daß diese Form der Staatsverschuldung durch Kredite irgendwann mal ein Ende haben mußte. In England (Thatcher) wie in den USA (Reagan) erkannten die traditionellen Konservativen und Wirtschaftsliberalen dies zuerst und errangen so die Regierungsgewalt. Der Rückzug des Staates aus der Nachfragerzeugung machte sich notwendig, weil die Verschuldung ins Unermeßliche gestiegen war. So begann die Ära des Umbaues des Sozialstaates, der Privatisierung des öffentlichen Sektors – die sogenannte Deregulierung.
In der Bundesrepublik hatten die Sozialdemokraten 1982 die Macht an die Konservativen verloren. Und auch die von der neuen Regierung angekündigte „geistig moralische Wende“ war nicht unentscheidend von dem Wissen geprägt, daß das keyneseanistische Wirtschaftsmodell an seinem Ende angelangt war.
Im Gegensatz zu England und den USA blockierte sich der Umbau des Sozialstaates in Deutschland durch die spezifische Einbindung der Gewerkschaften als Vertreter der Arbeitnehmer selbst.(4) In Deutschland herrscht seit Bismarks Politik von „Zuckerbrot und Peitsche“ vom Ende des vorigen Jahrhunderts – dem Zugeständnis an Sozialleistungen für Arbeiter und dem gleichzeitigen Erlassen von Gesetzen gegen Sozialisten – das Prinzip des Korporatismus, der Einbindung als Vorbeuge des Klassenkampfes oder eines harten Arbeitskampfes.(5)
Einhergehend mit den gravierenden Umwälzungen, die der wissenschaftlich-technische Fortschriftt der Mikroelektronik in den Achtzigern mit sich gebracht hat, gelangte auch das bisherige vorherrschende Produktionsmodell nach Henry Ford, der sogenannte Fordismus, an sein Ende. Die von Ford entwickelte Produktionsmethode der spezialisierten monotonen Fließbandarbeit wurde zunehmend mikrolektronisch modernisiert. Dadurch wuchs entsprechend das Heer der Arbeitslosen, denn im Gegensatz zu den vorhergehenden beiden sogenannten industriellen Revolutionen – der des Einzuges der Eisenbahn und der des Automobils – werden durch die Mikroelektronik gerade wegen steigender Arbeitsproduktivität nicht genügend neue Arbeitsplätze geschaffen, weil die Automatisierung der Produktion dies nicht notwendig macht. Und so ist das, was Marx einst die industrielle Reservearmee nannte, und damit die Arbeitslosen meinte, seines industriegesellschaftlichen Charakters enthoben.
Die Umgestaltung der Produktionssektoren bringt so gravierende gesellschaftliche Einschnitte mit sich, daß alle krampfhaft nach Auswegen suchen. Das Patentrezept, auf das sich mittlerweile alle einigen, heißt: Weg mit der sozialen Sicherheit – her mit der Privatisierung aller Lebensbereiche. Insbesondere der sogenannte Dienstleistungssektor soll der adäquat größte Arbeitssektor der Zukunft werden. Schon jetzt ist dieser Synoym für zwingende fehlende soziale Absicherung, Mobilität, Teamgehorsam, Selbstausbeutung, Billiglohn, vollendeter Identifikation mit dem eigenen Job/ der eigenen Tätigkeit und flexibilisierter Arbeitszeit.
Das sind die Bedingungen der Zukunft und teilweise schon der Gegenwart. Ein Begriff dafür ist der von der postfordistischen Gesellschaft, der hier an dieser Stelle zwar nicht explizit verteidigt werden soll, jedoch in ökonomischer Hinsicht veranschaulicht, was sich im Bereich der Produktionssphäre geändert hat.
Diese veränderte bzw. sich verändernde Gesellschaft bringt es mit sich, daß das Alltagsleben, die Alltagskultur automatisch und notwendigerweise von diesen Entwicklungen durchdrungen wird. Sie führt zu einem hohen Maß an Individualisierung bzw. zu dem, was dafür gehalten wird, zugunsten einer flexibilisierten Ware Arbeitskraft. Sie weicht die Grenzen zwischen Reproduktions- und Produktionssphäre in einem bisher nicht gekannten Maße auf. Und damit verschwindet auch der Klassenantagonismus, wie wir ihn einst kannten. Das für alle jederzeit mögliche Zeichnen von Unternehmens-Aktien und Anteilaanleihen ist ein bezeichnendes Nebenprodukt dieser Entwicklung. Die Veränderungen in den hochentwickelten kapitalistischen Ländern des Westens (einschließlich Japan) werden immer mehr zum Inbegriff ausdifferenzierter individueller Freiheiten. Geld als Maßeinheit des Warenwertes gerät vollends zu etwas naturhaften. Der Kapitalismus kommt somit nicht nur sprichwörtlich endgültig zu den Menschen, sondern er füllt sie auch total aus.
Das Denken der Menschen paßt sich den gesellschaftlichen Bedingungen nicht nur an, sondern beschleunigt diese individuell oder als ausgemachte Zielgruppe. Dementsprechend bestimmt nicht allein das Sein das Bewußtsein, wie Marx für die antagonistische Klassengesellschaft feststellte, sondern eben auch das Bewußtsein das Sein. Denn das Gefügigmachen für den kapitalistischen Warenmarkt ist längst nicht alleiniges Produkt von Manipulation durch Medien und Herrschende, sondern genauso von Selbstdisziplinierung mangels ernstzunehmender Alternativen zum Markt.
Jene Alternativen sind 1989 endgültig von der relevanten Bildfläche verschwunden. Es existiert faktisch kein Gesellschaftsäquivalent mehr wie das des staatsozialistischen Ostblocks. Diese Tatsache hat sich letztlich nachhaltiger auf die Sozialisation aller Menschen, insbesondere der jüngeren ausgewirkt, als es jemals zu vermuten stand. Links zu sein ist nicht mehr hip oder schick, weil kaum jemand den Kapitalismus in Zweifel zieht oder daran glauben kann, daß es ein Leben nach dem Kapitalismus geben könnte.
Sich diesen Bedingungen unter der Berücksichtigung der veränderten gesellschaftlichen Realitäten zu stellen, sollte Aufgabe all derer sein, die an linksradikalen Perspektiven Interesse haben.

Auswirkungen der Dominanzkultur Pop für linksradikale kulturelle Perspektiven

Die Existenz der Popularkultur (Pop) als letztlicher Ausdruck von Massenkultur symbolisiert in der kapitalistischen Welt von Ware und Markt die Anerkanntheit bestimmter gesellschaftlicher Werte. Insofern ist Pop spätestens seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in stringenter Stetigkeit zur umfassenden Dominanzkultur geworden. Die Popularkultur gleicht seit Jahren jegliche kulturell definierte historisch gewachsene Differenz innerhalb kultureller Strömungen im Bezug aufeinander an. So gibt es faktisch kein definiertes autarkes Terrain mehr, wo z. B. von Hochkultur, bürgerlicher Kultur, Basiskultur oder Alternativkultur oder gar Arbeiterkultur die Rede sein könnte. Ob eine radikale Linke nun will oder nicht, wenn sie überhaupt wahrgenommen werden möchte, muß sie sich mit dieser Tatsache arrangieren. Popkultur bewegt sich mit all seinen transportierten und repräsentierten Werten und Ästhetiken ausschließlich auf der symbolischen gesellschaftlichen Ebene. Das heißt, Popkultur kann von seinem Charakter her gar nicht anders, als die kapitalistische Gesellschaft zu den jeweiligen Bedingungen der Subjekte, die einigermaßen über die Definitionsmacht einer massenkulturellen Sparte verfügen, zu reformieren.
Definitionsmacht im obigen Sinne besteht allerdings nur solange, bis die systemimmanente Marktlogik von Angebot und Nachfrage alle vermarktungsstörenden Ecken und Kanten abgeschliffen hat. Wenn das dann der Fall ist, erfüllt sich die innere Logik der Popkultur, denn selbst jeglicher Versuch, die Popkultur gesellschaftlich subversiv zu nutzen, muß wohl oder übel durch die kapitalistische Zwanghaftigkeit der Popularisierung im neu geschaffenen Massengechmack enden.
Jener kurz umrissene Prozeß der Popularisierung im Kapitalismus liefert allerdings einen nicht zu unterschätzenden nachhaltigen Wertekanon mit. Wenn das Stückchen popularisierter Kultur in seiner modifizierten Form beim Otto-Normal-Konsumenten angekommen ist, hat es zumindest etliche einschlägige Kulturexponenten entscheidend sozialisiert, die genau jene Werte zum Lebenscredo erheben, mit denen sie über das jeweilige Stückchen Kultur in Berührung kamen.
War es bis in die Achtziger hinein möglich, über die erwähnte popkulturelle Definitionsmacht die Wirkung der symbolischen Ebene für linksradikale Zwecke unter positiver Bezugnahme auf ein separiertes Themenfeld oder die sogenannten Neuen Sozialen Bewegungen so zu nutzen, daß eine massenhafte Erscheinung dabei rum kam, die aus eben jener Massenhaftigkeit praktische und bequeme Eigendynamiken entwickelte, stellt sich genau dies heutzutage als ein Scherben- und Trümmerhaufen dar: von jenen Bewegungen sind in den meisten Fällen nur die übrig geblieben, die aus der damaligen Zeit materiell-ökonomischen Nutzen ziehen konnten (gemeint sind damit zuvorderst neuentstandene Berufsbilder, die heutzutage von ehemaligen Bewegungsaktivisten als Nischen gehegt und gepflegt werden) oder den Absprung in den karrieristischen kapitalistischen Alltag unter der Strafe der Reflexionsunfähigkeit hinsichtlich gesellschaftlicher Veränderungen nicht schafften.
Die symbolhafte Ebene der Popkultur hat über die Jahre ökonomisch betrachtet unter dem Label Individualisierung eine facettenreiche Segmentierung des kaptialistischen Marktes hervorgebracht. Die Vielfalt der Zielgruppen ist schier grenzenlos und Identitäten gibt es auf der Subebene – also der jenseits von nationaler Zugehörigkeit – wie Sand am Meer. Es ist jeder Identitäts-Subebene immanent, die primäre Identitätsebene des nationelen Bekenntnisses entscheidend zu modifizieren oder aber in den wesentlichen Grundzügen zu bestätigen.
Jede Identität innerhalb der Gesellschaft ist wesentlich kulturell geprägt. Diese Prägung vollzieht sich im Kapitalismus vor dem Hintergrund des oben beschriebenen unabdingbaren Marktkonformismus. Diese Konstellation macht alles, was eine jeweilige Identität symbolisiert – vom Kleidungscode bis zur Sekundärtugend – zu einer notwendigen Selbstinszenierung. Anders läßt sich in einer von der Popularkultur geprägten Gesellschaft nichts mehr wahrnehmen.
Pop läßt sich für eine linksradikale Politik letztlich nur als Vehikel zur Politisierung und zur Ausprägung eines emanzipativen Grundwertekanons nutzen. Unabdingbar ist es, die direkte Involvierung, d.h. die Identitätsbildung als – sagen wir – nachhaltig geprägtes Popindividuum zu verhindern. Die Mittel dazu sind einzig auf dem Feld linksradikal-dogmatischer Ideologie zu suchen. Nur sie versetzt in die Lage, der immanenten Sachzwanglogik im Kapitalismus zu widerstehen. Das heißt beispielsweise, sie muß von vornherein jeglichem Eiertanz a’la dem 68er Marsch in die Institutionen vorbauen, um die verlockenden Karrierewege zu verunmöglichen.
Unter der Berücksichtigung der gesellschaftlichen kulturellen Dominanz von Pop erledigt sich endgültig jegliche Ambition vermeintlich gegenkultureller Praxis, durch die eine Machtfrage als eine Frage von gesellschaftsalternativer Gegenmacht gestellt werden soll. So taugen die unterschiedlichsten Subkulturen allesamt nicht zum sogenannten revolutionären Subjekt, sondern zum wichtigen Adressaten von linksradikaler Ideologie. Jene Adressen sollten es auch sein, wo radikale Linke ihre sozialen Orte finden, die sie dann unter dem Aspekt politischer Identitätsbildung versus subkultureller Identität so beeinflussen, daß die Kritik am Kapitalismus und am Staat genau jenen sozialen Ort über die symbolische Ebene repräsentativ in den Kontext eines radikal linken Anspruchs stellt. Nur darüber, über die symbolische Ebene, funktionieren die ersten Schritte linksradikaler Sozialisation. Das haben seit Jahren eigentlich alle Biografien heutiger Linksradikaler bewiesen.
Wenn bei Teilen der Antifa als Bestandteil der radikalen Linken von sogenanntem Kulturkampf die Rede ist, so kann dieser Kampf nur die Defintionsmacht über eine bestimmte kulturelle gesellschaftliche Erscheinung bedeuten. Die Macht zur Defintion ist aber nicht zu verwechseln mit dem Vorhandensein linker Kultur! Wie weiter oben beschrieben, gibt es diese nämlich nicht und kann es diese auch nicht geben. Politisch wie strategisch heißt das: wer nicht schnellstmöglich dafür sorgt, daß eine individuelle Sozialsierung als linksradikal über die symbolische Ebene tatsächlich inhaltlich und ideologisch gefüllt wird, erleidet jenen Schiffbruch, wie er sich seit Jahrzehnten immer wieder im Niedergang subkultureller Strömungen und deren Revolten bzw. Rebellionen gezeigt hat.
Die linksradikale Intervention zur Politisierung muß hinsichtlich der zahlreichen Identitäten, die durch die pokulturelle Marktsegmentierung hervorgebracht wurden, auf kontinuierliche Strukturen und organisatorische Verbindlichkeiten zurückgreifen können, will sie tatsächlich erfolgreich sein. Tatsache ist, daß die bewegungsimmanente Eigendynamik nicht nur weg ist, sondern auch willkürlich und nicht nachhaltig wirkte. Deshalb ist es zwingend, über Organisationsmodelle zu diskutieren, die in der Lage sind, die weiter oben beschriebenen gesellschaftlichen Veränderungen und Entwicklungen für sich zu nutzen und nicht nur darauf zu reagieren!


Fußnoten

(1) Das meint insbesondere die weiterentwickelte Kritische Theorie um Herbert Marcuse, der aus der von ihm analysierten vollendeten Einbindung der Arbeiterklasse in die „Kosumgesellschaft“ den Schluß neuer revolutionärer Subjektkonstitutionen wie Studenten, Arbeitslose, Migranten sowie sozialer Minderheiten überhaupt zog – jedoch mit der bitteren Erkenntnis, daß Revolution nicht mehr stattfinden kann. Aus diesem Grund bezog sich die Neue radikale Linke insbesondere auf Jean Paul Sartre, der Marcuses „revolutionären Pessimismus den Boden“ entziehen und der „herrschenden Macht eine Gegenmacht entgegensetzen“ wollte, wenn „die Revolution eine Chance“ haben solle. Auf diese Gegenmacht-Theorie berief sich später auch explizit die RAF. Entscheidend auf theoretischem Gebiet ist außerdem, daß die Neue Linke spätestens ende der Achtziger mit dem Ausklingen der K-Gruppen-Ära, den nach Marx/Engels/Lenin einzigsten Hauptwiderspruch, den vom Antagonismus von Kapital und Arbeit, nicht mehr als alles entscheidenden gelten ließ. So galt es in der Neuen Linken unter dem praktischen Einfluß der Neuen Sozialen Bewegungen wie der Anti-AKW-, der feministischen oder der Jugendzentrums- und Hausbesetzerbewegung als erstmalig ernsthaft in Frage gestellt, daß Patriarchat und Rassismus automatisch an den Kapitalismus gebunden seien – als sogenannte Nebenwidersprüche.
(2) Insbesondere gilt dies auch, wenn sich ein Landstrich/Territorium durch revolutionäre Umwälzung eines anderen denn kapitalistischen Wirtschaftssystems bedient. Selbst wenn, in Anlehnung an eine kommunistische Produktionsweise, eine autarke, gebrauchtwertorientierte Wirtschaft aufgebaut würde, wäre die Attraktivität der Produktpalette des kapitalistischen Weltmarktes – inklusive der kulturellen Einflüsse – so groß, daß sie unbefriedigte Bedürfnisse seitens der Bevölkerung wecken würde. Schaut man sich beispielsweise den staatssozialistischen Block der Nachkriegszeit an, so stellt man fest, daß dieser, gezwungen durch die Flexibilität und Attraktivität der kapitalistischen Marktwirtschaft, immer tiefer in eine staatskapitalistische Produktionsweise abglitt. Aus heutiger Sicht muß eine radikale Linke daraus die Erkenntnmis ziehen, daß dieser Strudel, in den die Staatssozialismen auf dem Weltmarkt gerieten, für eine andere denn kapitalistische Produktionsweise letztlich immer den Overkill bedeuten muß. Folglich bleibt als einzige Alternative und Perspektive die Gleichzeitigkeit einer Weltrevolution, die den Kapitalismus global abschafft.
(3) Welche Form der Verdrängung hinsichtlich der NS-Vergangenheit sich durch das schier endlose Konsumieren der Bundesbürger Ausdruck verlieh, bleibt an dieser Stelle wissentlich unberücksichtigt, weil es letztlich bei der Erklärung dieses kapitalistischen Mechanismus wenig zur Sache tut.
(4) Erwähnt werden muß, daß in England – nicht aber in den USA – der Umbau durch die Thatcher-Regierung von massivsten Protesten begleitet war. Erinnert sei nur an den Bergarbeiterstreik oder die Proteste gegen die „Kopfsteuer“ (Poll Tax Riots). Selbst die Labour Party unter dem damaligen linken Sozialdemokraten Neil Kinnock machte extrem Front gegen Thatcher. In den anderen westeuropäischen Staaten gibt es traditionell eine starke kommunistische bzw. klassenkämpferische linke Bewegung, die jede jeweilige Regierung zu fürchten hat und – zumindest in den Achtzigern – jeden ernsthaften Angriff auf die Sozialstaatsmodelle der jeweiligen Länder vereitelte. Nachhaltig wirkt natürlich die heutige endgültige Verabschiedung der westeuropäischen Sozialademokratie von ihrem staatsfixierten sozialen Anspruch hin zum Modell des Neoliberalismus. Außerdem zeigt sich auch anhand der sozialen Proteste in den Neunzigern, daß die Linke überall an Stärke verloren hat.
(5) Ausdruck dessen sind z.B. die alljährlichen Tarifverhandlungen unter der Vermittlung der Regierung. Dieses deutsche Modell des Kompromisses war lediglich in den Zwanzigern und Dreißigern bis zum Machtantritt der Nazis teilweise ausgehebelt, weil die sozialen Widersprüche zu gravierend geworden waren. Interessant ist auch, daß sich die Deutschen, ob dieser Erfahrung des härteren sozialen Kampfes auf der Straße, umso lieber in die Reihen der NS-Volksgmeinschaft einreihten – außerdem auch als Ergebnis des Demokratietraumas von Weimar und der ohnehin deutsch-völkischen Spezifik.Innerhalb des Modells schlummert auch der Grund, warum es im heutigen Deutschland keine härteren sozialen Arbeitskämpfe oder Straßenproteste gibt.

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Verstärkerkongreß, 7.5k


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last modified: 28.3.2007