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review-corner, 1.6k

      Pulp und

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die beste Krimireihe der Welt

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Während in deutschen Bahnhofsbuchhandlungen Landsergeschichten über Stalingrad und Liebesromane mit adligen Hauptakteuren ihr Millionenpublikum finden, wurde in Frankreich eine etwas andere Krimireihe ein Verkaufserfolg.
Die Krimis, deren Titel immer mit „Pulp und ...“ anfangen, wurden alle von verschiedenen berühmten und weniger berühmten
Pascal Dessaint: Pulp und die Opfer der Berge, 4.9k
Olivier Thiébaut: Pulp mag keine Köter, 5.0k
Didier Daeninckx: Pulp und die alte Linke, 4.6k
Michel Chevron: Pulp und das Blut der anderen, 4.1k
Sylvie Granotier: Pulp in Gips, 4.4k
Pulp und ... Rowohlt (Wunderlich), 1998, 1999. DM 8,- bis 10,-. Buchladen Bruchsteine: Kurt-Eisner-Str. 17, Tel.: (0341) 9 61 38 26
französischen AutorInnen geschrieben. Am Anfang stand die politische Intention, „für jeden erschwingliche, populäre Bücher (zu schreiben), mit ausdrücklich antirassistischem Inhalt, ein geplanter Schlag gegen das rechtslastige machistisch brutale Weltbild der erfolgreichen Billigkrimis >>SAS<< und >>L’Exécuteur<<, die die Regale der französischen Bahnhofskioske füllen und merkwürdige Machtphantasien unzähliger Reisender fördert.“ (17deg.C, Nr. 16).
Allen gemeinsam sind ein paar wichtige Figuren, die Jean-Bernhard Pouy, ein bekannter linker Krimiautor, mit seinem ersten Krimi der Reihe „Pulp und die Petze“ vorgegeben hat. Gabriel, der wegen seiner schlaksigen Figur und seiner besonders langen Arme von allen Pulp, die Krake, genannt wird, ist der „Hauptheld“. Am Anfang sitzt er jedesmal in der Kneipe von Gérard, trinkt sein Bier und liest die Zeitung. In den Randspalten findet er die für ihn wichtigen Informationen. Die Polizei meldet einen Selbstmord von zwei Jugendlichen, eine „Auseinandersetzung“ zwischen Skins und MigrantInnen, einen Raubüberfall auf einen alten Schriftsteller, einen toten Obdachlosen. Pulp spürt, daß an dieser Meldung was faul ist; daß die Polizei nicht Willens oder in der Lage ist, die Verbrechen als solche zu erkennen und aufzuklären. Ganz im Gegenteil wird im Lauf der Geschichten meist klar, daß die Polizei Teil der Verschwörung ist. Pulp ist Privatdetektiv im eigenen Auftrag und Rächer der Opfer: mit seinen eigenen Methoden, die nicht ganz legal und gewaltfrei sind, ohne sinnlos brutal zu sein, klärt er die Verbrechen auf und bestraft die Täter. Sei es, indem er sie lächerlich macht, ihnen Geld abnimmt, den Opfern übergibt, oder sie anderweitig verunsichert und damit dauerhaft darin hindert, weiter solche Verbrechen zu begehen. Im Notfall bedient er auch mal die bürgerliche Presse, der er anonym seine Informationen zuspielt, um sich selber zu schützen.
Pulp wohnt in Hotels, als Kontaktadresse dient der Friseursalon seiner Freundin Cheryl, die in ihrer Wohnung eine Unmenge schrecklicher rosafarbener Plüschtiere sammelt. Dies verleidet Pulp dazu, in seiner Untreue zu ihr treu zu sein – nach jedem Fall, bei dem er mitunter ein Abenteuer mit einer Frau erlebt, kehrt er in das rosa Paradies zurück. Cheryl nimmts ihm jedoch nicht krumm, daß Pulp oft unterwegs ist und sie nur anruft, wenn er nicht weiter weiß und ihre Hilfe braucht (schließlich verfügt sie auch über wichtige Connections), denn schließlich kann sie sich nicht vorstellen, ihr ganzes Leben mit dieser Krake zu verbringen und holt sich ab und zu auch mal einen Kunden ihres Salons hoch. Das Cheryl aber in einem Pulp-Krimi mal die Hauptrolle spielen darf, hat sie nur einer Schriftstellerin (Sylvie Granotier) und dem deutschen Schäferhund Léon zu verdanken, der in der Kneipe von Gérard seinen Lebensabend verbringt und sein Häufchen so geschickt legt, daß Pulp darauf ausrutschen muß und sich ein Bein bricht. Daraufhin übernimmt Cheryl in dem Band „Pulp in Gips“ den angefangenen Fall und löst ihn natürlich auf die gleiche Art und Weise.
Pulp ist einer der wenigen Franzosen, die nirgendwo registriert sind. Ausweise hat er zwar viele, aber keinen eigenen; er finanziert sich selbst über seine Form des „Täter-Opfer-Ausgleichs“. Die einzige Möglichkeit der Polizei, auf seine Spur zu kommen, ist eine systematische Auswertung seiner Strafzettel wegen Verstoß gegen das Parkverbot, aber auf diese Idee ist Inspektor Vergeat, der bei seinen Ermittlungen am liebsten gegen Pulp und nicht gegen die Täter vorgehen will, noch nicht gekommen.
Einen festen Platz bei Pulp hat auch noch Pedro, den Pulp über seinen Vater kennt, der im Spanienkrieg gekämpft hat. Die Waffen, die Pedro verkauft – und nicht nur an Pulp – scheinen aber nicht aus dieser Zeit zu stammen, es sind meist die neuesten Modelle. Am Anfang deckt sich Pulp meist bei ihm ein, schließlich geht seine Waffe nach jedem Fall auf die ein oder andere Weise verloren. Pedro versteht sich nicht nur im Waffenhandel, sondern auch im Fälschen von Papieren und stellt Pulp für einen Freundschaftspreis Presseausweise, Personalausweise, Führerscheine, Empfehlungschreiben der Universität u.ä. aus, damit Pulp erst die Waffen der „Kommunikationsguerilla“ anwenden kann, in dem er vorgibt, ein anderer zu sein, bevor er zu den wirklich gefährlichen greifen muß.
Am Ende jeder Geschichte steht ein Besuch bei Raymond an, der auf dem kleinen Flugplatz von Moisselles arbeitet. Dort steht die Polikarpov von Pulp, ein russisches Militärflugzeug, welches im Spanienkrieg gute Dienste geleistet hat. Pulp hat dieses Liebhaberstück billig irgendwo aufgetrieben und will es wieder flugklar machen. Ersatzteile gibt es natürlich nicht mehr, so daß nach jedem Fall nur das Geld für ein Bauteil abfällt. Aber wir können darauf hoffen, daß Pulp seinen letzten Fall mit seiner Polikarpov löst...
Was in den Geschichten nun eigentlich passiert, müßt ihr selbst herausfinden. Sie sind auf alle Fälle spannend und befriedigen inhaltlich die gemeinen Racheinstinkte gegen die verschiedenen Feindbilder, die jede/r von uns heimlich in sich trägt (Nazis, AbtreibungsgegnerInnen, katholische FundamentalisteInnen, RassistInnen, PolitikerInnen usw.). Außerdem lassen sich die Krimis gut als Handlungsanleitung für eigene Aktivitäten lesen, nicht um gleich Pulp zu werden, aber so ein paar Tricks, wie mensch Bullen, Behörden und Schweine verarschen kann, lassen sich vielleicht auch im wirklichen Leben umsetzen.
Rowohlt bringt jetzt mit dreijähriger Verspätung Pulp auf den deutschen Markt – aber leider nicht in die Buchhandlungen: außer den Buchladen Bruchsteine kenn’ ich keinen, der Pulp führt. Jeden Monat erscheint ein neuer Band der Reihe, bislang (Januar 1999) sind es 8 Titel. Sie kosten zwischen 8,- und 10,- DM. Entsprechend dem Inhalt hat sich Rowohlt auch für eine extravagante Form des Buchsatzes, zumindest was die Kapitelüberschriften betrifft, entschieden. In jedem Band wird mit dem Layout etwas experimentiert. Das dreiseitige Pulp-Comic am Anfang des Buches verwendet zwar immer die gleichen Bilder (Pulp auf dem Weg in die Kneipe und dann in ihr verschanzt hinter eine Zeitung), aber jedesmal einen anderen Text.
P.S. Wenn Ihr Pulp lesen wollt, dann zwei Tips: Nicht mit „Pulp und das Blut der anderen“ anfangen, eine sehr eigenartige Geschichte, die in mystischen Andeutungen die Ausgrenzung von Roma & Sintis schildert, sie aber zu Fabelwesen, die zwischen Menschen und Tierreich schweben, verklärt. Und nicht mehr als fünf Pulp-Krimis hintereinander weg lesen, weil dann eine Übersättigung eintritt. Anonymous


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last modified: 28.3.2007