home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[45][<<][>>]

Auf den nächsten Seiten dokumentieren wir die Auswertung der Leipzig-Gruppe im antinationalen Büro Hamburg zum NPD/JN-Aufmarsch und den antifaschistischen Gegenaktivitäten am 1. Mai 1998 in Leipzig und die zusammenfassende Presseerklärung der Leipziger Initiative 1. Mai ohne Naziaufmarsch.
Anschließend gibt Frank eine Einschätzung der Vorgänge am 1. Mai 1998 in Leipzig und des Wahlerfolges der DVU in Sachsen-Anhalt.
, 0.0k

„Auswertung zum 1. Mai“

, 0.0k
Gibt es etwas Schlimmeres als Deutsche, die die „Arbeitswut“ packt ? Höchstens die, die sich dabei auch noch als Opfer fühlen. Solche Menschen gehen logischerweise am „Tag der Arbeit“ für Arbeit und für Deutsche auf „die Straße“. Das ist so eklig, daß man sich da eigentlich möglichst weit weg wünscht. Zum Beispiel nach Berlin, weil man da mit ein bißchen Glück einen Computer abkriegen konnte. In Leipzig kamen uns die Aktionen ziemlich sinnlos vor – immer wieder von den Bullen verprügelt werden und wieder eine Barrikade, weiter hinten T-Shirts trocknen oder schlimmeres. Aber im Nachhinein denken wir, daß die Anwesenheit der Autonomen immerhin dazu geführt hat, daß die Nazis nicht durch Stötteritz marschieren konnten, weil die Stadt „Krawalle in Leipzig“ natürlich verhindern wollte.
Nicht schlecht, daß die NPD-AnhängerInnen laut MDR-Extra nach der Kundgebung am Völkerschlachtdenkmal schnell die Stadt verlassen mußten. Was wir auch gut finden ist, daß „die Autonomen“ nicht unter das Bild des „besseren Deutschlands“ subsumiert werden konnten. Das „bessere Deutschland“ ging am 1. Mai nämlich ebenfalls für Arbeit und die „soziale Gerechtigkeit“ (Harmonie !) auf die Straße. Oder in die Kirche: Pfarrer Christian Wolf (Thomaskirche Leipzig) predigte: „Wer eine Gesellschaft sät, in der Reichtum und Armut gleichermaßen wachsen, der darf sich nicht wundern, daß er eine Gesellschaft erntet, in der wir mit einem erheblichen Teil der Menschen nichts mehr zu tun haben und die mit uns und mit dem, was uns wertvoll und heilig ist, auch nichts mehr zu tun haben wollen“ und ging auf diese Weise hart „mit der Politik aus Bonn“ ins Gericht (MDR).
Das Problem: unsere Nazikids wollen nichts mehr mit uns zu tun haben. Das Rezept: Nicht den Rassismus oder deren nationalsozialistische Ideologie, sondern die Arbeitslosigkeit und Entsozialisierung zu bekämpfen. Sich dabei von den Rechten abzugrenzen, fällt offensichtlich schwer. Mal abgesehen davon, daß das Vokabular die biologistische Gesellschaftsauffassung (wachsen, säen, ernten) verrät: Daß man Ausländer nicht zusammenschlagen soll, muß den Deutschen aber auch immer wieder erst gesagt werden: „Die Erfahrung der Erwerbslosigkeit rechtfertigt nicht, Asylheime zu überfallen, rechtfertigt nicht, Ausländer zusammenzuschlagen, rechtfertigt nicht, die Demokratie in den Dreck zu ziehen und rechtfertigt nicht, auf die Maßstäbe der Liebe und der Gerechtigkeit zu verzichten.“ (Pfarrer Wolf)
In diese Gesellschaft kann man von links her nicht „hineinwirken“. Denn „die Gesellschaft“ ist inhaltlich mit den Nazi-Parolen „Arbeitsplätze zuerst für Deutsche“ und „Kriminelle Ausländer raus“ längst einverstanden. Das „böse Deutschland“ (NPD) demonstrierte mit dem Slogan „wir sind das Volk“ und „Arbeitsplätze zuerst für Deutsche“ am Völkerschlachtdenkmal. Laut MDR sind dies „dumpfe Parolen“ und ‘Deutschland den Deutschen’ ein „billiges Motto“. DVU und NPD stehen insgesamt aber für mehr als für diese Parolen, nämlich für das offene Anknüpfen an nationalsozialistische Politik und Ideologie und damit für die Politik der Vernichtung.
Die Möglichkeiten, die Linke haben, dem Vormarsch der Nazis etwas entgegenzusetzen, sind nicht nur minimal, weil die Linke vor allem inhaltlich am Boden liegt, sondern weil die Dynamik der Rechtsentwicklung aus der Mitte der Gesellschaft kommt. Denn mit ihren aktuellen Forderungen drücken NPD und DVU nichts anderes als den nationalen Konsens in Deutschland aus – Forderungen, die im deutschen Arbeits- und Ausländergesetz längst verwirklicht sind – darf möglichst nicht so auffallen. Das Konzept von „deutscher Arbeit“ wie auch das Bild vom „deutschen Volk“ transportiert und reproduziert antisemitische und rassistische Stereotypen- dies wird auch von vielen Linken ignoriert. Der Kampf um „Arbeit – Arbeit – Arbeit“ hat eine deutsche Geschichte. Dem Bild vom ehrlichen, fleißigen, ordentlichen deutschen Arbeiter und Handwerker (deutsche Qualitätsarbeit) setzten die Deutschen das Bild vom faulen, schachernden, betrügerischen Juden entgegen. Im Nationalsozialismus wurde diese Ideologie radikalisiert. Am Ende stand die Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden unter der Losung „Arbeit macht frei.“ Diese deutsche Ideologie basiert auf zwei Säulen: auf dem deutschen Volksbegriff und auf dem romantischen Antikapitalismus. Das zentrale Bindeglied ist das deutsche Verständnis von Arbeit und deren gesellschaftliche Organisation. Daß sich das Schicksal des Volkes in der Arbeit entscheidet ist neben der Selbststilisierung der Deutschen als ehrlich, treu und kampfesmutig ein entscheidender kultureller nationaler Konsens.
Die Gewerkschaften knüpfen an dieses Bild der deutschen Qualitätsarbeit an, wenn sie die „Billigarbeit“ bekämpfen. Daß diese dumpfe Parole vom (dumpfen) Klientel ganz schnell mit „Billigarbeiter“ sprich „Fremdarbeiter“ übersetzt wird ist angesichts des rassistischen Konsenses klar. Sozialer Frieden steht in Deutschland für die Harmonievorstellung der schaffenden Deutschen. Zu dieser romantischen Vorstellung des kapitalistischen Deutschlands gehört auch, daß Bedrohungen als Gefahr von außen wahrgenommen werden: Flüchtlingsströme, „Globalisierung“ und die Einführung des Euro, der für „Dumping-Preise“ steht. Diese Vorstellungen sind eine Bedrohung für alle MigrantInnen, Jüdinnen und Juden. Doch obwohl diese Bedrohung zunimmt, wird sie von der Linken ignoriert. Als im brandenburgischen Gollwitz der Gemeinderat beschloß, keine Jüdinnen und Juden aufzunehmen, gab es fast nur internationalen Protest.
Linke haben häufig Schwierigkeiten, sich in ihrem Bezug auf die „soziale Frage“ von rechts abzugrenzen. Der fortschrittliche Beiklang, dem die Linken Begriffen wie „Antikapitalismus“, „Rebellion“, „Massen“, „Straße“, „Revolution“, „Bewegung“ und „soziale Frage“ beizumessen gewohnt sind, ist, sofern es die deutschen Verhältnisse betrifft, diskreditiert. Diesen Zustand gilt es endlich wahrzunehmen. Wenn die Unterschätzung der revolutionären nationalsozialistischen Dynamik seitens der Linken vor 1933 noch mit Unverständnis bezeichnet werden kann, ist dies nach Auschwitz nicht mehr möglich. Die unadäquate Reaktion der Linken, die weiterhin auf die soziale Frage setzt (ein Großteil der Autonomen), selber (rassistische) Bündnisse für Arbeit fordert (Gewerkschaften und traditionelle Linke), auf unhinterfragte Parolen setzt und ignorant gegenüber den Opfern dieser Entwicklung ist, nämlich den MigrantInnen sowie Jüdinnen und Juden, kann heute bestenfalls mit Ignoranz bezeichnet werden. Der Slogan „hoch die internationale Solidarität“ ist nur noch eine Parole. Internationale Solidarität würde heute bedeuten, sich solidarisch mit denjenigen zu zeigen, die hier als sog. „Billigarbeiter“ arbeiten (müssen) und von vielen (auch Linken) für sog. „Dumping-Preise“ verantwortlich gemacht werden.
Nie wieder Arbeit! Nie wieder deutsches „Volk“, nie wieder deutsche Linke. No more Germany.

Leipzig-Gruppe im antinationalen Büro Hamburg, 10.5.98

Leipzig-Gruppe im antinationalen Büro Hamburg
V.i.S.d.P. Elke Hotz, Zimmerstr. 14, 22503 Hamburg


home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[45][<<][>>][top]

last modified: 28.3.2007