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Zerplatzte Seifenblasen.

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Eigentlich sollte es eine deftige Revanche werden. Nachdem im Oktober vorigen Jahres eine antifaschistische Demonstration vom Saalfelder Landratsamt und in zweiter Instanz auch vom Verwaltungsgericht verboten und anschließend von einem martialischen Bullenaufgebot verhindert wurde, war für den 14. März die Revidierung jener unsäglichen Kriminalisierung antifaschistischen Widerstandes geplant. Doch dazu sollte es leider nur sehr eingeschränkt kommen.

Rückblick (Unterwellenborn I)

Schon damals im Herbst ’97 hatte sich in Thüringen der rechte Konsens in einer bis dahin beispiellosen Art und Weise manifestiert. Nicht nur Nazis riefen zu einer Gegendemonstration auf, sondern fast der gesamte Saalfelder Stadtrat, die lokalen Medien und der überwiegende Teil der EinwohnerInnen sprachen sich für ein Verbot der antifaschistischen Demonstration aus. Vom geplanten Motto der Veranstaltung, „Den rechten Konsens durchbrechen“, fühlte sich der Klüngel aus Nazis, lokalpatriotischen Kommunalpolitikern und provinziellen Juristen gleichermaßen auf die Füße getreten. Die ergangene Verbotsverfügung wurde von allen mit Beifall begrüßt. Die Nazis zogen daraufhin ihre Anmeldung, die ohnehin aus taktischen Gründen erfolgt war, zurück. So konnten sie sich der nach rechts offenen Einwohnerschaft als Saubermänner präsentieren, denen die Wahrung der deutschen Sekundärtugenden Recht und Ordnung eine Ehrensache ist.
Am 11. Oktober durfte dann der sozialdemokratische Innenminister Thüringens, Richard Dewes, die Führung der Anti-Antifa übernehmen. Als gelte es, in die Fußstapfen von Bluthund Noske zu treten, ließ er tausende Bullen das Verbot exekutieren. Hunderte Antifas kamen in den eilends hergerichteten Knast in Unterwellenborn, andere bekamen Platzverweise oder waren anderweitigen schikanösen Behandlungen ausgesetzt.
Eigentlich ein Skandal. Doch zur Kenntnis nehmen wollten ihn nur wenige. Ein paar linke Gewerkschafter, PDSler und autonome Gruppen mühten sich vergeblich, auf die Tragweite des Demonstrationverbotes hinzuweisen. Aber ihr Engagement führte nicht zu einem Aufschrei einer wie auch immer gearteten demokratischen Öffentlichkeit.
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Trotzdem oder gerade deshalb entschloß sich das Bündnis, eine neue Demo anzugehen, denn hinnehmbar waren die besagten Vorgänge keinesfalls. Sie reichten noch über den bundesdeutschen Durchschnitt an staatlichen Repressalien gegen antifaschistische Politik hinaus. Zudem mußte die Verbotsverfügung vom 11.10.97 als eine de facto-Aushebelung einer verfassungsmäßig garantierten Grundfreiheit, dem Demonstrationrecht, gelten. Im Zusammenhang mit der Abschaffung des Asylrechts und dem vor kurzen rechtlich garantierten Lauschangriff, markiert auch das Verbot der Antifa-Demo in Saalfeld den Übergang der pro forma noch hoch gehaltenen demokratischen Ideale zu sinnentleerten Chimären.
Die Konsequenzen dieser Transformation treffen die außerparlamentarische Linke aufs ohnehin angeschlagene Haupt. Gerade die Antifa-Bewegung konnte mit ihren „Demos“ auf eines der letzten effektiven Politikmittel zurückgreifen. Nicht, daß damit faschistische Zentren von heute auf morgen vom Erdboden verschwanden. Aber es konnte ab und an gelingen, den Nazis das Leben schwerer zu machen. Waren ihre Organisationsformen einmal transparent und ihre Stärke an einem Exempel festgemacht, machten Begriffe wie „befreite Zone“ und „Nazihochburg“ die Runde, gingen die Nazis nicht mehr so einfach als „normale“ Jugendliche oder biedere BürgerInnen durch, denen man nach Gutdünken ein Jugendzentrum nach dem anderen schenkt bzw. völlig sanktionsloses Handeln gestattet.

Zweiter Anlauf (Unterwellenborn II)

Aber darum sollte es am 14. März in Saalfeld nur in zweiter Linie gehen. „Antifaschismus läßt sich nicht verbieten“, hieß die eigentliche Devise, mit der die prinzipielle Interventionsmöglichkeit der Antifa-Bewegung verteidigt werden sollte. Bereits kurz nach dem Bekanntwerden der Demonstrationspläne zeigte sich, daß in Saalfeld kein Stimmungswechsel stattgefunden hatte. Dem Vorbereitungskreis, einem selten breiten Zusammenschluß von couragierten Christen über linke DGBler bis zu den Autonomen, wurden nicht nur Steine, sondern ganze Gebirgsmassive in den Weg geräumt. Die Vorgehensweise richtete sich nach dem Schema, welches auch schon im Oktober ’97 das Demonstrationsverbot nach sich zog. Allerdings ging es diesmal noch um einiges obskurer zu: Das Saalfelder Landratsamt zog es prinzipiell vor, zuerst mit der NPD zu verhandeln, die selbstverständlich wieder zu einer Anti-Antifa-Demo aufrief. Ergebnis dieser Gespräche waren dann restriktive Auflagenbestimmungen, nicht für die Nazi-Veranstaltung, sondern für die lange vorher angemeldete Antifa-Demo. So wurde dem antifaschistischen Bündnis die angemeldete Route durch die Innenstadt verwehrt. Stattdessen sollte es abseits des urbanen Zentrums (Marktplatz etc.) in abgelegenen Außenbezirken von Saalfeld demonstrieren. Das thüringische Innenministerium gab sich ebenfalls wieder von Anfang an Mühe, das Anliegen der antifaschistischen Demonstration zu diskreditieren. Von ihm erhielt die Presse Informationen über angeblich gewaltbereite Gruppen, die sich an der Demo beteiligen wollen. Auf Nachfrage der Erstanmelderin Annelie Buntenbach (MdB), dementierte die Behörde kleinlaut und gab zu, über solche „Erkenntnisse“ nicht zu verfügen. Nebenbei wurden von den Staatsekretären des Innenministeriums auch noch Gesprächsprotokolle verfälscht und laufend Versuche gestartet, das antifaschistische Bündnis zu spalten. Bei „Kooperationsgesprächen“ mit den Demo-AnmelderInnen und den SprecherInnen des Bündnisses saßen auf einmal bekennende Demo-GegnerInnen (z. B. ein Sprecher der Grünen im Thüringer Landtag) mit am Tisch, und versuchten die OrganisatorInnen noch von ihrem Anliegen abzubringen. Die Krone wurde dem Ganzen dann wieder vom Innenminister Dewes aufgesetzt, der in einem Radio-Interview schon verbal den Knüppel schwang. Schon bei der kleinsten Übertretung der Demo-Auflagen, würde er radikal durchgreifen und die Veranstaltung gegebenenfalls auflösen, bekannte er.
Und der Auflagenbescheid hatte es in sich. Mit ihm wurde unter anderem verfügt, daß der „Aufzug in Marschblöcken zu gestalten“ sei, die „maximal 50 Meter lang sind“ und zwischen denen „ein Mindestabstand von 10 Metern“ frei gehalten werden müsse, um „den Querverkehr in zeitlich zumutbaren Abständen zu gewährleisten“. Weiterhin sollten die OrganisatorInnen der Demo per Auflagen noch dazu gezwungen werden, „die Beschallungstechnik ... mit einem möglichst niedrigen Lautstärkepegel zu betreiben (...), damit Außenstehende und Anwohner an der Aufzugsstrecke nicht übermäßig belästigt werden“, was dem Anliegen einer Demonstration, möglichst viele Leute zu erreichen, völlig entgegengesetzt ist. Der Hammer war jedoch das schon besagte Verbot der Route durch die Innenstadt, an deren Stelle das Landratsamt auf einer teilweise unbebauten Strecke in ein abgelegenes Neubaugebiet bestand. Die Begründung hierfür kann als kurioses Glanzstück des gesamten Behördenwischs gelten: „Die Aufzugsstrecke muß so beauflagt werden, weil durch die dort vorhandenen baulichen Freiräume Gewähr gegeben ist, daß die Polizei den Aufzug vor eventuellen gewalttätigen Störern schützen kann, was bei der ursprünglich benannten Aufzugsstrecke im Innenstadtbereich nicht gewährleistet wäre. Durch den angemeldeten Aufzug der NPD sind Störungen durch Adressaten des NPD-Aufrufes und deren Sympathisanten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten.“ Da stand es schwarz auf weiß, weil Nazis in der Stadt sind, sollen die Antifas nicht in sie hinein dürfen. Niemand aus dem Vorbereitungskreis der antifaschistischen Demonstration wollte glauben, daß solch eine Groteske vor einer höheren juristischen Instanz Bestand haben würde, lag es doch förmlich auf der Hand, daß die Rechte der Erstanmelderin nur durch entsprechende Beauflagungen der Nazi-Demo bzw. deren Verbot geschützt werden können. Als dann selbst das thüringer Oberverwaltungsgericht die in allen Belangen professionelle Klage des Vorbereitungskreises abschmetterte und die Auflagen bestätigte, verloren nicht nur die Autonomen im Bündnis den Glauben an rudimentäre Grundsätze des deutschen „Rechtstaates“.
aufhalten, 6.0k ... aufhalten, ...
Der Saalfelder Bevölkerung wurde damit natürlich nach dem Mund geredet, hatte sie doch aus ihrer Ablehnung gegenüber der Antifa-Demo nie ein Hehl gemacht. Tausende BürgerInnen der Stadt bekannten sich mit ihrer Unterschrift auf den überall in Saalfeld ausliegenden Listen zu der Forderung auf ein Verzicht der Demo. Einem örtlichen Bäckermeister war das anti-antifaschistische Plebiszit soviel wert, daß er pro Unterschrift in seinem Laden einen Pfannkuchen spendierte. Selbsredend haute auch der ortsansässige Pressemonopolist, die Ost-Thüringer Zeitung (OTZ), in dieselbe Kerbe. In ihren Kommentaren entrüstete sie sich über die zweifelsohne korrekte Bezeichnung Saalfelds als „Neonazihochburg“ und warnte im selben Stil, wie die im Vorfeld von den Nazis verteilten Flugblätter, vor „Chaostourismus und die damit zu befürchtenden Ausschreitungen.“
Angesichts einer solchen festgefügten Phalanx aus Antifa-GegnerInnen überhaupt eine Demonstration durchsetzen zu können, mag einigen als Erfolg erscheinen. Aber war es das wirklich?
Immerhin kamen über 5.000 TeilnehmerInnen zur Demonstration. Daß die Presse immer nur die von der Polizei verbreitete Zahl (2.500) kolportierte, muß wohl nicht weiter begründet werden. Die TeilnehmerInnenzahl geht auf jeden Fall in Ordnung, zeigt sie doch, daß die Verunsicherungsstrategie des Inneministeriums – so wurde die Presse z.B. regelmäßig mit Verbotsgerüchten gefüttert – nicht in jedem Falle aufging. Um so mehr gelang es aber dem massiven Bullenaufgebot, die DemonstrantInnen zu schikanieren. Manche mußten mehr als drei Vorkontrollen über sich ergehen lassen und aus nicht ersichtlichen Gründen ihre Personalien abgeben. Zudem wurde die Demonstration über den gesamten Verlauf von den Kameras der Polizei abgefilmt. Auch hierbei schien es, als wollte der Hardliner Dewes Mäßstäbe setzen. Der Einsatz an technischen Überwachungsmitteln sprengte alles bisher Dagewesene.
Wenigstens gelang es den Bullen nicht, jedes Detail der Verbotsverfügung durchzudrücken. Sowohl dem Verbot von Seitentransparenten als auch der verfügten „Marschordnung“ wurde nicht nachgekommen, dafür blieb den DemonstrantInnen aber der Weg in die Innenstadt versperrt. Im Saalfelder Außenbezirk „Gorndorf“ fanden dann auch die USKler aus Bayern den Vorwand in die Demo zu knüppeln und wahllos Festnahmen vorzunehmen. Am Rande der Route provozierten 30 Nazis mit Baseballkeulen. Als daraufhin die Stimmung der Antifas hochkochte, schlugen die staatlich sanktionierten Störer zu.
Der Höhepunkt der polizeilichen Kriminalisierung spielte sich jedoch 10  km vor Saalfeld ab. In einer idyllischen Tallandschaft probten die Sonder-Einsatz-Kommandos den Kriegsfall. Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes landeten neben der Landstraße, auf der ein Bus-Konvoi von Antifas nach Saalfeld auf dem Weg war. Die zwölf Busse aus Berlin, Halle, Leipzig, Brandenburg, Potsdam und anderen Städten wurden auf freiem Feld von einem Einsatzfahrzeug gestoppt und von den im Laufschritt anrückenden Bullen angegriffen. Als sich daraufhin die rund 700 Insassen zu einer spontanen Protestaktion formierten, setzten die Einsatzkräfte CS-Gas gegen sie ein, kesselten 200 DemonstrantInnen und nahmen sie fest. Wieder wurden die Verhafteten, von denen unentwegt Foto-und Filmaufnahmen gemacht wurden, in den eigens für diesen Tag hergerichteten Knast in Unterwellenborn verfrachtet. Die anderen wurde über Stunden in den Bussen festgehalten; wer nach draußen wollte, wurde wieder in den Bus geprügelt. Über die gesamte Dauer der mehrstündigen Repressionsmaßnahme zeigten sich die Bullen nicht verhandlungsbereit. Herbeieilende Landtagsabgeordnete bekamen Platzverweise ausgesprochen und selbst Bundestagsabgeordnete, die sich für die sofortige Freilassung der Gefangenen einsetzten, ließ man – im wahrsten Sinne des Wortes – im Regen stehen.
verhaften, 6.0k ... verhaften!
In Anbetracht jener skandalösen Vorgänge, scheint es fast vernachlässigbar, darauf hinzuweisen, daß die Nazi-Demo ohne „besondere Vorkommnisse“ über die Bühne ging. Nur ein kleines Häuflein von rund 150 Faschos traute sich an diesem Tag auf die Straße. Von zahlreichen Bullen geschützt, demonstrierten die Kameraden unter dem Motto: „DGB – Arbeiterverrat. Arbeitsplätze statt Chaoten-Demos“. Die Parole war unzweifelhaft clever gewählt, las man doch ähnliches – im nicht ganz so nationalsozialistischen Jargon – bereits in der OTZ. Der rechte Konsens manifestierte sich also auch am 14. März in bekannter Art und Weise.
Daß es den Nazis nicht gelang, sich ganz so offensiv zu präsentieren, sie stattdessen den lächerlichen Eindruck vermittelten, als hätten drei regionale Jugenzentren zur selben Stunde ihre minderjährige Klientel vor die Tür gesetzt, können sich die Antifas (die an diesem Tag auch noch einen Nazi-Aufmarsch in Lübeck behinderten) ans Revers heften. Offensichtlich hatten die meisten Nazis Schiß, an diesem Tag nach Saalfeld zu fahren. Mehr Positives läßt sich aber mit Blick auf die Ereignisse in Saalfeld nicht konstatieren.

Realitätsgewinn (Unterwellenborn III)

Bedenkt man, daß eigentlich eine Revanche angedacht war, die nicht nur das Demoverbot vom 11. Oktober praktisch hinfällig machen, sondern symbolisch auch den rechten Konsens durchbrechen, mithin generell verdeutlichen sollte, daß sich antifaschistisches Handeln nicht vom Staat reglementieren läßt, dann bleibt für Erfolgsmeldungen nicht mehr viel Raum. Den staatlichen Behörden ließen sich nur sehr eingeschränkt Zugeständnisse abringen. Formal gewährten sie die Demonstration, de facto wurde sie aber durch den Auflagenbescheid verboten. Und dies wird nicht ohne Auswirkungen auf andere außerparlamentarische Aktionen bleiben. Schon die erste Verbotsverfügung vom Oktober diente als Exempel für den Versuch der Ämter, antifaschistische Demonstrationen in München, Freiberg und Dresden zu verbieten. Dort hatten die obskuren Gründe vor den höheren Gerichtsinstanzen keinen Bestand. Seit dem 14.3. gibt es aber, für bis dahin nicht gekannte restriktive Auflagen, eine Richtlinienentscheidung, die von einem Oberverwaltungsgericht legitimiert wurde.
Achtung: Zur Nachbereitung der Ereignisse des 14. März werden noch Gedächtnisprotokolle gebraucht. Vor allem an die Leute, die in den gestoppten Bussen nach Saalfeld wollten, im Knast saßen oder auf der Straße aufgehalten wurden, oder anderweitig von den Maßnahmen der Bullen betroffen waren, ergeht die Aufforderung, welche zu schreiben und beim Leipziger KgB (Peterssteinweg 13, 0341-2119313) schnellstens abzugeben.
Sah die Linke sich in den Jahren nach der Wiedervereinigung sowieso schon auf eine defensive Position zurückgeworfen, da sie statt die bürgerlichen Verhältnisse anzugreifen, noch deren liberale Errungenschaften verteidigen mußte, um sich überhaupt den Raum für ihr politisches Handeln zu sichern, so muß sie sich nach Saalfeld II erneut eingestehen, daß sie auch dazu kaum mehr in der Lage ist. Viele Linke wissen spätestens seit den neuen Polizeigesetzen der Länder und den Diskussionen um den großen Lauschangriff, wie schlimm es um die bürgerlichen Freiheiten hierzulande bestellt ist. Viele Antifas wissen seit Jahren, wie stark die Bemühungen sind, ihr Engagement zu kriminalisieren. Daß es so schlimm ist, haben vor den Ereignissen in Saalfeld sicher nur die wenigsten geahnt. Vielleicht ist ja dieser Realitätsgewinn ein unerwarteter Erfolg für die Linke. Die Ereignisse vom 14. März in und um Saalfeld zeigen, wie eng der Spielraum für sie in diesem Land geworden ist. Der Knast in Unterwellenborn könnte sich als ein perspektivisches Sinnbild erweisen. xxx



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last modified: 28.3.2007