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I can’t relax in Katalonien

Es ist nicht lange her, da nannte man es nicht Emanzipation, wenn Proletariat und Kapital, der Pöbel und die Bosse, gemeinsam unter einer Nationalflagge marschiert sind, Fremden nicht den kleinsten Obolus zukommen lassen wollten und nationale Eigenheiten hochhielten, sondern Faschismus. Bei manchen Linken setzt diese Gewissheit (und vieles andere) zuverlässig aus, wenn es um Separatisten, Sezessionisten und nationale »Befreiungsbewegungen« geht. Die jüngsten Ereignisse in Katalonien und die Faszination junger Menschen für die katalanische Sezession sind dafür das jüngste Beispiel.
Am 3. Oktober wünschten die Interventionistische Linke und ihr Leipziger Ableger Prisma »alles Gute zum Tag der katalanischen Einheit« und meinten damit den Generalstreik, bei dem Beschäftigte in ganz Katalonien mit Billigung ihrer Vorgesetzten aus Protest gegen die Repression der spanischen Bundespolizei die Arbeit niederlegten. Im Neuen Deutschland bescheinigte man der katalanischen Nationalbewegung »anders zu ticken« als vergleichbare Gruppen. Katalanische Souveränität, so der linke Journalist und Politikwissenschaftler Raul Zelik, sei zu verstehen als »Synonym für das politische und demokratische Selbstbestimmungsrecht der BürgerInnen«. Diesen »besonderen Charakter […] des katalanischen Nationalismus« sieht der österreichische Mosaik-Blog vor allem darin, dass er »die Unabhängigkeit nicht als nationales Ziel an sich, sondern als strategische ›Station‹ zu einer besseren Gesellschaft« begreift. »Im besten Fall«, so weiter, »erreichen die Schockwellen dieser Entwicklung auch den Rest Europas.« Es gehe den Katalanen eben nicht um »idyllische nationale Identität«, so der linke Gewerkschafter Hans-Gerd Öfinger im Neuen Deutschland. Deshalb seien Gewerkschaften »gut beraten, wenn sie das katalanische Drama vom Klassenstandpunkt aus betrachteten« und sich mit dem katalanischen Nationalismus solidarisierten. Zugleich beklagte die junge Welt: »Katalanen, Basken und andere im spanischen Staat lebende Völker sind für das Grundgesetz der spanischen Monarchie ›Nationalitäten‹, keine ›Nationen‹.« Jakob Augstein, der immer zuverlässig zur Stelle ist, wenn es um Irrsinn von Links geht, forderte bei Spiegel Online: »Die Nationen sollen leben - aber die Nationalstaaten sterben.« Denn, der katalanische Nationalismus sei in Wahrheit ein »fröhlicher, moderner, pluralistischer Patriotismus«, seine Exekution gleiche einer Feier.
Carles Puigdemont, Präsident der katalanischen Regionalregierung, erklärte nach dem Referendum am 1. Oktober in der Bild-Zeitung, er »fühle sich als Präsident einer freien Nation.« Der Vertreterin Kataloniens in Deutschland, Marie Kapretz, fiel zu den spanischen Repressionen während des Referendums zuerst das Wort »Demütigung« ein. Der jungen Welt erklärte sie: »Wir vertreten jedoch keinen ethnischen Nationalismus, wer an der katalanischen Gesellschaft und Kultur teilhaben möchte, wird gerne aufgenommen.« Etwas anders klang das bei einem anderen Vertreter der katalanischen Sache, dem Liedermacher Roger Mas, der in der gleichen Zeitung verkündete: »Die katalanische Nation möchte einfach frei sein. Es geht nicht darum, anderen die eigene Identität aufzuzwingen. Der Ursprung Kataloniens als Nation ist keine Ethnie. Was uns eint, ist die Sprache.« Auf den gelbroten Katalonien-Fahnen, die dieser Tage überall in Katalonien vor den Kameras geschwenkt werden, wird unmissverständlich erklärt: »Catalonia is not Spain.« Seit Mitte Oktober findet man bei Youtube ein Video der katalanischem Organisation Òmnium Cultural. Unterlegt mit dramatischer Musik und bedrückenden Bildern des spanischen Polizeieinsatzes am 1. Oktober fordert eine ernst dreinblickende Person nicht weniger als: »Now, before it’s too late. Help Catalonia. Save Europe.«
Wenn es um nationale Gefühle und die Freiheit von Nationen geht, sind Europas Faschisten nicht weit. Sie reiben sich immer dann die Hände, verspüren Aufwind, wenn irgendwo in der Welt zehntausende Menschen Nationalflaggen schwenken, Grenzen gezogen und Menschen ausgeschlossen werden sollen. Das Compact-Magazin Jürgen Elsässers sah nach dem Referendum schon den »Völkerfrühling« nahen. So ist es auch kein Wunder, dass neben verschiedenen verblendeten Linken in Europa, die Faschisten von der Lega Nord, die Separatisten auf Korsika und nicht zuletzt AfD und die Identitäre Bewegung laut für Katalonien klatschen. Der AfD-Fraktionsvorsitzende Jörg Meuthen applaudierte lauthals angesichts des erklärten Willens der Katalanen zur »Gestaltung ihres Gebietes nach ihren eigenen Vorstellungen - so, wie souveräne Völker dies eben für richtig halten.« Sprachlich prägnant begründete er: »Die Katalanen haben so entschieden, und dies ist zu akzeptieren. Der Grund ist ganz einfach: Es ist das Selbstbestimmungsrecht der Völker.« Auch ausgemachte Verschwörungstheoretiker wie Julian Assange trommeln lautstark für die katalanische Sache und fabulieren dabei vom »deep state« Spanien, den die jungen Fahnenschwenker in Barcelona bekämpfen würden. Dass bei so viel Einigkeit etwas faul ist, liegt auf der Hand. Die Rechte Fürsprache ist freilich nicht verwunderlich, handelt es sich bei der Katalonien-Krise schließlich nicht um das emanzipatorische Aufbegehren einer unterdrückten Minderheit, sondern in Wahrheit um einen Konflikt zwischen nationalistischen Bewegungen. Grund genug für ein paar Anmerkungen zur historischen Realität nationaler Befreiung und dem Nationalismus in Katalonien.


Die Zumutungen nationaler Befreiung
Schon oft sind Linke in die Falle getappt, die Verdammten dieser Erde mit nationalistischen Bewegungen zu verwechseln und den Kampf um die Verfügungsgewalt über einen nationalen Staatsapparat für einen emanzipatorischen Akt zu halten. Auf den ersten Blick spricht natürlich nichts dagegen, eine repressive Herrschaft abzuschütteln, sich von einem Nationalstaat loszusagen und Selbstbestimmung zu erlangen. Das Selbstbestimmungsrecht als Dreh- und Angelpunkt nationaler Forderung nach staatlicher Unabhängigkeit hat aber nichts mit individuellen Wünschen nach selbstbestimmten Leben zu tun. Als Grundsatz des Völkerrechtes kommt das Selbstbestimmungsrecht ausschließlich nationalen Kollektiven zu, deren Mitglieder untereinander eine sprachliche, kulturelle oder historische Gemeinsamkeit imaginieren. Die damit verbundenen Ansprüche nach Selbstregierung, Freiheit und Gleichheit kommen nur den jeweiligen Nationen zugute. Auch Sezession als radikalste Auslegung des Selbstbestimmungsrechtes Seitens nationaler Minderheiten ist immer zuerst mit der Abspaltung eines bestimmten Territoriums und der gleichzeitigen Gründung eines neuen Nationalstaates verbunden. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker schließt keinen grundsätzlichen Anspruch auf vernünftige Lebensverhältnisse einzelner Mitglieder dieser nationalen Kollektive ein. Nicht zufällig waren es vor allem nationalistische und bürgerliche Bewegungen, die es seit seiner Popularisierung kurz nach dem Ende des Ersten Weltkrieges in Beschlag genommen haben.
Trotzdem haben auch linke Bewegungen versucht das Selbstbestimmungsrecht für sich zu vereinnahmen, oft aus strategischen Erwägungen, um im Fahrwasser nationaler Wallungen sozialistische Politik machen zu können. Genützt hat dies nicht ein einziges Mal. Lenin beispielsweise votierte 1916 energisch für ein kommunistisches Festhalten am Selbstbestimmungsrecht der Völker. Er hatte hier insbesondere Nationalbewegungen im Zarenreich im Auge, deren Befreiungskampf er als probates Mittel zur Schwächung des russischen Imperialismus auffasste. Rosa Luxemburg hingegen distanzierte sich entschieden von Lenins Fürsprache, sah im bürgerlichen Nationalstaat ein Unterdrückungsinstrument, das es abzuschaffen, nicht zu begründen galt. Im Kampf um nationale Unabhängigkeit sah sie ein Projekt nationaler Bourgeoisie, für das vor allem das Proletariat Opfer bringen müsse – nur damit sich am Ende nichts als die Sprache der Unterdrücker ändert. Weil sie wusste, dass nationale Befreiung, das Paktieren mit Nationalisten und das Ziehen von Grenzen niemanden zur Emanzipation verhelfen, sondern das Gegenteil, nämlich Unterdrückung, Ausbeutung und Krieg bewirken, wies sie linken Nationalismus entschieden zurück und stellte ihm einen radikalen Internationalismus gegenüber.
Diese Skepsis war berechtigt, wie das 20. Jahrhundert drastisch vor Augen führte. Zwar zerfielen die großen europäischen Imperien wie das Zarenreich, Österreich-Ungarn oder das Osmanische Reich vor allem, weil sich Teilgebiete abspalteten und nationale Minderheiten eigene Staaten gründeten. Das Selbstbestimmungsrecht verengte sich allerdings immer weiter auf ein Recht nationaler Kollektive auf staatliche Herrschaft. Weder war damit eine Vorstellung individueller Selbstbestimmung verbunden, noch ein Anspruch, das Selbstbestimmungsrecht eigener Minderheiten zu garantieren. Mit diesen wurde konsequent so verfahren wie in den einstigen Imperien. Nur die wenigsten neu gegründeten Staaten erlaubten auch nur ein geringes Maß an autonomer Selbstregierung in Teilen ihres Herrschaftsgebietes. In den meisten Fällen, Beispielsweise in Polen, geschah die Staatsgründung mit nationalistischem Furor, der innerhalb kürzester Zeit autoritären Diktaturen zur Macht verhalft. Auch Hitler berief sich beim »Anschluss« des Sudetenlandes an das Deutsche Reich auf das nationale Selbstbestimmungsrecht der deutschen Minderheit in der Tschechoslowakei.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wiederholte sich dieses Muster im Zuge der Dekolonisation. Zunächst kam es zu einer erneuten Renaissance des Selbstbestimmungsrechts in enger Verknüpfung mit dem Anspruch individuelle Menschenrechte zu garantieren. Zahlreiche Befreiungsbewegungen kämpften für ein Ende kolonialer Fremdherrschaft und verbanden dies mit dem Anspruch einer selbstbestimmten Entwicklung jenseits von Kapitalismus und Stalinismus. Auch in vielen westlichen Hauptstädten setzte sich die Vorstellung durch, koloniale Fremdherrschaft stelle einen Bruch von Menschenrechten dar. Links wurde dies flankiert von Vorstellungen eines emanzipatorischen Befreiungsnationalismus, der als adäquates Mittel zur Abschüttelung kolonialer Herrschaft und als Wegbereiter emanzipatorischer Entwicklung verstanden wurde. Die meisten Kolonien konnten bis Anfang der 60er Jahre die Unabhängigkeit erringen. Auch hier wurden emanzipatorische Hoffnungen jedoch bitter enttäuscht. Der einstige Wille zu Fortschritt und Emanzipation wich in vielen Fällen Gewaltherrschaft, Ausbeutung und Völkermord. Zu den drastischsten Beispielen zählt hier der Massenmord an den Mitgliedern der kommunistischen Partei des 1949 unabhängig gewordenen Indonesiens (unter tatkräftiger Mitwirkung des BND) und der Völkermord an den Bewohnern der nigerianischen Provinz Biafra 1968.
Die meisten nationalen Befreiungsbewegungen sind sich seitdem quasi automatischer linker Fürsprache bewusst und spielen die emanzipatorische Karte gegenüber westlichen Intellektuellen gerne aus. Ausländische Unterstützung ist für den Erfolg einer Sezession elementar, weshalb Sezessionsbewegungen große Anstrengungen im Bereich internationaler PR betreiben. Die Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechtes als Grundlage einer Staatsgründung wird dabei als Mittel zur Beendigung von Menschenrechtsverletzungen und der Umsetzung emanzipatorischer Ziele präsentiert. Beispiele wie die Sezession Bangladeschs 1971 zeigen aber den Trugschluss, dem gerade Linke hier aufsitzen. Einerseits konnte dank lokalem Aufstand und indischer Intervention ein von Pakistan angestrebter Genozid an der bengalischen Bevölkerung verhindert werden. Linke aus aller Welt unterstützten die Befreiungsbewegung, weil wichtige Vertreter sozialistische Ziele propagierten. Kurz nach der Staatsgründung jedoch putschte sich das Militär an die Macht, jagte die sozialistische Regierung aus dem Amt und errichtete eine autoritäre Diktatur, die bis in die frühen 90er Jahre bestand. Ausgerüstet mit sowjetischen Waffen und internationaler Unterstützung machte sich die Armee Bangladeschs ab spätestens 1977 daran, ihrerseits ethnische Minderheiten in den Chittagong Hill Tracts im Osten des Landes gnadenlos zu verfolgen. Bangladesch ist bis heute kein schöner Ort zum Leben, sondern fristet ein Dasein als Reservoir billiger Arbeitskräfte für den globalen Kapitalismus, ist massiv von Umweltverschmutzung belastet und Hort des gewalttätigen Islamismus in Südostasien. Während Aufstand und Intervention sehr vielen Menschen das Leben gerettet haben, hat die Sezession nur sehr wenigen Freiheit gebracht.
Dass nationale Befreiung meistens in Unterdrückung umschlägt und eben gegründete Nationalstaaten ihren Einwohnern häufig nichts Gutes bescheren, kann man zahlreichen weiteren Beispielen entnehmen. Der seit 2010 unabhängige Südsudan ist heute Schauplatz eines Bürgerkrieges und einer der zum Leben unwirtlichsten Orte der Welt. Eritrea, unabhängig seit 1993, wird heute wegen seiner diktatorischen Regierung als »Nordkorea Afrikas« bezeichnet. Die kroatische Nationalbewegung unter Franjo Tudjman säuberte kurz nach der unilateralen Unabhängigkeitserklärung 1991 im Rahmen der »Operation Storm« weite Landstriche der von Serben bewohnten Krajna und wurde dafür von der Bundesregierung unter Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher mit der Anerkennung als unabhängige Nation belohnt. Dieser Akt wird gemeinhin für den eigentlichen Start der Balkankriege gehalten, was eindringlich zeigt, welche Schockwellen Sezessionen auszusenden imstande sind. Auch die Regierung des Kosovo scherte sich immer wenig um das Selbstbestimmungsrecht der serbischen Minderheit in der nördlichen Region um Mitrovica. Dank NATO-Intervention 1999 und weithin anerkannter Unabhängigkeitserklärung 2008 konnten bereits weite Teile des Landes durch UÇK-Todesschwadrone von der serbischen Minderheit gesäubert werden. Ehemalige UÇK-Freiheitskämpfer waren es, die dann als Regierungsmitglieder jeden Wunsch nach einem Referendum und Selbstbestimmung seitens der verbliebenen Serben im Kosovo ablehnten. Auch das Kosovo hat sich seit 2008 zu einem Armenhaus entwickelt, in dem der IS unter den Augen von KFOR und EU munter rekrutieren und internationale Banden von Organhändlern und Menschenschmugglern unbehelligt ihr Unwesen treiben können. Als letztes seien noch die Staaten des Baltikums genannt, deren friedlichen Loslösung von der Sowjetunion immer wieder positiv hervorgehoben wird. Zur Wahrheit gehört hier, dass Angehörige der russischen Minderheiten in Lettland und Estland bis heute unter äußerst prekären Bedingungen leben, kaum Möglichkeiten zur Integration in die autochthonen Gemeinwesen bekommen und teilweise nicht einmal über eine Staatsbürgerschaft verfügen.


Not gegen Elend
In Katalonien sind freilich weder eine Militärdiktatur, noch Menschenrechtsverletzungen an Minderheiten zu erwarten. Grundsätzlichen Probleme vieler Sezessionsbewegungen liegen aber auch hier vor, insbesondere aus linker Perspektive: es gibt eine große Gruppe von Menschen auf katalanischem Gebiet, die gegen eine Abspaltung sind; organisatorisch handelt es sich um eine Sammlungsbewegung, der neben Linken auch Liberale, Konservative und Sozialdemokraten angehören; linke und emanzipatorische Perspektiven sind in erster Linie politische PR. Dazu kommt noch die annähernde Unmöglichkeit unilateraler Sezession.
Die eingangs zitierten Aussagen sind paradigmatisch für die zahlreichen Versprechen, mit denen der katalanische Nationalismus aufwartet. UnterstützerInnen betonen seine Andersartigkeit, seinen emanzipatorischen Charakter und sein Potential. Der historische Abriss hat indessen gezeigt, dass weder seine Versprechen, noch die damit verbundenen Probleme sonderlich neu sind. Im Wesentlichen unterscheidet er sich katalanische Nationalismus nicht von anderen Nationalismen. Ein Anspruch auf souveräne Staatlichkeit wird vom Selbstbestimmungsrecht der Völker abgeleitet, das Katalonien zustehe, weil es eine eigene Nation sei. Diese wird in erster Linie sprachlich und kulturell, weniger ethnisch bestimmt. Letztlich unterscheidet sich diese Bestimmung allerdings kaum von anderen kulturalistischen Nationalismen in Europa. Selbstbestimmung wird als kollektives Recht der Nation als Gesamtheit eingefordert, also nur für die imaginierte Gemeinschaft, nicht aber für einzelne Individuen. Zwar wird ein inklusives Konzept von Nation propagiert, dieses widerspricht aber einer zentralen Forderung sezessionistischer Selbstbestimmung: der Gründung eines souveränen und damit abgegrenzten Staates.
Die damit verbundene Grenzziehung ist zentral für die Umsetzung der emanzipatorischen Versprechen. Ob diese aber mehr als Rhetorik sind und ob sie unter den gegebenen Umständen überhaupt realisierbar wären, bleibt fraglich. Grundsätzlich ist es ein Trugschluss zu glauben, die Abschüttelung des post-franquistischen Staates und die emanzipatorische Umgestaltung Kataloniens wären das Hauptziel des katalanischen Nationalismus, letzterer wirklich nur Mittel zum Zweck der Emanzipation. Wie in jeder Nationalbewegung liegt eine Gemengelage aus unterschiedlichen und zum Teil widersprüchlichen Motivationen vor. Klassisch linke Zielsetzungen stehen dabei neben dem Wunsch katalanische Steuereinnahmen nicht an den Zentralstaat abführen zu müssen, eine vermeintliche Diskriminierung katalanischer Kultur und Sprache abzuwenden oder schlicht den Traum aller Nationalisten zu erfüllen: dass staatliche und nationale Grenzen übereinstimmen.
Die katalanische Unabhängigkeitsbewegung ist keine genuin linke Strömung, sondern eine inner- und außerparlamentarische Querfront aus linken, bürgerlichen und konservativen Kräften. An den Demonstrationen nehmen nicht nur außerparlamentarische Gruppen linker Prägung teil, sondern auch die rechtsradikalen Hooligans des FC Barcelona. Die Regionalregierung wird von einer Koalition aus Sozialdemokraten, Linken und Mitte-Rechts Parteien gebildet. Ministerpräsident Puigdemont ist Mitglied der Convergència Democràtica de Catalunya, die auf Europäischer Ebene mit der FDP in der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa zusammenarbeitet. Radikal emanzipatorische Ziele werden nur von den linken Parteien des Regierungsbündnisses und außerparlamentarischen Unterstützergruppen vorgebracht. Sie entsprechen aber nicht der Regierungsposition. Von einem Bündnis, dessen Hauptanliegen ist, dass katalanische Steuereinnahmen nicht an die armen Regionen Spaniens abgeführt werden, ist kein drastischer Eingriff in Produktions- und Besitzverhältnisse zu erwarten. Linke Parteien, die sich sowohl für die Unabhängigkeit als auch emanzipatorische Ziele einsetzen, haben gerade knapp die Hälfte der Sitze im katalanischen Parlament inne.
Nichts spricht dafür, dass eine katalanische Unabhängigkeit diese gesellschaftlichen Machtverhältnisse würde umkehren können. Nach wie vor sind weite Teile der katalanischen Unternehmerschaft, Beamte und der öffentliche Dienst auf der Seite der Sezessionisten. Dass sich große spanische Firmen dazu entschlossen haben, ihre Filialen aus Katalonien abzuziehen, ist vermutlich auch nichts, was der neoliberalen katalanischen Regierung besonders gut gefällt. Es ist insbesondere kein Beleg für einen katalanischen Antikapitalismus. Vielmehr ist Katalonien nach wie vor ökonomisch eng verflochten mit Welt- und EU-Markt und hat augenscheinlich wenig Interesse daran etwas zu ändern. Die in Aussicht gestellte – aber in linken Kreisen oft übersehene – selbstverständliche Weiterführung der engen Anbindung an die EU wirkt nicht zufällig wie das neoliberale Pendant zur linken Emanzipationsromantik. So wird die Propaganda bündig auf jedes Publikum zugeschnitten. Schon jetzt wird zudem auf der ganz rechten Seite über den Anschluss anderer Gebiete mit katalanischer Sprache debattiert, beispielsweise die Balearen, sogar Andorra und andere Gebiete jenseits Spaniens. Zwar ist ebenso kaum zu erwarten, dass rechte Kräfte nach einer Unabhängigkeit staatsstreichartig die Macht übernehmen. Vielmehr wird sich die jetzt ruhende innerkatalanische Auseinandersetzung neu entzünden. Eine wichtige Funktion querfrontartiger Arrangements ist ja gerade die temporäre Einebnung gesellschaftlicher Widersprüche. Der katalanische Nationalstaat wäre dann nicht der Zwischenschritt zu einer emanzipatorischen Gesellschaft, sondern die Arena gesellschaftlicher Auseinandersetzungen, in der eine Fraktion auf den Repressionsapparat des Nationalstaates zurückgreifen kann. Das post-franquistische Spanien indessen würde weiterbestehen. Von seiner wahrscheinlichen Schwächung hätten katalanische Linke überhaupt nichts. Aus einem Eskalieren des Konfliktes würde wohl eher die katalanische Rechte gestärkt hervorgehen.
Für die nationalistische Gesamtbewegung erfüllt die politische PR zwei Funktionen: Sie ist einerseits wichtig für die Mehrheitsbeschaffung im Inneren. Bis kurz vor dem Referendum Anfang Oktober lag die Zustimmung zur Abspaltung in Umfragen bei ca. 40%. Auch die seitdem häufig anzutreffenden Anti-Unabhängigkeitsproteste zeigen, dass die gesellschaftlichen Mehrheitsverhältnisse fragil sind. Zu den Gegnern der Unabhängigkeit zählen nicht nur, wie immer wieder kolportiert, spanische Nationalisten, sondern auch bürgerliche und linke Gruppen. Zentrale Bedeutung hat linke Rhetorik auch für das Legitimitätsmanagement nach außen. Weder kann der innenpolitische Konflikt ohne internationalen Druck auf den Zentralstaat oder materielle Unterstützung gewonnen werden; noch ist die Gründung eines souveränen Staates ohne internationale Anerkennung denkbar. Das vehemente Drängen auf EU-Mediation ist ein weiterer Beleg für dieses Kalkül. Eine ähnliche Funktion erfüllte das Referendum vom 1. Oktober. Insbesondere die Bilder von verprügelten Menschen sind für die katalanische Nationalbewegung von hoher strategischer Bedeutung, kann doch damit vor den Augen der Welt die Illegitimität des spanischen Zentralstaats demonstriert werden.
Personen wie der katalanische Kommunikationschef Joan Maria Piqué oder die deutsche Vertretung Kataloniens werden seitdem nicht müde, auf die Repression des spanischen Staates hinzuweisen und sie als Argument für die Unabhängigkeit zu benutzen. Hier zeigt sich indessen der ganze Irrsinn des katalanischen Projektes. Freilich sind sowohl die Kritik am post-franquistischen spanischen Staat als auch an seiner paramilitärischen Reaktion auf das Unabhängigkeitstheater in Barcelona völlig berechtigt. Eine Abspaltung Kataloniens von Spanien würde aber gerade an diesen Verhältnissen überhaupt nichts ändern. In der katalanischen Rhetorik wird die Kritik an spanischer Repression zum Argument für den Nationalstaat Katalonien. Spanische Prügel-Cops und ihre post-faschistischen Befehlshaber könnten allerdings im Falle einer katalanischen Unabhängigkeit munter weitermachen, während auf der anderen Seite der möglichen Grenze, in Barcelona, eigene Bullenbataillone stehen. Die katalanische Polizei Mossos d’Esquadra beteiligte sich zwar nicht an den Prügelorgien am 1. Oktober, ist aber in der Vergangenheit nicht für ihr respektvolles und menschenwürdiges Verhalten gegenüber Demonstrierenden bekannt geworden. Trotzdem haben auch linke Nationalisten für die »Mossos« und ihre Zurückhaltung am 1. Oktober applaudiert.
Zur Uneinlösbarkeit emanzipatorischer Versprechen kommt noch ein weiteres Problem: Realistisch betrachtet wird sich Katalonien nicht zeitnah abspalten können. Weder wird der spanische Zentralstaat einer Abspaltung zustimmen, noch irgendein Staat der Welt die Unabhängigkeit vorzeitig anerkennen. Beides sind integrale Voraussetzung für Gründung eines souveränen Staates. Sezession war und ist eines der schwierigen Unterfangen internationaler Politik. Seit der Dekolonisation wird in der internationalen Politik der territorialen Integrität bestehender Staaten ein Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht ethnischer Minderheiten eingeräumt. Ausnahmen von dieser Doktrin sind sehr selten und auf Situationen beschränkt, in denen nur durch eine Abspaltung gravierende Menschenrechtsverletzungen verhindert werden können. Auch deshalb ist die katalanische Regierung an einer Internationalisierung und an einer Eskalation interessiert: sie hofft, die Zentralregierung durch internationalen Druck zum Einlenken zu bewegen. Der imaginierte Ausnahmezustand spielt hier eine große Rolle. Auch zivilgesellschaftliche Organisationen sind sich nicht zu schade, den Konflikt als Auseinandersetzung um Leben und Tod der katalanischen Bevölkerung zu porträtieren. Sogar von Genozid wird zuweilen gesprochen.
Zur Erinnerung: zeitgleich mit der peinlichen Zurschaustellung nationalistischer Gekränktheit in Katalonien, sind aus Myanmar über sechshunderttausend Angehörige der Rohingya-Minderheit vor ethnischen Säuberungen, Folter, Vergewaltigung und Mord geflohen. In Katalonien, der Region Spaniens mit dem höchsten Lebensstandard und dem umfassendsten Grad an politischer wie kultureller Autonomie in Spanien, halten reale Grausamkeiten in aller Welt indessen nur wenige davon ab, sich als Unterdrückte zu inszenieren und an Europa zu appellieren, die Katalanen zu retten. Dass Menschen, die für eine Nation Gefühle aufbringen können, in der Regel mit solchen Widersprüchen kein Problem haben, nicht vor Unwahrheiten und Zynismus zurückschrecken, ist keine Neuigkeit. Was übrig bleibt, ist die Auseinandersetzung zwischen zwei Nationalismen, von Not gegen Elend. Kritik am spanischen Zentralstaat ist zwar bitter nötig, Linke wären aber gut beraten, für seine Abschaffung einzutreten, statt sich auf die Seite eines zwielichtigen Befreiungsnationalismus zu stellen, dem es in erster Linie um die Verfügungsgewalt über einen eigenen, autochthonen Unterdrückungsapparat geht. Selbst Max Horkheimer wusste: »Die Souveränität eines Landes ist etwas anderes als die Freiheit derer, die in ihm leben.« Hier kann man ihm ausnahmsweise nur zustimmen.

Sandra Schneider

07.11.2017
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