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• das erste: Die Identitären – Rassisten und Kulturalisten
NO NO NO! A Special Club Night
Roter Salon
State of Mind, Animal Instinct, RealityXReturns
Mala in Cuba Live
Maps & Atlases
Bizarre Ride II The Pharcyde Tour 2013
Sondaschule, Montreal, Das Pack
BORDER WEEKS - Electric Island pres.: Nathan Fake
Die Orsons
The Sea and Cake
Neaera, Bury Tomorrow, Counterparts
• inside out: Pressemitteilung des Conne Island zur aktuellen Ausstellung »In guter Verfassung« im Neuen Rathaus
• review-corner buch: Die Autobiographie des Besetzten Hauses Erfurt
• review-corner film: Marina Abramovic – Von der Arbeit, Kunst zu machen
• review-corner film: Blut muss fließen – Undercover unter Nazis
• doku: Kampf gegen Rassismus oder Beitrag zum Mythos Connewitz?
• position: It‘s a trap!
• doku: Redebeitrag 27.10.2012: »Rassismus tötet«-Demonstration
• leserInnenbrief: Zur Frage von Inhalt und Kritik
Das Werk 3 hat zu.
• das letzte: Wer Juden hasst, bestimme ich
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Blut muss fließen – Undercover unter Nazis

Blut muss fließen. Undercover unter Nazis.
Deutschland 2012, 87 Minuten. Regisseur: Peter Ohlendorf,
Drehbuch + Kamera: Thomas Kuban

Ein Montagabend im Januar: Hunderte junge Menschen drängen sich vorm Eingang des altehrwürdigen UT Connewitz. Einlass-Stopp. Zumindest in Leipzig kann sich „Blut muss fließen – Undercover unter Nazis“ vor Interesse kaum retten. Das ist nicht überall so, doch dazu später mehr. In Leipzig gibt es gleich mehrere Vorstellungen und alle sind sie rappelvoll. „Blut muss fließen“ ist aber kein leichtes Popcorn-Kino, „Blut muss fließen“ ist eine Dokumentation langer Recherche-Arbeit des Journalisten Thomas Kuban in der neonazistischen Musikszene.

Kuban – mittlerweile begehrter Talkshow-Gast (Günther Jauch etc.). – war fast zehn Jahre lang mit versteckter Kamera auf diversen Nazikonzerten unterwegs. Seine „Verkleidung“ bestand aus der typischen Früh-90er Jahre Bonehead-Uniform: Bomberjacke (schwarz), Stiefel (auch schwarz), Moleskinhose (logo, schwarz) und Poloshirt (schwarz! – jedoch mit den obligatorischen rot-weißen Bündchen). Unter dem Poloshirt installierte er eine – gemessen an dem, was technisch möglich wäre – relativ große Knopfkamera und einen Festplattenrecorder, mit der er äußerst riskante Aufnahmen machte, die zwar mit der Thematik vertrauten Kennern diverser YouTube-Videos nicht wirklich überraschen, auf Außenstehende jedoch schockierend und verstörend wirken dürften. Neben verschwitzten schwammigen Leibern im Pogorausch, besoffenen Vollidioten, ekelhaften Nazi-Tattoos und widerlichen T-Shirt-Motiven immer wieder die – im Film als Untertitel eingeblendeten – menschenverachtenden Texte der auftretenden Bands. Immer wiederkehrend: „Blut muss fließen, knüppelhageldick...“ die antisemitisch abgewandelte Variante des „Heckerlieds“ aus der Badischen Revolution von 1848/49. Nahezu auf allen gefilmten Konzerten ertönt dieser scheinbare Evergreen der Nazi-Musikszene, begeistert mitgesungen vom sichtlich euphorisierten Publikum. Gefilmt wird hauptsächlich in Deutschland, aber auch in den angrenzenden Nachbarländern und Ungarn. Kuban begibt sich auf Blood & Honour-Festivals, auf NS- Black Metal-Shows und von den „Jungen Nationaldemokraten“ professionell organisierte Konzerte, filmt dort neben diversen Ausbünden des schlechten Geschmacks nicht selten Straftaten. Straftaten, die eigentlich verfolgt gehören. Und hier beginnt der zweite Teil der Dokumentation, in der wir Kuban wiederum verkleidet erleben: jetzt mit Sonnenbrille, Heino-Perücke, falschem Bart und gelbem Sakko. Aus Selbstschutz, wie er zugibt, denn mittlerweile gibt es Morddrohungen gegen seine Person. Der Journalist konfrontiert Entscheidungsträger mit seinen Recherchen, so zum Beispiel Günther Beckstein, den damaligen Innenminister Bayerns, als dieser den Verfassungsschutzbericht des Bundeslands auf einer Pressekonferenz vorstellt und das Thema Rechtsextremismus quasi als Randerscheinung einiger weniger Irrer deklariert. Einsam und verloren sitzt Kuban dem selbstherrlichen Beckstein gegenüber und wird so recht nicht ernstgenommen. Auffällig ist das (gefühlte?) Desinteresse aller im Raum befindlichen Menschen, so auch der anderen anwesenden Journalisten. Kuban rüttelt, zitiert aus den Texten und versucht eine Reaktion zu erzwingen – vergebens. Das Desinteresse beschränkt sich nicht nur auf die politischen Verantwortlichen – auch die Finanzierung des Films steht auf der Kippe, zu uninteressant das Thema für öffentlich-rechtliche und private Quellen, aber dennoch macht Kuban weiter. Immer wieder „Blut muss fließen...“: Ob in der sächsischen Provinz, in Bayern, in Österreich. In einer ländlichen Dorfdisco dann die einzige Stelle des Films, in der man sich ein Schmunzeln nicht verkneifen kann: Die Polizei droht dann doch mal mit der Auflösung des Konzerts und deswegen tanzen die harten Kameraden später zu „ganz normaler Discomusik“: Polonaise bei Wolle Petry, na Prost Mahlzeit! Meist bleibt die Polizei jedoch im Hintergrund, ist „auf dem rechten Auge blind“ und drückt dieses und das andere auch gerne mal zu. Kuban besucht aber auch knorrige hessische Rentner, die eine erfolgreiche Bürgerinitiative gegen Rechts gegründet haben.

Der Film pendelt also zwischen den beiden Verkleidungen Kubans hin und her, seine Kommentare aus dem Off begleiten die Szenen zunehmend mit einem immer frustrierteren Unterton, sein Zynismus weicht der erlebten Enttäuschung, zumindest scheinbar nichts bewegen zu können.

Erst gegen Ende des Films, mit der aktuellen Diskussion um die Verbrechen der NSU interessiert man sich plötzlich mehr für Kubans Arbeit. Doch soweit ich weiß sind Regisseur Peter Ohlendorf und Thomas Kuban noch immer auf der Suche nach einem Filmverleih und/oder einem potenten Partner, der ihr Projekt außerhalb der Programmkinos zum laufen bringt. Momentan versuchen die beiden den Film durch Spenden zu refinanzieren, das Spendenkonto sowie viele weitere Informationen zum Film findet
ihr auf http://www.filmfaktum.de

Eine Randbemerkung dennoch:
Es verbietet sich fast von alleine, diese ja fast masochistische Arbeit zu kritisieren.
Doch zehn Jahre in einem Milieu zu verbringen – scheinbar ganz allein? Ohne zumindest die eine oder andere – tja – „Freundschaft“ zu schließen? So etwas „muss“ man doch eigentlich schon aus Selbstschutz tun oder um an den nächsten heißen Konzerttipp zu gelangen? Denn ob man das eingestehen will oder nicht, auch die Nazi-Musikszene hat charismatische Persönlichkeiten, hat vielleicht die eine oder andere Person, die man – sic! – „sympathisch“ findet, der man sich gern offenbaren, öffnen will oder die man gerne außerhalb des Mummenschanzes kennenlernen würde. Eine Person, die aber alleine auf viele Konzerte kommt und die, während der gesamte Saal mit freiem Oberkörper tanzt, in warmer Bomberjacke am Rande steht und niemandem zuprostet, muss doch auffallen. Leider stellt der Film die Frage, welche Stellung Thomas Kuban in der Szene einnahm, nicht und bleibt somit auch die Antwort schuldig. Denn nach zehn Jahren ist man in einer geschlossenen Subszene eigentlich ein bekanntes Gesicht. Und warum zum Teufel tut sich der Mann das fast ein Jahrzehnt lang an? Auch muss sich Kuban fragen lassen, warum er sich nicht eine prominente Person des öffentlichen Lebens als Sprachrohr gesucht hat, die einem Günther Beckstein oder Wolfgang Schäuble einfach auf anderer Augenhöhe gegenüber getreten wären als – so traurig das klingt – Thomas Kuban in seiner Verkleidung.

-ecke-

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01.02.2013
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