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Dieser Artikel wurde uns als Einschätzung einer Veranstaltung im Conne Island Eiskeller zugeschickt. Da er aber nicht den inhaltlichen Mindestanforderungen der Redaktion genügt, drucken wir ihn hier nur als Leserbrief ab. Wenngleich wir die Kritik des Autoren an den Referenten teilen, halten wir sein persönliches Fazit und seine Handlungsoptionen für nicht tragbar.
dokumentation, 3.9k

Veranstaltung gegen die Realität

Oder: Die Krise in Personen. Heinrich / Ebermann / Lay / Beier am 26.02.09 im Conne Island

      „Das ganze Geld mit Quatsch verdient“
      Helge Schneider
„Alle reden über die Krise – Wir auch!“ hieß es am 26.02.09 im Conne Island. Und so wurstig wie der Titel war dann auch der Abend.
Einer passt, wie erwartet, nicht in das Affentheater: Der Politologe und Mathematiker Michael Heinrich ist der einzige, der etwas Substanzielles zum Thema „Wirtschaftskrise“ beizutragen hat. Seine kenntnisreichen Ausführungen sind immer ein Gewinn, jedes Mal ist man klüger als vorher. So auch diesmal: Heinrich gibt einen kurzen Überblick über den Verlauf der gegenwärtigen Krise, watscht en passant die Zusammenbruchstheorie ab, arbeitet das Neue an der aktuellen Krise heraus (nicht eine Teilindustrie eines Landes ist betroffen, sondern das weltweite Bankensystem), bestimmt ihre Größenordnung (mehr als zyklischer Einbruch, weniger als das Ende des Kapitalismus') und gibt am Schluss seiner Darstellung die Deutung der Krise als Ende eines bestimmten Akkumulationsmodells. Über diesen Punkt hätte man gut streiten können, wenn die drei anderen auf dem Podium nur gewusst hätten, was ein „Akkumulationsmodell“ ist.
Es tut einem in der Seele weh, dass Heinrich sein Betriebsnudeltum soweit treibt, sich mit diesen ahnungslosen Dummschwätzern (Lay, Ebermann) und gefährlichen Wirrköpfen (Beier) auf ein Podium zu setzen.



Ansonsten: Caren Lay, kaltschnäuzig, Chip im Kopf, spuckt mit der Gleichmäßigkeit eines Automaten eine Politikerfloskel nach der anderen aus. Sie will allen Ernstes, ich denke mir das ja nicht aus, „den kapitalistischen Ansatz delegitimieren“. Das soll die Dame mal versuchen, doch wenn so eine wie sie sich an ein Unternehmen dieser Art macht, dann muss am Kapitalismus was dran sein. (Eine Agentin der Liberalen? Falsch: Der Libertären.) Nur einmal zeigt sich, dass sie auch einen Temperamentmodus besitzt, als sie nämlich schier birst vor Befriedigung wegen ihres Übertretens des Nichtrauchergesetzes. Krass, krass, krass – in der antideutschen Szenehöhle neben jemandem sitzen, der Polizeiautos anzünden will (Beier) und dabei verbotenerweise Zigaretten rauchen. Da hat sie demnächst wieder was zu erzählen, die Caren, wie sie damals die hedonistische Revolution mittels Rauchen voran gebracht hat. Wodurch nur fühlt sich die libertär-Undogmatische, die ansonsten in Queer und Dingenskirchen macht, qualifiziert, etwas zur Einschätzung der Wirtschaftskrise zu sagen? Man weiss es ebenso wenig wie bei Ebermann, dem Wüterich des Abends.
Der liest Zeitung und flucht darüber vor Publikum. Nicht nur, dass er nichts anderes kann, er steht auch unter dem Zwang, es immer und immer wieder tun zu müssen. Credo der Presseschau: Alles so sinnlos hier, Arbeiter rassistisch, wollen nicht die richtige Revo machen, Experten dumm, weil falsche Prognosen produzierend, Parteien Scheiße, weil immer dem System verhaftet, Wahrheit höchstens bei der kleinen, ganz radikalen Linken.
Darf ich zum Spielen bitte meine Antideutschen zurück haben?

Doch halt, Ebermann liest nicht nur Zeitung, sondern auch das Buch eines Bischofs Marx; der nämlich hat eine „Streitschrift“ mit dem Titel „Das Kapital“ geschrieben und was da drin steht, ist ganz bestimmt nicht sonderlich intelligent. Unter anderem beklagt Marx dort den Werteverlust unserer Gesellschaft, gegen den idealistisch daher salbadert wird – wir müssen uns alle etwas mehr anstrengen, ein kleines bisschen ändern, alte Werte neu installieren damit alles gut werde. Ebermann höhnt, hetzt, tobt, schlägt sich an den Kopf, kann sich nicht einkriegen. So geht Leidenschaft fürs junglinke Publikum. Der Bischof meine, „wir sollen uns an den Blümchen am Wegesrand erfreuen“, statt Schluss zu machen mit der ganzen Scheiße höhöhö, wiehert Ebermann; er badet in Radikalität und trägt im nächsten Moment seine Verzweiflung zur Schau, wie andere ihr neues Marken-T-Shirt. Das Publikum quiekt vor Freude, obwohl es zusammen mit Ebermann das Leid der Arbeitnehmer aller Länder auf seine Schultern lädt: Der Referent befindet, die Menschen müssten auf dem Weg zur Arbeit all ihre Kreativität abstellen. Wen meint er nur? Für sein Publikum, die Szenies, denen die Promotion als Errettung vorm Hungertod gilt, trifft das wohl nicht zu. Die, die da den lieben langen Tag an der Uni herumsitzen, kritisch querdenken und traurig sind über die dummen Leute draußen, diejenigen, die tagein tagaus die Umerziehung derjenigen ins Werk setzen von deren Arbeitsleistung ihr Lebensunterhalt samt Studium finanziert wird, benötigen selbstverständlich Kreativität.

Zurück zum Bischof: Es gehört so gar nichts dazu, die gesellschaftspolitischen Ansichten eines exponierten Mitglieds der Katholischen Kirche zu kritisieren. Ganz davon abgesehen, dass deren Vorstellungen im Gegensatz zu denen der alt gewordenen linken Rabauken Ebermann und Beier sehr substanziell sind: Vergebung, Schwache stärken, Mitfühlen, gute Werke tun, Bewahrung der Schöpfung. Das Podium hat mir statt dessen anzubieten: Hedonismus (= in schlecht ausgeleuchteten Szenehöhlen Bier trinken), Polizei angreifen, Emanzipation (von allem möglichen), Individualismus und ein unspezifiziertes gutes Leben (ich nehme an: Alles für alle und zwar sofort!, womit eben doch immer nur das Leerräumen eines Supermarkts und dessen sofortige Wiederauffüllung durch irgendwen anders, den man nicht kennen will, gemeint ist. Begrenzte Ressourcen? Uns doch egal, wir machen Kommunismus schalalalala!). Könnte ich von diesem Trash bitte ausgenommen werden? Lässt es sich einrichten, dass diese wunderbare Gesellschaft um mich einen großen Bogen macht? Das wäre sehr schön.

Zwischendurch anempfiehlt uns Bernd Beier von der Jungle World die Riots in Griechenland. Wie großartig das sei, was „da geht“, merke man daran, dass sogar Polizeiautos „abgefackelt“ werden. Meine Güte, er ist nun Redakteur einer postmodern-linken Zeitung, die von angehenden Akademikern goutiert wird, kommt mit dem, was er dabei verdient wohl halbwegs hin – jetzt könnte er so langsam auch mal groß werden.



Diskussion: Aus dem Publikum kommt zunächst die zerknirschte Bemerkung, „wir“ (also wohl der Sprecher und seine Freunde) hätten damals jede aufkommende „Bewegung zerschlagen“ und heute in der Krise stehe man ohne Handlungsoptionen da. Hier hätte man wirklich mal lachen können. Nichts haben „wir“ gelernt, die Sprache ist immer noch genau so unangenehm martialisch wie je, der Horizont reicht gerade bis zur nächsten Bewegungsmöglichkeit. Doch wer soll noch lachen – alle Nase lang wird eine neue Sau durchs linke Dorf getrieben, wer weiß denn noch, dass mit der „Bewegung“ Anti-Hartz IV-Demos und Friedensmärsche gemeint sind?
Der Ebermann-Fanblock lässt sich von soviel Verzagtheit nicht beeindrucken und steht Generationen übergreifend: Ein paar schwer radikale junge Frauen neben mir wollen gar „abstimmen“ – alle seien für Ebermann und dann könne man hier auch „Schluss machen“. Ich melde leise Protest an.

Als Ebermann nun gar verkündet, der Selbstmord des Ratiopharm-Patriarchen Adolf Merckle hätte ihn „amüsiert“, hält es die Leipziger Mescaleros kaum noch auf ihren Plätzen. Nun sind wir im Bilde, wes Geistes Kind dieses Publikum ist und wie weit es der totalitären Versuchung schon erlegen ist. Ebermann als so ganz echter Gesellschaftskritiker empfindet es als „Zumutung“, etwas über die Pendlerpauschale zu sagen, mutet uns aber zu, seinen Selbstmord-Perversionen Gehör zu schenken. Was da aus dem Bekloppten-Sumpf des Hermann L. Gremliza aufsteigt, übertrifft unsere ärgsten Befürchtungen. (Es ist ja nicht nur der Elsässer – Ebermann und Trampert schreiben seit gefühlten hundert Jahren immer und immer wieder ihren Unfug in „konkret“ und fliegen im Gegensatz zur Volkselse leider nicht raus.)

Zweierlei Erfreulichkeiten sollen erwähnt werden, beide aus dem Publikum:
Zunächst jemand, der – recht kryptisch – meint, das Problem sei doch, bei aller Berechtigung der Umverteilung von oben nach unten, das Verhältnis des Menschen zum „Material“. Natürlich wird er nicht ernst genommen, natürlich geht niemand auf ihn ein. Ich hätte gern genaueres erfahren, doch leider hat er die Veranstaltung vorzeitig verlassen. (Junger Mann, wenn sie das hier lesen, stellen sie doch einmal in einem Artikel oder auch in einer mail über die Redaktion an mich dar, wie sie es damals gemeint hatten. Ihr „Material“ klang mir fatal nach Geld und nicht nach „Stoff“, zu dem man ein sinnliches Verhältnis aufbauen könnte.)
Und da wäre noch der knochentrockene Teilnehmer, der dem Spaßmacher Ebermann ungerührt in die „leidenschaftliche“ Parade fährt und ihm vorwirft, „die eigene Marginalisierung zu rationalisieren“. Das ist weich formuliert, in der Sache aber richtig. Zwar möchte er damit Frau Lay raushauen, doch sei`s drum – wenigstens will da jemand noch etwas und suhlt sich nicht in Vernichtungsfantasien wie der ganze modisch-melancholische Rest.

Persönliches Fazit:

Fast jede Ordnungsmacht ist mir recht, um diese Leute im Zaum zu halten, um dafür zu sorgen, dass der in ihren Köpfen tickende Irrsinn keine größeren Gruppen junger Menschen ansteckt. Meinetwegen kann Ebermann die Blumen am Wegesrand zertrampeln, Frau Lay im Namen von Hedonismus, Individualität und Gedöns kostenlos Drogen verteilen oder Bewegungs-Bernd sich an „abgefackelten“ Polizeiautos delektieren. Bitte gern. Doch wo immer eine Veranstaltung mit diesem Personal auf dem Programm steht, ist Gefahr im Verzug.

Und die „Handlungsoptionen“? Hier bitte:
Wer noch nicht übergeschnappt ist, sollte an seinem je eigenen Platz dafür sorgen, dass das gesellschaftliche Kräfteverhältnis sich gegen den postmodernen Unverstand wendet: Ein funktionsfähiges Rechtssystem samt dem Gewaltmonopol des Staates, das wenigstens die ärgste Brutalität eindämmt, muss verteidigt werden. Harte Drogen gehören gesellschaftlich geächtet. Die Schwachen, Alten, Kranken brauchen alltägliche Hilfe. Werte müssen im Alltag offensiv vertreten werden, das Kokettieren mit physischer und psychischer Gewalt muss ein Ende haben (hierher gehört bspw., die Rede von „Militanz“, „Sportgruppen“, „Erlebnisorientierung“ als das zu entlarven, was sie ist: die Beförderung der widerwärtigsten Brutalität). Soweit die kurzfristigen „Handlungsoptionen“. Langfristig geht es um die Durchsetzung des ökologischen Umbaus der Industriegesellschaft ohne libertär-hedonistische Schlaraffenland-Flausen. Er wird befördert bspw. durch parlamentarische Initiativen gegen den Ausstieg aus dem Atomkraftausstieg, gegen grüne Gentechnik, Biopiraterie und die weitere Betonierung der natürlichen Umwelt, sowie außerparlamentarische Aktionen gegen jede Zerstörung der Natur von Pflanze, Tier und Mensch und durch die Ausübung von Konsumenten-Macht.

Das Lesen der Zehn Gebote und der Bergpredigt hat übrigens noch keinem geschadet.
Es geht darum, dass Menschen wieder lernen, was gut und was böse ist, dass sie lernen, das Gute zu tun und das Böse zu lassen. So wird es ihnen auch wieder gelingen, sich an den Blumen am Wegesrand zu erfreuen. Zumindest an denen, die Ebermann und seinesgleichen übrig gelassen haben.

Holger

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last modified: 24.3.2009