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From Hitler Youth
To Papa Ratzi…


Titelte die englische „Sun“ nach der Wahl des deutschen Kardinal Joseph Ratzinger zum Papst der römisch-katholischen Kirche am 19.04.2005. Das kam zwar im UK halbwegs gut an – schließlich ist Joseph Ratzinger Katholik UND Deutscher; vereint daher zwei der größten Feindbilder der Briten in sich – in Deutschland allerdings empfand man das Ganze als Übertreibung und Beleidigung. Das deutsche Aushängeschild für sachliche, informative und politisch sensible Berichterstattung – die BILD – sprang für den frisch gebackenen Benedikt in die Bresche und gab sich redlich Mühe, dessen zugegebenermaßen halbwegs harmlose Nazi-Karriere(1) mit dem klassischen „er war jung und brauchte die gesellschaftliche Anerkennung“ zu rechtfertigen. Die ganze Geschichte hätte relativ schnell vom Tisch sein können. Benedikt XVI. hätte anfangen können, krank zu werden und so undeutlich zu sprechen wie sein Vorgänger und bis zu seinem nahen Tod hätte die halbe Welt zwar unverständlich den Kopf geschüttelt, weil der alte Mann glaubt, seine
Führers Gasthaus, 46.9k
Das hätte es früher nicht gegeben:
Der Führer gönnt sich zwei Ruhetage und streicht ersatzlos das Mittagessen.
Befehle von Gott zu bekommen, aber mit Nationalsozialismus oder Antisemitismus hätten ihn nicht allzu viele in Verbindung gebracht. Doch so einfach sollte es nicht sein.
Es ist zwar im Allgemeinen die Aufgabe religionskritischer Initiativen, das Image geistlicher Autoritäten zu zerstören, jedoch wäre die Kritik am deutschen Papst verblasst und nur marginal wahrnehmbar gewesen, hätten jene Initiativen nicht einen mächtigen Verbündeten. Denn bei allem Respekt: was an materialistischer Religionskritik z.B. hier im CEE IEH veranstaltet wird, ist zwar ehrenwert und richtig, wenn es jedoch um unpopuläre Statements und peinliche Fettnäpfchen auf dem Weg durch die wachsame Weltöffentlichkeit geht, so hat niemand der römisch-katholischen Kirche einen so großen Imageschaden zugefügt wie Papst Benedikt XVI. selbst. Seinen lang erarbeiteten Ruf als reaktionärer „Panzerkardinal“ Ratzinger konnte er mühelos in seinen neuen Job als Mann in weiß hinüberretten. Und so kam es, dass eine eigentliche Selbstverständlichkeit, nämlich die, dass die katholische Kirche eine Menge reaktionäre, frauenfeindliche und antisemitische Kräfte in sich vereint, im beginnenden Jahr 2009 als medienwirksamer Skandal herausgeputzt wurde. Was war geschehen?
Schon als Kardinal vermittelte der damalige Ratzinger zwischen Rom und der abtrünnigen Priesterbruderschaft St. Pius X. (FSSPX). Dieser von Marcel Lefebvre 1970 gegründete Orden, wird vom Vatikan seit 1975 nicht als Teil der römisch-katholischen Kirche betrachtet, weil er die Neuerungen und Lehren des II. Vatikanischen Konzils(2) nicht anerkennt. Seine Glaubensauslegung sieht er als „eigentlichen“ Katholizismus an, der von Rom aus untergraben werden soll. Weil Lefebvre 1988 vier Bischöfe ohne Erlaubnis des Papstes geweiht hatte, wurden er und diese vier Bischöfe exkommuniziert, d.h. sie wurden aus der Kirchengemeinschaft ausgeschlossen (Ein wirklicher Ausschluss – auch ein Austritt – aus der römisch-katholischen Kirche ist kirchenrechtlich nicht möglich). Es braucht nur 15 Minuten Zeit und Google um in einige der Abgründe dieser Bruderschaft zu blicken. Im Prinzip reicht auch schon Wikipedia, um zu lesen, dass wir es hier mit einer Vereinigung zu tun haben, die die Lehren der Aufklärung in ihren Schulen so unterrichtet wie Krankheiten im Medizinstudium(3) und die Frauen nicht an den Universitäten sehen will, da diese keine Uni bräuchten „um das meiste von dem zu lernen, was Mädchen unterrichtet zu werden brauchen, zum Beispiel Hauswirtschaft, Einrichtung und Unterhalt eines Heims, Pflege und Erziehung der Kinder, die geistige und soziale Vorbereitung auf die Ehe“(4). Weiterhin plädieren die Herren für einen katholischen Gottesstaat mit Todesstrafe, ohne zivile Ehescheidung, mit christlichen Vertretern anstellen von Parteien und natürlich für „ein wesentlich auf die Familienoberhäupter abgestütztes Wahlrecht“(5).
Aber wäre eine reaktionäre katholische Verbindung nicht furchtbar identitätslos ohne eine satte Portion Antisemitismus? Wäre Sie! Und deswegen hat die FSSPX weitere ideologische Munition geladen, die es in sich hat. Nicht nur, dass sie den mittelalterlichen Antijudaismus religiöser Prägung beinahe unverändert ins 21. Jh. gerettet haben (die Juden haben Jesus umgebracht, planen die Inthronisierung des Antichrist in Jerusalem, töten Christen, unterwandern den christlichen Staat etc.(6)). Sie ergänzen ihn auch um jedes noch so kitschige Klischee des modernen Antisemitismus. Womit wir auch schon beim prominentesten Bischof der Piusbruderschaft und dem zweiten Hauptakteur des aktuellen Skandals sind: Richard Williamson. Der 1970 von der anglikanischen Kirche zum Katholizismus konvertierte Brite ist sozusagen genau das, was sich jeder Religionskritiker von einem katholischen Bischof erhofft: ein antisemitischer, reaktionärer Frauenfeind in hohem christlichem Amt, der politisch genug ist, seine Kanzel auch mal dafür zu nutzen, die Anschläge des 11.9.2001 den USA in die Schuhe zu schieben.
Dass derselbe Papst, der als Jugendlicher 1945 am Flak die BMW-Werke für Hitler verteidigt hat, nun die Exkommunikation der Pius-Bischöfe aufhob, ist natürlich erschreckend, aber nicht weiter überraschend. Er hat sich stets um die Versöhnung mit den Hardcore-Katholiken bemüht. Zunächst einmal führte er die Verhandlungen mit dem Gründer und Erzbischof der FSSPX: Marcel Lefebvre. Dann 2007 – nun als Papst – veränderte er die traditionelle Karfreitagsfürbitte für die Juden so, dass im Gegensatz zur Fassung von 1970, die nach dem II. Vatikanischen Konzil entstand, nun wieder nicht für die Juden gebetet wurde, sondern für deren Bekehrung. Und eine weitere Annäherung bestand in der Zulassung, einen Gottesdienstritus von 1962 (ebenfalls vor dem II. Konzil) unter bestimmten Bedingungen wieder zu erlauben. Die Piusbruderschaft benutzt nämlich nur Messbücher und Riten, die vor dem für sie modernistischen Konzil entstanden.
Ein Brief vom 15.12.2008 des Generaloberen der FSSPX – Bernard Fellay – in welchem er schrieb, die Geistlichen der Bruderschaft wollen Rom dienen, reichte dann auch schon aus, um die Exkommunikation der Bischöfe aufzuheben, die immer gegen den Vatikan als modernistische, antikatholische Institution gehetzt haben(7). Dass Benedikt XVI., wie anschließend verkündet, zu diesem Zeitpunkt nichts von irgendwelchen Holocaustleugnungen wusste, kann gut möglich sein. Zwar hatte R. Williamson bereits 1989 in Kanada über Auschwitz gesagt: „Dort wurden keine Juden in den Gaskammern getötet! Das waren alles Lügen, Lügen, Lügen! Die Juden erfanden den Holocaust, damit wir demütig auf Knien ihren neuen Staat Israel genehmigen. […] Die Juden erfanden den Holocaust, Protestanten bekommen ihre Befehle vom Teufel, und der Vatikan hat seine Seele an den Liberalismus verkauft“(8), wenn man jedoch wie der „fleißige Deutsche“ (Focus Online) lieber an seinen Enzyklen schreibt, sich gegen Verhütung bzw. für HIV-Infektion ausspricht oder damit beschäftigt ist, die kirchlich bestätigte Hetero-Ehe als einzige Möglichkeit für Sex zu propagieren, dann kann man so eine Kleinigkeit schon mal übersehen.
Es ist daher zwar alles in allem zu befürworten, wenn z.B. Israel damit droht, die Beziehungen zum Vatikan abzubrechen. Alle Staaten sollten das. Und auch generell ist mehr als nur Empörung über die Entwicklungen in Rom angebracht. Aber warum so überrascht? Wir reden hier immerhin über die katholische Kirche und nicht über eine Menschenrechtsorganisation. Man könnte genauso gut von Soldaten fordern, sie mögen keine Waffen mehr benutzen. Denn selbstverständlich ist Holocaustleugnung kein Verbrechen gegen Gott, so wie es das Benutzen eines Kondoms, Abtreibung oder Blasphemie ist. Und selbstverständlich hat der Papst Besseres zu tun, als sich um die liberalen Belange der gottlosen Weltöffentlichkeit zu kümmern, dafür ist er ja Papst. Dass im Europa der letzten 200 Jahre viele blutige Freiheitskämpfe gewonnen werden mussten, damit wir uns heute über die purpurnen Knabenliebhaber lustig machen dürfen, sollte uns an etwas erinnern: die Kirche sollte nicht liberaler, weltoffener oder freundlicher zu Juden werden, sondern aufhören.

sisyphos

Anmerkungen

(1) Joseph Ratzinger war – Überraschung! – als 14jähriger bei der HJ und später mit 16 als Flakhelfer eingesetzt bevor er kurz vor Kriegsende im Tumult der bevorstehenden Niederlage desertierte. Abgesehen davon wuchs er in einem bayrischen Dorf auf, dessen gesellschaftliches Klima sich wohl kaum vom Durchschnitt der deutschen Dörfer im NS unterschieden haben dürfte.

(2) Das Konzil wurde 1965 beendet und bedeutete die Annäherung der katholischen Kirche an bürgerliche Ideale wie Religionsfreiheit oder den Dialog mit anderen Religionen.

(3) Vgl.: fsspx.info/mbonline/pdf/mb-2005-7.pdf

(4) www.sspx.ca/Documents/Bishop-Williamson/September1-2001.htm

(5) www.einsicht-aktuell.de/index.php?svar=5&artikel_id=1227

(6) www.adl.org/main_Interfaith/Society_Saint_Pius_X.htm?Multi_page_sections=sHeadin_5

(7) Die Bischöfe sind allerdings trotzdem noch von ihren Ämtern suspendiert. Die Aufhebung der Exkommunikation sagt nur aus, dass sie wieder Mitglieder der katholischen Kirchengemeinschaft sind.

(8) www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/0,1518,605239,00.html – Diese Leugnung zog auch einen Prozess nach sich, dem sich Wiliamson durch Verlassen des Landes entzog. Seine Ansichten bestätigte er noch einmal Ende 2008 in einem schwedischen Fernsehinterview, in dem er sich auf den pseudowissenschaftlichen Leuchter Report bezog, nach dem die Gaskammern in Auschwitz nur zur Desinfektion benutzt wurden.

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last modified: 20.2.2009