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Aus Maos Mottenkiste


Wer Marx mal gänzlich undialektisch haben möchte, der sollte sich dem Maoismus widmen. Das scheint mittlerweile zwar etwas out, aber wenn sich der neu gegründete SDS erst wieder in noch marginalere Kleinst-Gruppen gespaltet hat, wird Mao sich seines posthumen Revivals nicht mehr erwehren können. Denn wer aus Marx schon immer nur Handlungsanleitungen destillieren wollte, ist bei Mao genau richtig.
Mag er auch die ein oder andere feudale Fessel von vielen Chinesen gelöst haben, ist es aber geradezu eine geschichtsmetaphysische Herausforderung, sich zu erschließen, warum man sich in der Deutschen Linken der 70er – ff., denn die Auflage des Autors dieses Artikels ist auf 1993(!) datiert – gerade Mao und seine Bibel „Worte des Vorsitzenden Mao Tsetung“ als theoretisches Hauptwerk ins Regal stellte.

Worte des Vorsitzenden Mao Tsetung, 40.6k

Was ist denn Kommunismus unter Mao? Die Gretchenphrase unter Kommunisten: Wie hält er es mit der Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die freie Entwicklung aller ist?
Die Kommunisten müssen das Prinzip begreifen, daß die Erfordernisse eines Teils den Erfordernissen des Ganzen unterzuordnen sind. Wenn irgendein Vorschlag vom Standpunkt eines Teils ausführbar, aber vom Standpunkt des Ganzen unausführbar ist, muß sich der Teil dem Ganzen fügen. Ebenso verhält es sich im umgekehrten Fall: Wenn er für den Teil unausführbar, für das Ganze aber ausführbar ist, auch da muß sich der Teil dem Ganzen fügen.(1)
…und untergehen? Oder wie darf man sich letzteres vorstellen? Was, wenn das vom Individuum nicht eingesehen wird? Dann kommt
…[die] demokratische Methode der Lösung von Widersprüchen im Volke durch die Formel ‚Einheit – Kritik – Einheit` konkret zum Ausdruck. Etwas ausführlicher ausgedrückt, bedeutet das: von dem Wunsch nach Einheit ausgehen, durch Kritik oder Kampf die Widersprüche lösen, um damit eine neue Einheit auf neuer Grundlage zu erreichen. Unsere Erfahrung zeigt, daß das eine richtige Methode zur Lösung der Widersprüche im Volke ist.
Es wird auch eine ausgefeilte Subjekttheorie des Kommunisten entfaltet. Hier hat Ché wohl für „Der neue Mensch“ ein wenig bei Mao abgekupfert:
Niemals und nirgends darf ein Kommunist seine persönlichen Interessen an die erste Stelle setzen; er muß sie den Interessen der Nation und der Volksmassen unterordnen. Deshalb sind Selbstsucht, Passivität und Lässigkeit, Bestechlichkeit, Geltungsdrang usw. höchst verächtlich; dagegen sind Selbstlosigkeit, Aktivität und Eifer, Selbstaufopferung für das Gemeinwohl und zähe, harte Arbeit achtunggebietend.
Was? Kein Müßiggang im Kommunismus? Worauf primär gesetzt wird, also was das Wesen des Kommunismus maoistischer Prägung ist, wird im folgenden Zitat deutlich. Mich würde wirklich Interessieren, wie Post-68er (neben obigem Zitat, daß auch hätte von ihren Eltern/Großeltern stammen können) folgende Transzendentalien der Kriegsführung damals in diversen K-Gruppen diskutiert haben:
In allen Zeiten führte man Krieg mit Speer und Schild: Mit dem Speer griff man an, um den Gegner zu vernichten, mit dem Schild wehrte man ab, um sich selbst am Leben zu erhalten…
Ha, wer meint, Dialektik sei Harter Tobak, wird hier Lügen gestraft. Noch nicht überzeugt? Es geht noch weiter. Zum Genießen, hier der vollständige Aphorismus; denn auf 17 Zeilen finden sich alle dialektischen Grundgesetze erschöpfend dargestellt: Gegenseitiges Durchdringen und Synthese der polaren Gegensätze sowie Ineinander-Umschlagen werden hier nachgerade auf die Spitze getrieben:
… Noch bis aus den heutigen Tag sind die Waffen eine Weiterführung von Speer und Schild. Bomber, Maschinengewehr, Ferngeschütz, Giftgas – all das stellt eine Weiterentwicklung des Speeres dar; Luftschutzunterstand, Stahlhelm, Betonbefestigungsanlage, Gasmaske – das alles ist eine Weiterentwicklung des Schildes. Der Panzer ist eine neuartige Waffe, die beides, Speer und Schild, miteinander kombiniert. Der Angriff ist das Hauptmittel zur Vernichtung des Gegners, aber auch die Verteidigung ist unentbehrlich. Der Angriff zielt direkt auf die Vernichtung des Gegners ab, dient aber zugleich auch der Selbsterhaltung; denn wenn man den Feind nicht vernichtet, wird man selbst vernichtet. Die Verteidigung gilt unmittelbar der Selbsterhaltung, doch ist sie gleichzeitig ein Hilfsmittel des Angriffs oder ein Mittel, den Übergang zum Angriff vorzubereiten. Der Rückzug gehört zur Kategorie der Verteidigung, ist ihre Fortsetzung; die Verfolgung hingegen ist eine Fortsetzung des Angriffs. Man muß darauf hinweisen, daß unter den Kriegszielen die Vernichtung des Feindes die Hauptsache ist und die Selbsterhaltung an zweiter Stelle kommt; denn nur wenn man den Feind in großer Zahl vernichtet hat, kann die Selbsterhaltung gewährleistet sein. Daher ist der Angriff als Hauptmittel zur Vernichtung des Gegners primär und die Verteidigung als Hilfsmittel für die Vernichtung des Feindes und als ein Mittel der Selbsterhaltung sekundär. Bei der praktischen Kriegsführung spielt zwar die meiste Zeit die Verteidigung und in der restlichen Zeit der Angriff die Hauptrolle; betrachtet man aber den Krieg als Ganzes, dann ist dennoch der Angriff das Primäre.
Der Krieg als Ganzes, ja, da wird Gesellschaft noch als richtige, ganz konkrete Totalität gedacht. Da könnten sich die Wertkritik-Waschlappen eine Scheibe abschneiden.
Aus der Geschichte der chinesischen Revolution und deren permanenter Kriegsführung ist es irgendwie ableitbar, warum diese äußerst praktische Dialektik der Militärstrategie entwickelt wurde(2), aber warum findet sie sich, zusammen mit zig anderen kruden Sentenzen zum Taschenbuch vereint, als der Referenzpunkt deutscher Marxisten der 70er wieder? Warum die Begeisterung für den Maoismus in Deutschland? Zu vermuten ist, daß die Deutschen sich jedem Sozialismus mal widmen…
…das ist der Lauf der Geschichte, das ist die Geschichte der Zivilisation von Tausenden von Jahren. Erklärt man die Geschichte von diesem Standpunkt aus, so heißt das historischer Materialismus; nimmt man den entgegengesetzten Standpunkt ein, so ist das historischer Idealismus.
So einfach läuft der Hase

Abe

Anmerkungen

(1) Alle folgenden Zitate stammen aus oben genannten Buch.

(2) Würde in dem Buch nicht permanent auf pathetischste Weise das Gegenteil behauptet, könnte man fast meinen, es ginge gar nicht um Wahrheit, sondern wäre in pragmatischer Absicht verfasst

  • review-corner: Maoismus aus CEE IEH #151

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last modified: 20.2.2009