home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[156][<<][>>]

das Erste, 0.9k

Der Commandante geht 'rum.
Über Che Guevara.

Über den „vollkommenste Mensch unserer Zeit“ (Jean-Paul Sartre)

    „Und bist kein Bonze geworden,
    kein hohes Tier, das nach Geld schielt
    und vom Schreibtisch aus den Held spielt
    in feiner Kluft mit alten Orden.
    Uns bleibt, was gut war und klar war....."

    (Wolf Biermann „Commandante Che Guevara", 1976)

Banknote mit Che-Konterfei, 71.9k

Als sich im Spätherbst des Jahres 1956 weniger als 100 entschlossene Kämpfer auf das Deck der Granma (Grandma:Großmutter), einem beinahe fahruntauglichem Motorboot, begaben, um von Mexiko aus kubanische Revolutionsgeschichte zu schreiben – erfolgreich wie sich später heraus stellen sollte – war unter ihnen auch jene Persönlichkeit, die bis heute ungebrochen Faszination ausübt: Ernesto Guevara. Nun ja, Che, beinahe hätten wir vergessen dir zu gratulieren, wollen das aber doch nachholen. Im Juni wärst du 80 Jahre alt geworden, „wärst" meint natürlich nur deinen Leib, da auch wir wissen, dass dein Geist mit denen ist, die ihn brauchen. Und weil du so ein guter Mensch warst (bist), wie schon Wolf Biermann, Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir, Diego Maradona und tausende Linke vor uns feststellten, werden wir dir einen Artikel in unserem kleinen Revoluzzer-Blatt widmen. Wir wünschen dir also alles erdenklich Gute und weitere achtzig Lebensjahre. Was aber heute mit dir veranstaltet wird, stimmt uns bedenklich, du, Ernesto, wirst benutzt, ja wirklich, von Nazis, von ausgebrannten Regisseuren, kapitalistischen Online-Versänden oder Feuilletonautoren, denen nichts besseres einfällt, als deine Person auszuschlachten. Das hättest du wohl so nicht gewollt, genauso wie du es bestimmt verhindert hättest, dass neben unendlich vielen Konterfeis auf sozialistischen Häuserrückseiten und WG-Fußmatten nun auch eine Statue von Che Guevara über deine Heimatstadt Rosario thront. 75.000 Bronzeschüsseln musste die argentinische Bevölkerung zusammentragen, damit dein 3-tonniger aus Bronze gegossener Zwillingsbruder geboren werden konnte. Umso erstaunlicher, da du ja gar kein Argentinier mehr, sondern wenige Tage nach dem Sieg der Revolutionsarmeen über das Regime „Batista" im Februar 1959 nicht nur zum kubanischen Staatsbürger gemacht worden bist, sondern sogar zum „geborenen kubanischen Staatsbürger" – denn als Allochthoner wäre dir verwehrt geblieben, Ministerposten übernehmen zu dürfen. Was angesichts deiner Leistungen als Leiter der Nationalbank und Industrieminister auch besser gewesen wäre. Betrachtet man deine Geniestreiche im Amt, scheint die Anekdote zu stimmen, derzufolge du auf der Versammlung, auf der ein Freiwilliger für den Posten des Nationalbankchefs gesucht wurde, eingeschlafen sein sollst; du hast, so wird behauptet, in deinem Dämmerzustand nicht verstanden, es werde ein erfahrener „economista" (Ökonom) gebraucht, sondern ein erfahrener „comunista" und hast daraufhin selbstverständlich deinen Arm gehoben. Einmal im Amt, wolltest du beides (economista und comunista) kombinieren und postwendend das Geld abschaffen, damit die Menschen mit dem Geld auch ihre Gier danach verlieren. Ein raffinierter Schachzug sollte es werden, auf dem Weg zum neuen Menschen. Das hat so grandios funktioniert, dass du jetzt sogar selbst auf dem Drei-Pesos-Schein verewigt wurdest.

Heutzutage lassen sich die Leute zu runden Jubiläen ganz besondere Sachen einfallen, das war bestimmt zu deiner Zeit auch schon so. Zum Beispiel hat Steven Soderbergh pünktlich zum 80. gleich zwei Filme über dich in die Kinos gebracht. Im ersten Teil „The Argentine" (schlecht gewählter Titel, da du doch „geborener kubanischer Staatsbürger" bist/warst) kommst du ganz gut weg, als Verteidiger der Armen und grandioser Militärstratege, der zweite Abschnitt „Guerilla" (genau der richtige Titel) zeigt dann leider auch deine Schwächen körperlicher und – ja auch die – menschlicher Natur, aber Schwächen machen eine große Persönlichkeit aus. Interessieren dürfte dich, als Experten für einen kritisch-richtigen Umgang mit Geld, dass die Produktion (immerhin 62 Mio. Euro teuer) des Mammutprojektes ganz ohne „nordamerikanisches Geld" und die Logistik der großen Studios auf die Beine gestellt werden konnte, da man in den USA immer noch ein wenig sauer ist auf Che Guevara, weswegen es auch noch offen bleiben muss, ob es eine englische Version und damit den großen Erfolg der Filme geben wird. Denn der unglaublich unterirdische und langweilige Film über deinen Ethno-Tourismus via Motorrad wurde ja ins Englische übersetzt und hatte trotz seiner Qualitätsarmut großen Erfolg. Am Darsteller deiner Person im aktuellen Film soll der Erfolg jedenfalls nicht scheitern: Benicio Del Toro (Oscar für die beste Nebenrolle in „Traffic", 2001) hat den „Commandante" so gut gespielt, dass die Jury der Filmfestspiele von Cannes nicht darum herum kam, ihn mit der „Goldenen Palme" für den besten Hauptdarsteller zu prämieren, was sicher nicht an den schauspielerischen Fähigkeiten des Del Toro lag, sondern vielmehr an deinem verwegenen und daher charismatischen Aussehen gelegen haben dürfte, das Del Toro kopierte. Wer halt sexy ist, hat auch Erfolg, und dein Blick, du weißt schon welcher, ist verdammt sexy. Jener Blick, den der Hoffotograf der kubanischen Revolution, Alberto Korda, der heute beinahe berühmter ist als sein Model, im März 1960 in einem genialen Moment mit seinem 90mm Objektiv festhielt und der heute die am weitesten verbreitetest Fotografie der Welt schmückt. Keinen einzigen Peso hat Alberto Korda ehrenhafterweise mit deinem Abbild verdient (dabei hätte er ohne weiteres den Titel world's greatest t-shirt salesman und ein Bild von sich auf dem Titelblatt des Forbes Magazine einheimsen können), bis 2000 ein Spirituosenhersteller mit deinem Foto auf Werbertour ging. Nein nicht „Havanna Club", damit hätte sicher niemand ein Problem gehabt, auch nicht der alte, Rum schlürfende Che, sondern „Smirnoff" ein Wodkaproduzent, amerikanischer Herkunft obendrein. Das ging auch Alberto Korda zu weit und er verklagte „Smirnoff" auf Schadensersatz. Das solltest du mit Wolf Biermann vielleicht auch machen, dann aber auf Schmerzensgeld.

Ach Ernesto, ihr hattet damals noch Zeit für die ein oder andere romantische Revolution, heute ist das alles ein wenig anders. Heute spielen Mobilität und Flexibilität die ersten Geigen und die Uhren ticken wesentlich schneller, wobei Zeit immer wertvoller wird, besonders dann wenn man im Besitzt des Uhrenmodells „Che" der schweizer Firma „Swatch" (laut Firmensprecher „very trendy") ist, gewinnt der hektische Blick auf die Uhr eine ganz andere, verträumte Bedeutung. Für „Swatch" entsteht der Imageverlust nicht dadurch, dass – verzeih es kann nicht verborgen bleiben – du ja eigentlich Rolex-Träger warst, wie Fidel auch. Aber wahrscheinlich empfindest du es als angenehme Abwechslung, auch mal die Armbänder deiner Kollegen Bankmanager zu zieren, als immer nur an WG-Wänden ach so linker Studenten gekreuzigt zu werden. Apropos Kreuzigung: Das hast du dir bestimmt nicht gewünscht, als Jesus-Surrogat in einer säkularisierten Gesellschaft für bauchlinke Mittelklasse-Kinder in der ganzen Welt herhalten zu müssen.

Im Kongo hast du dann versucht, deinen Revolutionsbemühungen einen internationalen Anstrich zu verleihen, musstest aber leider feststellen, dass dein Internationalismus nicht von den Kongolesen geteilt wurde und deine Imperialismustheorien nicht aufgingen. So platzte der afrikanische Traum und ernüchtert kehrtest du nach Südamerika zurück. Aber nicht in Fidels Schoß, sondern gleich auf zur nächsten Revolution – getreu dem Motto „zwei, drei, viele Vietnams" zu schaffen. Den Spruch hat übrigens ein ziemlich bekannter deutscher Linker von dir adaptiert. Das sollte dir zu Denken geben, denn Dutschke hat auch immer gerne von Völkern gesprochen – und dabei nicht gelacht, also scheint er dich ja richtig verstanden zu haben.

Zum Ende lieber Che, erhält Wolf Biermann noch ein letztes Mal das Wort, das tut uns auch Leid, aber man fragt sich heute so oft „was bleibt?" und nur selten erhält man zufrieden stellende Antworten.

    „Uns bleibt, was gut war und klar war:
    Daß man bei Dir immer durchsah
    und Liebe, Haß, doch nie Furcht sah,
    Comandante Guevara"

Abe und Bruno

home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[156][<<][>>][top]

last modified: 8.7.2008