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„Heimaaat deine Sterne.....“

oder: Sind wir nicht alle ein bisschen vertrieben?

Der 19. März 2008 ist ein denkwürdiger Tag für alle, die sich auf ein „Zentrum gegen Flucht und Vertreibung“ gefreut haben. Im Deutschland-Haus auf dem Potsdamer Platz in Berlin soll es nun endlich seine Heimat finden und die „Schicksale Deutscher und anderer Völker nach dem II. Weltkrieg dokumentieren“. Vorschläge, das Zentrum in Städten wie Wroc@aw, Gdansk oder Priština zu errichten, wurden ignoriert. Dieses neue vom Bundeskabinett beschlossene 29 Millionen teure Zentrum ist ein Zugeständnis für die Stiftung „Zentrum gegen Vertreibung“, die wiederum vom „Bund der Vertriebenen“ (BdV) in Deutschland im Jahr 2000 gegründet wurde. Mit seiner Ausstellung „Erzwungene Wege“(1) tingelte der sich als reine Opfergruppe stilisierende Revisionismus-Verein quer durch Cover Wprost, 26.2k Deutschland. Schaut man auf die Internetseite des BdV(2), wird offenbar, dass dieser Bund mit viel Zahlenspielerei über Formen und Folgen von Vertreibung schwadroniert, jedoch die Ursachen völlig beiseite lässt. Daher die berechtigte Kritik an diesem Zentrum, die u. a. aus Polen kommt, dass es Geschehnisse aus der Geschichte reiße und andere Opfergruppen instrumentalisiere.
Einen Namen hört man in diesem Zusammenhang immer wieder: Erika Steinbach. „Kenne ich nicht. Wer ist denn das?“ So oder ähnlich könnte man auf deutschen Straßen hören. Denn bis auf Personen, die Interesse am Thema Vertreibung haben, tritt die Präsidentin des BdV und CDU-Abgeordnete des deutschen Bundestages in der Öffentlichkeit nur marginal in Erscheinung. Aufgrund der Dominanz des Themas in den deutschen Medien kann sich das natürlich in den letzten Jahren verändert haben. Mir fällt spontan zu Frau Steinbach eine Diskussionsveranstaltung anlässlich der Ausstellung „Erzwungene Wege“ im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig ein. Da wurde kritisch angemerkt, dass diese rechtskonservative Präsidentin des BdV nämlich gar keine Vertriebene ist. Sie wurde 1943 im besetzen Polen geboren, da ihr Vater 1941 als Unteroffizier dahin kommandiert wurde. Nach nur 18 Monaten musste die kleine Erika ihre „Heimat“ verlassen und ward seitdem aus Polen, was ihr Vater und seine Kameraden vorher überfielen, „vertrieben“.(3) Als in der Diskussion Frau Steinbach sich empörte, dass sie dennoch denke, nach deutschem Gesetz eine Vertriebene zu sein, entgegnete ihr ein polnischer Wissenschaftler sinngemäß: „Wissen Sie, Frau Steinbach, in Polen denkt man nicht mit dem deutschen Gesetz, sondern mit dem Kopf.“
In Polen ist Frau Steinbach sehr populär – nun ja – im negativen Sinne. Jeder Person ist dieser Name geläufig, da die persona non grata als Vertreterin für Gebiets- und Vermögensansprüche deutscher Revanchisten steht. Die Empfindlichkeit der Polen kann man gut verstehen, insbesondere wenn man die Vergangenheit des Landes und die Rolle der Deutschen dabei berücksichtigt. Etwa 6 Millionen Menschen sind dort während des Zweiten Weltkrieges durch die Deutschen ermordet worden, davon ca. 3 Millionen jüdische Polen, was 98% der jüdischen Bevölkerung entsprach. Der Großteil des Landes wurde völlig zerstört. Nach diesem Trauma der Geschichte ist die Empörung natürlich enorm, wenn sich nun die deutschen Vertriebenen in den Tross der allgemeinen Vertreibungen auf der Welt einreihen, Anerkennungsforderungen gen Polen stellen und sich obendrein eine Gedenkstätte errichten wollen. Insbesondere Polen und Tschechen fürchtet nun, dass sich die Deutschen nach dem Holocaust als Opfer stilisieren könnten. Die Mehrheit der Polen hat berechtigterweise Bedenken, dass das deutsche Projekt eines „Zentrums der Vertriebenen“ die Täter-Opfer-Konstellation verdrehen, die Ereignisse aus der Geschichte herausreißen und damit die Verbrechen der Nationalsozialisten relativieren könnte. Täter werden damit schnell zu Opfern und ihre Verantwortung erlischt. So auch bei Erika S. Die Lebensgeschichte von Frau S. ist so beispielhaft für das Thema „Vertreibung“ und die ganze Opfer-Debatte in Deutschland, weil man an diesem Schicksal die ganze „Deutschland du Opfer!“-Geschichte erklären kann. Man muss gar nicht vertrieben worden sein, um eine Vertriebene zu sein. Ist das nicht irre? Nein, keineswegs! Das hat System. Man nennt es Geschichtsrevisionismus und es gibt ein Rezept dafür. Man nimmt einen Topf, schreibt „Vertreibung“ darauf und wirft alle Vertreibungsgeschichten der Welt hinein. Da sind Palästinenser, Juden, Deutsche, noch einige Menschen aus Afrika, na, ein Paar Polen auch noch. So, fertig ist die alles vermengende und zu Brei gerührte „Opfersuppe“. Ursache und Wirkung gibt es nicht mehr. Wieso auch, sind wir nicht alle ein bisschen vertrieben?
Ganz anders sieht, neben dem privaten Erinnern die Fundierung „der Erinnerung“ aus, bspw. durch Denkmäler oder Gedenkstätten. Das „Vertreibungszentrum“ in Berlin soll eines davon werden. Damit wird die Erinnerung instrumentalisiert und stets, um es allen Deutschen (und der Welt natürlich) anschaulich zu machen, aus dem historischen Zusammenhang gerissen. Ich kann mir das ganze Gejammer jetzt schon vorstellen und dabei wird mir ganz schlecht: Bilder mit flüchtenden Kindern, Interviews mit tränenüberströmten Zeitzeugen, die vielleicht kurz vor der Vertreibung noch den Nachbarn bei der GeStaPo angezeigt haben. Doch ganz Deutschland ruft im Taumel des Opfermythos: „Hört her, Völker der Welt, schaut auf dieses Land!“ Wir sind doch auch nur Opfer des Krieges gewesen und Schuld haben doch „die da oben“. Oder wie es Guido Knopp in seinen aktuellen „Hitler-Soaps nennt: „Hitlers letzte Opfer – Zur Geschichte von Flucht und Vertreibung“. Nein, hier sind nicht die Jüdinnen und Juden gemeint, die noch 1945 auf Todesmärschen ermordet worden. Die deutschen Flüchtlinge sind die „letzten Opfer“. Jene, von denen die Mehrheit im NS schwieg, profitierte oder gar begeistert mitmachte. Die wirklich „ersten“ Vertriebenen aus Deutschland werden im kollektiven Gedächtnis genauso gern verdrängt, wie die letzten Opfer. All jene, die seit 1933 flüchteten, die Jüdinnen und Juden, KritikerInnen, KünstlerInnen, oppositionelle PolitikerInnen und alle anderen Unangepassten.
Abgedrehte „Gangster-Kids“ aus dem urbanen Dschungel unserer Zeit würden mit „Opfer“ eine Person verbinden, die das allerletzte ist. Im kollektiven Gedächtnis ist das jedoch völlig anders. Es ist äußerst populär, auch Opfer zu sein. Deutschland reiht sich ein in die Kette der Beliebigkeit, denn wer ist denn schon gern Täter? Schon kurz nach der Befreiung durch die Alliierten, sagten viele Deutsche, dass sie doch auch nur Opfer gewesen seien und von all den Grausamkeiten Hitlers nichts wussten. „Hitler war‘s!“(4) wurde zum geflügelten Spruch und zum Entlastungsschrei des deutschen Volkes. Er ist immer noch aktuell. Es ist schwer, solch eine gesellschaftliche Last zu tragen. Man kann sich nicht erleichtern. Man muss die Vergangenheit kritisch hinterfragen, Verantwortung übernehmen und nichts beschönigen. Eine nationale Erinnerungskultur, wie das Zentrum, funktioniert eher umgekehrt. Um sich eine national-geistige Grundlage für das Staatsgebilde zu schaffen, muss das „Positive“ der eigenen Geschichte dominieren und das „Negative“ muss verdrängt und vergessen werden. In Deutschland ist das Vergessen der nationalsozialistischen Verbrechen nicht möglich. Daher soll für das Schlechte allein die nationalsozialistische Führung die Verantwortung tragen – „die da oben“. Die große Masse, welche mitmachte, Menschen erschoss, Züge fuhr und die Öfen baute, bleibt unter dem Deckmantel des Schweigens versteckt. Sie waren die Ausgebombten, die Flüchtlinge und Vertriebenen. Dieser Strategie verpflichtet, möchte Deutschland endlich sein langersehntes „Vertreibungszentrum“ bauen, damit auch Geschichten wie die folgende unvergessen bleiben. Ein ehemaliger Hitlerjunge – jetzt Vertriebenenopfer – berichtet über seine Erlebnisse zur Reichspogromnacht 1938. „Alle angereisten Schüler aus den Dörfern der Umgebung drängten sofort in die Stadt zum Rathaus. Dort waren die Kellerfenster geöffnet, man sah dahinter Männer eingepfercht, verhaftete jüdische Bürger. Aus den gaffenden Schülertrauben heraus wurden Stinkbomben durch die Kellerfenster geworfen. [...] Wir Jungen lebten relativ sorglos. Wir organisierten Geländespiele, bauten in der verfallenen Ladestelle am Bahngleis [...] einen Wehrturm, angeführt vom begeisterungsfähigen Oberpimpfen Hajo K.“(5)
Ja, ja. Es war schon eine schöne unbeschwerte Zeit, damals in der alten Heimat.

Horst S.

Anmerkungen

(1) erzwungenewege.z-g-v.de

(2) www.z-g-v.de/index_noflash.html

(3) Mehr dazu unter: de.wikipedia.org/wiki/Erika_Steinbach

(4) Heer, Hannes: Hitler war‘s! Die Befreiung der Deutschen von ihrer Vergangenheit, Aufbau-Verlag 2005.

(5) Schmidt, Joachim: Erinnerungssplitter meiner Kindheit. In: Heimatgruß, Heft 184, Troisdorf 2008, S. 22.


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last modified: 22.4.2008