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das Erste, 0.9k

Wo bitte geht's zu Gott?


„Anschlag auf Meinungsfreiheit gescheitert“, titelte die eigens eingerichtete Homepage ferkelbuch.de zurecht, nachdem das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend mit seinem dreisten Ansinnen gescheitert war, das Buch „Wo bitte geht's zu Gott? fragte das kleine Ferkel“ als jugendgefährdende Schrift zu indizieren. Wahrscheinlich war das Indizierungsverfahren keine schlechte Werbung für das Buch. Wann sonst wird ein Kinderbuch in Feuilletons großer Zeitungen diskutiert. Es hat sich 12.000 mal verkauft und zwischenzeitlich die Spitze der Kinderbuchcharts erklommen.
Der Texter Michael Schmidt-Salomon und der Illustrator Helge Nyncke sind Religionskritiker. Dass sie mit der Aufklärung gegen Religion schon Kinder erreichen wollen, legitimieren sie unter anderem mit einer Aussage von Prof. Peter Riedesser, einem Direktor einer Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie: „Die Gefahren einer religiösen Erziehung werden meist gewaltig unterschätzt. Eine solche Erziehung kann die kognitiven Fähigkeiten durch Denktabus, die emotionale Entwicklung durch Schuldgefühle und Ängste, die Beziehung zum eigenen Körper durch überholte Moralvorstellungen beschädigen.“ Der außerordentlich religionskritische Impetus der Autoren wird im „Ferkelbuch“ spätestens in dem plakativen Resümee deutlich, das die beiden Protagonisten am Ende ihrer Suche nach Gott ziehen. Ferkel (sich an die Stirn tippend): „‚Wer Gott nicht kennt, dem fehlt etwas!` Nämlich hier oben...“ Igel: „Die Leute vom Tempelberg sind wirklich verrückt!“
Auf dem Tempelberg waren Ferkel und Igel, um Gott kennen zu lernen. Statt diesem begegnen sie einem Rabbiner, einem Bischof und einem Mufti. Alle drei, so gutmütig sie anfangs auch jeweils scheinen, entpuppen sich als verbohrte Dogmaten, die sich auf grauenhafte Geschichten berufen und auf nahe liegende Fragen und Schlussfolgerungen von Igel und Ferkel gereizt reagieren. So fragt etwa das Ferkel den Mufti, nachdem dieser die Pflicht dargelegt hat, wonach sich Moslems fünfmal am Tag zu waschen haben: „Meine Güte, hat der Herr Gott denn einen Sauberkeitsfimmel?“ Kindern soll durch das Buch gelehrt werden, auch religiöse Würdenträger nicht so ernst zu nehmen, wie diese gern glauben machen, und zugleich religiöse Aussagen ernsthaft zu hinterfragen. Dass Gott mit der Sintflut dermaßen viele Menschen und Tiere ausgemerzt hat, kommentiert das Ferkel sichtlich betroffen: „Das ist ja so was von gemein!“ Die Sinngebung und Zurschaustellung der Kreuzigung Jesus` kann der Igel nicht nachvollziehen: „Tut das nicht furchtbar weh?“

Bagger, 17.0k

Wie gut täte beispielsweise Jerusalem die im „Ferkelbuch“ geforderte Entzauberung – angesichts der sakralen Schwere, die über diversen Gebäude und Gemäuern ausgebreitet ist, angesichts der religiösen Stickigkeit, die in den Gassen der Altstadt den Atem stocken lässt, und angesichts von orthodoxen Juden, die in sich zurückgezogen vor sich hin beten, von Birkenstocklatschenträgen, die den Leidensweg Christi nachstellen, und Muslima, die in ihren Verhüllungen wie Pinguine aussehen. Während sich die Religionsvertreter im „Ferkelbuch“ schlussendlich mit der Torarolle, der Bibel und dem Gebetsteppich kloppen, liegen in der Wohnung von Ferkel und Igel Klopapierrolle, Buch und Teppich harmlos beieinander.
Das Buch erntete Empörung. An sich ist es völlig normal, dass sich Religionsvertreter aufregen, wenn ihre Religionen angegriffen werden. Es ist nicht einmal so verwunderlich, dass Religiöse plötzlich zusammenhalten, wenn es darum geht, Religionskritik oder Blasphemie zu verbieten. Vor ein paar Jahren beispielsweise rauften sich in Jerusalem die offiziellen Vertreter der drei großen Religionen zu einer Pressekonferenz gegen eine angekündigte Jerusalemer Gay-Parade zusammen. Solange es bei einem Kampf der Ideen bleibt, ist das auch ihr gutes Recht.
Im Falle des Ferkelbuchs aber ging es nicht um Meinungsaustausch, sondern um Verbote. Es wurde die Indizierung und damit die Einschränkung des Rechts, Religion zu kritisieren, gefordert. Zudem, und das ist skandalös, instrumentalisierten die Religionswächter den Antisemitismusvorwurf, um das Buch und damit Religionskritik zu denunzieren. „Es geht insbesondere um die Darstellung des Rabbiners. Wenn Sie da den ‚Stürmer` (ein Hetzblatt der Nationalsozialisten, H.G.) daneben legen, erkennen Sie durchaus Parallelen“, behauptete Thomas Broch, der Sprecher des Bistums Stuttgart-Rottenburg. Der Rabbiner würde stereotyp dargestellt. Völliger Nonsens! In der Karikatur des Rabbiners in dem Ferkelbuch ist der Antisemitismus nur insofern präsent, als dass an ihr die peinlich genaue Vermeidung aller antisemitischen Stereotype ins Auge sticht. Der Rabbiner nimmt wirklich nur deswegen eine exponierte Stellung in dem Buch ein, als er die am normalsten aussehende Figur ist. Übrigens: Nicht das Judentum, sondern der Islam wird besonders kritisiert, wie die Autoren auf ferkelbuch.de hinsichtlich der Darstellung des Muftis und seiner Anhänger bekunden: „Dies ist sicherlich das aggressivste und bedrohlichste Bild des gesamten Buchs. Es bringt die unbestreitbare Tatsache zum Ausdruck, dass der Islam momentan die aggressivste und bedrohlichste aller Religionen ist. Der Grund dafür ist offensichtlich: Im Unterschied zu Judentum und Christentum war der Islam leider nicht gezwungen, durch die ‚Dompteurschule der Aufklärung` zu gehen. Deshalb gibt es weltweit auch prozentual weit weniger aufgeklärte Muslime, als es aufgeklärte Juden und Christen gibt.“
Religiöse werfen dem Buch auch vor, Religionen tendenziös darzustellen. Aber setzen sich Religionen nicht vielmehr selber tendenziös in Szene? Ganz real sind in der Geschichte unter dem Banner des Christentums Abermillionen Menschen gestorben. Und auch gegenwärtig scheint die tendenziöse Darstellung im Buch einer Tendenz der Religion selbst zu entsprechen, einer Tendenz, die sich derzeit ganz deutlich im Islam abzeichnet. Betroffene dieser Tendenzen vermag das Buch sogar aufzuheitern: „Ich habe das Buch mit meiner Familie in einer sehr bedrückenden Situation gelesen, denn kurz zuvor war eine Morddrohung von fanatischen Muslimen bei uns eingegangen. Wir waren deshalb sehr besorgt und auch ein wenig niedergeschlagen, als wir zu lesen begannen, doch während der Lektüre des Ferkelbuchs hellte sich unsere Stimmung schlagartig auf. Ach, was haben wir über die lustigen Abendteuer des kleinen Ferkels, seine klugen Fragen und Schlussfolgerungen gelacht!“ (Mina Ahadi, Vorsitzende des Zentralrats der Ex-Muslime)
Das Buch ist zugegebenermaßen einseitig. Es schilt Religionen ihres Gewaltpotentials wegen. Aber was ist mit den a-religiös legitimierten Verbrechen des Nationalsozialismus und des Stalinismus? Diese Frage stellt das Buch nicht. Man könnte es ihm nicht vorwerfen, würde es nicht suggerieren: Ohne Religionen wäre alles schön. Damit sind wir bei der Schwäche des Buches. Es legt eine allzu einfache Antwort auf die Frage nach dem Ursprung der Religion nahe. Als Zitat des Historikers Dr. Anton Szanya explizieren die Autoren diese Antwort auf ferkelbuch.de: Das Buch würde den „Urgrund aller Religion“ aufdecken – „die Angst“, deren „Benutzung“ und die damit verbundene „Herrschaft der Priester, Rabbiner und Muftis [...] über die anderen Menschen.“ Es gibt also irgendwie böse Herrscher, die sich die Angst mittels Religionen dienstbar machen. Die Schlussfolgerung aus dieser ausgesprochen herrschaftskritischen Analyse: „wenn man den Menschen schon im Kindesalter die Angst vor Gott ebenso wie vor Gespenstern und anderen bösen Mächten nimmt, dann werden sie als Erwachsene nicht mehr so leicht zu gefügigen Werkzeugen irgendwelcher Ideologien und Religionen gemacht werden können.“ Dass Religionen auch Herrschaftsinstrumente sein können, mag sein. Aber finden nicht auch Leute zum Glauben, die niemand dazu zwingt und die danach suchen?
Schelling, besonders in seinen späten Schriften, Nietzsche in seinen Erörterungen über die Schwermut der Griechen und Rainer Maria Rilke in seinem Gedicht „Herbst“, um ein paar wenige Beispiele zu nennen, wussten um einen anderen, viel schwerwiegenderen und simpleren Grund für Religionen: Leiden und Tod. In den Worten des Religionskritikers Ludwig Feuerbach: „Der Mensch hat, wenigstens im Zustande des Wohlseins, den Wunsch, nicht zu sterben [...] Die Auferstehung Christi ist daher das befriedigte Verlangen der Menschen nach unmittelbarer Gewißheit von der persönlichen Fortdauer nach dem Tode – die persönliche Unsterblichkeit als eine sinnliche, unbezweifelbare Tatsache [...] Was lebt, will sich behaupten, will leben, folglich nicht sterben.“ Nicht nur die christliche, auch die anderen Religionen verkünden – ob als Zukunft oder als Jenseits – das ewige Leben. Wenn der Messias kommt, gibt es dem jüdischen Mythos zufolge ein großes Hallihallo aller einstmals Verstorbenen am Ölberg, Christus wird nicht nur gekreuzigt, sondern steht danach wieder auf, Christen wie Moslems haben ihr Paradies. Diesseitiges Leiden und der irdische Tod werden dadurch zwar nicht in Frage gestellt, aber relativiert. Das und der Glaube an ein höheres, sinnstiftendes Prinzips tröstet die Menschen, wie ein Diskutant in einem Forum über das Ferkelbuch am eigenen Beispiel schildert: „Als ich volljährig war, betrachtete ich es oft als eine neue Art von ‚Freiheit`, wenn ich eben NICHT mehr jeden Sonntag zum Gottesdienst ging, wozu mich die Eltern stets eifrig angehalten haben. Heute, mit 40 Jahren, nach vielen Aufs und Abs im Leben, nach zweimaligem Überleben einer Krebserkrankung und mit hoffnungsvollem Blick in die Zukunft weiß ich: das Wertvollste, was meine Eltern mir mitgegeben haben, war und ist der Glaube! Denn wenn alle Welt jemanden verlässt, wenn jede irdische Hoffnung ins Leere läuft, dann ist immer noch Halt da, immer noch Licht, immer wieder neue Kraft.“ Natürlich handelt es sich um Lug und Trug. Aber wenn es der Selbsterhaltung dient? Was hat eine entzauberte Welt einem Krebskranken, der dem Tod ins Auge sieht, noch zu bieten? Was kann die Religionskritik einem Trauernden bekunden? – Nur die traurige Wahrheit.
Das „Ferkelbuch“ drückt sich um diese traurige Wahrheit, indem es obsessiv Heiterkeit proklamiert. Deswegen ist es wirklich nicht mehr als Gegengift. Es kritisiert zwar zu recht Religion, stellt sich aber gegen deren Ursachen blind, indem es über Endlichkeit und Qualen hinweggeht und die Welt in quietschbunten Tönen malt. „Ach, was geht es uns an!“, sagte das Ferkel. „Es könnte uns gar nicht besser gehen!“ meinte der Igel.
Man muss Kindern nicht die traurige Wahrheit vor Augen führen, aber man muss ihnen auch nichts vorgaukeln. Die „Leichtigkeit des Seins“, auf die sich die Autoren in dem Kommentar zum Buch berufen, wird selber ein Dogma, wenn sie als Realität ausgegeben wird. Sie klingt ein wenig nach einer Beschwörungsformel irgendwelcher Manager- und Esoterikseminare, in denen positives Denken als probates Allheilmittel verschrieben wird. Ein wenig erinnert das Happy End des „Ferkelbuchs“ sogar an die Darstellungen im „Wachturm“, dem Magazin der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas. Grünes Gras, die Sonne geht auf, Tauben fliegen vergnügt durch die Luft, Ferkel und Igel sitzen auf einer Bank und lassen Papierflieger fliegen. Während jedoch die Zeugen Jehovas ihre Utopie, wonach alles schön ist, in die Zukunft verlegen und insofern – wie verschroben auch immer – die Hoffnung auf Transzendenz wach halten, bedürfen Ferkel und Igel keiner Utopie, sondern haben einfach immer die richtige Einstellung: „Ein Heidenspaß! Endlich konnten die beiden wieder aus vollem Herzen lachen. So wie sie es immer getan hatten [...].“ Don't worry, be happy!!!

Hannes Gießler

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last modified: 26.3.2008