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review corner Film, 1.4k

„Punk is not ded“

Filmausschnitt, 14.3k

Persepolis (Animation), Verfilmung des gleichnamigen Buches von Marjane Satrapi, Frankreich 2007 myspace.com/persepolis_derfilm

Die kleine Marji trägt diesen Slogan, wie viele andere, hinten auf ihrer Jacke. Aber eben doch nicht ganz wie andere. Bei Marji hätte es ebenso heißen können „Over here, Punk never existed“. Denn Marji ist das Comic-Alter-Ego der Exiliranerin Marjane Satrapi und die Protagonistin in dem Zeichentrickfilm Persepolis, basierend auf dem gleichnamigen Comic.

Der Film setzt historisch in der Zeit des Umsturzes des Schah-Regimes(1) (1978) an, in der die Oppositionbemühungen sich zu Massen-demonstrationen, -streiks und Ausschreitungen ausweiten. Während der Schah noch versucht, die Massen durch Demokratieversprechen zu beschwichtigen, stürzten diese schon, in Vorwegnahme der Person, seine Statuen. Eingebettet in die Szenen der Umsturzzeit sind Rückblenden, die holzschnittartig die Geschichte des Schah-Regimes bzw. der beiden Schah-Regime(2) erläutern. Der Stil bricht hier, die Figuren werden nun als marionettenartige Schattensilhouetten dargestellt. Obschon Satrapi bei der Darstellung der Figuren beinahe immer penibel darauf achtet, diese als selbstreflexive, autonome Subjekte darzustellen(3), wird einem hier die Assoziation der gelenkten Weltgeschicke und die daraus folgende Ohnmacht der Individuen nachgerade aufgezwungen. Genau in dem Moment, als der erste Schah beschließt, den Iran nach Atatürkschem Vorbild zu modernisieren und demokratisieren, erscheint ein britischer Repräsentant und bietet ihm einen klassischen Teufelspakt an: Macht gegen Seele. Auf die Frage des Schahs, was er dafür tun müsse, kriegt er die simple, in starkem britischen Akzent eingefärbte Antwort: „Nichts. Du gibst uns das Petrol, den Rest machen wir.“ Gesagt, getan: Der Mephistopheles Großbritannien macht den Schah vom Paulus zum Saulus.

Völlig unverständlich bleibt, warum dann das Theokratische System – nicht nur in den Szenen um die Revolutionszeit, sondern den ganzen Film über – beinahe im Kontrast zum auf eine Person zentrierten Schah-Regime, als ein völlig entpersonifiziertes dargestellt wird. Der Name Ayatollah Chomeini wird nicht einmal erwähnt; als wäre er nie von einer jubelnden Menge empfangen worden.(4) Eine Radiostimme aus dem Off verrät nur, dass „99,9% in demokratischer Wahl für die islamische Republik gestimmt haben“. Dies zu verstehen, dabei hilft uns Marjis Onkel Anusch weiter. Er versteht sich als Kommunist und erklärt das Geschehen mit den üblichen ML-Plattitüden: Das Volk sei noch nicht so weit. Nationalismus und Religion seien die einzigen Dinge, die die Menschen derzeit zusammenhielte, die Arbeiterklasse werde siegen. Er sagt dies aber nicht mit der sonst für MLer üblichen, abwartenden Gewissheit, als hätten sie ihr Billett für den Zug der Geschichte, jederzeit abfahrbereit, in der Hemdtasche verstaut. Nein, er sagt es resignativ, seine Stimme verrät, dass er ahnt, ein ganz anderer Zug wird nun kommen und es ist den Massen völlig gleichgültig, in welchen sie einsteigen. Hauptsache weg („Schlimmer als unter dem Schah kann es nicht werden“). Anusch steht hier vermutlich exemplarisch für die marxistisch-leninistische Tudeh-Partei, die sich angesichts der im Dezember 1978 stattfindenden sog. Muharramproteste, bei denen über zwei Millionen Iraner die Rückkehr Chomeinis forderten, apathisch dem Ganzen hingab.

Die lange Zeit des ersten Golfkrieges (1980 – 1988) wird anfangs ebenso holzschnittartig dargestellt, wie schon die oben beschriebene (Selbst-) Inthronisierung des Schahs: Westliche Mächte liefern hier an beide Partein (also dem Iran und dem Irak) gleichermaßen Waffen aus und gleichermaßen sterben Menschen. Dies wird auch durch eine Bildsprache der Symmetrie unterstützt. Von beiden Seiten rennen identisch aussehende Myriaden an Soldaten aufeinander zu und sterben auch völlig symmetrisch, bis keiner mehr am Leben ist. Gut dargestellt ist hingegen die Logik des „Feindes im Inneren“, zu dem jede/r IranerIn schon durch die lapidarsten Anlässe werden kann.
Geschildert werden in dieser Episode auch die barbarischten und zynischsten Methoden der Iranischen Kriegsführung – der Äußeren wie der Inneren. So schickte man junge Männer als lebende Minensuchgeräte – ideologisch motiviert durch das Instrument des Märtyrerkultes – durch nichts geschützt, rennend über feindliche Minenfelder, damit nach Säuberung dieser, die Panzer freie Fahrt hatten(5). Oder die (im Film durch Marjis Mutter berichtete) Zwangsverheiratung von ‚straffällig‘ gewordenen Mädchen/jungen Frauen mit Revolutionswächtern. Diese Maßnahme ist erforderlich, da das iranische Recht vorsieht, dass keine Jungfrau getötet werden darf. Also vergewaltigen die Revolutionswächter die Frauen, bevor sie sie hinrichten. So notwendig es auch erscheint, solche Grausamkeiten zu schildern, betreibt man dadurch eine Weichzeichnung wider Willen, schon durch die bloße ästhetische Aneignung dieser Barbareien, indem man sie in Comic-Form darstellt oder nacherzählt, um dramaturgisch plausibel zu machen, dass Marji ins Exil muss.

In diesem Exil in Europa (Österreich/Wien). findet sie relativ schnell Freunde, diese dienen aber lediglich als dramaturgische Negativfolie, die zeigen soll, wie groß der Unterschied zwischen diesen zwei Welten ist. Ihre Freunde, oder vielmehr der Vordenker der Clique, bedient einen diffusen Anarchismus, flankiert von einem Nihilismus, aus Wohlstand und Dekadenz heraus. Überdrüssigkeit am Leben verspürt Marji aber gar nicht und fühlt sich im Exil dauerhaft unwohl, bis sie Markus kennenlernt, in den sie sich verliebt, der sie jedoch betrügt. Dies trifft sie so existentiell, dass sie beinahe stirbt und entschließt, dem kalten und oberflächlichem Westen den Rücken zu kehren und zurück nach Teheran zu reisen.

Es beginnt die Episode nach der Rückkehr (1992), in der versucht wird, so etwas wie den Alltag in einem etablierten totalitären Regime zu skizzieren und zuleich die Absurditäten und Widersprüche eines islamischen, bewusst antimodernen Staates in der Moderne aufzuzeigen. Boticellis „Geburt der Venus“ wird im Kunstunterricht behandelt, aber man sieht sie vor lauter Zensur kaum noch. Aktzeichnen findet mit verschleierten Frauen statt(6). Japanische Actionfilme (hier Godzilla) werden im Fernsehen gezeigt, wenngleich sie wohl kaum gehaltvoller sind, als deren verbotene Pendants aus dem Westen. Die rigide und repressive Sexualmoral sorgt dafür, dass Marji in einer Heirat die einzige Möglichkeit der ‚Emanzipation‘ sieht – die darin liegende Gleichgültigkeit, wen man den heirate, zeigt sich auch darin, dass der Zukünftige in der angedeuteten Liebesgeschichte (im Gegensatz zu seinen Wiener Vorläufern) auffällig lange keinen Namen zu haben scheint. Erst als eine Scheidung thematisiert wird, weil die Trostlosigkeit einer gleichförmigen Ehe eintritt, fällt sein Name – erst im Negativen wird er zur eigenständigen Figur.

Wo die Person Marjane Satrapi sich nicht politisch positionieren möchte, wie sie in Interviews betont, tut die Zeichnerin und Regisseurin Satrapi es zum Glück indirekt dennoch durch ihre Autofiction Marji. Denn die reale Person Satrapi bekräftigt immer wieder, dass sie nur die allgemeinen Folgen für einen Menschen aufzeigen will, der andere Menschen durch ein totalitäres Regime verloren und Krieg miterlebt hat. Sie stellt klar, der Film sei keine Dokumentation, sondern ein „Eindruck, den die Realität hinterlässt“. Zum Glück fängt genau dieser hinterbliebene Eindruck die Spezifik des Regimes im Iran ein und verkommt gerade nicht zum totalitarismustheoretischen Einheitsbrei. Dieser Eindruck zeigt die Ideologeme des Blut- und Boden-Kultes, der Zwangsverschleierung etc. sehr exakt. Leider muss man sehr genau hinsehen, aber dann entdeckt man sogar den staatlich konstitutiven Anti-Amerikanismus – also die aufwendig betriebene, omnipräsente Hetze gegen den „großen Satan“. Sie zeigt sich in meterhohen Wandmalereien an Gebäuden, an denen Marji vorbeigeht. Die Malereien zeigen USA-Flaggen, deren Stripes zu Antriebsstreifen herabfallender Bomben werden; oder Freiheitsstatuen, deren Gesichter die eines Skelettes sind – oder, im Umkehrschluss, indem auf einer der illegalen Parties jemand aus Opposition ein T-Shirt mit einer USA-Flagge trägt. Die ebenso staatlich-konstitutive Hetze gegen den „kleinen Satan“ Israel findet in dem Film keinerlei Erwähnung. Angesichts der Tatsache, dass sie ebenso massiv betrieben wird, kann Marjane Satrapi es wohl kaum ignoriert oder nicht mitbekommen haben. So bleibt einem nur zu mutmaßen, warum jeglicher Hinweis auf Antizionismus und Antisemitismus ausgespart wurde.

Man kann diesen Film zugleich als Film Noir und auch als sein Gegenteil bezeichnen. Er enthält zwar die klassisch negative Weltsicht und Dramaturgie, suggeriert aber keine Resignation durch
diese, sondern verlangt vielmehr ihre Überwindung. Die Hauptperson ist kein düsterer Antiheld, der in einer von Elend determinierten Welt dieses mehr vewaltet als es zu bekämpfen, sondern ein Mensch, der sich in einem permanenten Kampf um seine Autonomie befindet, ohne jedoch zu resignieren.

Abe

Anmerkungen

(1) Schah ist die persische Bezeichnung für König. Der Iran war der Form nach eine Konstitutionelle Monarchie, in der Praxis war es, trotz diverser Reformen, wie z.B. der Weißen Revolution, Despotie

(2) Reza Schah Pahlavi von 1925-1941 und dessen Sohn Mohammad Reza Schah Pahlavi von 1941 bis zur islamischen Revolution 1979

(3) In Interviews wies sie auch immer wieder darauf hin, dass sie sich den Film nicht als Spielfilm mit menschlichen Schauspielern hätte vorstellen können. Das Problem des Orientalismus schien ihr unausweichlich zu sein. Ganz in der Theorietradition Edward Saids befürchtete sie, die Erzählung wäre durch das orientalische Setting von kolonialistischen Projektionen überschrieben worden. Um dem Rezipienten hier das Problem nahe zu bringen, konzipiert sie einen Okzidentalismus, indem sie Österreich im Allgemeinen auf Biertrinken und Jodeln und Wien im Speziellen auf Sachertorte bewusst reduziert

(4) Wäre es nicht völlig absurd, könnte man glatt vermuten, Satrapi sei der theokratischen Ideologie auf dem Leim gegangen, derzufolge keine weltlich-personelle Herrschaft bis zur Rückkehr des 12. Imams gestattet ist.

(5) Vgl. Matthias Küntzel: Sind 500.000 Plastikschlüssel genug? (www.matthiaskuentzel.de/contents/sind-500000-plastikschluessel-genug-langfassung)

(6) Das alles könnte man auch als Allegorien für Dan Diners Buch „Versiegelte Zeit“ auffassen, in dem er zu erklären versucht, dass und warum die Islamische Welt unter einem Entwicklungs-Stillstand leidet


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last modified: 22.1.2008