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New York City Rock

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Evans, Mike: New York City Rock. Underground und Hype von 1950 bis heute. Ventil Verlag, Mainz, 2003. 280 Seiten, 14,90 Euro

New York City Rock von Mike Evans (Journalist und Musiker) ist ein detailliertes (Geschichts-) Buch über die Entwicklungen des Rock in New York, „[...] einem Mikrokosmos innerhalb der Geschichte des Rock`n`Roll [...]“(1) Vom Rhythm and Blues Ende der 40er bis zum Indie-Rock der Gegenwart. Von Alan Freed, dem Brill-Building oder den Shangri-Las bis hin zu Williamsburg, den Strokes oder den Yeah Yeah Yeahs. Vom Beginn der Jugendkultur bis zum Hype um die neuen Strokes. Evans beschreibt ein lebhaftes Bild der Stadt, die in ständiger Bewegung ist. In diesem kommt die ganze Bandbreite der Akteure vor, die im Musikgeschäft tätig sind und waren: Künstler(2), Produzenten, Radiomoderatoren oder Promoter. Ein kurzer Abriss:
Mit dem Aufkommen der Jugendkultur in den 50ern und deren potentiellen Konsumenten, dem „Teenager“ und der gleichzeitigen Verbreitung des Doo-Woop, R`n`B und Rock`n`Roll im Radio durch Alan Freed wurde die Musik von der Straße massenhaft verbreitet und populär. Die dabei bedeutendste Rolle im Musikbusiness der 50er und 60er hatten Songwriter und Produzenten. Mit dem Aufkommen des Folk-Rock in den 60ern wurde Greenwich Village zur zentralen Adresse von Künstlern, Bohèmes und Beats und der Washington Square Park zur Bühne von Folk-Sessions und spontanen Improvisationen. Politische Kampf- und Arbeitslieder entstanden, und es herrschte ein reger Austausch zwischen der Beatszene und Folkmusikern. Beide Gruppen lehnten Rock'n'Roll ab, den sie als Teil des Mainstream ansahen. Der wohl bekannteste aus dieser Szene war Bob Dylan, der, so schreibt Evans, der Wegbereiter des neuen Underground zwischen Rock und Beat- Bohème war. Dieser Underground der Mitte der 60er begann, hatte wohl seine Bedeutung darin, dass keiner so richtig seine Instrumente spielen konnte, es chaotische Auftritte oder Psycho-Happenings gab, und dass die Texte von surrealer und satirischer, rotziger und politisch unkorrekter Art waren. Dieses Rotzige und Freche, was bei den Fugs und dann in krasserer Form bei The Velvet Underground stattfand, war schon viel mehr Punk, als es noch gar kein Wort dafür gab, schreibt Evans. Mit der Musikform des Rock wurde aber auch Widerstand ausgedrückt und Rock beschritt ab „[...] 1966 den Weg in eine zumindest nominell andere, alternative Gesellschaft. Es kam zu einem tiefgreifenden kulturellen Paradigma, welches sich im Widerstand gegen Vietnam ausdrückte [...].“(3) Die rebellische Haltung von Musikern der Greenwich-Szene drückte sich besonders in den Texten von John Lennon oder David Peel aus. So zum Beispiel in Songs wie „I`m Gonna Start Another Riot“ (Peel) oder „Woman Is The Nigger Of The World“ (Lennon), mit denen Peel fast überall Landesverbot erhielt und Lennon vom FBI und der CIA beobachtet wurde. Mitte der 70er kam es zu einem neuen Konzertverständnis, welches im Stadionrock und in Disco gipfelte. Der Ursprung des Ganzen lag wieder einmal in New York, genauer: In den schwarzen Schwulenclubs in Manhattan, in denen zu Soulmusik der 70er getanzt wurde. Disco bot nicht nur für die ]gay community aus den Großstädten Rückzugsräume, sie war vor allem eine Welt fern von der Öffentlichkeit, welche als diskriminierend empfunden wurde. Disco verbreitete sich so explosionsartig in ganz Amerika.
Rock`n`Roll hingegen entwickelte sich in eine ganz andere Richtung, und mit Iggy und den Stooges nahm Punk seinen Anfang. 1976 erschien das Punk-Zine von John Holmstrom. Künstler wie The New York Dolls, Television, Richard Hell, Patti Smith, Blondie oder die Ramones spielten in der zweiten Hälfte der 70er im CBGB's oder Max`Kansas City. Man stellte sich einfach auf die Bühne und schrammelte los – chaotisch, laut, rotzig, poetisch, trashig, queer. Evans schreibt, dass die Verbreitung des Punk von Großbritannien forciert, New York aber nie als dessen Geburtstadt gewürdigt wurde.
Das, was an Punk zu grob und rau war, wurde durch die Bewegung des New Wave und von Bands wie Talking Heads oder den B-52`s glattgebügelt. Mit No-Wave in New York wurde ein traditionelles Rockformat abgelehnt, Einflüsse wie Free Jazz, Funk und Neue Musik kamen hinzu. Man nahm den Nihilismus des Punk und setzte ihn in eine ästhetische Form um – eine der wohl bekanntesten Bands hierfür: Sonic Youth – sie klangen atonal, krachig, lärmig. Auch die Dance- und Hip Hop Szene wurde vom Rock beeinflusst, denkt man an Public Enemy oder Run DMC.
Mit dem Bogen vom Avantgarde-Rock zum Alternative-Rock entwickelte sich eine neue Independent-Label-Szene für all die kleinen unzähligen Bands, die New York oder besser Williamsburg Ende des Jahrtausends zu ihrem neuen Rock-Mekka machten. Hier kommen Adam Green, The Strokes, Interpol, Radio 4 oder die Yeah Yeah Yeahs her – aus einer sich immer wieder neu erfindenden Rock-Szene.
Viele Musikstile inspirierten sich gegenseitig – nach der Lektüre wird klar, was für einen Einfluss der Punk auf die darauf folgende Musik in New York hatte.
So ist es ein Buch, welches die musikalische Tradition des Rock anhand der Protagonisten nachzeichnet – manchmal wünscht man sich aber eher eine tiefgehendere Beschreibung der ganzen sozialen und politischen Stimmung, aus der bestimmte Spielarten des Rock in New York entstehen konnten. Für Leser, die weniger mit Künstlern des frühen Rock`n`Roll oder R`n`B vertraut sind, könnten die zahlreichen Bandgeschichten und deren Verzweigungen schon mal langwierig werden. Also eher ein Buch für Liebhaber von Dylan, The Velvet Underground oder Blondie? Nein, auch wer „Call me“ nur aus der Disco kennt, kann nach diesem Buch endlich mit Insiderwissen zu Blondie und New York angeben.
New York City Rock vereinigt die Spielarten von Rock: vom Rock'n'Roll über Punk bis zum Indie-Rock – aber wo bleibt Hardcore? Diese Musikrichtung wird von Evans nicht einmal angeschnitten, obwohl die Bedeutung des NY-Hardcore, welcher sich mit und aus dem NY-Punk entwickelte, genauso groß ist wie dieser. Aber eventuell wurden Hardcore-Bands auch hier nicht betrachtet, da dies schon in den reichlichen Veröffentlichung über Hardcore geschehen ist. Vielleicht auch, weil Hardcore eine zu spezielle Richtung des Rock ist und die Bands, die im Buch auftauchen, von Jugendlichen heutzutage wohl als lahme Rocker bezeichnet würden. Wer das Buch aber mit der Intention liest, etwas über die New Yorker Musikszene zu erfahren, versteht, dass der „lahme Rock“ aus den 60ern, 70ern oder 80ern damals progressiver, krasser und hotter Stuff war, aus denen sich erst die einzelnen Spielarten von Hardcore, Metall oder Indie entwickeln haben. Eine Stadt, die im ständigen Austausch ihrer kreativen Geister steht und die diese Künstler in einem magnetischen Bann hält, der für neue innovative Musik sorgt. East Village, West Village, SoHo oder Williamsburg – egal wie oft die Namen der Szeneviertel wechseln – New York ist eine Ausnahmestadt in Sachen großartiger Rock-Music. Und das wird beim Lesen klar!

Cathy

Anmerkungen

(1) Evans, Mike: New York City Rock, Mainz, Ventil Verlag, 2003, S.242

(2) der Einfachheit halber alle Personengruppen im generisches Maskulinum, beinhalten aber meist beide Geschlechter.

(3) ebd., S. 83

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last modified: 23.11.2007