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das Erste, 0.9k

Unconditional Surrender


Die Beschwörung des 8. Mai 1945 als „Tag der Befreiung“ resultiert in den letzten Jahren in der Regel aus einem abgedroschenen pädagogischen Gedanken: Die Geschichte der nationalsozialistischen Massenverbrechen hat Eingang in das allgemeine Bewußtsein vornehmlich in Form einer Betriebsanleitung gefunden. Noch soll suggeriert werden, dass die Deutschen von damals Verführte gewesen seien, die mit all den anderen Opfern von der Cliquen-Herrschaft einiger weniger Nazis befreit wurden. Vergessen wird dabei gerne, dass es die Überlebenden der Konzentrations- und Vernichtungslager, die Verfolgten und Bedrohten waren, die befreit wurden und nicht jene Volksgemeinschaft, die sich derart widerspenstig gegen das ihr drohende Schicksal stemmte und bis zum letzten für Volk und Führer an ihrer Second Life, 13.0k ideologischen Überzeugung festhielt. 1943 – als sich das Ende des nationalsozialistischen Wahnsinns nach Stalingrad abzuzeichnen schien – gab es auf der Konferenz von Casablanca seitens der Westalliierten die erste Forderung nach einer bedingungslosen Kapitulation Nazi-Deutschlands, die Waffenstillstandsverhandlungen und Teilkapitulationen ausschloß. Unter Verweis auf diese Maximalforderung und des nach deutscher Ablehnung fortgesetzten militärischen Drucks der Alliierten, sprach das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda von einem „Vernichtungskrieg gegen Deutschland“. Als dann knapp zwei Jahre später die Rote Armee und die US-Truppen mitsamt ihren Verbündeten endlich in oder kurz vor Berlin standen und die britische Royal Air Force deutsche Städte bombardierte, wurde im Führerbunker alles darauf vorbereitet, der Gefangennahme durch die Alliierten zu entgehen. Am 30. April 1945 nahm sich Hitler allen Durchhalteparolen zum Trotze höchstpersönlich das Leben und der testamentarisch ernannte neue Reichspräsident und Oberbefehlshaber Karl Dönitz versuchte nochmals alle Kräfte zu bündeln, um „deutsche Menschen vor der Vernichtung durch den vordrängenden bolschewistischen Feind zu retten“, wie er in einer Radioansprache im Volksempfänger verkünden ließ. Man wollte sich nicht einfach ergeben, die unabänderliche Niederlage nicht akzeptieren. Selbst, als der deutsche Traum vom 1000-jährigen Reich also „schon“ nach zwölf Jahren ausgeträumt und weiterer Widerstand sinnlos war, blieb die Nazi-Ideologie vom jüdisch konnotierten, blutrünstigen Bolschewiken, erster Antriebspunkt im letzten widerspenstigen Aufbäumen gegen die Niederlage. Dementsprechend versuchte Dönitz einen separaten Waffenstillstand mit den Westalliierten auszuhandeln, um nicht den verhassten Sowjets in die Hände zu fallen, den Eisenhower am 06. Mai 1945 kategorisch ablehnte. Die Befürchtungen der Sowjets, die schon nach der Konferenz von Casablanca anklangen, es könnte zu einer Spaltung des Anti-Nazi-Bündnisses kommen, weil die Westalliierten sich auf die deutschen Wünsche nach Waffenstillstand oder Teilkapitulation einlassen würden, wurde durch den konsequenten Kurs der Westalliierten zum Glück nicht bestätigt. Angesichts der übermächtigen Militärmaschinerie, deren Aufwand schon allein klarmacht, was für große Kraftressourcen nötig waren, um Nazi-Deutschland zu besiegen, blieb den Deutschen trotz ihres Widerwillens demnach nichts anderes mehr übrig, als sich zu ergeben. Gewohnt waren das die Generäle und Strategen des Vernichtungskrieges sicherlich nicht. Die Bevölkerung ebenso wenig, die durch die jahrelangen Erfolge des deutschen Eroberungsfeldzuges, durch den Hitlerschen Wohlfahrtsstaat, den Kitt des Antisemitismus als Ideologie und der Massenvernichtung als Programm berauscht gewesen war und somit den Sieg der Anti-Hitler-Koalition nicht als Befreiung, sondern als Demütigung empfand. Dass sich dies, knapp 62 Jahre nach der bewaffneten Niederschlagung Nazi-Deutschlands größtenteils geändert zu haben scheint, kann man nun allerorts bei den jeweiligen Gedenkspektakeln beobachten. Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und das Eingeständnis der deutschen Schuld ist heute größtenteils mehr denn je en vogue. Das Anti-Bekenntnis zu dem Deutschland, das halb Europa in Schutt und Asche gelegt hat, wird zum Fundament der neueren Identitätsstiftung und bewahrheitet letzten Endes Horkheimers Beobachtung nach dem Krieg, dass „das Schuldbekenntnis der Deutschen nach der Niederlage des Nationalsozialismus [...] ein famoses Verfahren [war], das völkische Gemeinschaftsempfinden in die Nachkriegsperiode hinüberzuretten. Das Wir zu bewahren, war die Hauptsache.“(1) Die Deutschen haben nun aus ihrer Geschichte gelernt und Auschwitz wird zur Qualifikation für deutsche Menschenrechtspolitik und neues Bewusstsein. Als ehemalige Täter, die ihre Taten aufgearbeitet haben, vermeinen sie nunmehr, die Täter heutiger Tage umso besser benennen zu können. Im gleichen Atemzug, in dem sie ihre Taten verdammen, entdek-ken sie sich aber immer wieder erneut als Opfer; man müsse das Tabu nun endlich brechen, und – als wäre das nie geschehen – über die Opfer der Vertreibungen, der alliierten Bombenangriffe und dergleichen einmal reden dürfen. Denn als Opfer kann man nicht beschuldigt werden. So geht alles in einem universalen Opfer-Diskurs auf, in dem die Deutschen anständig und manchmal auch aufständig wissen, was richtig und was falsch ist – eben weil sie sich selbst nun als Opfer präsentieren können. Mit solcher Auskunft freilich enthüllt sich der verborgene Sinn des standardisierten Menschens und dem Gerede über „Befreiung“. Auf den ersten Blick scheint das Erinnerungsspektakel ein bloßer Schwindel zu sein, denn bekanntlich wurden die Deutschen nicht befreit, sondern militärisch besiegt. Dass man den 8. Mai demnach als „Tag der Befreiung“ begreifen darf, ist die gute Nachricht. Was vor ein paar Jahren noch rechtsdeutsch als Vergangenheitsbewältigung daherkam, um letzten Endes durch die Entschuldung der Deutschen wieder zu sich selbst kommen zu können, wieder ein Kollektiv sein zu dürfen, dem steht heute die linksdeutsche Variante von Erinnerungskultur konkurrierend gegenüber. Im Gegensatz zur Selbstviktimisierung und Schuldverdrängung der heutigen Vertriebenenverbände oder Nazis, schälte sich seit 1968 eine neue deutsche Ideologie heraus, die ihre Legitimationsfunktion größtenteils nicht mehr aus der Relativierung oder dem Verschweigen der Vergangenheit schöpft, sondern ihren moralischen Geltungsanspruch gerade aus der vorbehaltlosen Anerkennung der Einzigartigkeit der Nazi-Verbrechen bezieht. Zeitgenössische nationale Sinnstiftung vollzieht sich heute weniger über Revisionsimus. Sie vollzieht sich vielmehr über Abgrenzung von eben jenen Phänomenen und im Bekenntnis zur moralischen Verantwortung. Das neue Selbstbild der Deutschen synthetisiert Schuld und Stolz und macht dies innen- wie außenpolitisch nützlich. Und gerade das muss ernst genommen werden. Während die Vertriebenenverbände immer schon ihren Opferstatus hervorgehoben haben, ging es den 68ern und ihren Nachkömmlingen in den führenden Positionen tatsächlich um die Verpflichtung zum Schuldeingeständnis. Wo sich die beiden Arten der Vergangenheitsbewältigung aber treffen, ist in ihrer Wirkung: beide schaffen die Möglichkeit der Identifizierung mit der deutschen Nation. Und eben das wäre zu begreifen: trotz der Unterschiede von rechts- und linksdeutscher Vergangenheitspolitik schaffen beide, in letzter Konsequenz wieder einen positiven Bezug zu Deutschland herzustellen. Die fraktionsübergreifende Vereinnahmung der Massenverbrechen zum Zwecke der politischen Sinnstiftung bezeugt, wie wenig die Nachfahren und Rechtsnachfolger der Volksgemeinschaft daran interessiert sein können, die Transformation ihrer Gesellschaft in einen totalen Mordapparat kritisch zu rekonstruieren, müssten sie doch dann in letzter Konsequenz gegen sich selbst und die von ihnen geschaffenen Verhältnisse revolutionieren. Aufgabe einer sich ernstnehmenden, selbstreflektierten Gesellschaftskritik wäre, dies zu analysieren und nicht dabei stehen zu bleiben, jene zugunsten identifikatorischer Sinnstiftung in Form von Schwenken alliierter Fahnen unter den Teppich fallen zu lassen. Zu begreifen wäre, dass wahrhafte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit einzig darin bestünde, den notorischen Zusammenhang aufzukündigen, der die Möglichkeit einer Wiederholung des Unvorstellbaren immer wieder bereitstellt.

Chris K.

Anmerkung

(1) M. Horkheimer, Gesammelte Schriften, Bd. 6, Frankfurt/M. 1991, S. 104

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last modified: 24.4.2007