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„The Man Who Would Not Die“

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Art Buchwald, "To Soon To Say Goodbye", Random House New York, 2006

Amerikas wohl bekanntester politischer Humorist, Art Buchwald, wollte gegen alle wissenschaftlich Logik und ärztliche Prognosen nicht sterben – also schrieb er ein Buch darüber.

      „Es ist unmöglich, unvoreingenommen seinen eigenen Tod zu erleben und ruhig weiterzusingen“
      Woody Allen, „Meine Philosophie“
Jeder, der an seinem Leben hängt, seine Existenz nicht zum Zweck des Tötens einsetzt und in solcher „Manie“ gegen den geliebten Tod tauscht, wird sich vor ihm fürchten. Die Selbstmordattentäter haben keine Angst. Selbst der Suizidär ist da dem Leben zugewandter; dass er der Welt den Rücken kehrt, dient nicht ihrer Veränderung. Der Freitod ist eine auf sich selbst bezogene Entscheidung, sie hat ihr Ziel nicht im Morden. Er beinhaltet nicht die Glorifizierung des Todes, für den Suizidär ist der Wille, leben zu wollen, versiegt, es gibt kein Paradies für ihn wie für die Märtyrer.
Warum dies hier steht? Weil diese Formen des „in den Tod gehen“ sich weit von dem abheben, was wir als „natürlichen“ Tod begreifen würden, obgleich diese extremen Formen des „in den Tod gehen“ immer häufiger auftreten. Doch gibt es einen „natürlichen“ Tod?
Die Antwort lautet nein. Der Tod hängt dem Leben zwar an, lässt sich aber nicht erleben oder empfinden – noch nie hat jemand ernsthaft aus dem Todeszustand berichtet. Der Tod reißt aus dem Leben, ist sein vollständiges Gegenteil und somit der Erfahrung entzogen. Als „natürlich“ kann nur das gelten, was sich erfahren lässt. Auch die Wissenschaften scheitern am Tod, weil sie es bis heute nicht vermochten, ihn zu besiegen.
Etwas anders ist es mit dem Sterben. Wir wissen alle, dass wir eines hoffentlich fernen Tages sterben müssen. Der Unterschied zum Tod liegt auf der Hand, die Tatsache ist aber nicht minder brutal. Sterben ist der Weg in den Tod und als solches auch erlebbar. Dies macht seine Gewalt aus; sein eigenes Siechen oder die plötzlich vor Augen tretende Ausradierung aus dem Leben, im vollen Bewusstsein zu begreifen. Im Sterben eröffnet sich nicht wie in anderen Lebenssituationen ein neuer Erfahrungshorizont, sondern es manifestiert sich sukzessive das Ende aller Erfahrung. Angesichts dieser schrecklichen Tatsachen fällt es schwer, noch klare Gedanken zu fassen, geschweige denn, Witze darüber zu machen.
Doch es lassen sich Komiker finden, die sich nicht scheuten, vorzulegen. In England war es Monty Pythons Flying Circus, dessen Mitglieder in „Das Leben des Brian“ am Kreuze hingen und dazu „Always Look On The Bright Side Of Life“ sangen. Unter den amerikanischen Komikern sticht Woody Allen heraus, der „das große Nichts“ und die Angst vor der „absoluten Negation“ mit dem Wunsch nach Unsterblichkeit und dem Leben nach dem Tod verbindet. Implizit ist hier die Suche nach Antworten. Gibt es ein Leben nach dem Tod? Allen: „Ich weiß nicht, ob es ein Leben nach dem Tod gibt, aber ich habe immer Wechselunterwäsche dabei.“ Wird sie ihre Arbeit unsterblich machen? Allen: „Ich will nicht durch meine Arbeit Unsterblichkeit erreichen, sondern dadurch, dass ich nicht sterbe.

Art Buchwald – amerikanischer Satiriker, Veteran des Zweiten Weltkrieges, bis zu seinem Rauswurf ältester Kolumnist der „New York Times“ und Posterboy verschiedener Organisationen zur Unterstützung von Geisteskranken – schließt thematisch an Autoren wie Woody Allen an und widmet sich in seinem kürzlich erschienenen Buch „Too Late To Say Goodbye“ dem Sterben.
Die Ausgangslage für dieses Buch könnte nicht schlechter sein. Nach einer Notoperation wegen eines Blutgerinnsels in seinem Bein, hören Buchwalds Nieren auf zu arbeiten. Die Ärzte drängen Buchwald zur Dialyse, eine Spenderniere kommt aufgrund seines hohen Alters (er ist 80 Jahre alt) nicht in Frage. Buchwald lehnt ab. Nach langem Überlegen entscheidet sich der Pulitzer Preis Gewinner sein Leben einfach ausklingen zu lassen. Seine Familie ist fassungslos, man versucht ihn umzustimmen, aber es nützt alles nichts. Er will keine Dialyse. Er will sterben. Wie Buchwald herausfindet, gibt es in Washington ein schönes Sterbehospiz und er mietet sich ein. Seine Ärzte geben ihm noch etwa drei Wochen zu leben, doch Buchwald lebt weiter. Und hier setzt nun die eigentliche Handlung eines aus der Unmöglichkeit geborenen Buches an.

„By all rights this book never should have been written. By all rights I should be dead“(1)

Ein Sterbehospiz ist ein trauriger Ort. Menschen können ihre Verwandten einweisen, um sie in Würde sterben zu lassen. Meistens dauert der Aufenthalt nur einige Tage oder Wochen. So wurde es auch Art Buchwald prophezeit. Doch etwas merkwürdiges geschieht: Alle ins Hospiz eingelieferten sterben, nur Buchwald nicht. Und nachdem aus drei Wochen im Hospiz drei Monate geworden sind, fängt der gar nicht eingerostete Mann wieder an zu schreiben, besser gesagt zu diktieren. Es entsteht ein Buch über das Sterben und darüber, wie man es für sich so fruchtbar machen kann, dass die letzten Züge des Lebens zu einem einzigen Freudenfest werden.
Das mediale Echo auf seine Entscheidung zu sterben, ist riesig. Radio und Fernsehstationen reißen sich darum, Interviews mit ihm zu führen und Buchwald nutzt die Situation geschickt. Das ganze Leben habe er versucht, Berühmtheit zu erlangen, schreibt er, aber erst im Angesicht des Todes bekomme er die Aufmerksamkeit, die ihm zusteht.
Nach seinen Auftritten im Radio und Fernsehen melden sich täglich Leute die Buchwald kennen, oder das zumindest glauben. Mit viel Humor beschreibt er die Treffen mit Freunden und Bekannten, die ihm die letzte Ehre erweisen. Die Palette der Kontakte reicht von Donald Rumsfeld (Rummy) bis Arnold Schwarzenegger. Beinahe von allen lässt er sich den letzten Wunsch erfüllen. Buchwald weiß dabei geschickt vorzugehen. Der Tod hat eine solche Größe, dass dem Todgeweihten kein Wunsch abgeschlagen wird. So vermittelt er mit seinem letzten Wunsch, entgegen aller akademischen Dienstwege, zwei Töchter von langjährigen Freunden an ein College, dessen Rektor in gutem Kontakt zu Buchwald steht.
Die Telefonate und Grußkartenfluten brechen nicht ab, ignoranter Weise beinhalten diese nicht nur Besserungswünsche, sondern wecken die Erinnerung an skurrile Geschichten aus der Vergangenheit. In Rückblenden werden diese Anekdoten pointiert erzählt und man kann kaum glauben, welche Wege Buchwalds Leben ging. Schon sie allein schaffen es, das Buch lesenswert zu machen. Dieselbe literarische Methode wendet „Mr. McDonalds“ (Buchwald war bis zu seinem Tod ein solch glühender Verehrer des Big Mac, dass er sich seine Burger durch einen Lieferservice ins Hospiz bringen ließ. Der Totenschmaus nach seiner Beisetzung sollte von McDonalds Catering ausgerichtet werden) auch dann an, wenn er liebe Freunde und alte Mitstreiter im Literaturkampf empfängt.
An dieser Stelle eine kleine Anekdote. Buchwald flog mit einer amerikanischen Delegation zu Zeiten Jimmy Carters nach China. Zwar wussten die Chinesen nichts mit einem Humoristen anzufangen und sie verstanden ebenso wenig seine Funktion in einer diplomatischen Delegation, aber wenigstens lachten sie jedes Mal grundlos, wenn Buchwald gerade zum Frühstück oder Abendessen erschien. Das Lachen sollte ihnen vergehen, als der angetrunkene Buchwald zu einer Rede anlässlich des Abschiedsbanketts anhob: „]I wish to thank all the people who made our trip so wonderful. The People's Republik knows how to treat the press. In America we would never be invited to sit in a banquet like this. We would be out in the rain waiting for news any kind. I want to thank the people who went through my luggage in my hotel room while we were at dinner to make sure my socks and shirts were in the right place. And the people who listened in on my telephone calls to my wife to make sure I had a clear line. But mostly I would like to thank the man who went from city to city with us and had the top of his head removed to prove acupuncture works.
Leider ist nicht genau überliefert, wie die Chinesen mit dieser Stand-up Nummer umgingen, es ist jedoch anzunehmen, dass die Atmosphäre im Raum ein wenig kühler wurde.

Da wir vorhin feststellten, dass das Sterben ein Teil des Lebens ist und das Leben immer wieder nervige Aufgaben bereithält, hält uns auch das Sterben in Atem. Irgendwie hat man nie genug Ruhe. Es bleibt einem (ist man fit wie Buchwald), die Urne auszusuchen, ein Grab zu kaufen, die Festlichkeiten der öffentlichen und privaten Beerdigung zu planen, das Catering zu ordern, die spätere Überführung der Asche zu organisieren etc. pp. Und natürlich will auch der Nachlass geregelt sein. Wen setzt man als Erben ein? Wer war nett? Wird der Erbe meine letzten Wünsche respektieren? Wird die Familie um das Erbe streiten? Wer ist der Raffgierigste und geht leer aus? Fragen über Fragen, die, wie Buchwald konstatiert, enorm wichtig sind. Gerade wenn es um den Nachlass geht. Hier, meint Buchwald, sei die Intuition gefragt. Sollte man im letzten Jahr seines Lebens plötzlich Wut auf jemanden entwickeln, müsse dieser jemand unbedingt aus dem Testament gestrichen werden, wahrscheinlich liegt ein unaufgearbeiteter Konflikt vor. Für alle die im Erbe bedacht werden wollen, gibt Buchwald den Tipp: „If you want to be kept in somebody's will, be nice and give him a box of candy.
Die Zeit ohne Besuch und leidigen „Orgakram“ verbringt Buchwald, wenn nicht gerade mit dem Anflirten von Krankenschwestern, dann mit dem Nachdenken über Perspektiven nach dem Tod. Hier ähnelt er sich stark Woody Allen an, bleibt aber bodenständig. Buchwald ist es nicht wichtig, dass es weitergeht. Klar, Marilyn Monroe im Himmel zusammen beim Baden mit Ava Gardner zu treffen oder mit Sinatra einen Drink auf der Jacht zu schlürfen, erscheint verlockend, hat aber etwas beinahe so fantastisches wie zu hoffen, das Paradies bestehe darin, den ganzen Tag mit zweiundsiebzig Jungfrauen unter einer Dattelpalme zu liegen. Das Leben nach dem Tod, das im Englischen mit dem treffenden Begriff „hereafter“ bezeichnet wird, zeichnet sich in Buchwalds Ausführung durch seine Weltlichkeit aus. Der Himmel ist ihm kein Jenseits, sondern lediglich ein besseres Diesseits, ein Diesseits, das auch auf Erden zu etablieren wäre. Es gibt dort Autos mit weniger Abgas, keine Steuern und weniger Armut. Eigentlich ist es wie in Monaco, der Schweiz oder in Luxemburg. Das Paradies scheint in einem so banalen Licht, dass es sich eigentlich kaum lohnt, darüber nachzudenken. Die Welt ist praktisch zu verändern und ein Reich in den Wolken – wer braucht das schon? Art Buchwald bringt es klar heraus: „The big question we still have to ask is not where we're going, but what were doing here in the first place“. Also, warum für die Idee des Paradieses sterben? Dafür gibt es bei Buchwald keinerlei Grund. Man hätte Anlass zur Freude, wenn sich diese Paradiesvorstellung virusähnlich unter jungen und alten Muslimen ausbreitete.

Nachdem die Kernpunkte von Buchwalds Lebensgeschichten und Reflexionen zum „hereafter“ abgehakt sind, geht das Buch in sein letztes Drittel, das er in Martha`s Vineyard fertig stellte (Aus dem Hospiz wurde er entlassen, weil er nicht sterben wollte). Es ist sehr bewegend, denn hier versammelt der Perfektionist seine eigenen Nachrufe. Das liegt nicht nur darin begründet, dass der Verlag Random House noch einen Kracher ins Buch bringen wollte, sondern in Arties (Buchwalds nickname) etwas paranoiden Anlage. Wer nicht will, dass nach seinem Ableben schlecht über ihn geredet wird, der sollte diesem Beispiel folgen und alle Nachrufe selbst abzeichnen. Buchwald hat die Nachrufe jedoch unbearbeitet belassen, was es dem Leser ermöglicht, das Ende der Rede von Mike Wallace – er war Leidensgenosse Buchwalds, denn auch er hatte schwere Depressionen – ungeschwärzt zu lesen: „Ninety percent of the time, he was a joy. Ten percent, he was a pain in the ass.
Mit „Too Soon to Say Goodbye“ erschien das letzte von Buchwalds insgesamt 35 Büchern. Zwei Monate nach Erscheinen starb Art Buchwald in Martha's Vineyard an Nierenversagen. Viel Angst wird er nicht gehabt haben, auch nicht davor, dass es kein „hereafter“ gibt, aber wie sollte auch jemand Angst vor dem „Nichts“ haben, der über die Zeit in einem Sterbehospiz schrieb: „I'am having a swell time – the best time of my life…Dying isn't hard.“

Kaubi

Anmerkung

(1) Alle folgenden Zitate aus: Art Buchwald, "To Soon To Say Goodbye", Random House New York, 2006

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last modified: 28.3.2007