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review corner Film, 1.4k

High five for Borat!

Borat, USA 2006, Regie: Larry Charles, borat.tv
„This moviefilm was under great criticism by my country's government because of the number of anti-semetisms. But, they decided there was enough.“ – Eine kurze Rezension

Es ist definitiv an der Zeit, ins Kino zu gehen. Nicht nur, weil das eine für Herbstabende sehr angebrachte Beschäftigung sein kann. Sondern weil mit „Borat“ ein zügellos-witziger, aber bitterernst durchgezogener Film im Format von „Deckname Dennis“ auf dem Programm steht: eine Fake-Dokumentation des Pseudo-Kasachen Borat Sagdiyev, der als vermeintlicher kultureller Botschafter durch die „US and A“ tourt. „Cultural learnings of America for make benefit glorious nation of Kazakhstan“ steht im Untertitel und ist Programm, nämlich eine teilnehmende Beobachtung in Sachen Kulturalismus. Die Kunstfigur Borat übte sich darin schon länger, nämlich in der Ali G.-Show, moderiert von einem anderen Alterego des britischen Komikers Sacha Baron Cohen. Da verschlug es Borat mal in einen Country Club, um kasachische Countrymusik vorzutragen. Zuerst schräg beäugt, schunkelte und sang das Publikum dann doch mit, als der Refrain ab der zweiten Strophe plötzlich hieß: „Throw the Jew down the wall, so my country can be free…“
Barbie, 27.3k Nun füllen Borats cultural learnings fast neunzig Minuten, seine Methode bleibt dieselbe. Vorgeführt wird nicht nur die Absurdheit xenophober Stereotypien. Ins Schussfeld geraten auch moderne Formen des Aberglaubens: zu Beginn sucht Borat Schutz durch „Zigeunertränen“, am Ende versprechen ihn christliche Fundamentalisten Errettung seiner Seele durch „Mr. Jesus“. Schließlich persifliert der Film das Glücksversprechen kulturindustrielle Erzeugnisse: seine befremdlich wirkenden familiären Beziehungen tauscht er ein gegen den Plan, Pamela Anderson zu heiraten („Agreement not neccessary!“) In alledem steckt damit aber nicht mehr das Gelächter über das Fremdartige, weil Borat so unbeholfen wirkt, wenn er schon den Fahrstuhl für sein Hotelzimmer hält, oder weil ihn mit seiner Schwester (andeutungsweise) sexuelle Interessen verbinden. In der Situationskomik des Films werden vielmehr auf einer mal derb-plumpen, mal subtilen bis sublimen Ebene bürgerliche Borniertheiten vorgeführt.
Borat, der im Film als kulturell zurückgebliebenen Osteuropäer belächelt und dem für seine Wendung gen westlicher Zivilisation die Reverenz erwiesen wird, erfährt in seiner Hinterwäldlerei – wenn er etwa davon berichtet, dass in seinem Dorf, ähnlich einem spanischen Stiertreiben, Juden durchs Dorf gejagt werden – Zustimmung, indem seine Gastgeber vor ihm ihr eigenes, tatsächlich überlegenes Maß an modernistischem Ressentiment ausbreiten: Der Gebrauchtwagenhändler, der Borat berät, wie schnell er fahren muss, wenn er in eine Gruppe Zigeuner rast; der Waffenhändler, der Borat eine Pistole gegen Juden empfiehlt; die Gruppe College-Teenager, die sich vollaufen lassen und gemeinsam mit Borat auf Minderheiten schimpfen; der Südstaatencowboy, der Homosexuelle wegsperren oder, wie in Borats Kasachstan, gleich hinrichten lassen will („We try to enforce it here, too“). Schließlich, nachdem Borat mit Feministinnen und Homosexuellen Bekanntschaft machte, die bourgeoise Essensgesellschaft, die den Sheriff ruft, als er seine Freundin, eine farbige Prostituierte, zu Tisch bitten will.
Nicht verstehen wird den Film, wer es für voll nimmt, wenn der Hauptdarsteller bar jeder political correctness gegen Frauen, Homosexuelle, Zigeuner, Juden abzieht. Denn was so bitterböse wirkt, ist nicht der derbe, überzogene jackassianische Humor, sondern die Groteske ihres Gegenstandes und dessen Irrationalität. Gefragt, warum nicht innerhalb der USA mit dem Flugzeug geflogen werden soll, heißt es: „My producer did not want to fly in case the Jews attempt another 9-11“. Und zu Gast bei einem jüdischen Ehepaar bekommen es Borat und sein Produzent nicht nur mit der Angst zu tun, man wolle sie vergiften, obwohl ihnen gerade mehr Gastfreundschaft zuteil wird als auf den bisherigen Stationen ihrer USA-Rundreise; als unter dem Türspalt zwei winzige Schaben erscheinen, glauben sie, die Juden hätten sich verwandelt. Sie werfen Geldscheine auf die Insekten („Give 'em more, give 'em more!“) und flüchten in die Nacht.
Und trotzdem: „Borat“ ist kein Politfilm. Er appelliert nicht an Moral und Anstand, er setzt nicht auf Polemik und Argumente. Das ist gut, weil sich so nicht ignorieren lässt, was er aussagt, ohne es auszusprechen, und weil er auch nicht über die Immanenz der Erscheinungen betrügt, auf die der Zuschauer gestoßen wird – und sei es das eigene Lachen über einen von Borats dummen Witze. Der Film ist damit dokumentarischer und authentischer als etwa Michael Moores demagogische Versuche der Mobilisierung des Gegenressentiments, weil der Plot so viel direkter ist: ein sexistischer, homophober, rassistischer und antisemitischer osteuropäischer Hinterwäldler zu Gast bei sexistischen, homophoben, rassistischen und antisemitischen westlichen Spießern, die sich kulturell überlegen wähnen. Ihre in Gänze der Laufzeit immer wieder explizierte, hier gerade witzig wirkende Verwandtschaft im Denken ließe sich sachlich nur noch fassen in den Termini der Dialektik der Aufklärung. Borats absurdes Theater ist damit – auch wenn das manch linken VerfechterInnen der political correctness gegen den Strich läuft und so gar nicht in ihre Gegenkulturkonzepte passt – Subversion in der Kulturindustrie, ist Kommunikationsguerilla auf der Höhe der Zeit, ernste Aufklärung in der Popkulturnische des Unernsten. Manche haben schon South Park – The Movie verpasst und nie lieben gelernt. Den Fehler sollten sie nicht wiederholen.

F.K.

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last modified: 28.3.2007