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Wir dokumentieren im Folgenden einen Redeveitrag der AG Antifa im Stura der Universität Halle, den diese bei der Kundgebung „Keine Gastfreundschaft für Volksverhetzer! Solidarität mit Israel – Gegen Ahmadinedjad und seine deutschen Neonazi-Freunde“, organisiert durch das Bündnis gegen Antisemitismus Leipzig, am 21.06.2006 in Leipzig gehalten hat.
dokumentation, 1.1k

Der Hass auf
Israel als Verrat
an der Aufklärung


Sehr geehrte Damen und Herren,

auf der Homepage von Honestly Concerned kann nicht nur eine Petition gegen die Einreise Mahmud Ahmadinedschads in die Bundesrepublik unterschrieben werden; die Unterzeichner dürfen ihre Unterschrift auch noch begründen. Einigen Leuten geht es vor allem um das Ansehen Deutschlands, wie vermutlich auch denjenigen, die bei einer israelsolidarischen Kundgebung in Nürnberg ausgerechnet die Fahne der Nation schwenkten, die Auschwitz verbrochen hat und heute eine Appeasement-Politik mit dem Islamismus betreibt. Andere begreifen sich eher als Kindergärtner, die glauben, aufgrund der deutschen Vergangenheit eine besondere „Verantwortung“ für Juden zu haben. Der größte Teil setzt allerdings auf Skandalisierung und moralische Verurteilung; sein Adressat ist eine kritisch reflektierende Öffentlichkeit. Dieses moralische Engagement ist zweifellos ehrenwert – gerade in einer Zeit, in der der Iran auf dem besten Weg zur Bombe ist, kann Israel jeden Freund gebrauchen. Allerdings ist dieses Engagement hilflos. Seine Repräsentanten halten die Solidarität mit Israel für eine Frage der Moral; sie halten den Israelhass, die geopolitische Fortführung des Antisemitismus, für eine Folge mangelnder Bildung und glauben, die Öffentlichkeit müsse nur mit Fakten, Fakten, Fakten konfrontiert werden, um von der Widerwärtigkeit der Mullahs und der Notwendigkeit der Solidarität mit Israel überzeugt zu werden. Groß ist das Erstaunen vieler Freunde Israels immer dann, wenn ihre Ausbreitung der Tatsachen ignoriert und auf ihre moralische Argumentation mit dem ebenso moralischen Verweis auf getötete palästinensische Zivilisten reagiert wird; groß ist das Erstaunen auch dann, wenn in einer Zeit, in der der „kritische Dialog mit dem Islam“ längst mit der „kritischen Solidarität mit Israel“ verschwägert ist, auf das generös vorgetragene Bekenntnis zum Existenzrecht Israels die Forderung nach einer Zusammenarbeit mit den Mörderbanden der Hamas folgt.
Wir verzichten daher an dieser Stelle zu Gunsten der anderen Redner auf eine moralische Skandalisierung des Projekts „Ahmadinedschad zu Gast bei Freunden“ und wollen versuchen, einige Hintergründe des Hasses auf Israel zu benennen. Gegen viele wirkliche und nahezu alle „kritischen“ Freunde Israels soll darauf verwiesen werden, dass Israel nicht nur die einzige Demokratie im Nahen Osten ist. Israel ist auch nicht „nur“ der Garant dafür, dass Juden auch anderswo überleben und leben können – was, nebenbei bemerkt, ein mehr als ausreichender Grund für eine Solidarität wäre, die nicht immer wieder an Bedingungen geknüpft wird.

Zeitungsausschnitt, 40.3k

Siehe zu den Bildern auch das Editorial.


Zur Erklärung muss ein wenig ausgeholt werden: Mit der Aufklärung wurde der Mensch zum Maß der Dinge ernannt; alle Menschen sollten unabhängig von Herkunft, Stand und Nationalität Brüder werden. Die bürgerliche Gesellschaft war ihrem Selbstbild nach der Zustand, in dem das größtmögliche Glück der Individuen im Zentrum aller Bestrebungen steht. Dieses Selbstbild stimmte allerdings nicht mit der Realität überein. Anstatt das Ideal, also: das bürgerliche Glücksversprechen, wie von Marx erhofft, zum Maßstab der Realität zu machen, sehnten sich die Menschen entweder nach der schlechten Realität von vorgestern – nach Sippe, Stamm, Blut, Boden und Scholle – zurück oder verdammten ausgerechnet das am Status Quo, was dem Ideal schon nahe kam: Individualität, den Luxus des Bürgertums oder den Weltmarkt, in dem die Idee einer staatenlosen Weltgesellschaft bereits angelegt war. Anstatt in einen wahrhaft menschlichen Zustand einzutreten, fielen sie über diejenigen her, die sie mit den unbegriffenen Rätseln und den als negativ empfundenen Erscheinungen des Systems der Wertvergesellschaftung identifizierten: die Juden.
Der Zionismus ist die Reaktion auf dieses Scheitern des Glücksversprechens der Aufklärung. Israel ist dementsprechend kein Staat wie jeder andere. Durch seine Existenz wird nicht nur daran erinnert, dass das Glücksversprechen, mit dem die bürgerliche Gesellschaft angetreten war, nicht erfüllt wurde, sondern im Umkehrschluss auch daran, dass es noch auf seine Einlösung wartet. Als Reaktion auf die Barbarei einer in Staaten eingeteilten Welt fungiert der jüdische Staat in mehrfacher Weise als Statthalter einer wirklich menschlichen Gesellschaft. Das heißt nicht, dass zwischen Golan und Eilat alles Friede-Freude-Eierkuchen ist – auch dort sind bekanntlich die alltäglichen Widerwärtigkeiten bürgerlicher Herrschaft zu beobachten. Aber die Existenz des jüdischen Staates zeigt, dass es noch etwas anderes geben kann, als die Organisation der Menschen in Horden, Stämme und Völker. So ist Israel nicht nur der einzige Staat, dessen Bewohner in der nächsten großen Krise nicht dem gesellschaftlich notwendigen Schein des Systems der Wertvergesellschaftung aufsitzen und „Die Juden sind unser Unglück“ rufen werden. Qua seiner Verfasstheit als jüdischer Staat, der jeden Juden, sei er nun aus Kasachstan, Mali oder den USA, als potentiellen Staatsbürger betrachtet und ihn, wenn er denn will, auch zu seinem Staatsbürger macht, ist Israel gleichzeitig das Paradox einer kosmopolitischen Nation. Der jüdische Staat erinnert damit in gewisser Weise an das revolutionäre Frankreich. Wie sich nach Auffassung der frühen französischen Republikaner jeder als Franzose begreifen durfte, der sich zu den Idealen der Revolution bekannte, kann jeder, der sich zum Judentum, der Staatsidee Israels, bekennt, auch Staatsbürger werden. Anders als von zahlreichen Gegnern Israels immer wieder behauptet, hat dieser Versuch, aus der Erfahrung der Verfolgung Staatsbürgerschaft zu stiften, nichts Exklusives. Denn seien wir ehrlich: Im Notfall dürfte es leichter sein, einen pragmatischen Rabbi zu finden, der die Konversion vornimmt, als einen deutschen Einbürgerungstest auszufüllen.
Doch nicht nur dieser kosmopolitische Charakter Israels, auch die immer wieder beklagte „Künstlichkeit“ des jüdischen Staates signalisiert, dass es mehr geben kann, als die schlechte Provinzialität sächsischer Erbhöfe. Diese so genannte „Künstlichkeit“, die Gründung am Reißbrett und die nicht vorhandene Verbindung von Blut, Boden und Scholle, stellt das Selbstverständnis nahezu der gesamten Staatenwelt in Frage; sie zeigt, dass Staaten nichts Gottgegebenes und Naturwüchsiges sind, sondern von Menschen gemacht werden – dass Menschen also, wenn sie denn wollen, auch das Gegenteil: eine Gesellschaft ohne Staaten, schaffen könnten. Das heimliche Motto Israels lautet dann auch: Die Menschen machen ihre Geschichte. Während sich der Rest der Menschheit längst mit seinem Schicksal abgefunden hat und nur noch exekutiert, was ohnehin auf der Tagesordnung steht, haben sich die Zionisten im besten bürgerlichen Sinn entschieden, Gott, Glück und anderen höheren Gewalten nicht mehr länger zu vertrauen und ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. In einer Welt, in der mit dem Begriff „Sachzwang“ jede Sauerei gerechtfertigt werden kann, stellt diese Absage an Schicksal, Ohnmacht und Naturverfallenheit eine einzige Herausforderung dar.
Der Kampf gegen Israel ist damit das, was Ignazio Silone in Hinblick auf den Faschismus formulierte: Er ist die Konterrevolution gegen eine Revolution, die noch nicht stattgefunden hat. Hinter dem Hass auf Israel verbirgt sich kein Mitleid mit den Palästinensern – wer Mitleid mit ihnen hat, sollte sie zuallererst gegen ihre Führer und Vorbeter unterstützen. Hinter dem Hass auf Israel verbirgt sich vielmehr der Hass auf das bürgerliche Glücksversprechen, auf Genuss, Erfüllung und diejenigen, die sich nicht an den Suppenküchen der Hamas oder der Hisbollah abspeisen lassen wollen.
Vor diesem Hintergrund muss die faktenorientierte Aufklärungsarbeit der moralisch argumentierenden Israelsolidarität notwendigerweise scheitern. Das Dumme: Die materialistische Kritik ist derzeit nicht weniger hilflos. Derzeit ist bekanntlich keine Bewegung in Sicht, die den Marxschen Imperativ, „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“, umsetzen kann; derzeit existiert mit anderen Worten keine Bewegung, die den einzigen Zustand schafft, in dem auch Adornos kategorischer Imperativ, „alles einzurichten, dass Auschwitz nicht sich wiederhole“, eingelöst werden kann. In dieser Situation trifft sich der Zionismus mit dem Materialismus. Die zionistische Antwort auf Auschwitz ist damit zwar nach wie vor die falsche – die richtige Antwort wäre die Abschaffung des falschen Ganzen gewesen. Unter den gegebenen Umständen, in einer Zeit also, in der sich die Tätigkeit des Gesellschaftskritikers auf das Schreiben von Essays beschränkt, die doch niemand liest, ist sie allerdings die einzig Richtige. Denn: Gegen Antisemiten, so lautet ein in unseren Kreisen inzwischen zu Tode zitierter, dafür aber noch immer zutreffender Ausspruch Woody Allens, gegen Antisemiten helfen weniger Essays als Baseballschläger. In Bezug auf den Iran heißt das:

Schluss mit dem Appeasement gegenüber dem Mullah-Regime!
Schluss mit dem Verständnis für diejenigen, die fortsetzen wollen, was die Deutschen im Nationalsozialismus begonnen haben!


ag antifa im stura der uni halle, Juni 2006

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last modified: 28.3.2007