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das Erste, 0.9k

„Der Hauptfeind steht
im eigenen Land“
(K. Liebknecht) – oder?


Nationalismus – ein altes Gespenst geht um in Deutschland. Ein altes? Ist MIA völkisch? Ist die Kampagne „Du bist Deutschland“ rassistisch oder antisemitisch? Ist das Weltmeisterschaftsmotto „Die Welt zu Gast bei Freunden“ geheuchelt? Nein. Die Protagonisten des neuen, bunten Nationalismus sind weltoffen, multikulti und nett. Sie sind zivilisierte Kosmopoliten, die ihrem Land ein ernstgemeintes buntes Flair geben wollen und sich bewusst oder unbewusst eher am amerikanischen, holländischen und französischem Patriotismus orientieren.
Sicherlich, die Identifikation mit der eigenen Nation ist und bleibt borniert – genauso wie die Identifikation mit der eigenen Stadt, dem örtlichen Fußballverein oder einer bestimmten Automarke. Stopp! ruft die radikale Linke. Zwei bekannte Argumente sprächen gegen diese Gleichsetzung. Die Nation und die Identifikation mit ihr seien viel schlimmer als Lokalpatrioten, Fußballfans und VW-Prolls.

Nationalismus als Ausgrenzung?

Fußball, 48.7k

Erstens: „Nation bezeichnet die identifikatorische Bindung und Zusammenfassung einer Menschenmasse über die Vermittlung durch den Staat und über ein Territorium, womit sich die Nation als nationale Identität in jedem einzelnen Angehörigen Geltung verschafft. [...] Mit dieser Formierung der Gemeinschaft geht logisch und historisch notwendig eine doppelte Abschottung nach innen und außen gegen diejenigen einher, welche per definitionem nicht dazugehören. Ein Kollektiv bildet sich daher nur durch gleichzeitigen Einschluss und Ausschluss von anderen Kollektiven, die Konstruktion eines »Wir« beinhaltet notwendig die eines »Sie«. Die Form der Nation ist daher immer verbunden mit der Ausschließung von Nichtdazugehörigen; Rassismus und Antisemitismus sind die zwei wirkungsmächtigen Formen dieses Ausschlusses [...].“(1) Ein lupenreiner linker Lexikoneintrag. Aber was ist, wenn plötzlich jene, die von Antisemitismus und Rassismus verfolgt sind, zu deutschen Patrioten werden dürfen oder gemacht werden? Gerald Asamoah konnte seinen Spruch aufsagen bei der Kampagne „Du bist Deutschland“ und Paul Spiegel, der kürzlich verstorbene ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden, wurde post mortem vom Bundespräsidenten zum „deutschen Patrioten“ erklärt. Wie kommt es, dass sich Horst Köhler, die Kampagne und solche Nationen, in denen Hautfarbe, Herkunft, Abstammung und Religion für die nationale Zugehörigkeit kaum eine Rolle spielen, obiger linker Lexikondefinition entziehen? Ist Nationalismus vielleicht doch nicht „immer“ so „logisch“ und „historisch notwendig“ mit Ausgrenzung nach innen und außen verbunden? Dass es mitunter und gerade in Deutschland so war und dass im Nationalismus die Möglichkeiten von Antisemitismus und Rassismus enthalten sind, ist allseits bekannt. Aber vielleicht hat die Nation, selbst die deutsche, innerhalb der Weltgemeinschaft ideologisch bei den zeitgemäßesten ihrer Bürger, etwa denen aus Berlin und Frankfurt/Main, heute einen so wichtigen Platz wie die Heimatstadt eingenommen(2), so dass der Stolz einen spielerischen und bunten Ausdruck in Pop und fetzige Kampagnen sucht? Wäre dem so, dann müsste der Slogan „Du bist Deutschland“ ähnlich bewertet werden wie „Mein Leipzig lob ich mir“. Wäre dem nicht so und die bunten Nationalisten gehen einen „Umweg“(3), um sich letztlich als Nationalisten alten Schlages entpuppen zu dürfen, dann wäre die Aufregung der völkischen Nationalisten umsonst. Vielleicht verfügen die ordinären Nazis aber auch einfach über einen besseren Riecher hinsichtlich dessen, auf was der bunte Nationalismus hinauswill. Jedenfalls reagiert der Schutzbund Deutschland aggressiv auf die Kampagne „Du bist Deutschland“: „Unsere Sinne sollen benebelt werden [...] Sie, die Deutschland abgrundtief hassen und denen Vaterlandsliebe und Heimat nicht das geringste bedeuten, die selbst das deutsche Volk, also jeden einzelnen von uns, als gewachsene Gemeinschaft ausradieren wollen, sprechen auf einmal von Deutschland. Doch meinen sie damit [...] nicht jenes Land in seinen nach wie vor völkerrechtlich gültigen Grenzen. Sie meinen, wenn sie von Bevölkerung sprechen, auch nicht das deutsche Volk. [...] Sie tauschen uns aus und an unsere Stelle tritt eine biologisch, kulturell und traditionell entwurzelte Menschenmasse von [...] Einzelmenschen, die [...] sich von »fast food« ernähren und deren einzige Träume die Stillung des von der Werbung gesteuerten Konsumrausches sind. Familie, Sippe und Volk haben in dieser Welt keinen Platz [...] Sie reden von Deutschland und meinen damit doch nur diesen von Besatzern installierten und kontrollierten Vasallenstaat BRD. [...] BRD bedeutet: Diktatur der Toleranz und Diktatur des Kapitals. [...] Sie reden von Deutschland und meinen Berlin und Frankfurt/Main. Sie reden von Deutschland und meinen Gerald Asamoah und Xavier Naidoo.“
Wie würden solche ordinären Nazis wohl auf MIA reagieren? Wären sie froh darüber, dass durch deren Nationalismus der „westlich geprägte Popbegriff unterhöhlt“(4) wird? Oder würden sie sich ärgern, dass ihre geliebte Nation durch die Kulturindustrie unterhöhlt wird? Erfassen sie nicht die Wahrheit, wenn sie darauf insistieren, dass der bunte Nationalismus die völkische Idee ausschließt?
Doch es gibt noch ein anderes geläufiges Argument gegen bunten Nationalismus.

Nationalismus als Verdrängung?

Zweitens: „Die Herstellung nationaler Identität im gegenwärtigen Deutschland [...] besteht [...] in der Bereinigung der deutschen Nation vom NS. [...] In letzter Instanz ist die Identifikation mit Deutschland, auch gerade jene, welche sich von der Vergangenheit befreit haben will, nichts als das Einverständnis mit dem organisierten Massenmord.“(5) Die Bereinigung vom Massenmord ist das Einverständnis mit ihm, seine Verdrängung am Ende gar die Affirmation? Hier scheint Dialektik Spagat zu bedeuten. Eine Wahrheit in der zitierten widersprüchlichen Behauptung kann trotzdem entfaltet werden: Nationalismus, der sich wie auch immer auf Deutschland beruft, ist pietätlos. Immerhin ist mit diesem Begriff, wie auch immer er neu besetzt wird, Auschwitz assoziiert. Indem die Deutschen die nationalsozialistische Vergangenheit und damit den Massenmord in ihrem bunten Nationalismus ausblenden, verhindern sie zugleich eine Auseinandersetzung mit ihm und seinen Ursachen. Solches Nichtverständnis von ihm unterminiert Reflexion und die Widerständigkeit gegen ihn und schafft so die Voraussetzung eines Einverständnisses mit ihm. Zugleich aber – und das ist entscheidend, um die Gegenwart zu bereifen, statt sie in geschichtlich abgewirtschaftete Begriffe zu pressen – ist der bunte Nationalismus das Ergebnis eines Auseinandersetzungsprozesses. Er hat gelernt: Es gibt keine Rassen; Herkunft, Hautfarbe und Religion spielen nicht die entscheidende Rolle fürs Deutschsein; Jüdische Gemeindezentren und Moscheen zündet man nicht an, sondern fördert man; die eigene Nation besteht innerhalb eines Staatenbundes, in dem alles friedlich geregelt werden kann. In diesem Lernprozess ist nicht das „Einverständnis mit dem Massenmord“, sondern dessen Ablehnung treibendes Motiv. Kein rassisch reines Deutschland, sondern die Bevölkerungsvielfalt Berlins und der Mainmetropole sind die Referenzpunkte. Bekundet wird dieser Lernprozess allerorten durch Mahnmale, Museen und Gedenkveranstaltungen.

Weltgemeinschaft und Islamismus

Der bunte Nationalismus steht in Gegnerschaft zu Antisemitismus und Rassismus und möchte und kann Deutschland in genau diesem Sinne zivilisieren. Seiner Kompatibilität mit den globalen Ideologien Antizionismus und Antiamerikanismus ist das sogar zuträglich. Während Antisemitismus und Rassismus ihre Zutaten aus biologistischen und völkischen Vorstellungswelten bezogen haben, beziehen sich Antizionismus und Antiamerikanismus positiv auf die Weltgemeinschaft. In deren vorgestellten Zusammenhang tut die Nation nicht zwingend Not, kann aber als eine Art Gau figurieren – am besten mit Vorkämpferfunktion.
Es ist nicht so – das beweist etwa die Bild-Zeitung –, dass der bunte Nationalismus zwangsläufig mit Antiamerikanismus und Antizionismus einhergehen muss. Wo diese Melange zustande kommt, erweist sie sich allerdings als in sich konsistente Ideologie, die im Gegensatz zum völkischen Nationalismus zukunftsfähig ist und trotzdem die vormals im Antisemitismus aufgehobene Verteufelung des Abstrakten nicht ausschließt, für welches nun die vermeintlich imperialistischen und egoistischen Mächte USA und Israel herhalten müssen, während das Bedürfnis nach Konkretheit nunmehr in der Weltgemeinschaft sein Objekt hat.(6) Ob sie sich zum Steigbügelhalter des Islamismus macht, ist noch nicht entschieden. Gemein hat sie mit diesem zwar Antiamerikanismus und Antizionismus, fremd ist ihr jedoch die Unterjochung der Frau, die religiöse Inbrunst, die Ablehnung jeglicher Erotik und die ungeheure Brutalität, zu der Islamisten fähig sind. Außerdem sind da ja die ordinären Nazis, die ihre Solidarität mit den Islamisten mittlerweile – soweit diese nicht ihrer angestammten Scholle entweichen – offen bekunden. Das ist den bunten Nationalisten ein Warnzeichen. Insofern erfüllen die abgewirtschafteten ordinären Nazis in ihrem schleichenden – und in der Provinz äußerst brutalen und vielleicht nicht endenden – historischen Abgang doch noch eine ungewollte antifaschistische Mission. Sie bezeugen der Welt in ihren Solidaritätsbekundungen gegenüber dem Islamismus dessen Verwandtschaft mit der Nazi-Ideologie: „Mit unseren Aktionen wollen wir vor allem die Fußballmannschaft des Iran zu ihrem am 21. Juni in Leipzig stattfindenden Spiel im Freistaat begrüßen. Angesichts der täglichen Hetze gegen Teheran [...] wollen die sächsischen Nationaldemokraten ein bewusstes Zeichen der Solidarität mit einem Volk setzen, das wohl in nicht allzu ferner Zukunft mit einem brutalen Militärschlag der USA und ihrer Verbündeten rechnen muss, weil es sich dem Diktat des angeblich‚»freien Westens« nicht unterordnen will. Im übrigen empfand ich schon die noch bis vor kurzem ernsthaft von einigen bundesrepublikanischen Politikern erhobene Forderung nach einem Ausschluss der iranischen Mannschaft von der Fußball-Weltmeisterschaft aus Gründen der »political correctness« als unerträgliche Schande für ein Gastgeberland, das dieses weltweite Sportereignis unter dem Motto »Die Welt zu Gast bei Freunden« firmieren lässt. Wir Nationaldemokraten [...] sagen: Herzlich Willkommen in Leipzig!“ (Holger Apfel, NPD-Fraktionschef im sächsischen Landtag)

Der Hauptfeind

Fazit: die ordinären Nazis haben geschichtlich abgewirtschaftet und grüßen ihre Freunde – die Islamisten. Die bunten Nationalisten sind borniert und pietätlos, aber gefährlich wirklich erst dann, wenn sie zugleich Antiamerikaner und Antizionisten sind. Doch selbst als solche schaffen sie es höchstens zum Steigbügelhalter der größten gegenwärtigen Gefahr, um deren Benennung sich die antideutsche Gruppe sinistra! bewusst herumdrückt: „there are major differences within the anti-German movement concerning this issue. While it is common sense to make mention of the American role in World War 2 and the fact that the people in the concentration camps were freed by the allied powers and not by the German left, as often as necessary, some anti-German groups (often referred to as »hardcore anti-Germans«, although this term might be quite misleading) made it a point to celebrate every single move in American foreign politics in the past and present. Instead of just giving the US credit for the major role they’ve played in defeating Nazi-Germany in World War 2 and thereby putting an end to the holocaust, these groups are drawing close similarities between WW 2 and the »War on Terror«. By this they are putting the reactionary and anti-Semitic regimes in the so called Islamic world on one level with the Nazis. This is not only a serious minimization of the nazi era and the holocaust, but also a violation of the (radicalized) categorical imperative of Karl Liebknecht, that the main enemy is one’s »own country«. These anti-Germans see themselves on the side of civilization and declare Islam their main target instead of Germany.“(7) Gegen solche Standortlogik müssen mit aller Nachdrücklichkeit die Ähnlichkeiten des Islamismus mit dem Nationalsozialismus hervorgehoben werden – Ähnlichkeiten, aufgrund derer der Islamismus noch nicht auf dem gleichen Level mit dem Nationalsozialismus steht. Dass er nicht auf dieses Level kommt, dass sich Auschwitz und Ähnliches nicht wiederholt, ist die Aufgabe. Wer den Islamismus als Gefahr verkennt, könnte übrigens auch mit einer Dialektik als Spagat abgefertigt werden, frei nach einer sinistra!-Aussage (s.o.): Die Herstellung einer links-antideutschen Identität im gegenwärtigen Deutschland besteht in der Verleugnung der Gefahr des Islamismus. In letzter Instanz ist solche negative Identifikation mit Deutschland, die in der Formel, dass der Hauptfeind immer im eigenen Land stände, ihren Ausdruck findet, nichts als das Einverständnis mit dem Massenmord, den nicht die Deutschen, sondern gegenwärtig die Islamisten auf die Agenda gesetzt haben. Erinnert sei beispielsweise an die Islamistendemo in London, auf der unter allerlei menschenfeindlichen Transparenten eins beinhaltete: „Be prepared for the real Holocaust!“
So paradox und widerbegrifflich es scheint: Antideutsche hierzulande haben zu begreifen, dass der Hauptfeind derzeit nicht im eigenen Land steht.

Hannes Gießler

Fußnoten

(1) Daniel Knoll [sinistra! Radikale Linke], Kapital und Nation – Zur Einführung, www.icantrelaxin.de/texte/sinistra_mousonturm.html
(2) Übrigens meinte die Leipziger Torwartlegende und der WM-Beauftragte der Stadt Leipzig René Müller letztens als erbauliche Abschlussbotschaft in einem Fernseh-Interview: „In diesem Sinne: Die Welt zu Gast bei Leipzig“.
(3) Marvin Alster, »Wir sind Wir« Das popkulturelle Deutschland fährt völkische Geschütze auf, www.icantrelaxin.de/texte/text-wirsindwir.html
(4) Marvin Alster, a.a.O.
(5) Daniel Knoll, a.a.O.
(6) zu dieser Verteufelung siehe: Moishe Postone, Nationalsozialismus und Antisemitismus, www.hagalil.com/antisemitismus/antisemitismus/theorie/texte/postone-01.htm
(7) Who are the Anti-Germans? [Interview], www.copyriot.com/sinistra/


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last modified: 28.3.2007