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dokumentation, 1.1k

Das Unwesen der Gesellschaft

Drei Referate der Gruppe in Gründung (Leipzig)

      „Where everything is bad
      it must be good
      to know the worst.“

      F.H. Bradley
Vor fünfzehn Jahren formulierte sich in dem Bestseller Das Ende der Geschichte der damalige Geist der Zeit. „Es sind gute Nachrichten zu vermelden. Die liberale Demokratie bleibt das einzig klar umrissene politische Ziel, das den unterschiedlichen Regionen und Kulturen rund um die Welt gemeinsam vor Augen steht. Außerdem haben sich liberale wirtschaftliche Prinzipien – der »freie Markt« – ausgebreitet, und das hat sowohl in den industriell entwickelten Ländern als auch in den Ländern, die zur verarmten Dritten Welt gehörten, zu nie da gewesenem Wohlstand geführt.“ (F. Fukuyama) Mittlerweile sind Fukuyama und das unbekümmerte Lob des freien Marktes und des Liberalismus kaum noch wahrzunehmen, während angesichts wirtschaftlicher, politischer und sozialer Krisen der Antikapitalismus wieder en vogue ist.
Karl Marx wäre schockiert, würde er erfahren, dass das Kapital immer noch sein Unwesen treibt, jenes gesellschaftliche Verhältnis, welches er schon vor 150 Jahren vorgefunden hatte. Doch ist es das von Marx kritisierte Kapital allein, das die Weltgesellschaft des letzten Jahrhunderts auszeichnete? Nein. Es ist schlimmer gekommen, als es Marx vor Augen hatte. Bestürzt wäre er über den totalitären Sozialismus; entsetzt über den Nationalsozialismus und dessen unbegreifliches Vernichtungswerk Auschwitz.
Fußballer für Frieden und gegen Atomwaffen, 28.5k Wie konnte es geschehen, dass das Proletariat nicht gegen Ausbeutung und Unterdrückung revoltierte? Was war vorgefallen, dass im Osten unterm Mantel des Sozialismus im Namen der proletarischen Diktatur ein totalitärer Modernisierungsprozess gegen alle Humanität durchgesetzt werden konnte? Warum konnte eine völkische Erweckungsbewegung wider Vernunft und kapitalistische Rationalität mit Hilfe der deutschen Bevölkerung einen gewaltigen Raubkrieg und ein totales Vernichtungsprojekt gegen einen Teil der Menschheit durchführen?
Gesellschaftskritik hat sich neu auszurichten. Der real existierende Sozialismus stellte die proletarische Revolution – den Hoffnungsträger – auf den Kopf. Das Ergebnis war ein Surplus an Herrschaft. Der Nationalsozialismus ist weder als kapitalistische Gesellschaft zu begreifen, noch tragen Kapitalisten für ihn die Hauptverantwortung. Gegenüber dem Nationalsozialismus war der kapitalistische Westen ein Hort der Freiheit. Gut und Böse ordneten sich neu. Welche gesellschaftlichen Entwicklungen sind dafür ausschlaggebend gewesen? Wie lässt sich das Unwesen der Gesellschaft begreifen?
Ist der Nationalsozialismus in der Konstitution der Bundesrepublik und der Weltgesellschaft enthalten wie der Geist in der Flasche oder ist er besiegt? Was hat der Islamismus, der in seinen Vernichtungsdrohungen gegen Israel und westliche Freiheiten dem Nationalsozialismus nacheifert, mit der Moderne und dem Nationalsozialismus gemein? Wie konnte der politische Islam zu einer totalitären Massenbewegung werden, der sich viele Millionen Menschen bis hin zur Selbstvernichtung andienen?
In der kritischen Auseinandersetzung geht es uns um die Notwendigkeit und die Möglichkeit einer Gesellschaft, deren Freiheit auf der Freiheit aller Individuen basiert. Frei wären die Individuen dort, wo sie sich unabhängig von Not und Herrschaft entfalten können. „Die reductio ad hominem, die alle kritische Aufklärung inspiriert, hat zur Substanz jenen Menschen, der erst herzustellen wäre in einer ihrer selbst mächtigen Gesellschaft. In der gegenwärtigen jedoch ist ihr einziger Index das gesellschaftliche Unwahre.“ (Th. W. Adorno)

Die Unwahrheit der Gesellschaft ist ihre Vorherrschaft über Individuum und Menschheit

Do., 29.6.2006, 19.30 Uhr, Volkshaus Leipzig – Saal im Hinterhof – Karl-Liebknechtstr. 32

Revolutionäres Ziel wäre – der Möglichkeit seiner Versöhnung wegen – nicht die Abschaffung des Widerspruchs zwischen Allgemeinheit und Individuum, sondern zunächst dessen praktische Anerkennung. Alle bisherige Gesellschaft zeigt ihre Unwahrheit in der Konfrontation mit dem kategorischen Imperativ Karl Marx`, welcher die – im Nationalsozialismus kulminierenden – Herrschaft falscher Allgemeinheit über Individuum und Menschheit denunziert. In der bürgerlichen Gesellschaft ist die Differenz zwischen dem verleugneten gesellschaftlichen Prinzip der Kapitalakkumulation und dem Individuum noch gesetzt. Die Differenz erscheint als notwendige – wenn auch hinsichtlich des falschen allgemeinen Prinzips. Im real existierenden Sozialismus wurden sie und das Individuum zu Gunsten der historischen Mission kassiert. Im Nationalsozialismus wurde das Allgemeine per se inhuman rassisch gedacht, das Individuum nur noch als Exemplar der Rasse, welches seinen Sinn nur im Kampf für sie erhält. Der Islamismus setzt in der vollständigen Aufopferungsbereitschaft des Individuums – diesmal im Namen der Umma – zu erneuten Vernichtungswerken an.



Krisenbewältigung ohne Ende – Nationalsozialismus und Islamismus

Do., 6.7.2006, 19.30 Uhr, Volkshaus Leipzig – Saal im Hinterhof – Karl-Liebknechtstr. 32

Die Beschäftigung mit dem politischen Islam/Islamismus ist keine voluntaristische Entscheidung, sondern sie wird durch die Entwicklungen der letzten Jahre notwendig. Spätestens der 11. September 2001 machte die Gefährlichkeit der weltweit agierenden Bewegung religiöser Fanatiker deutlich. Ziel der Islamisten ist der Mord an Juden, die Zerstörung Israels und der USA sowie der Kampf gegen den als dekadent angesehenen Westen und dessen Werte. Dies nähert den Islamismus der Ideologie des Nationalsozialismus an, zu der sich ein Vergleich angesichts der jüngsten antisemitischen Äußerungen des iranischen Präsidenten Ahmadinejad geradezu aufdrängt. Doch worin besteht die Berechtigung, von „Islamfaschismus“ oder „Islamnazismus“ zu sprechen? Was macht den Kern von Nationalsozialismus und Islamismus aus? Worin liegt ihre Differenz?
Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, muss verschiedenes berücksichtigt werden. Neben den historischen Verbindungslinien zwischen dem NS und den ersten islamistischen Bewegungen muss auch die manifeste Krise in der arabischen Welt, sei es in der Ökonomie, der Politik oder im Bildungswesen, reflektiert werden. Vorab ist jedoch zu klären, was unter „Krise“ überhaupt zu verstehen ist.


Leben wir noch in einer bürgerlichen Gesellschaft?

Do., 13.7.2006, 19.30 Uhr, Volkshaus Leipzig – Saal im Hinterhof – Karl-Liebknechtstr. 32

„Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,/ in allen Lüften hallt es wie Geschrei./ Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei/ und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.“ schreibt Jacob van Hoddis im Jahre 1911. Am Vorabend des ersten Weltkrieges antizipierten Teile des deutschen Bürgertums den eigenen Untergang, andere betrieben ihn fleißig, indem sie den heraufziehenden Krieg als notwendige Reinigung der ‚verfaulenden` bürgerlichen Moderne begrüßten und alles dafür taten, dass der Krieg auch eintrete. Spätestens seit diesem Zeitpunkt gibt es kein einheitliches bürgerliches Selbstbewusstsein mehr und so spricht man auch heute allenthalben von der nachbürgerlichen Gesellschaft. Die antideutsche Linke lässt es sich dabei nicht nehmen, nach dem Sein dieses Bewusstseins zu fragen und macht die ökonomischen Verhältnisse für das Ende des Bürgertums (mit-) verantwortlich. Diese Untergangsszenarien – bei aller Berechtigung der Intention des Verstehens von Auschwitz und seines Nachwirkens – machen den Begriff der bürgerlichen Gesellschaft nicht überflüssig. Citoyen (Staatsbürger) und Bourgeois (Marktbürger) sind nach wie vor zentrale Charaktermasken der Vermittlung von Individuum und Gesellschaft und bilden auch heute noch wesentliche Kerne der Konstitution von Subjektivität.


Gruppe in Gründung
gig_leipzig@web.de

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last modified: 28.3.2007