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dokumentation, 1.1k

Vom Imageschaden zur Chance.

Dokumentation und Hintergründe zum geplanten Naziwallfahrtsort in Borna

Im November vergangenen Jahres gaben die „Antifaschistischen Nachrichten“ bekannt, dass in Borna bei Leipzig ein Nazi-Zentrum errichtet werden soll. Auf dem Grundstück Ludwig Limmers, er ist Mitglied des Vereins „Gedächtnisstätte“, soll eine Gedächtnisstätte „zu Ehren der deutschen Opfer des 2. Weltkrieges“ errichtet werden. Der städtische Bauausschuss hatte dieses Vorhaben einstimmig genehmigt. Die Metallbaufirma des Bornaer Bürgermeisters Bernd Schröter stellte dafür sogar ein zwölf Meter hohes Metallkreuz, auf dessen Spitze ein Eisernes Kreuz thront, her. Schröter hatte die Nutzung des Areals zuvor öffentlich begrüßt.
Deutscher Humor: Feldgottesdienst der SA und der Glaubensbewegung deutsche Christen am 1. Mai 1933 in Berlin, 11.9k
Deutscher Humor: Feldgottesdienst der SA und der „Glaubensbewegung deutsche Christen“ am 1. Mai 1933 in Berlin.
Kurze Erklärung und Übersicht über die anderen Karikaturen im Editorial


Das über 10.000 m2 große Gelände in der Röthaer Straße 22-24 in Borna umfasst mehrere Gebäude. Neben der Gedenkstätte soll dort ein Dokumentationszentrum entstehen. Raum für Seminare, Saalveranstaltungen und Konzerte ist ebenfalls gegeben. Auf 800 m2, der Hälfte der Nutzfläche, wollten sich zudem der revisionistische und antisemitische Faksimile-Verlag und der Roland-Versand ansiedeln, was aber scheiterte.(1) Nicht nur die räumlichen Gegebenheiten lassen darauf schließen, dass in Borna ein Nazi-Wallfahrtsort mit mindestens bundesweiter Relevanz entstehen kann. Nazi-Demonstrationen mit geschichtsrevisionistischem Hintergrund, wie z.B. in Dresden, Wunsiedel und Halbe, hatten in den vergangenen Jahren aufgrund der strömungsübergreifenden Relevanz und der Anschlussfähigkeit an aktuelle Diskurse erheblichen Zulauf. Besonders ausgeprägt waren die Glorifizierung deutscher Kriegsverbrechen sowie die Umdeutung deutscher TäterInnen zu Opfern. Das im Jahre 2005 wieder erwachte Interesse des Staates, Naziaufmärsche mancherorts zu unterbinden, führte der rechten Szene immer wieder die Notwendigkeit eines „ungestörten Ortes der Erinnerung“ vor Augen.

Geschichtsrevisionisten und Holocaustleugner

Der Architekt Ludwig Limmer ist der Besitzer des Geländes in Borna. Er ist den Behörden als Rechtsextremist bekannt.(2) Limmer verfügt über Verbindungen ins rechtsextreme, revisionistische Milieu. Seine Frau Gisela und er luden sich Nazis zur „Politischen Kaffeetasse“ nach Meerbusch bei Düsseldorf ein. Unter den Nazis waren führende Vertreter der „Jungen Landsmannschaft Ostpreußen“ (JLO).(3) Diese tritt z.B. durch die Organisation der alljährlichen Naziaufmärsche am Jahrestag der Bombardierung Dresdens in Erscheinung. Limmer soll ebenfalls Kontakte zum „Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocausts Verfolgten“ besitzen. Mitglieder sind prominente Nazis und Revisionisten wie der Schweizer Holocaustleugner Bernhard Schaub, Horst Mahler und Ursula Haverbeck-Wetzel.

Ursula Haverbeck-Wetzel ist Vorstandsmitglied des rechtsintellektuellen „Collegium Humanum“ in Vlotho. Das Collegium hatte ihr bereits verstorbener Mann 1963 gegründet. Der ehemalige NS-Funktionär Georg Haverbeck wurde nach 1945 ein bekannter rechter Ökologe und Anthroposoph. Bis in die 80er Jahre erreichte das Collegium Humanum so mit seiner Bildungsarbeit auch nicht-rechte Kreise. Nach den klar nationalsozialistischen Bekundungen Haverbecks wurde das Collegium zur Schulungsstätte für die extreme Rechte. In dem Gebäude des Collegiums wurden Veranstaltungen verschiedener rechter Strömungen durchgeführt, von neonazistischen Kameradschaften, Holocaustleugnern, Ökofaschisten bis hin zu rechtskonservativen Kreisen. Vom Collegium gingen ebenfalls Ansätze zur europäischen Vernetzung aus. Ein anderer Schwerpunkt der „Heimvolkshochschule“ ist Geschichtspolitik, insbesondere in Form der Unterstützung von Holocaustleugnern, oder des nun in Borna aktiven Vereins „Gedächtnisstätte“.(4)

Dieser Verein, dessen Sitz in der westfälischen Kleinstadt Vlotho identisch mit dem des Collegiums ist, wurde 1992 von Ursula Haverbeck-Wetzel gründet. Ziel ist es, eine „Gedächtnisstätte für die Opfer des Zweiten Weltkriegs durch Bomben, Verschleppung, Vertreibung und in Gefangenenlagern“ einzurichten.(5) Bisher suchte der Verein vergeblich ein passendes Grundstück für die „Gedächtnisstätte“. So auch im thüringischen Beichlingen und im Kyffhäuser-Kreis. Dort wurde der Verein vom Düsseldorfer Nazi-Anwalt Hajo Herrmann vertreten. Herrmann, eine Symbolfigur der alten und neuen Rechten, war Vertrauter Görings, Jagdflieger und Ritterkreuzträger. Von ihm soll die Idee für die Gedenkstätte stammen. Obwohl der Verfassungsschutz den Verein nicht als rechtsextrem eingestuft hatte, reichte den thüringischen Beamten etwas Internetrecherche, um dessen nazistischen Bestrebungen herauszufinden und die Kaufgesuche daraufhin abzulehnen.(6)

Baugenehmigung einstimmig erteilt

Anders in Borna, dort konnte Ludwig Limmer am 5. März 2005 das Areal von der LMBV (Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau- Verwaltungsgesellschaft), einer 100%igen Tochter der Bundesregierung, für 99.000€ ersteigern.(7) Der Stadt erklärte Limmer, im Gebäude eine Begegnungsstätte für Russlanddeutsche einrichten zu wollen. Außerdem bot er der Musikschule und dem Kreisjugendring Räume an.(8) Auf den Parkanlagen des Geländes will er eine Gedenkstätte in Form eines germanischen Thing-Platzes errichten, in deren Mitte das metallene Hochkreuz stehen soll.

Bei der Sitzung des Bauausschusses am 11. Oktober zur Genehmigung des Hochkreuzes stellte Limmer seine Idee einer Gedenkstätte vor. „Eine Gruppe von Heimatvertriebenen“ habe ihm 250.000 € zur Verfügung gestellt, womit er eine „Erinnerungsstätte, eine Stätte der Besinnlichkeit“ schaffen wolle.(9) Die Baugenehmigung wurde dann am 7. November einstimmig erteilt.(10) Der Bürgermeister, Bernd Schröter von der Wählervereinigung „Bürger für Borna“ (BfB), musste sich wegen Befangenheit enthalten, da seiner Metallbaufirma der Auftrag für den Bau des Kreuzes erteilt wurde.(11)

Am 29. Oktober wurde in dem Gebäude ein Begegnungszentrum für „Russlanddeutsche“ eingeweiht. Mitveranstalter war die „Landsmannschaft der Deutschen aus Russland“. Der ebenfalls anwesende Bürgermeister Schröter lobte das Zentrum mit den Worten: „Hier ist etwas im Entstehen, das Borna nur gut tun kann“.(12) Später wurde dieses Ereignis als eine Alibiveranstaltung Limmers dargestellt, mit der dieser den Bürgermeister übertölpelt habe. Die Kritik am unhinterfragten Umgang mit den so genannten Vertriebenen blieb verhalten. Schließlich sind diese Verbände und ihre Inszenierung als „deutsche Opfer“ des 2. Weltkriegs in Deutschland weitgehend anerkannt.

Am 15. November wurde die Landrätin Petra Köpping (SPD) vom Landesvorstand der „Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes“ (VVN) über den Bau des Nazi-Zentrums informiert.(13) Später behauptete Köpping, dies unverzüglich weitergeleitet zu haben, was der Verfassungsschutz aber zurückwies, der erst Ende November von der Sache erfahren haben will. Auch der Leipziger Regierungspräsident will erst aus den Nachrichten im Dezember davon erfahren haben.(14) Anscheinend bekam einzig der Bürgermeister Bornas Mitte November eine entsprechende Mail vom Landratsamt.(15) Die Leipziger Volkszeitung berichtete jedoch am 6. Dezember, dass der Bürgermeister „von den Plänen bisher noch nichts Konkretes gehört“ haben will.(16)

Am 8. Dezember hatte der Skandal Berlin erreicht, überregionale Zeitungen berichteten. Der Zentralrat der Juden erklärte, es handelt sich um einen „schrillen Ausdruck politischen Notstandes“ und merkte an, dass in den Industrieregionen um Borna früher tausende jüdische Zwangsarbeiter gequält wurden.(17) Daraufhin trat der Bürgermeister einen angeblich länger geplanten Urlaub an.

„nicht anrüchig“

Die Lokalprominenz versuchte mittlerweile Erklärungen zu finden und Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Die CDU schlug vor, ein Haus in der Nähe des Geländes dem Verfassungsschutz zur Verfügung zu stellen und Mahnwachen vor dem Grundstück zu halten. Einige schoben die Schuld der LMBV zu, die das Objekt an Limmer versteigert hatte. Die Stadträte fühlten sich „überfahren“, sie befanden die von Limmer vorgestellten Pläne als „nicht anrüchig“. Für die BfB (Bürger für Borna) sei in dem Vorgestellten nicht auf eine bestimmte politische Gesinnung zu schließen gewesen.(18) Zweifel wären den Lokalpolitikern anscheinend nur aufgekommen, wenn sich Limmer ungeschminkt als Rechtsextremist vorgestellt hätte. Die Landrätin Köpping forderte den Bürgermeister auf, das Kreuz doch nicht auszuliefern. Dieser wollte es daraufhin der Kirche schenken, welche aber mit der Begründung, sie habe genügend Kreuze, ablehnte.(19)

Nach entsprechenden Empfehlungen des Regierungspräsidiums Leipzig wurde ein Baustopp für das Hochkreuz erteilt, um anschließend eine Aufhebung der Baugenehmigung zu erwirken. Ziel der Verwaltung ist die Rückabwickelung des Kaufvertrags. Das wird aber sicherlich kaum umsetzbar sein. Dieser rechtlich fragwürdige Akt stellt augenscheinlich auch den präferierten Umgang mit dem Naziproblem dar. Eine offensive Auseinandersetzung mit rechtem und revisionistischem Gedankengut bleibt bei den politisch Verantwortlichen aus. Davon zeugt auch, dass versucht wurde, die Angelegenheit so lange wie möglich geheim zu halten.

Die offensichtliche Scheu vor Auseinandersetzungen zeigt sich auch in der skandalösen Unaufmerksamkeit gegenüber Nazis. Anders wäre der Kauf und die Baugenehmigung kaum möglich gewesen. Bestrebungen von Nazis, Grundstücke zu erwerben, waren bekannt, die Bürgermeister des Landkreises wurden bei mehreren Dienstberatungen von der Landrätin davor gewarnt. Sie wurden angewiesen, bei Zweifeln die Interessenten zu melden und überprüfen zu lassen.(20) Bei einer angekündigten Investition von 250.000 Euro in einer sächsischen Kleinstadt wurde Bernd Schröter offenbar nicht skeptisch.

Das erklärte Ziel, eine Gedenkstätte für deutsche Opfer des 2. Weltkriegs zu errichten wurde gutgeheißen. Problematisch ist für die lokal Verantwortlichen eigentlich nur, dass es sich dabei um einen „Nazi-Treff“ handelt, inhaltliche Probleme mit einer solchen Gedenkstätte haben sie nicht. Die Kritik gilt nicht etwa rechtem Gedankengut, sondern den „Rechtsextremisten“. Es wird befürchtet, dass der Imageschaden für die Große Kreisstadt Borna nur schwer wieder gut zu machen sei.

„Pro Borna“

Natürlich beschränkten sich die Aktivitäten gegen das Nazi-Zentrum nicht nur auf die lokale Verwaltung. Die Landrätin rief zu einer Bürgerdemonstration in der Röthaer Straße auf. An der Demonstration am 16. Dezember beteiligten sich neben 150 Bürgern auch Bürgermeister Schröter, der Polizeichef Merbitz sowie der sächsische Innenminister Buttolo (CDU). Der Bürgermeister wurde auf der Demonstration zunächst mit Buh-Rufen empfangen. Diese verstummten, als er Borna zum „Zentrum der Demokraten“ erklärte und verkündete, dass eine „Gedächtnisstätte von Rechtsextremen“ keine Chance bekäme. Etwa 50 meist jugendliche Nazis wurden von niemandem daran gehindert, an der Demonstration teilzunehmen. Es gab nicht einmal Versuche, die Nazis aus der Demonstration zu entfernen. Die anwesende Polizei blieb ebenfalls untätig.

Solche Ignoranz gegenüber Nazis ist in Orten wie Borna nicht ungewöhnlich. Bei den Landtagswahlen bekam die NPD 10,7 % der Stimmen. Die Landrätin berichtete, dass bei ihren Besuchen in Schulen viele Schüler offen zugäben, NPD zu wählen. Diesen Verhältnissen will nun auch das neu gegründete lokale Aktionsbündnis „Pro Borna“ etwas entgegensetzen. Den Vorsitz dabei hat der Bürgermeister inne, beteiligt sind die schon aufgeführten Lokalpolitiker, Vertreter der Arbeits-Agentur, der IHK, des Regionalschulamts und der Gewerkschaften. Den Rechten wollen sie das alte Stadtentwicklungskonzept – Schaffung von Arbeitsplätzen, präventive Jugendarbeit, und stärkere Polizeipräsenz – entgegensetzen. Ein Jugendklub soll wieder eröffnet werden, die Dinter-Schule, ein „sozialer Brennpunkt“, soll in eine Ganztagsschule umgewandelt werden. Die Kirche setzt auf Friedensgebete. Alle Beteiligten wünschen sich mehr finanzielle Förderung, mit denen sie ihr „umfassendes Programm über eine ganze Reihe von Jahren“ durchführen wollen.(21) Den kirchlichen Jugendgruppen wurden schon zusätzliche Mittel bewilligt.(22)

Mittlerweile empfindet der Bürgermeister das Ereignis als Chance, den Kommunalhaushalt aufzubessern. Die öffentliche Kritik am Handeln der Lokalprominenz und dem Geschichtsbild, welches wohl dahinter steht, ist schon jetzt verstummt. Die Prüfung des Kaufvertrags wird wahrscheinlich andauern und doch ergebnislos verlaufen. So bleibt es der – nicht nur regionalen – radikalen Linken überlassen, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen und Kritik an den deutschen Zuständen zu artikulieren.

LeA – Leipziger Antifa

Fußnoten

(1) Junge Welt, 11.01.2006, Borna als Mekka für Holocaust-Leugner?
(2) Gegen Ludwig Limmer wird wegen Volksverhetzung ermittelt.
(3) Leipziger Volkszeitung, 08. Dezember 2005, Kaffeeklatsch mit Rechtsextremisten
(4) Antifaschistisches Info Blatt, Januar 2006, http://www.nadir.org/nadir/periodika/aib/archiv/70/30.pdf
(5) Leipziger Volkszeitung, 06. Dezember 2005, Braune Katze aus dem Sack und viele Fragen offen
(6) Leipziger Volkszeitung, 15. Dezember 2005, „Was wir gefunden haben, war haarsträubend“
(7) Leipziger Volkszeitung, 15. Dezember 2005, „Fragwürdige Versteigerungspraxis“
(8) Leipziger Volkszeitung, 07. Dezember 2005, „Konnten wir es denn verhindern?“
(9) Dresdner Neueste Nachrichten, 08. Dezember 2005, http://www.dnn-online.de/dnn-heute/59081.html
(10) Leipziger Volkszeitung, 13. Dezember 2005, Köpping will Bürgermeister stoppen
(11) Dresdner Neueste Nachrichten, 08. Dezember 2005, http://www.dnn-online.de/dnn-heute/59081.html
(12) Volk auf dem Weg, Dezember 2005, http://www.deutscheausrussland.de/vaw/1205.pdf
(13) Leipziger Volkszeitung, 09. Dezember 2005, Rechtsextremer Treffpunkt
(14) Leipziger Volkszeitung, 10. Dezember 2005, Nazi-Gedenkstätte: Tiefschlaf und Zufallsprinzip
(15) Leipziger Volkszeitung, 13. Dezember 2005, Verhindern, dass die Neonazis zu uns kommen
(16) Leipziger Volkszeitung, 06. Dezember 2005, Nazis planen Wallfahrtsort in Borna
(17) Leipziger Volkszeitung, 10. Dezember 2005, Zentralrat der Juden empört über Gedenkstätte
(18) Leipziger Volkszeitung, 12. Dezember 2005, Ratlosigkeit und Erklärungsversuche
(19) Mephisto, 15. Dezember 2005, http://www.uni-leipzig.de/~mephisto/modules.php?name=News&file=article&sd=13547
(20) Leipziger Volkszeitung,07. Dezember 2005, Stadt hat Gedenkstätte längst genehmigt
(21) Leipziger Volkszeitung, 23. Dezember 2005, Geld für „Toleranz“ und Dinterschule
(22) Leipziger Volkszeitung, 4. Januar 2006, Kaufvertrag für Grundstück wird geprüft

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last modified: 28.3.2007