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An dieser Stelle dokumentieren wir einen Redebeitrag der Leipziger Antifagruppe (LeA), der im Dezember auf einer Leipziger Demonstration gehalten wurde, die sich gegen Abschiebung und Rassismus richtete. Die Red.
dokumentation, 1.1k

Staatlicher und
staatsbürgerlicher Rassismus


Das Thema Rassismus ist in den letzten Jahren nicht nur aus den bürgerlichen Medien, sondern auch aus linken Diskursen weitgehend verschwunden. Fast könnte man denken, das Problem sei besiegt, als gäbe es keine Pogrome durch Neonazis mehr, keine skandalösen Massenabschiebungen in Bürgerkriegsgebiete.

Aber der Schein trügt: Rassismus ist nach wie vor relevant, tödlich relevant. So sehr sich die deutschen Medien darin übten, mit dem Finger auf Spanien zu deuten: die in Afrika errichteten Abschiebelager sind die Umsetzung eines Vorschlages von Otto Schily. Ceuta und Melilla haben gezeigt, dass die „Festung Europa“ mit tatkräftiger Hilfe Deutschlands gewaltsame Realität geworden ist und die Nationwerdung Europas der Abschottung nach außen bedarf. Das sind durchaus skandalöse Zustände – aber neu sind sie nicht. Eher hat man sich an den Umgang mit MigrantInnen und die gängige Abschiebepraxis gewöhnt.

Diese Praxis ist keine Willkür. In bürgerlichen Staaten obliegt es in Zweifelsfällen der Staatsgewalt, die Selektionsmechanismen des Marktes durchzusetzen. Ausländer, die als „unnütz“ gelten, sich also nicht verwerten lassen, werden nicht reingelassen. Darin besteht die tödliche Rationalität kapitalistischer Logik. Das ist noch kein Rassismus, kein Ergebnis dessen, dass in den zuständigen Behörden nur Ausländerfeinde säßen. Es ist die Äußerung des Umstandes, dass in einer bürgerlich verfassten Gesellschaft das Fortkommen der eigenen Nation zählt. Deren Erfolg bedarf einer Bevölkerungspolitik, um den eigenen Markt am Laufen zu Halten. Diese Entscheidung, wer der Nation nützt und wer nicht, wird notfalls mit Gewalt vollstreckt.

An dieser Stelle trifft sich der staatliche und staatsbürgerliche Rassismus mit dem der Nazis. Der Unterschied besteht darin, dass staatlicher Rassismus anhand von Marktkriterien MigrantInnen in „gute“, also „nützliche“, und „schlechte“, also „schmarotzende“ unterscheidet, während Nazis per se alle MigrantInnen für „unnütz“ und „schädlich“ halten. Dahinter steckt der gleiche falsche Gedanke, der den Kern des modernen Rassismus ausmacht: die Fremden, also alle, die als „undeutsch“ gelten, nähmen uns irgendwas weg, seien es Sozialleistungen oder das geliebte Gemeinwesen. Diese Logik begründet den Rassismus der Straße, der dafür sorgt, dass MigrantInnen nicht nur dem staatlichen Zugriff, sondern auch dem Rassismus der StaatsbürgerInnen ausgesetzt sind.

Daran zeigt sich auch, dass sich staatlicher Rassismus nur zutreffend kritisieren lässt, wenn er als ein dem Kapitalismus immanentes Phänomen begriffen wird. Er erfüllt eine konkrete Funktion, nämlich die Durchsetzung von Selektionsmechanismen und die nationale Identitätsstiftung. Dies bedeutet auch, dass sich Rassismus nicht abschaffen lässt, indem auf bürgerliche Rechte gepocht wird.

Wer von bürgerlichen Staaten fordert, sie sollten sich bitte etwas menschenfreundlicher aufführen, hat ihren Zweck nicht verstanden. Wer eine Stärkung des Rechts auf Asyl einfordert, wird einsehen müssen, dass dies die Vorfälle von Ceuta und Melilla nicht verhindert hätte, weil jene Flüchtlinge trotzdem als „Illegale“ gegolten hätten. Wer sich im Kampf gegen Rassismus irrwitzigerweise auf die „Freizügigkeit von 1989“ beruft, macht sich damit für jene demokratische Herrschaft stark, die den Rassismus hervorbringt. Die Parolen „Wir sind das Volk“ und „Wir sind ein Volk“, sind die Legitimation zur Aussgrenzung von denen, die nicht zum sogenannten Volk dazugehören.

Es zeigt sich: Antirassismus auf der Höhe der Zeit ist, ebenso wie Antifaschismus, nur zu haben mit einer Kritik der gesellschaftlichen Zustände. Diese Kritik muss auf die Abschaffung jener Zustände zielen. Daraus resultieren keine Bittstellungen und Forderungen an den Staat oder seine Zivilgesellschaft, sondern die Notwendigkeit einer linksradikalen Praxis. Das heißt für uns: praktische Solidarität mit den Illegalisierten und allen Opfern der Rassismus!

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last modified: 28.3.2007