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review corner Film, 1.4k

Die Inkarnation des Irrationalen

Izo, 16.4k

Takashi Miike: Izo,
Japan: 2004, 123 min.

Stechen, Hauen und „IZO – The world can`t be changed“.

      „Aus welchem Grund bist du so unmenschlich?“
      „Weil ich einst ein Mensch war.“

      (Dialog aus Izo)

      „Man kann gegen den Krieg sein, aber bedeutet das nicht, gegen die Menschen zu sein?“
      (Kazuki Tomokawa, Folksänger)
Takashi Miike, begnadeter Regisseur dieses Films, könnte man ohne Zögern als einen für Japan typischen workaholic bezeichnen. Zehn Jahre im Geschäft, 43 Filme auf Leinwand gebannt und kein Ende abzusehen. Weltweit konnte er sich auf eine treue Fanbase verlassen, die jedoch, von diesem Machwerk vor den Kopf gestoßen, in virtuellen Streitereien sich zerfuhr, wie es bei Internet- und Filmnerds halt so üblich ist. Und dabei ging es diesmal nicht einmal darum, ob Miike denn nun die „endgültige Schlachtplatte“ geliefert hätte. Nein, der Grund für Missgunst auf der einen und Hochachtung auf der anderen Seite war der Aufbau des Films. Zu verwirrend, pseudophilosophisch, zu anspruchsvoll und vor allem zu lang sei er. Wahlweise wiederum auch berauschend, gesellschaftskritisch und nichts für den Massengeschmack. Dabei liegt die Stärke des Films vor allem darin, dass er 128 Minuten lang unterhält. Und wie er das tut. Keine Story, die zwangsläufig schleppend in die Gänge kommen muss, aber auch keine hirnlose Splatterorgie, trotz des enorm hohen bodycounts. Keine scharf am Kitsch entlangschrammende Gefühlsexplosion, jedoch ein Grad an Emotionalität, den man nur selten auf den Bildschirm geliefert bekommt. Man mag diese Worte Lügen strafen, aber noch nie hat mich ein zweistündiger Film auf einem konstant hohen Level derart begeistert. Da kann man einfach nicht urinieren, weil nichts verpasst werden darf, da muss der eigene Körper besiegt werden, Geist über Materie, das sind Schmerzen.

Der schwarze Bildschirm wird unterlegt von einem dumpfen Herzschlag, dann wuseln lustige kleine Spermien über den Bildschirm, um eine Eizelle zu befruchten, ein Aufklärungsfilm, der in der Geburt eines blutigen schreienden Klumpens (Kind) mündet, Schnitt. Ein Mann ist an ein Kreuz gebunden, er wirkt ein wenig wie Jesus, jedoch war der wohl eher kein Asiate. Zwei Männer durchbohren ihn mit ihren Speeren, eine Szene, die „genüßlich“ in die Länge gezogen wird, Urin und Blut fließen, Schreie, Schnitt. Fiese rückwärts abgespielte Gitarrenmelodie setzt ein, Bilder von Hitler, Vergnügungsparks, japanischen Militärparaden, entblößten Brüsten, Stalin, Schnitt. Ein Mann erwacht nachts zusammengekrümmt in einer schmutzigen Gasse, er ist ganz in schwarz gehüllt und erhebt sich, läuft auf eine von Reklame erleuchtete Straße und bahnt sich einen Weg durch die Menschen. Nun schwenkt die Linse auf sein Gesicht, das bedeckt ist von einer Art Henkersmaske. Filmtitel wird eingeblendet.
Das sind die ersten Minuten von „Izo“ und in ähnlicher Form geht es dann die nächsten zwei Stunden weiter. Wer jetzt denkt, Miike bediene sich nach wie vor der Rezeptur, die er schon bei „Ichi the Killer“ verwandte, Splatter mit einigen surrealen Schnipseln a la Lynch doch nachvollziehbarer Story, der irrt, denn hier ist Achterbahnfahren nonstop angesagt. Natürlich regiert nach wie vor das eine, all seine Filme beherrschende, Moment: die „Suche nach den Ursprüngen und Auswüchsen männlicher Gewalt“ (Miike). Hatte er noch in „Ichi“ durch groteske Überzeichnungen die Psychoanalyse vorgeführt, so geht es diesmal ein wenig ernster zu. Schon die beschriebene Anfangsszene macht dies deutlich, wobei die Speere als penetrierendes Werkzeug der Befruchtung dienen, da sie ausschlaggebend für die (Wieder-)Geburt Izos sind.
Wer ist dieser Izo? Okada Izo existierte wirklich, seine Geschichte ist mehrfach verfilmt worden. Er war ein einfacher Soldat, dem durch Heimtücke und Grausamkeit der gesellschaftliche Aufstieg gelang, bis er schließlich auf Befehl des Shogunats hingerichtet wurde. Doch dient er dem Film nur als Chiffre, denn als er schließlich nach seiner Hinrichtung in der Gegenwart wiedergeboren wird, ist er kein Mensch mehr, er steht für den Hass. Dieser kommt anfangs teilweise noch sehr zielgerichtet daher: als erstes tötet Izo seine Henker, dann sucht er jene, die er für seinen Tod verantwortlich macht, die Herrschenden, hier auftretend als ein Konglomerat aus Wirtschaft, Militär, Geistlichen, Politikern und Akademikern. Doch wer jetzt denkt, Miike webe hier ein Netz der Verschwörung und üblen Machenschaften, das in der Realität sein Pendant findet, der geht der Symbolik des Filmes auf den Leim. Vielmehr geht es hier darum, was gesellschaftlich wirkungsmächtig ist, denn genau wie die Figur des Izo sind sie nur Chiffren, die auf ein Statement heruntergebrochen werden können: „Die Verflechtung von Herrschaft, Unterdrückung, Betrug. Dieses immerwährende Wirken macht die Natur des Menschen aus.“ Nun mögen sich an dieser Stelle andere über den Naturbegriff streiten, dies ist nur ein Film und keine theoretische Auslassung. All diese Figuren unterliegen nun wieder einem „höheren Wesen“, einem Gott oder System, jedenfalls dargestellt durch einen androgynen Jungen, der Izo zu Beginn auch den Titel „Inkarnation des Irrationalen“ verleiht. Überhaupt ist der Film durchsetzt mit Elementen fernöstlicher Philosophie, aber keine Angst, alles ganz simpel und meistens auch ohne deren Kenntnis einigermaßen nachzuvollziehen: „Ein vollkommenes System muss, um vollkommen zu bleiben, alles Unvollkommene ausspucken, das in ihm entsteht. Es gebiert ein System der Irrationalität.“ Und dieses ist für Miike eben Izo, Vergegenständlichung des puren Hasses und der männlichen Gewalt, trotz aller verzweifelten Versuche der „Herrschenden“ einfach nicht zu domestizieren oder aufzuhalten, ein unbesiegbarer Gegner. Später versuchen auch „einfache“ Menschen ihn aufzuhalten, doch da sie nicht über die entsprechenden Mittel verfügen, bleibt ihnen nichts als Flehen.
So metzelt er sich durch alles, was ihm in die Quere kommt, in allen möglichen Epochen. Ja, er „reist“ durch die Zeit, eben noch im feudalen Japan eine moderne Spezialeinheit zerlegt, Augenblicke später schon wieder in der Gegenwart auf einer Autobahnbrücke zwei Samurai zerschnetzelt. Dies dient natürlich der Darstellung des Umstandes, dass das, wofür Izo steht, aus der menschlichen Entwicklung nie verschwand und sozusagen „zeitlos“ ist. Klingt ein wenig nach Zeigefingerwedeln, ist es aber nicht wirklich und macht zu alledem noch Spaß. Und es gibt so großartige Szenen, so viele herrlich skurrile und auch beängstigende Einfälle, einer sei kurz verraten. Man sieht eine Schulklasse während des Unterrichts, die Kinder vielleicht sieben Jahre alt. Die Lehrerin fragt, was Liebe ist und eines der Kinder antwortet: „Liebe. Das ist ein Wort. Ein Wort trägt nicht zwangsläufig sein Wesen in sich. Es ist lediglich ein phonetisches Zeichen.“ Also mir fiel es schwer, der Blase, trotz des heftigen Schütteln meines Körpers durch einen Lachkrampf, mitzuteilen, wer hier der Boss ist und über die Toilettensessions bestimmt. Gleich darauf steht Izo im Flur besagter Schule und von beiden Seiten kommen uniformierte Schulmädchen (Ja, Miike bedient auch dieses Klischee wunderbar) auf ihn zu. Sie wirken teilweise wie Monster und Izo ist für einen kurzen Moment verängstigt, weil ihn wohl die Rationalität, die letztlich sein größter Feind ist, zu bedrängen droht. Also schlachtet er sie ab, nur um sich im nächsten Moment unterwürfig vor einer über den Leichenberg hinwegschreitenden Lehrerin zu verbeugen.
Die Kampfszenen sind eine einzige Persiflage auf das komplette, oft genug reaktionäre, Samuraigenre. Nach den ritterlichen Regeln und Verhaltensweisen, wie sie etwa im „bushido“ überliefert sind, sucht man hier vergebens. Ein einziges Hauen, Stechen und Schlachten, jeder ist sich selbst der nächste und wer am hinterhältigsten kämpft, gewinnt, wie im richtigen Leben. Es gibt diese eine Flasback-Szene, in der würdevoll gekleidete Samurai, unter anderem der Noch-Mensch Izo, sich im Kampf miteinander gar nicht so würdevoll im Dreck wälzen, tierische Laute von sich geben und unkoordiniert mit ihren Schwertern herumhacken, ein unästhetischer Überlebenskampf, Krieg eben.
Im Laufe des Films durchläuft Izo auch eine äußerliche Metamorphose, hin zu dem, was er im eigentlichen Sinne darstellt, eine abstoßende blutige Fratze, ein rasender Dämon, unaufhaltsam. Izo, der im echten „menschlichen“ Leben ein unterwürfiger Gefolgsmann war und auf die Frage seines Herren danach, was denn Revolution sei, brav die erwartete Antwort aufsagt („Menschen erschlagen“), ist nach seinem Tode und als ständig Wiedergeborenes eine Art nihilistischer Revoluzzer, der die Existenz als solche hasst, da sie ihm nur Leid einbringt und der doch schon längst vergessen hat, warum er überhaupt kämpft, für den nur noch die Tat zählt. Als er kurz in seiner Raserei gestoppt wird, durch ein kleines Mädchen, das zwischen ihren blutenden Fingern seine Klinge fixiert, der ein kurzes gehauchtes „Warum?“ vergönnt wird, sagt er kühl: „Gründe habe ich keine.“ Am Ende seiner Rache, soviel sei verraten, steht nicht die Erlösung, sondern die Wiedergeburt und somit auch Wiederholung.
Man könnte noch viel mehr schreiben, etwa über den fantastischen Folksänger, der anfangs zitiert wurde, der mit Sakeschwangerer Stimme den Film begleitet und zu seiner poetischen Dichte einiges beiträgt. Dann gäbe es noch Muttermord, sprechende Blumen, Vampirvertreter, Vereinigung mit der Urmutter, unbewältigter Trieb, der in Gewalt umschlägt, viel Blut, etc.
Ach ja, alle die, die Blut nicht so abkönnen, werden sich nach spätestens einer halben Stunde daran gewöhnt haben. Es ist immer wieder erstaunlich, in was für einer kurzen Zeit man abstumpfen kann.

Schlaubi


P.S.: Nein, ich weiß nicht, wie die deutsche Synchro ist. Wer immer noch der Meinung ist, er könne während eines Films keine Untertitel lesen, da ihn das überfordere, der kann einem nur leid tun. Asiatische Filme gehen nämlich zuerst durch die Hände eines deutschen Geheimbundes, der dafür sorgt, dass diese ausschließlich von nicht ganz so renommierten deutschen Pornodarstellern gesprochen werden. Nach etwa 20 asiatischen Filmen auf Deutsch werdet auch ihr die Richtigkeit dieser Theorie erkennen.

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last modified: 28.3.2007