home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[128][<<][>>]

Das Conne Island hat mit der Gründung von Radio Island vor anderthalb Jahren sein Medienimperium komplettiert. Wir dokumentieren an dieser Stelle einige Sentenzen der letzten Radiosendung (Nr. 17), und bitten beim Lesen zu berücksichtigen, dass eine Radiosendung, die ihrer Form nach eher eine Collage ist und mit viel mehr Stilmitteln als dem ABC gearbeitet hat (Betonung, Verzerrung, musikalischer Untermalung, eingespielten O-Tönen, Lachen etc.), verschriftlicht an Wesentlichem und Glanz verliert.
Wann und auf welcher Frequenz die Sendungen laufen, erfahrt ihr auf www.public-ip.org. Dort findet ihr auch alle bisherigen Radiosendungen als Downloads. Die
CEE IEH-Red.
kulturreport, 1.7k

Zum Selbstverständnis
freier Radios


Wie wär`s denn mal mit Radio?

Ein Gähnen ist die Antwort...„Radio?? Hör ich nich!“ , „Kommerzradio!“ und „Konzernfunk!“ Die Playlist ist von der Plattenfirma vorgegeben. Man weiß ja wie`s läuft. Musikstücke sind sinnentleerte Lückefüller zwischen Werbung und Gewinnspiel. Redaktionelle Arbeit ist nicht mehr auszumachen. Ward dann ein Programm, speziell an eine Zielgruppe gerichtet, angekündigt, wartet man (meist) vergebens auf Neues oder Seltenes. Das Prinzip ist einfach: man isst ja nicht was einem schmeckt, sondern was man immer isst!
Öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist da schon manchmal interessanter, doch „gemäßigt“ und „mittig“ im vorgegebenen, politischen Rahmen. Und zum Frühstück gibt`s Kirchenmusik oder eine Inkontinenz-Sondersendung. Das nennt sich dann duales Rundfunksystem.

Und plötzlich kamen da wieder ein paar Verrückte, denen war das immer noch nicht genug. Es entstanden Piratensender und „der Hörende ward zum Sendenden“. Individuen griffen ein ins Rundfunksgeschehen, um es nach ihren Wünschen und Interessen umzuformen. Natürlich war das illegal und kriminell. Aber immerhin, nach einiger Zeit hatten sich die Zähesten dann offiziell Sendeplatz erkämpft und „Freies Radio“ entstand.
Der politische Hintergrund der freien Radios ergibt sich aus dem Selbstverständnis ihrer MacherInnen. Verschiedenste marginalisierte, diskriminierter oder sonstig engagierte Gruppen finden sich untereinander, um Sendungen, Konzepte und Projekte zu entwickeln und finden sich gemeinsam, um „ihr“ Radio als Ganzes zu konstituieren. Es gibt also keine Hierarchie, vom Programmchef bis zum Praktikanten, sondern jede und jeder kann sich aktiv an allen Stationen der Radioproduktion beteiligen. Öffentlichkeit bedeutet hier „für jeden offen“. Man diskutiert, analysiert und nimmt bestehende Werte auseinander. Die Sendungen spiegeln die Meinungen der Produzenten wider und sind also subjektiv. Allerdings ist Feedback unbedingt erwünscht, damit der Hörende wieder zum Sendenden werden kann. Denn freies Radio darf nie fest an einzelne Personen oder Gruppen gebunden sein. Freies Radio muss flexibel bleiben, um Weiterentwicklung zu gewährleisten. Über das eigene Schaffen muss diskutiert und reflektiert werden. Auch werden keine Werbeplattformen geboten und freie Radios sind auch finanziell unabhängig von der Gunst eines Unternehmers oder Unternehmens. Finanziert wird freies Radio über Fördermitgliedschaften und Stiftungen.

Selbstverständnis

Medien konstruieren eine Wirklichkeit. Journalisten schaffen Nachrichten, sie geben einem Ereignis einen Wert. Nur wenn das Passierte einen hohen Nachrichtenwert hat, wird es überall verbreitet. Nachrichtenwert haben Ereignisse, die möglichst aktuell und nah am Hörer sind. Eine Nachricht sei sendenswert, wenn es um sogenannte Elitepersonen und Eliteländer gehe, sagen die Kommunikationswissenschaftler Johan Galtung
Schaufensterpuppe, 10.4k

Schaufensterpuppe, 8.7k
und Mari Holmboe Ruge. Negative Ereignisse wie Krieg, Zerstörung und Tod würden eher in den Medien beachtet als andere, weniger “brisante“ Themen. Personalisierte Geschehnisse über Schicksale und das Handeln von Menschen sind beliebt. Nicht nur die tragischen oder skandalösen Geschichten von Menschen wie „Du und ich“ schaffen es in die Medien, sondern auch Nachrichten, die bereits als solche definiert sind. Je öfter ein Ereignis in den Medien bereits lief, desto besser ist die Chance, dass es es wieder in die Medien schafft. Ein Ereignis müsse den Erwartungen der Medienkonsumierenden und Schaffenden entsprechen, um gesendet zu werden und je „Exotischer“, desto besser. Journalisten schaffen somit nicht allein eine Wirklichkeit nach ihrem Gutdünken, sondern bedienen häufig die Wünsche der Rezipienten. Die Leute schalten ein, wenn es Ereignisse gibt, die genau diesen Nachrichtenfaktoren entsprechen: Promis, Kriege und Skandale. Am besten es passiert noch um die Ecke.

Freies Radio will dem entgegenwirken. Themen werden aufgegriffen, die sonst kaum eine Plattform innerhalb der privaten und öffentlich-rechtlichen Sender finden. Freies Radio will keine Mythen bedienen. Durch die ständige Wiederholung von Ereignissen, die auf den immer gleichen Nachrichtenfaktoren bestehen, werden Mythen geschaffen, die sich fest in die Köpfe der Menschen setzen. So werden Mythen über Frauen und Männer oder Nationalitäts- und Kulturmythen geschaffen. Auch freies Radio kann sich von der Bedienung von Mythen nicht immer lösen. Trotzdem will es emanzipatorisch sein.

Und Du, ja Du… Du hörst genau jetzt zu. Sitzt an dem Tisch in der Küche. Oder stehst im Badezimmer. Oder durchquerst die Straßen. Das Radio läuft. Hast du schon einmal darüber nachgedacht, was du dir jeden Tag über das Fernsehen oder das Radio so reinziehst? Was dort passiert, wo Du gerade nicht bist, weißt du nur von den anderen.

Private und öffentlich-rechtliche Radiosender sind zum größten Teil Distributionssender. Der Sender sendet. Der Hörer hört. Vielleicht hat der Hörer manchmal noch die Möglichkeit, seine Meinung über den Sender kund zu tun, indem er dort anruft. Ansonsten ist Radio die Angelegenheit von Experten, also den Journalisten. Eine Rückkoppelung gibt es nicht. Einen Austausch gibt es nur über Einzelpersonen aus dem eignen Umfeld, aber nicht über den Sender. Bertolt Brecht sagt, der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem. Das heißt, er wäre es, wenn er es verstünde nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen.

Beim freien Radio soll der Hörer nicht nur Rezipient oder Mitspieler sein, sondern selber zum Sendenden werden. Freies Radio stellt seine Medien also denen zur Verfügung, die gesellschaftlich marginalisiert sind und sexistischen oder rassistischen Sentiments ausgesetzt sind. Sie haben zur konventionellen Medienproduktion nur begrenzten Zugang. Diese Personengruppen organisieren sich um eine gewisse Identität herum. Eine Person wird zum „Wir“. Frauen senden als Frauen. Homosexuelle senden als Homosexuelle. Tierschützer senden als Tierschützer. Die Identifikation zu einer Gruppe ist wiederum aber Produkt des gesellschaftlichen Mythos, denn es ist konstruierte Identität. Der Sender Querfunk meint, es sei auch für freies Radio schwer, keine Identität zu produzieren. Trotzdem hebe das Fragmentarische der Sendungen gradlinige, identische Geltungsansprüche auf.
Freies Radio hat auch keine Muttersprache. Beim Freien Radio gibt es so viele Sprache wie es Sprecher gibt.

Pluralität muss nicht immer zur Qualität eines Senders beitragen. Während bei den Bürgerradios jeder alles senden darf, haben Freie Radios auch gewisse „Richtlinien“. In diesem Fall ist Freies Radio auch selektiv – Sendungen mit nationalistischem, antisemitischem oder diskriminierendem Inhalt haben dort nichts verloren.

Radio wird gezielt gehört, wird aber auch unbewusst oder zufällig gehört. Freies Radio kann also jeden erreichen. Es kann als Gegenöffentlichkeit wirken, muss dann aber gleichzeitig damit rechnen, von der Zivilgesellschaft wahrgenommen zu werden und demokratiefestigend zu wirken. Kann freies Radio aber revolutionäres Potential haben? Freies Radio wird als dritte Säule der Medienlandschaft wahrgenommen. Es ist etabliert und fester Bestandteil der Medien. Revolutionär können vielleicht Piratensender sein.

Radio Island


home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[128][<<][>>][top]

last modified: 28.3.2007