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das Erste, 0.9k

Was es für mehr Moral
und Vertrauen in
Deutschland braucht


Uns steht noch so Einiges bevor – beispielsweise die Neuwahl des Bundestages.
Am 18. September sind die stimmbefugten BürgerInnen dieses Staates zur Festlegung der neuen parlamentarischen VertreterInnen an die Urnen gebeten, nachdem die rot-grüne Koalition „die gegenwärtige Funktionskrise der Demokratie“(1) mitbedingte und jener durch vorgezogene Wahlen begegnet werden soll.

Eine Frage des Vertrauens

Seit Horst Köhlers Verlautbarung, dass das „Weiter so“ nicht reiche und sich fortsetzen dürfe, d.h. die Vertrauensfrage des Kanzlers vom Bundestag berechtigt negativ beantwortet wurde, ruft es sowohl in vielen Printmedien als auch in den Wahlprogrammen(2) nach Neuem Vertrauen. „Glaube und Hoffnung“ an und in die PolitikerInnen bedürfe es wieder, um „Deutschland aus der Krise“ (Wahlprogramm der CDU/CSU) zu hieven. Man sucht händeringend nach Erklärungen für die vertrauensarme politische Missstimmung in der Bevölkerung, um letztlich das Ruder hin zur „sicheren Zukunft für Deutschland“ (ebd.) herum zu reißen: Es fehle sowohl an „mitreissenden rednerischen Talenten“(3) in der Politik – so ganz im Sinne eines wortgewaltigen (Ver)Führers – als auch an volksnahen, den „kleinen Mann“ erreichenden Abgeordneten. Die Zivilgesellschaft sei zersplittert in „eigensüchtige Lobbys, denen der partikulare Vorteil über das Gemeinwohl“ gehe, was den Ruck durch Deutschland ebenso wenig wie die verstummten Intellektuellen anschieben könne. Und alles drehe sich mal wieder nur um Macht statt um Werte und Moral.
Hinter dieser „Analyse“ steht das einfache und falsche Erklärungsmodell, dass a) eine starke Führung alles richten würde, b) der aufgemachte Gegensatz von korrupter Elite und wahrem Volk die Missstände bedinge, c) nur mehr Gemeinschaftssinn Deutschland aus der Krise holte und d) die unmoralischen Kapitalisten und Egoisten – „die da oben“ – an der wirtschaftlichen und moralischen Misere Schuld seien. Mindestens in Ansätzen lässt sich daraus Kollektivverhaftung, Volkspurismus und verkürzte „Kapitalismuskritik“ erschließen, die als Krisenlösungsmodelle angepriesen werden und gefährlicher wie als auch hahnebüchender kaum sein können.

Vertrauensbildende Maßnahmen

Zwar mag noch kritisch gefragt werden, ob „das Volk die Wahrheit hören“ will (Es bleibt unklar, was damit gemeint ist – Ideologiekritik oder Marxsche Kategorienanalyse wohl kaum.) Doch letztlich ereignen sich realpolitisch auf der Spielwiese der populistischen parteiübergreifenden Stimmenhäscherei und „Vertrauensbildung“ jene rassistischen Ausgrenzungen, Verdinglichungen des Menschen und Fehlkritiken des Kapitalismus, welche einfache verdaubare Wahrheiten bzw. Lösungen anpreisen und gleichzeitig jeder Art emanzipierter, aufgeklärter und gesellschaftskritischer Auseinandersetzung zuwider laufen.
Um WählerInnen für sich zu gewinnen, wird mit emotionalisierten Schlagworten und thematisch weitgefächerten Parolen, die viele Zielgruppen ansprechen sollen, gearbeitet.
Besonders stechen hier die Profilierungsversuche des „großen kleinen Mannes“ Oskar Lafontaine ins Auge, der mit seiner Strategie der Abgrenzung gegen „Fremde“, „die da oben“ und jene, welche „die Verächtlichmachung des Staates“(4) betreiben, in der Bevölkerung sehr erfolgreich ist.(5) Beispielsweise heißt „links“ mit ihm und der WASG nun, dass Deutsche vor „Fremdarbeitern, die ihnen […] die Arbeitsplätze wegnehmen“, zu schützen seien. Dass Gregor Gysi (Linkspartei/ PDS) als sein Mitstreiter dessen rassistische, staatsaffirmative Aussagen bagatellisiert bzw. unterstützt, spricht ebenso wie die Unterzeichnung eines offenen Briefes durch Teile der Radikalen Linken, der „nichtsdestotrotz [die Linkspartei] begrüßen“(6) will, für unkritische Konformitätshaltung, platten, doch ehrlichen Populismus und eine breite Anschlussfähigkeit an die rassistischen und „antikapitalistischen“ Anliegen von NPD und Co.(7)
Politische Vertrauensbildung soll zudem auf der Ebene eines bestärkten Wir-Gefühls der Deutschen befördert werden, indem der 18. September als „Schicksalswahl“ stilisiert wird und Themen wie Arbeit, Sicherheit und (Wirtschafts)Wachstum(8) als Identitätsstiftende Momente des/der deutschen DurchschnittsbürgerIn präsent sind. Für mehr Arbeit und mehr Sicherheit wird der Gürtel individueller Bedürfnisbefriedigung gern enger geschnallt und die Beschneidung von Bewegungsfreiheiten durch staatliche Überwachungseingriffe wie die baldige Einführung eines biometrische Daten speichernden Ausweises wird ohne Widerspruch hingenommen. Die nächste Regierung – egal aus welchem Parteienspektrum – wird daran festhalten.
Zusätzlich konstruier(t)en viele Parteien(9) Zusammengehörigkeit als ausgebeutete schaffende und nicht raffende Klasse in Abgrenzung von „denen da oben“. Den schlechten Seiten des Kapitalismus sei durch ein menschlicheres Antlitz beizukommen, und so verwundert es nicht, wenn die PDS/ Linkspartei in ihrem Wahlprogramm als ersten Punkt „Arbeit in Würde – Wirtschaft für die Menschen statt Menschen für die Wirtschaft“ anführt. Dass hier kein Verständnis der kapitalistischen Mechanismen besteht, welche auf der maßlosen und endlosen Bewegung des sich selbst verwertenden Werts mit ihren antihumanistischen Auswirkungen fußen, kann augenscheinlicher nicht sein. Erscheinung wird mit Wesen gleichgesetzt, Form dem Inhalt vorgezogen – auch in Wahlbelangen. Und so ist es folgerichtig, wenn in der BILD zu lesen ist: „Wir wollen doch nach vorn und nach oben – wieder aufs „Treppchen“ der wirtschaftlichen Welt-Olympiade. Dazu gehören Glaube und Hoffnung. Die erzeugt man durch Persönlichkeit, nicht durch Programm.“(10)

Uns steht noch so einiges bevor.

Hannah

Fußnoten

(1) Sommer, Theo: Jetzt mal ehrlich. In: DIE ZEIT Nr. 32, 2005
(2) „Arbeit, Sicherheit, Menschlichkeit – Vertrauen in Deutschland“ (SPD)
(3) Zitate, soweit nicht anders erkennbar, aus: Sommer, Theo: Jetzt mal ehrlich. In: DIE ZEIT Nr. 32, 2005
(4) BILD-Kolumne von Oskar Lafontaine in Auszügen nachzulesen unter:
www.wsws.org/de/2001/sep2001/lafo-s27.shtml
(5) Infratest Dimap ermittelte im Auftrag der ARD vom 14. Juli 2005 in Ostdeutschland 31% und bundesweit 12 % potentiellen WählerInnenanteil für die Linkspartei/ WASG.
(6) http://www.offener-brief-an-linkspartei.de
(7) Thomas Wulff, Kader der Freien Kameradschaften und Sekretär von Udo Voigt, stellte diesbezüglich treffend fest: „Vermeintlich ‘linke’ Sozialisten kommen bei der Analyse der politischen Seelenlage unseres Volkes inzwischen schon wieder rechts raus.“
(8) Wahlkampfmotto der CDU/CSU 2005-2009: Deutschlands Chancen nutzen. Arbeit. Sicherheit. Wachstum.
(9) Münteferings „Kapitalismuskritik“, die Mai-Ausgabe der IG Metall Zeitung, Klassenbewusstseinspflege durch Linkspartei/ PDS und WSAG oder Aussagen wie „Wir machen Schluss mit Steuerschlupflöchern und Steuersparmodellen für Spitzenverdiener.“ aus dem Wahlprogramm der CDU/CSU 2005-2009 sollen hier als Beispiele genügen.
(10) Herbert Kremp. Kommentar: Es gibt viel zu tun Frau Merkel. In: bild.t-online.de, 15. Juli 2005

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last modified: 28.3.2007