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das Erste, 0.9k

Ungeöffnet und zurück

Ein Fortsetzungsroman neudeutscher Prägung, handelnd von einem x-beliebigen Arbeitskraftbehälter.

      „Bist du einfach blind oder bloß dumm/ Es ist doch Quatsch, dass nur die Starken überleben/ Mach die Augen auf und schau dich doch mal um/ Was du im Spiegel siehst, das würde es nicht geben“
      (Chefdenker)
Der Monat Mai gilt gemeinhin als Probelauf der wenigen Arbeitslosen, die glücklich sind, glücklich nämlich darüber, den herannahenden Sommer komplett am See, auf Saufgelagen oder im Bett verbringen zu können. Doch seit geraumer Zeit schwebt über ihren Köpfen das Schwert des Damokles in Form von Hartz 4, beidseitig geschliffen und eigentlich immer schon im Fallen sich befindend. So sauste es auch hernieder auf den Schädel des Herrn X(1), von dessen Leid im Folgenden berichtet werden soll.
An eben einem dieser erwartungsfrohen Maitage flatterte unserem Herrn X ein Brief vom Amt ins Haus, der, viele von euch werden dies kennen, nichts Gutes erahnen ließ. Und siehe da, ebenso verhielt es sich dann auch. Der Brief war ein persönlicher Weckruf, entsandt von einer hilfsbereiten Gemeinschaft (der Arbeitsgemeinschaft Leipzig), an den chronisch unterarbeiteten Herrn X. Nun mag der ein oder andere sich freuen für unseren Protagonisten, der endlich wieder Arbeit gefunden, auf dass er seine Platten- und Büchersammlung von dem erwirtschafteten Geld ausbaue und glücklich werde bis zum karoshi. Nun hat dieser ominöse Geldgeber des Herrn X so einiges in petto, allerdings hat er, die Arbeitsgemeinschaft Leipzig, eines nicht wirklich zu vergeben: Lohnarbeit. Wohin also schiebt man so einen chronisch Unterarbeiteten, wenn nicht in die Fabrik? Richtig, zu einer sogenannten Aktivierungsmaßnahme. Die vom Vorjahr angenehm in Erinnerung haftenden Monate Mai bis Juli sollten nun also an fünf Tagen die Woche in ein Martyrium sondergleichen sich verwandeln? Der Zeitraum zwölf bis sechzehn Uhr sollte nun, anstatt wie im Vorjahr dem schöne Menschen gucken, braun werden und Sozialhilfe-Pilsner (Sternburg) trinken, der schnöden Maloche geopfert werden? Ganz recht, dies war der unwiderruflich verhängte Urteilsspruch, der den jungen Mann für den „Arbeitsmarkt reaktivieren“ (O-Ton Fallmanagerin) sollte. Die Frage, wie man etwas, das nie wirklich aktiv gewesen war, nun plötzlich reaktivieren wolle, entkroch nicht den Lippen unseres durch Hartz 4 Propaganda verängstigten Herrn X. Die Teilhabe an der Maßnahme hieß zuallererst, um die mehr als unchristliche Zeit elf Uhr aus den Laken sich zu winden und anschließend fünfundvierzig Minuten Busfahrt (mit Umsteigen!) in Kauf zu nehmen. Da Herr X das Zusammentreffen mit weniger ansehnlichen Menschen und anderen Vertretern des deutschen Lumpenproletariats sonst tunlichst vermied, war der Schock ob der ersten Fahrt an einen Ort, der noch hinter (!) Grünau liegt, groß. Es verhält sich nämlich so, dass, je weiter man sich vom Leipziger Zentrum entfernt, der Anteil an (in Schwellenländern gefertigten) Bomberjacken, Lok-Schals, Hosen aus Ballonseide und ähnlichen ästhetischen Zumutungen (einfach eine Anhäufung hässlichsten Pöbels) drastisch in die Höhe schießt. Der Ort der Maßnahme lag inmitten eines, sagen wir einmal noch ausbaufähigen, Industriegebietes. Erklärt wurde der Standort dadurch, dass man hoffte, im Zuge des „Aufschwung Ost“ (O-Ton Einführung) die Reaktivierten nach erfolgreichem Abschluss in die inzwischen sich ansiedelnden „internationalen“ Unternehmen „überführen“ zu können. Hätte man jedoch in Physik aufgepasst, dann wäre es durchaus im Rahmen des Möglichen gewesen zu wissen, dass ein Objekt das auf-, irgendwann auch wieder herabschwingt. Und wenn demzufolge überhaupt nichts herabschwingt, dann wäre es doch nur logisch, dass niemals etwas je hinaufschwang. Nun hätte man aber die EU-Fördergelder schon in besagtes Objekt (ein geiler Stalinbau, sicher seinem Andenken gewidmet) investiert und müsse eben „das Beste“ daraus machen, um „Mögliches zu versuchen“. Das Mögliche geriet jedoch im Verlauf der Maßnahme immer mehr zu einem Unmöglichen, doch wir wollen den Entwicklungen nicht vorgreifen. Auf wen außer einem arbeitslosen jungen Mann um die 20 saust denn der Schmiedehammer des Staates noch so hernieder? Zum Beispiel auf eine fünffache Mutter in ihren besten Jahren (48), die aussah, als würde sie jeden Morgen ein kleines Kind verspeisen (und das nur als Appetithäppchen) und die in ihren sprachlichen Fähigkeiten sehr eingeschränkt war. Oder der junge Mann aus dem Süden Afrikas, der drei wichtigsten deutschen Wörter mächtig (Hallo, Tschüß, Sozialversicherungsnummer), ansonsten aber erfrischend sprachkenntnisfrei was die hiesige Mundart anbelangt, sicher sehr vorteilhaft bei einem achtwöchigen Lehrgang, in dem ausschließlich Deutsch geredet wird. Hervorstechend noch ein siebzehnjähriges Grünauer Mädel, mit fünfzehn die Hauptschule abgebrochen und täglich bestens informiert über die neuesten Entwicklungen in Michael Jacksons Prozess, wahrscheinlich durch ihren zehn Jahre älteren Freund, der wohl außer Autotuning und „Frischfleisch aufreißen“ noch über die Fähigkeit zu verfügen scheint, das geschriebene Wort zu entziffern. Etwas fehl am Platze wirkte allerdings der neunundfünfzigjährige „Adidas-Kalle“, immer im selben Trainingsanzug, immer mit Alditüte, immer mit „Bild“ unterm Arm und in einem Jahr in Rente, aber schnell noch mal –zack, zack- zur Reaktivierung, Still gestanden! Hände an die Hosennaht! und Rausch vom gestrigen Skatabend auf dem Reaktivierungstisch ausschlafen. Dieser illustren Schar von Klischeecharakteren gäbe es noch einige mehr hinzuzufügen, doch kann in dieser Kürze nur beschränkt Auskunft erteilt werden.
Dieser lustig zusammengewürfelte Haufen sollte nun acht Wochen lang („Die Zeit hier geht schneller rum als sie denken.“) reaktiviert werden. Doch wie sieht so etwas aus? Erst einmal wurde mitgeteilt, man habe die Fahrtkosten für diesen Zeitraum selbst zu tragen, jedoch würden sie nach Beendigung der Maßnahme ausgezahlt. „Isch zahl doch nisch die Näschel für mein eischnen Sarsch.“(2) ruft einer wutentbrannt und gestikuliert wie wild mit den Armen. Was zuhause bei Frau und Kind vielleicht noch Eindruck schindet, prallt hier wirkungslos an der durch jahrelange Erfahrung gestählten Mitarbeiterin des Bildungswerkes der Sächsischen Wirtschaft e.V. ab. „Sollten sie einen Tag unentschuldigt fehlen, müssen wir Meldung erstatten und die Folgen dürften ihnen ja bekannt sein.“ Im Falle unseres Herrn X, der die magische Grenze fünfundzwanzig noch nicht überschritten, bedeutet dies für die folgenden drei Monate die komplette Stillegung der Leistungen (Ausnahme Wohngeld). Da wir jedoch in einem zivilisierten Land (Stern, Unterschichtenfernsehen, Guidomobil) leben, erhält man auf Anfrage Gutscheine, mit denen man sich Essen erwerben kann, für Langzeitabenteuerurlauber also genau der richtige Kick (Hartz 4 for life – can you survive). Nach der Einführung betrat eine gutaussehende Diplompsychologin den Raum (Das blüht euch vielleicht auch, Psychologiestudenten!) und sollte den Haufen sozialen Auswurfes nun fit machen in Sachen soft skills(3). „Wennsch ne Olle wie siä zu Haus hätt, würdsch mirn Schtrick nähm.“(4) hieß es jedoch nach einer halben Stunde. Und auch als die Dame am zweiten Tag mit ihrer manipulierenden Wir-sitzen-doch-alle-im-selben-Boot-Stimme versuchte, den Herrn X vom Lesen abzuhalten („Finden sie das nicht unfair gegenüber den anderen? Alle arbeiten mit und nur sie machen etwas anderes.“), biss sie auf Granit („Wer etwas dagegen hat, dass ich lese möge sich bitte melden.“ Verhaltenes Gelächter, ansonsten reagiert niemand). Auch ihr interessant scheinendes Kennlernspiel wurde auf das Gröbste unterbunden, als ein ehemaliger Kunststudent auf den Datenschutz verwies und mit einer Anzeige drohte. In der folgenden Woche stand Informatik auf dem Programm, jedoch ohne Internetanbindung („Keene nagsche Weeber, son Scheiß“(5)). Auch hier verzweifelte der alternde Referent an der Unkenntnis der einen („Wo gehtn die Kagge an“(6)) und dem mangelnden Elan der anderen (Bücher, in die Luft gucken, Solitair). Selbst noch mit bestem Schnauzbartverseuchtem Altherrenhumor machte er sich unter den Anwesenden keine Freunde. Mittlerweile lichteten sich auch die Reihen der Teilnehmer, was wohl den verständnisvollen Leipziger Ärzten zu Gute gehalten werden darf. Richtig hart traf es den Leiter des Werkkurses, der von einigen darauf hingewiesen wurde, ohne entsprechende Arbeitskleidung würde man hier keinen einzigen Finger rühren, was diese Quertreiber auch konsequent durchziehen sollten. Die Arbeitsbienchen hingegen bauten lustige kleine Holzrahmen und irgendwelche Verstrebungen zusammen, über deren Funktion der Referent kein Wort verlor, den Hartz 4lern jedoch am Ende mitteilte, dass „dieser ganze Kram“ heute maschinell gefertigt würde und es „eigentlich völlig sinnlos“ sei, so etwas zu produzieren, aber „irgendwie“ müsse er die Leute ja „beschäftigen“. Hiernach erwarb man die Fähigkeit, ein winziges Lämpchen in seiner ganzen Pracht erstrahlen zu lassen, indem man nämlich einen sogenannten „Stromkreis“ schloss. Auch die Durchführung dieser „Arbeit“ wurde von einigen vehement abgelehnt, mit dem Hinweis, hier liege eine Spannung vor und man könne sich ja einen Schlag holen („Isch grill mer doch nisch de Flatsen, du Gasbbergobbe“(7)). Mittlerweile setzte sich im gesamten Kurs die Meinung durch, dass diese Art der Beschäftigung wie man sie hier erlebe, ja völlig sinnlos sei. Die geballte Macht des Unmuts der eigentlich Arbeitswilligen brach schließlich auf ein armseliges Männchen herein, das den Lehrgang für Bewerbungsschreiben führte. Man wies den Referenten mit Nachdruck („Blöder Wichser“) darauf hin, dass es in Deutschland keine Arbeit gebe, für die man sich qualifizieren könne und sei es auch unter Zuhilfenahme einer Bewerbung, die im Schnitt zwölf Euro pro Stück kosten solle. Einer der Anwesenden erklärte in all seiner proletarischen Hellsichtigkeit dem Leiter des Kurses die Problematik („Gibt nüscht mär, s meiste machn Maschinn un Komputter un die bedien de Inder wo sisch de Rechirun hold.“(8)) Im Folgenden erklärte man, dass dieselbe Regierung Tonnen voll Geld für „diesen Scheiß hier“ ausgeben würde und dass „Dreckschweine“ wie der Herr Kursleiter davon profitieren. Als dieser seinen ganzen Mut zusammen nahm, um den gegen ihn vorgebrachten Anschuldigungen den Wind aus den Segeln zu nehmen, wurde dieser im Keim erstickt unter Zuhilfenahme der Drohung man werde, sollte der Herr Kursleiter auf der Straße angetroffen werden, ihm „ordentlich eins in die Schnauze“ geben. Für den nächsten Tag wurde das Bewerbungstraining abgesagt und es sollte gleich weitergehen mit dem Erlernen der Pflegetätigkeit. Doch der Herr X, welcher dem Autor berichtete, erkrankte an Gastroenteritis, die ihn vorrausichtlich für eine Weile ans Bett fesseln dürfte. Unser aller Beileid...

Schlaubi

P.S.: Der Krankheitssimulator auf www.utechmedia.net sei jenen ans Herz gelegt, die auch gern mal eine zwei- oder dreiwöchige Krankheit befällt.

Fußnoten

(1) Name aus Angst vor Repressalien geändert
(2) Ich bezahle doch nicht die Nägel für meinen eigenen Sarg.
(3) z.B. Teamfähigkeit, Einfühlungsvermögen, Kritikfähigkeit, emotionale (!) Bindung an die Arbeit
(4) Wenn ich eine Alte wie sie zu Hause hätte, würde ich mir einen Strick nehmen.
(5) Keine nackten Weiber, so ein Scheiß.
(6) Wo geht denn die Kacke an.
(7) Ich verbrenne mir doch nicht die Hände, du Kasperkopf.
(8) Es gibt nichts mehr, das meiste machen Maschinen und Computer und die bedienen die Inder, welche sich die Regierung holt.

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last modified: 28.3.2007