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das Erste, 0.9k

Fest der Völker –
Karneval der Kulturen


Leni Riefenstahls Film Olympia. Fest der Völker von 1938 ästhetisiert die Diktatur jenes Körpers, der kräftig und jung ist und damit ideales Material und Modell eines Kampfkollektivs, in dem weder Schwächen noch Geist, also keinerlei individuelle Ansprüche erlaubt sein dürfen. Innerhalb des irrationalen Ganzen – dem Kollektiv – soll der Mensch gemäß der Erfordernisse des Ganzen und als dessen Elementarform rational funktionieren.
Die vermeintliche Konkretheit und Natürlichkeit der Ordnung werde durch vermeintlich abstrakte Kräfte bedroht. Deswegen meinen Nationalsozialisten im Ankündigungstext zum Jenenser Fest der Völker, das sie am 11. Juni 2005 veranstalten(1), den „europäischen Geist“ vor der um sich greifenden „Dekadenz“ schützen zu müssen. Sie wollen verhindern, dass „Wertvorstellungen [...] auf Altären des Mammons der Kapitalisierung und Industrialisierung [geopfert]“ werden. Sie „fordern den Erhalt der gewachsenen Strukturen“. Zu Feinden erklären sie „internationale Industriemanager“, „EU-Aristokraten“, deren „Kultur vernichtenden Vasallen“, „Großkonzerne und die kleine Kaste“, welche diese „leitet“. Ehrlich gestehen sie: „Wir Nationalisten sind keine Ausländerfeinde wie es die Presse gerne behauptet, wir achten jede Kultur und jeden Menschen, jedoch sind wir der Meinung, dass jeder Mensch und jede Kultur ihren angestammten Platz in dieser Welt hat, dieser muss auch von jedem respektiert werden.“ Herzzerreißend fassen sie ihre Lebensphilosophie zusammen: „Ein Baum kann ohne Wurzeln nicht gedeihen.“ Die Nationalsozialisten stellen sich Mensch und Kultur vor – wie angewurzelt. Vor 80 Jahren klagte Günther Anders diese armselige Einstellung zum Leben in einem Gespräch mit Heidegger an: „Ich machte den Vorwurf, daß er den Menschen als Nomaden, als Reisenden, als Internationalen ausgelassen, daß er die menschliche Existenz eigentlich als pflanzliche dargestellt habe, als die Existenz eines Wesens, das angewurzelt sei an einer Stelle und diese Stelle nicht verlasse. [...] Ich machte ihm also damals den Vorwurf, daß er dem Menschen noch nicht einmal die Beweglichkeit des Tieres zugestehe, [...] daß er ihn eigentlich als ein Wurzelwesen [...] betrachte, und daß eine solche Wurzel-Anthropologie die ominösesten politischen Folgen nach sich ziehen könne.“ Da die Nazis die pflanzliche Evolutionsstufe nicht übersteigen wollen und im Boden Halt suchen, statt sich als Individuen samt ihren Möglichkeiten frei zu entfalten, warnen sie in ihrem Ankündigungstext zum Fest der Völker vor „modernem Nomadentum wie es heute in den USA alltäglich ist“. Wie Riefenstahl das Individuum in den perfekten Körper als Elementarform des Kollektivs bannt, so ist auch das Jenenser Fest der Völker ein Fest zu Ehren der Fesseln der Menschen.
Die Macher des Berliner Karneval der Kulturen, der jährlich zu Pfingsten stattfindet, sind in der Evolution schon einen Schritt weiter. Sie sind wenigstens der Herrschaft des Bodens entronnen, wenn sie der „urbanen, pluralen Kultur“ Berlins Tribut zollen. Vom Blut allerdings wollen sie sich nicht gänzlich emanzipieren, denn dieses taucht bei ihnen – wie übrigens ebenso bei „zeitgemäßen“ Nazis – im Ankündigungstext als „Identität“, „Kultur“ oder „Mentalität“ wieder auf. Statt die Differenzen eines Menschen zu seiner jeweiligen Kultur zu stärken und zu betonen und Mentalität und Identität nicht in kultureller Herkunft aufgehen zu lassen, wollen sie den Menschen darauf reduzieren. Das ist ihr Begriff von „Praxis der Vielfalt“. Statt die Vielfalt der Individuen fördern sie die der Kulturen, d.h. „die schöpferische Kraft der zugewanderten Gruppen“ statt der Individuen. Eine wahre Praxis der Vielfalt wäre eine, in der Individuen nicht mehr als Exemplare ihrer Kultur angesehen würden, sondern sich frei entfalten könnten. Mit den Kulturen fördert der Karneval all deren Ketten wider das Individuum. Den aktiven Teilnehmern ist zu wünschen, dass sie außerhalb des Karnevals sich weder von ihrer geschlechtsspezifischen Rolle noch von ihrer kulturellen Herkunft einlullen lassen.
Denn auf dem Karneval sind grusligste kulturelle Vorstellungen inbegriffen: „Damit sich“ etwa „kurdische Frauen und Mädchen [...] aktiv am gesellschaftlichen Leben beteiligen können“, müssen sie beim Karneval der Kulturen „Trachten, Tänze und Lieder aus Kurdistan vorstellen“. Eine kroatische Gemeinde „tanzt schwungvolle Tänze [...] zum Thema Landleben. Die Frauen der Gemeinde haben in mühevoller Handarbeit nach alten Mustern die Kostüme [...] gefertigt.“ Auf einem anderen Wagen tanzen „Blumenmädchen, die Florales verschenken“. Wieder woanders bekommt der Zuschauer „einen kleinen Einblick in die „schwarze Kultur“: „farbenfrohe Gesänge und wild zuckende Körper“. Zudem präsentiert sich ein Gruppe von Afrikanern, die sich in einem Verein zusammen getan haben, „um wie in vorkolonialer Zeit zusammen zu leben und zu arbeiten“. Ob es damals schon Vereine gab? Andere Afrikaner „zeigen »Die Heilige Hütte«. Hier [...] werden Zeremonien und Rituale durchgeführt, hier treffen sich die Geister. Mit Perkussion, Tanz, Gesang und der Ausdruckskraft der Masken stellen westafrikanische Künstler [...] wichtige Momente ihres Lebens dar.“ So sind sie – die Afrikaner. Seltener scheinen Europäer zu sein, die sich noch nicht von ihrer Natürlichkeit entfremdet haben. Auf dem Karneval der Kulturen findet man eine „Formation vom Niederrhein“. Sie „zaubert [...] archaisch-geheimnisvolle und faszinierend-natürliche Klänge. Gespielt werden ausschließlich Eigenkompositionen, die Bezug nehmen auf die eigenen Wurzeln im europäischen Raum.“ Das wäre doch was für das Fest der Völker. Endlich eine Formation, die nicht kleckert, sondern klotzt, die nicht nur – wie die bekannten Nazi-Bands – von europäischen Wurzeln quasselt, sondern auch diesen gemäße Musik spielt. Auch kommen Süditaliener zum Karneval der Kulturen, die dem Fest der Völker gut zu Gesicht stünden: Präsentiert wird „[...] lebendiger Ausdruck von Volksglauben und -religiosität in Süditalien. Die Hexen tanzen wie in der Legende um einen uralten Olivenbaum. Flammen erinnern an Fegefeueraltare [...].“ Wie im Ankündigungstext zum Fest der Völker bekommen beim Karneval der Kulturen die bösen Spekulanten ihr Fett weg, indem ein Verein der ursprünglichen Wasserversorgung mittels Brunnen gedenkt: Es geht dem Verein „um die gemeinschaftliche Versorgung mit einem lebensnotwendigen, ererbten Gut, wie es Jahrhunderte Brauch war“, der „aber heute, zu Zeiten, in denen Trinkwasser an den Börsen gehandelt wird, vergessen ist“. Wie das amerikanische Nomadentum dem Fest der Völker, so dient US-Präsident Bush einem Karnevalsverein zur negativen Identifikation. Im Gegensatz zum Karneval der Kulturen garantiere Bush „global frostige Beziehungen“.
Sympathisch muten da beim Karneval der Kulturen Klingonen und Karatekämpfer an. Die Klingonen präsentieren sich als „ein Volk aus der Fernsehserie »Raumschiff Enterprise«“ und wollen den „Erdlingen“ aufgeschlossen gegenübertreten. Den Karatekämpfern sind Kulturen egal – leider schluckt ihre abstrakte Negation von Multikulti das Individuum gleich mit: „Ein Mensch ist ein Mensch, unabhängig von Herkunft, Bräuchen und Sitten – das symbolisieren auch die weißen Karateanzüge, in denen alle gleich aussehen.“

Hannes Gießler

(1) Antifaschistische Gegenaktivitäten, siehe www.voelkerball.tk


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last modified: 28.3.2007