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Das Verteilen dieser hier dokumentierten Flugschrift am 8. Mai 2005 vor dem Leipziger Schauspielhaus, in dem die CD der Leipziger Öffentlichkeit präsentiert wurde, ist leider durch eine Verschwörung deutscher Fotokopiergeräte gegen die Gruppe in Gründung (Leipzig) vereitelt worden.
dokumentation, 1.1k

Werte deutsche Damen und Herren,


Sie besuchen heute eine Feierlichkeit anlässlich des 60. Jahrestages der Befreiung vom Nationalsozialismus. Sicher werden Sie sich ebenso wenig über die diese Veranstaltung bewerbenden Plakate gewundert haben wie wir, denn schließlich ist dies heute eine deutsche Feier, von Deutschen für Deutsche.

Anstatt mit den Flaggen der Alliierten, der wahren Befreier also, schmückt man sich mit der Pace-Fahne der neuerweckten Friedensbewegung, vor deren Hintergrund die drei vermeintlich weisen Löwen Wecker, Sodann und Hochhuth zu sehen sind. Gemeinsam tourt man momentan durch Deutschland, um die CD gleichen Covers mit dem Titel „Befreit! – Lieder und Texte nach dem 8. Mai“ unters Volk zu tragen. Die Aufmachung legt nahe, worum es den zutiefst linken Veranstaltern und auch Ihnen, werte Damen und Herren, wirklich geht. Selbstverständlich wollen Sie heute der Freude gedenken, die damals ob des Sieges über Nazideutschland die weltweite Stimmung beherrschte, doch gleichzeitig wollen Sie auch Teil der Mahner sein. – Jener Mahner, die durchaus die damalige Leistung des Ami zu würdigen vermögen, aber zugleich eine Brücke zu seinen heutigen „Verbrechen“ schlagen wollen: die – wie Sie es nennen – „Überfälle“ auf Afghanistan und den Irak. So werden Sie heute Abend Zeugen und Mitspieler eines zutiefst deutschen Bubenstückes: der Verquickung des Sieges der Alliierten über den Nationalsozialismus mit der linken Kritik am sogenannten US-Imperialismus. Nun sollten aber gerade Sie, werte Damen und Herren Deutsche, an diesem heutigen Tage die sprichwörtliche Schnauze halten, wenn es darum geht, Angriffe, in deren Zuge totalitäre Regime niedergerungen werden, zu kritisieren.
Jedoch, Sie und die Herren und Damen Veranstalter wollen dies partout nicht. So wird heute unter anderem die gute Daniela Dahn zu Wort kommen, eine Dame, die das Weltgeschehen gern entschlüsselt. Und doch will es ihr einfach nicht gelingen, die Anschläge vom 11. September vollends zu entschlüsseln, denn eines sei sicher – nämlich dass die USA zum größten Profiteur der Anschläge wurden, die sie endgültig zur unumstrittenen Weltherrschaft führten und legitimierten.(1) Wo also bleibt die Dankesrede der amerikanischen Regierung an Mohammed Atta und seine Mitstreiter? Wir wissen es nicht und die gute Daniela wahrscheinlich auch nicht, denn sie maßt sich nicht an, einfache Antworten auf schwierige – von ihr selbst aufgeworfene –Fragen, wie etwa auf folgende, auszusprechen: Ist es verwunderlich, dass in einer Welt von so gottloser Ungerechtigkeit die fundamentalistische Wut wächst? Nein, ist es nicht! Darin sind Sie sich, werte Besucher, sicher einig mit der Daniela, der Friedensbewegung, der NPD, der Al Qaida und all den anderen Unerhörten, denn Terrorismus ist ein Schrei der gehört werden will. Dieser sogenannte Schrei, der tatsächlich Zivilisten zerfetzt und Selbstmordattentäter zu Märtyrern im Jihad gegen den Westen und die Juden werden lässt, wird aber doch gehört und zwar von jenen Pace-Fahnen-Trägern, die sich auf den Friedensdemos die Lunge aus dem Hals schreien und, mit einiger Sicherheit, auch von Ihnen, werte Damen und Herren.
Konstantin Wecker wird heute Abend sicher ähnliche Töne anschlagen, denn auch er ist einer, den gerade das Attentat vom 11. September berührt, der jedoch um die trügerische Macht der Bilder weiß. Uns erschüttern diese Bilder auch deshalb so, weil es ein Anschlag auf unsere „zivilisierte“, westliche Wohlstandsgesellschaft ist. Aber ich denke, gerade in solchen tragischen Momenten, sollten wir auch der 80000 Menschen gedenken, die täglich verhungern.(2) Der Konstantin bringt es weiter auf den Punkt: Wo Krieg um Naturschätze ärmerer Völker zur Normalität wird, findet das Kriegsgeschrei der Nazis vielstimmigen Widerhall.(3) Dies ist beeindruckende marxistisch-leninistische Bilderbuchlogik. Als Linker kennt der Konstantin den Spruch „Hinter dem Faschismus steht das Kapital“ mit Sicherheit und er ist ihm, wie auch sicher einigen von Ihnen, ins Mark eingewachsen. Kapitalismus und Faschismus gehören nämlich irgendwie zusammen. Folglich kann es in Wirklichkeit keine wahlweise „kapitalistische“, „zivilisierte“ oder „westliche“ Gegnerschaft zum Faschismus geben. Je „westlicher“, „zivilisierter“ und „kapitalistischer“ also ein Land, desto faschistischer muss es auch sein. Überlegen Sie doch mal, wer heute nach Krieg schreit. Die NPD und andere Nazis nahmen ja Pace-Fahnen tragend an Friedensdemos teil und auch sonst vernimmt man kaum freudiges Kriegsgetöse. Doch halt, gibt es da nicht... Richtig, den Ami. Der Ami schreit nach Krieg, also ist der Ami der Nazi von heute. Darf aber nun jemand, der dem Land der Täter entstammt, solch fragwürdige Thesen aufwerfen wie der Konstantin, werden Sie sich sicher nicht fragen. Im modernen Deutschland stehen einem für solcherlei Frechheiten Tür und Tor sperrangelweit offen, wie auch der geladene Rolf Hochhuth beweist, der schon mal der rechtsextremen „Jungen Freiheit“ bereitwillig ein Interview gibt. Dort bemängelt er nicht nur, dass in der Nähe des Holocaustmahnmals ein Museum für die Opfer der alliierten Luftangriffe fehle, für dessen Errichtung er übrigens gerne die Britische Botschaft räumen lassen möchte. Nein, ein Mann von Hochhuths zweifelhaftem deutschen Format geht noch einen Schritt weiter und tut die Äußerung des Holocaustleugners David Irving, dass in den Gaskammern weniger Menschen umgekommen wären als 1969 auf dem Rücksitz Edward Kennedys(4) damit ab, dass dieser hier lediglich seiner nicht ganz unbritischen Neigung zum schwarzen Humor auf zynische Weise freien Lauf gelassen habe. Als anschließend Henryk M. Broder im „Spiegel“ diese Äußerungen Rolfis kritisch aufgegriffen hatte, zeigte der Angegriffene keine Reue, sondern sendete ein ästhetisch unzumutbares Gedicht an die Redaktion, das seine antifaschistische Grundeinstellung belegen sollte.
Während der von Hochhuth in Schutz genommene Irving Auschwitz leugnet und denjenigen, die an Auschwitz erinnern, Profitgier unterstellt, benennt Wecker die wahren Schuldigen am Nationalsozialismus – nämlich Profiteure(5), Kriegsgewinnler und Nutznießer von neoliberalen Sozialraubzügen. Gern nimmt er die schwere Last der Schuld von den Schultern jener, die als aus der Ausbildung direkt in Dauerarbeitslosigkeit Gekommene, als Söhne pleite gegangener Kleinunternehmer oder einfach als soziales Strandgut mit ihren vor Zorn geballten Fäusten den Hitler, Goebbels, Strasser und Röhm hinterherliefen. Wieder gibt der Konstantin ein marxistisch-leninistisches Märchen zum Besten, nämlich das vom hinterhältig verführten deutschen Proletarier. Mit dieser Lüge lässt es sich gut leben, werte Damen und Herren Deutsche, denn sie bildet ein wichtiges Standbein, auf dem die reflexionsfreie Hetze gegen die Außenpolitik der USA hier und heute steht. Die Vereinigten Staaten von Amerika, deren Einsatz damals entscheidend für den Krieg gegen die Deutschen war, sehen sich heute allzu oft selbst mit dem unverschämten Vorwurf des Faschismus konfrontiert.

Wenn heute Abend von Befreiung die Rede ist, wird man ähnliches sagen wie: „Die Deutschen wurden befreit“ – im Sinne der Weckerschen These vom verführten armen Volk und der bösen Nazi-Elite. Befreit jedoch wurden 1945 die überlebenden Inhaftierten der Konzentrationslager, befreit wurden die von Deutschland überfallenen Staaten, befreit wurde die Welt vom Nationalsozialismus. Befreit wurde sicher nicht das Deutsche Volk. Es wurde unter blutigen Opfern niedergerungen. Die einstigen Sieger über Deutschland werden heute, auch heute Abend, in die Nähe von Nazis gerückt, während der Barde Wecker 2003 in den Irak fuhr, um seinen Teil zum Erhalt der Diktatur Saddam Husseins beizutragen. Doch dort gab es jene, die sich wehrten. Dies musste auch der verdutzte Konstantin erfahren, als seine Staatslimousine, welche ihn durch das Bagdader Stadtviertel, das damals Saddam-City hieß, kutschierte, von Jugendlichen mit Steinen beworfen wurde. Die Deutschen haben damals die Limousinen der Nazi-Freunde nicht mit Steinen beworfen– etwa die des ins Dritte Reich geflohenen Prodeutschen, Antisemiten und Protoba’athisten Rashid Ali al-Kailani, dem es 1941 nach einem antibritischen Putsch einen Monat lang gelungen war, sich im Irak als Präsident zu installieren. Statt dessen haben die Deutschen bis zum letzten Blutstropfen gekämpft – für den Erhalt des Übelsten, was die Welt je gesehen hat. Sie haben, den Alliierten sei Dank, verloren. Doch dies, werte Damen und Herren Deutsche, dürfte Sie heute Abend nur am Rande interessieren.

Förmlichst
Ihre Gruppe in Gründung (Leipzig)

E-Mail: gig_leipzig@web.de

Fußnoten

(1) Nachfolgende Zitate zu finden auf www.danieladahn.de
(2) Zitat zu finden auf www.wecker.de
(3) aus dem Vorwort zur CD „Befreit! – Lieder und Texte nach dem 8. Mai“
(4) nachfolgende Zitate zu finden unter www.jf-archiv.de/archiv05/200508021809.html
(5) nachfolgende Zitate aus dem Vorwort zur CD „Befreit! – Lieder und Texte nach dem 8. Mai“

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last modified: 28.3.2007