home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[121][<<][>>]

review corner Film, 1.4k

Don’t fuck with
my Burberry cap


The Football Factory, 19.9k

Nick Love: The Football Factory, GB: 2004

Über „The Football Factory“, überflüssige Synchronisationen und warum Engländer keinen Zahnschutz brauchen.

Wer kennt sie nicht, die Schlachten der Kindheit. Rivalitäten zwischen verschiedenen Schulen, Schulklassen oder Straßenzügen führten regelmäßig dazu, dass man unweigerlich aufeinander stieß und endeten nicht selten in, für kindliche Verhältnisse, üblen Auseinandersetzungen. Nun gibt es aber Leute, Jungs würde hier besser passen, welche diese Form des Wettbewerbs bis ins höhere Alter pflegen. Von jenen handelt der neue Film Nick Loves. Den jungen Mann kennt so gut wie jeder, auch wenn der Name nicht geläufig sein sollte. Er ist verantwortlich zu zeichnen für den hochgelobten „Trainspotting“. Im Gegensatz dazu hat er sich mit seinem neuesten Film nicht sehr viele Freunde gemacht. In unzähligen Blättern verrissen und kritisiert für die angebliche Glorifizierung der Hooligans und ihres Lifestyles. Als Love sich entschied, das Buch von John King zu verfilmen war er sich über die Brisanz des Themas sicher im Klaren. Nicht umsonst verfügte man nur über ein sehr geringes Budget, weil man sich eine kleine Produktionsfirma suchte und ließ sich von Rockstar Games (GTA, State of Emergency) finanziell unterstützen, deren Credibility dieser Akt sicher nur gut tun kann. Folglich war man während des Drehs und der gesamten Produktion nicht den üblichen Regeln ausgesetzt, die einem sonst reingedrückt werden, um Filme an der Zensur vorbeizuschleusen und einem größtmöglichen Publikum schmackhaft zu machen. So gab es bei der Besetzung keinerlei Einschränkungen und 90 Prozent der Statisten rekrutieren sich aus aktiven oder ehemaligen „football thugs“. Dieser Umstand lässt die Kämpfe sehr realistisch wirken und versetzte den Regisseur regelmäßig in Sorge. So berichtet er über besagte Drehs, dass ihn immer die Angst umtrieb sie könnten eskalieren. Letztendlich kam es dazu nie, obwohl die Schauspieler die daran teilnahmen hin und wieder einen, sagen wir mal nicht gerade perfekt angetäuschten, Schlag einstecken mussten.
Tommy Johnson ist die zentrale Figur des Films. Sich selbst beschreibt er als absolut durchschnittlichen Typ, der schnurstracks auf die 30 zugeht, einen langweiligen Job hat und nur für das Wochenende lebt. Da warten nämlich Alkohol, Drogen und hin und wieder auch Sex auf den smarten jungen Mann. Nun gibt es aber einen entscheidenden Unterschied zwischen ihm und den ganzen vermeintlich anderen armseligen Existenzen von seinem Schlage. Er gehört zu einer Chelseaer „firm“, der englische Sammelbegriff für Hooligangangs, und prügelt sich gern. Zu Beginn des Films erklärt er seine Motivation während einer Auseinandersetzung mit der Tottenhamer firm grob mit den Worten: „Was soll man am Samstag sonst machen, im Stuhl sitzen und sich auf Popstars einen abwichsen und hoffen, dass die Frau nichts merkt, weil im Bett schon lang nichts mehr läuft? Ich weiß was besseres. Tottenham auswärts, das liebe ich.“ Wer jetzt aber einen Film erwartet, der den Fokus vornehmlich auf die Schlägereien legt, der wird sicher enttäuscht sein. Vielmehr ist er ein nüchternes Porträt dreier Generationen von Hooligans. Insgesamt jedoch stehen vier Altersgruppen im Mittelpunkt des Films. Da wären die zwei jüngsten, Zeberdee und Raff, die sich ihren Lifestyle mit nächtlichen Einbrüchen und dem Überfallen von Dealern finanzieren. Ihnen folgen, vom Alter betrachtet, Tommy und sein Freund Rod, um die dreißig und mit beiden Beinen im Leben stehend, wie man so schön sagt. Harris und Billy stellen zwei der Dienstältesten der firm und sind eher dem Bereich Familienväter zuzuordnen. Dann wären da noch Farrell, Tommys Großvater, und sein Freund Albert, die erst einmal nichts mit dem Freizeitvergnügen der Jüngeren zu tun haben. Die beiden waren jedoch im Krieg und an der Landung in der Normandie beteiligt. Ein Umstand, der die Jüngeren zu ihnen aufsehen lässt mit einem Gefühl der Verbundenheit, da man ja selbst an der „Front“ kämpft. Diese Art der Verbundenheit jedoch teilen die beiden Veteranen keineswegs, wie im späteren Verlauf des Filmes deutlich wird.
Hauptfigur ist und bleibt zwar Tommy, den als roter Faden die Frage, ob es das wirklich wert ist, durch den Film führt, jedoch erzählen diese vier Männerfreundschaften ihre ganz eigenen Geschichten, die nicht gerade glücklich verlaufen. Rückblickend erzählt Tommy, wie ihm sein Großvater immer glorifizierende Anekdoten vom Kampf gegen die Deutschen darbrachte und man meint zu ahnen, was in dem jungen Mann die Lust am Kämpfen weckte. Harris, Leiter der firm, wendet sich mehr und mehr von Billy, der ihm seinen Posten neidet, ab. Billy ist die Art von Psychopath, dem es egal ist, ob er gewinnt oder verliert und der auf jegliche Konsequenzen scheißt. Der Film thematisiert auch, wie die Frustration ob der eigenen Hilflosigkeit gegenüber Hierarchien verarbeitet wird. Nämlich dadurch, dass diese reproduziert werden, indem man sich Schwächere als Ventil sucht. So bearbeitet Billy den jungen Zeberdee, der wiederum seinen Frust an ein paar Kids auslässt.
In die Freundschaft zwischen Rod und Tommy drängt sich schließlich eine junge Gerichtshilfe, die Rod während einer Verhandlung anbaggert. Die junge Frau passt nicht in die Welt der beiden Männer und die Situation eskaliert, als sie von Rod verlangt, auf ein heiß ersehntes Aufeinandertreffen mit Millwall zu verzichten und stattdessen mit ihren Eltern Essen zu gehen. Rod, der gerade eine ordentliche Line Koks zog, erzählt den Eltern von seinem liebsten Freizeitvergnügen und lässt sie verdutzt sitzen, um sich doch noch den Jungs anzuschließen. Auf die vorangegangene Frage ihrerseits, warum ihm Fußball wichtiger wäre als sie, kann er immer nur monoton von sich geben, er wäre ein Mann.
Kommen wir zur Gewalt – darf man den unzähligen Kritikern glauben, dem zentralen Thema des Films. Authentizität ist wie oben geschildert vorhanden und die Stimmung sehr realistisch eingefangen. Das fängt an mit der Darstellung der Zeit vor dem Spiel, überall sind Polizisten, kleine Fangruppen laufen zum Stadion, der Blick durch die unzähligen Londoner Kameras wird gezeigt und man kann die Spannung förmlich spüren. Die treibende Musik von Primal Scream tut ihr übriges. Wir sehen eine andere Art von Fußballfan. Junge Männer ohne Schals oder Trikots, gut gekleidet und militärisch organisiert. Wie in einer koordinierten Militäraktion streifen sie in einzelnen Gruppen durch die Straßen, vermeiden jegliches Aufsehen, um schließlich an einem bestimmten Punkt zusammenzufließen und sich dem Feind zu stellen. Vorneweg die am wenigsten auffälligen Jungen als Späher. Ihr wichtigstes Werkzeug ist das Handy. Nachdem die Stadien immer sicherer wurden, Sitzplätze Standard sind und Fußball mehr und mehr Familienveranstaltung ist, hat sich die Gewalt größtenteils außerhalb des Stadions verlagert. Über das Telefon koordinieren sie ihre Aktionen, vermeiden Zusammentreffen mit der Staatsmacht und verabreden sich zur Schlacht. Während des Films merkt man, was diese Männer reizt. Zum einen ist es das Adrenalin, dieses kurze Ausbrechen aus der Gewohnheit, der Eskapismus der Gewalt. Diese Realitätsflucht wirkt ungeheuer anziehend, auch auf jene, die nicht an ihr teilhaben. Jeder Leser dürfte Leute kennen, die Kleidung der Marke „Hooligan“ besitzen, ohne jemals Teil des Beschriebenen gewesen zu sein. Zum anderen ist es die Sicherheit der Gemeinschaft. Zwischen all den Grobheiten und prolligen Sprüchen, die man sich zuteil werden lässt, blitzt immer wieder diese Zuneigung füreinander auf, die man aufgrund des gemeinsam Erlebten verspürt. Es ist das ewig wiederkehrende männliche Motiv der Blutsbruderschaft, sei es nun das eigene oder das der anderen, welches vergossen wird. Dieses regressive Bedürfnis nach Kameradschaft, Teil einer Sippe zu sein, verrät viel über die tatsächliche Einsamkeit des Menschen innerhalb der Konkurrenz, die in der Freizeit verdoppelt wird, während man ihr unbewusst zu entfliehen sucht. Glorifiziert der Film nun, wie allerorten vorgeworfen, diesen Vorgang? Die Antwort ist ein klares Nein. All jene, die diesen Vorwurf erheben, überfällt beim Sehen sicherlich ein wohliger Schauer, eine Mischung aus Abscheu und Faszination, die sie nur durch völlige Ablehnung verarbeiten können. Hier wird einfach nur die Realität gezeigt und weniger wäre Blödsinn. Selbst das Schlusswort Tommys, nachdem er fast zu Tode getreten wurde, dass es das auf jeden Fall wert war, spinnt nur den roten Faden weiter. Natürlich wird es in ein paar Wochenenden für ihn weiter gehen, wie könnte er auch der Routine aus Blut und Schweiß, die dem deprimierenden bürgerlichen Alltag in nichts nachsteht und eben kein Fluchtpunkt sein kann, entfliehen. Er kennt nichts anderes, dies ist alles, was er hat, was ihn am Leben hält. Hier ist auch schon das einzige wirkliche Manko des Films. Er erinnert einfach zu sehr an „Trainspotting“, mit dem Unterschied, dass die Droge durch Hooliganismus ersetzt wurde. Der nihilistische Lebensstil der Hauptfigur, die Exzesse, die normal verqueren Charaktere, die harte erdrückende Realität, alles erinnert an seinen Durchbruch. Aber dieser Umstand wiegt nicht so schwer, denn der Film macht trotzdem auch Spaß. Wenn während der Busfahrt zum Spiel an einer Raste gehalten wird, um dort ordentlich Zeug mitgehen zu lassen, werden sicher einige schmunzeln und auch der bitterböse Humor Loves bricht immer wieder durch. Allerdings sollte man wirklich auf die deutsche Synchronisation verzichten, die erstens den englischen street slang bravourös schlecht übersetzt (cunt heißt also Wichser, aha) und einige großartig klingende Londoner Akzente zwangsläufig unter den Tisch fallen lässt.
Aber warum nur benutzen die Herren im Film keinen Zahnschutz? Wahrscheinlich übernimmt in England noch die Krankenkasse die Kosten für den Zahnersatz komplett.

Schlaubi


home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[121][<<][>>][top]

last modified: 28.3.2007