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das Erste, 0.9k

Radikale antifaschistische Praxis?


Leipziger Messe, 31.2k Radikale antifaschistische Praxis ist gegenwärtig so wenig zu konstatieren wie abzurufen, wäre es doch eine, die die kapitalistischen Produktionsverhältnisse aufhebt – Produktionsverhältnisse, die den Staat mit Notwendigkeit als ihren Garanten setzen und diejenigen, von der immerwährenden Krise getriebenen, faschistischen Subjekte unter bestimmten Rahmenbedingungen, wie sie etwa die deutsche Geschichte 1933 bereitstellte, hervorbringen, welche den Garanten und Exekutoren abstrakter Herrschaft als den ihrigen rationalisieren, indem sie sich und ihm eine gemeinsame Essenz unterstellen, die vor denjenigen zu schützen sei, in denen die Krise personifiziert wird. Dass in den kapitalistischen Produktionsverhältnissen und deutschen Rahmenbedingungen der Faschismus lauert, heißt nicht, dass jene mit diesem identisch sind. Wer den Unterschied zwischen einem funktionierenden deutschen Rechtsstaat, der so auf den Begriff gebracht in all seiner Schlechtigkeit genügend beschrieben werden kann, und dem NS-Staat oder gegenwärtigen braunen Landstrichen nicht sehen oder begrifflich fassen will, der sieht oder sagt alles und nichts. Es ist das Geschäft der Politik gewesen, das die Antifa, wie wir sie aus den Neunzigern kennen, immer schon auszeichnet: Agitation und Propaganda durch Schock und Sensation, die sowohl ihre Flugblätter prägen als auch ihr gesamtes Auftreten – von der Schriftart, über die Anzahl der Ausrufezeichen und die in diese Form gebrachten Inhalte bis zur Demo nach Schema F, nämlich immer mit hartem ersten Block, geschlossenen Reihen u.s.w.
Da eine Aufhebung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse derzeit in den Sternen steht, die Bekämpfung von Faschisten aber eilt, ist praktischer Antifaschismus derzeit auf Schadenbegrenzung innerhalb derjenigen Verhältnisse verwiesen, die den Schaden mitverantworten. Gegenwärtiger antifaschistischer Praxis voranstehen, sollte also zum einen das Wissen um die antifaschistische Ohnmacht, die dort beginnt, wo der Antifaschismus radikal würde, und zum zweiten das Wissen um den Kompromiss mit den herrschenden Verhältnissen, in dem sich jeder praktische Antifaschismus derzeit per se befindet.
1. Internationale Briefmarkenschau der Messestädte, 17.8k Überall dort, wo sich derzeit ein antifaschistischer Kampf als radikal in Szene setzt, haben wir es wieder mal mit einem „großen Radikalinski-Schwindel“ zu tun, als den ihn einst Ralf in einer „Kritik der Antifa“ prägnant bezeichnete. Der Schwindel ist vor allem einer der „radikalen“ Antifa gegen sich selbst. Sie belügt sich mit Kraftausdrücken, uniformiertem Auftreten, harten Methoden und redundant vorgetragenen radikalen Versatzstücken. Mit all dem plustert sie sich als radikal auf. Statt zur Militanz ein distanziertes Verhältnis zu haben, was ihren Gebrauch nicht ausschließt, sind Militanz und Verbalradikalismus, der sich in Parolen à la „Smash capitalism“ und „Die Nazis kommen aus der Mitte der Gesellschaft“ erschöpft, als vermeintliche Formen radikaler Politik in der sogenannten Antifa wesentlich. Darum wissend, dass die Radikalität der Antifa sich besonders in den Attributen „jung“, „dynamisch“ und „stark“ erschöpft, wird man auch schnellen Urteilen der Antifa zivilgesellschaftlichen Initiativen gegenüber skeptisch. Vielleicht bedeutet die von der Antifa erteilte Etikette „nicht-radikal-genug“ nur soviel wie „ängstlich“ und „friedfertig“.
Es ist der Moment der so wohltuenden wie eingebildeten Allmacht, wenn im Dunkel der antifaschistische Marsch durch eine – von der Antifa gerade ins Visier genommene – ostdeutsche Kleinstadt stattfindet: die Reihen festgeschlossen, starke Parolen auf den Transparenten und aus gemeinsamer Kehle, uniformer Kleidungsstil, hin und wieder ein, das Dunkel zerschneidender und die hässliche Kleinstadt erhellender, Pyro. Schließlich kommt es zum Kampf mit den Nazis, oder aber mit der Polizei, oder aber gar nicht. So wird die bitter notwendige Praxis gegen die Nazis, die weite Teile der ostdeutschen Provinz nach wie vor im Griff haben, ein wenig zu einem „Indianerspiel“ (Robert Kurz) aufgepeppt. Angst wird dabei weggedrückt und vorerst nur vom Körper im Adrenalin thematisiert. Sie kann psychisch erst in zig Kneipengesprächen indirekt „verarbeitet“ werden, in denen die haarsträubenden Erlebnisse als coole Storys wieder und wieder durchgearbeitet werden. Klar: harte Zeiten erfordern harte Menschen. Die Frage aber ist: Wie hart müssten die paar hundert „radikalen“ Antifas kämpfen, denen Hunderttausende NPD-Wähler – ob Papi mit Schnauzbart oder jugendlicher Straßenkämpfer, alles Feinde eines menschenwürdigen Daseins, die auf ihre jeweilige Art und Weise den „Fremden“ das Leben zur Hölle machen wollen – allein in Sachsen gegenüber stehen? Polemisch könnte gegen die „radikale“ Antifa auch gefragt werden: Sind diejenigen, teilweise von der „radikalen“ Antifa als peacig oder zivilgesellschaftlich verschrieenen, antifaschistischen Initiativen vor Ort, die kontinuierlich über Jahre umgeben von brauner Scheiße gegen eben diese arbeiten, nicht viel radikaler? Schließlich erleben die Aktiven solcher Initiativen jeden Nachhauseweg in ihrem Nest unter Adrenalin, das die aus mondäneren Gegenden anreitende „radikale“ Antifa maximal jedes Wochenende unter Strom setzt. Schließlich erzielen solche Initiativen durch ihre kontinuierliche aufopferungsvolle Tätigkeit, die keineswegs in einem günstigen Verhältnis zu den Resultaten steht, nachhaltigere Resultate als die völlig überforderte „radikale“ Antifa, die jedes Wochenende in einer anderen sächsischen Kleinstadt eine Demo machen müsste, um zumindest einmal im Jahr an all den sächsischen Orten gewesen zu sein, wo es notwendig wäre. Dass sich die zivilgesellschaftlichen Initiativen aufgrund kommunaler Finanzierungen und kommunaler politischer Unterstützung, auf die sie angewiesen sind, gewollt oder ungewollt mit der Zeit zu kommunalen Verantwortlichen entwickeln, die, schlecht totalitarismustheoretisch, auch vor linksradikaler Gewalt warnen und nicht mit der Antifa in Verbindung gebracht werden wollen, soll hier nicht verschwiegen werden.
Weder das Konzept Vermummung noch das Konzept „Gesicht zeigen“ waren und sind erfolgreich. Der „Vorschlag zur Güte“, den Gunnar in dieser CEE IEH-Ausgabe unterbreitet, ist kaum umzusetzen. Vielleicht ist die Forderung nach einer Abspaltung der sächsischen Schweiz aber immer noch näher an einer pragmatischen Lösung dran als die „radikale“ Praxis der freiwilligen Antifa-Feuerwehr oder die Kerzenlichter gegen Rechts in den sanften Händen von Zivilgesellschaftlern. Dass solche Initiativen und die „radikale“ Antifa wenig zusammenpassen, ist eher eine Frage des Stils und der Sicherheit als der Radikalität. Die Aktiven zivilgesellschaftlicher Initiativen werden von dem schlichten Konsens, gegen Nazis zu sein, zusammengeschweißt, was sie in ihren Ortschaften zu potentiellen Radikalen und Opfern und vor der Antifa zu potentiellen Spießern werden lässt. Solche Initiativen agieren aus keinem sicheren Hintergrund heraus, sondern vielmehr aus einer Angst, die sie immerfort in eine so verständliche wie mitunter strategisch abträgliche Defensive drängt, während die „radikale“ Antifa sich radikal dünkt und aus diesem Dünken und ihrem sicheren Hintergrund gar nicht abzuschätzen gewillt ist, welche Strategie im von ihr erwählten Ort politischer Intervention zuträglich ist(1). Die Antifa hat ihre gängigen, nämlich „radikalen“, also kraftmeierischen Methoden, die auf jede Situation zu passen haben. Dass sie mitunter passen, ist dann genau so zufällig, wie dass sie mitunter nicht passen.
Auf der Veranstaltung der Jungle World namens „Antifa, Hahaha“ in diesem Herbst in Leipzig ist der Vertreter des Leipziger bgr die anstehende Problematik – Was tun gegen Nazis? – durch eine Reflexion auf die Vergangenheit treffend angegangen. Das Paradekonzept gegen Nazis gab und gibt es nicht, wusste und sagte er. Dieses Faktum und zusätzlich die Reflexion auf eine fehlende radikale antifaschistische Praxis, die durch keine pseudo-radikale Kraftmeierei verhüllt werden darf, müssten genügen, um gegen die Nazis mit demokratischen Initiativen vor Ort unvoreingenommener gemeinsame Inhalte, eine gemeinsame Strategie und einen gemeinsamen Stil zu diskutieren, die deswegen noch lange nicht zustande kommen müssen, und darüber hinaus wahre Radikalität vorerst im kritischen Gedanken und der Aufklärung über die falschen Verhältnisse walten zu lassen, deren Abschaffung hoffentlich eines Tages, der so sicher wie der Messias kommt, ansteht. Hannes

Fußnote
(1) Ein wenig drängt sich der Vergleich zur Intervention der Alliierten im Irak 1991 auf. Diese hatte zwar von den Anfängen bis zu den Konsequenzen eine völlig andere Dimension, ließ aber nach dem militärischen Säbelrasseln die Kurden im Irak so ungeschützt vor den Racheakten der Baathisten zurück, wie manche antifaschistische demonstrative Aktion die lokalen Punks, Migranten etc. in dem braunen Schlammassel zurücklässt, dem die Aktion galt.

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last modified: 28.3.2007