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Hannes Steins Texte bemühen sich nicht um eine Kritik der politischen Ökonomie, lohnen sich zumeist dennoch zu lesen. Den folgenden Text von Stein dokumentieren wir, weil er kurz und knackig die mehr oder weniger unerträglichen Inhalte der Linken zum Abschuss frei gibt: Antiuniversalismus, Antizionismus, Pazifismus, Antiimperialismus und der Hang zum vermeintlich Autochthonen. Dass diese Inhalte in der Linken und der radikalen Linken keineswegs Randphänomene sondern zentral sind, verdeutlichen ständig Events wie das Europäische Sozialforum. Mit der Dokumentation wollen wir die Trennung von der Linken forcieren, empfehlen darüber hinaus aber inständig kommunistische Gesellschaftskritik.
Die Redaktion
dokumentation, 1.1k

Die Linken und die Faschisten

Kolumne von Hannes Stein, Die Welt, 5. Oktober 2004

Irgendwann in der Zeit des Hitler-Stalin-Paktes besuchte der dänische Schriftsteller Martin Andersen Nexö Bertolt Brecht in seinem Haus in Svendborg. Andersen Nexö war gerade in Moskau gewesen, und nun erzählte er dem Exilanten Brecht, was er dort von seinen Genossen gelernt hatte: „Der Nationalsozialismus ist der besondere deutsche nationale Weg zum Sozialismus. Adolf Hitler ist ein Verbündeter im Kampf gegen den Kriegstreiber Winston Churchill und den britischen Imperialismus. Die deutschen Kommunisten haben die Pflicht, in diesem Punkt umzulernen.“ Brecht klappte die Kinnlade nach unten.

Warum mir diese kleine Episode gerade jetzt einfällt? Weil ich vor ein paar Tagen das Vergnügen hatte, einen gestandenen Linken kennenzulernen, einen Veteranen der 68er Bewegung. Dieser überaus charmante Mann versicherte mich – nachdem er saftig über die amerikanischen Kriegstreiber geschimpft hatte – seiner Sympathien für die Ayatollahs im Iran. Die iranische Revolution von 1979, sagte er, sei der Versuch Persiens gewesen, endlich wieder zu sich selber zu finden, nach Jahren der westlichen Einflußnahme; schließlich hätten die Amerikaner den demokratisch gewählten Mossadeq gestürzt und an seiner Stelle den Schah installiert. Gewiß sei es in der iranischen Revolution zu manchen Unerfreulichkeiten gekommen. Das sei nun einmal so bei Revolutionen, es gelte zum Beispiel auch für die Französische Revolution. Auf meinen Einwand, mir sei nicht recht wohl bei dem Gedanken an ein nuklear bewaffnetes Ayatollah-Regime, meinte jener Linke: Der Iran strebe doch nur deshalb nach der Atombombe, weil er sich gegen Israel verteidigen müsse. Das sei doch ganz und gar verständlich.

Mir klappte der Kiefer nicht nach unten. Ich bin ja doch schon einiges gewohnt. Dennoch verblüffte mich die brutale Offenheit dieser Parteinahme.
Als ich wieder zu Hause war, nahm ich Paul Bermans Buch „Terror und Liberalismus“ aus dem Regal und las den Abschnitt über Paul Faure und seine Anhänger in der Sozialistischen Partei Frankreichs. Das war in den dreißiger Jahren: Léon Blum war an der Macht, und er verband sozialen Humanismus mit einem patriotisch gefärbten, einem militanten Antifaschismus. Die Anhänger von Paul Faure in der Sozialistischen Partei waren damit überhaupt nicht einverstanden. Als Pazifisten stellten sie ein paar unangenehme Fragen: War Deutschland durch den Versailler Vertrag nicht schrecklich gedemütigt worden? Vertrat Hitler also nicht auch legitime Interessen? Und ist jede Kritik an Juden notwendig antisemitisch? War nicht auch Léon Blum, ihr innerparteilicher Widersacher, ein Jude? 1940 fiel die Wehrmacht in Frankreich ein. Marschall Pétain schlug sich auf die Seite der Sieger und bildete eine nazifreundliche Regierung, Blum wurde ins Konzentrationslager deportiert. Und die Pazifisten unter Frankreichs Sozialisten stimmten in der Nationalversammlung für die Regierung des Marschalls Pétain.
Es ist ein Mythos, denke ich und klappe Bermans Buch zu – es ist einfach nicht wahr, daß Linke in der Geschichte immer und notwendig Antifaschisten gewesen sind. Gegenbeispiele: Die Kommunisten von 1939 bis 1941, als Stalin Juden, die aus Deutschland und Österreich in die Sowjetunion geflüchtet waren, an seinen Freund Hitler auslieferte, als in Moskau „Mein Kampf“ auf russisch gedruckt wurde. Die Paul-Faure-Sozialisten in Frankreich, wie gesehen. Und nicht zu vergessen: die britischen Pazifisten der vierziger Jahre, die Churchill mehr haßten als Hitler und die Opfer der Nazis aus tiefstem Herzen verachteten. All das hängt der Linken bis heute nach. Die Linken glauben, sie seien fortschrittliche Leute, also gegen den Virus des Faschismus immun – und stecken sich ein ums andere Mal wieder an. Man muß kein Prophet sein, um vorherzusagen, daß große Teile der europäischen Linken sich ohne rhetorische Verrenkungen an die Seite der islamistischen Schlächter stellen werden. Vom humanistischen Erbe der Linken wird, wenn dieser Krieg gegen den Terror vorbei ist, nichts mehr übrig sein. Und das ist eigentlich schade.


aus: Titanic 10/, 16.3k


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last modified: 28.3.2007