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das Erste, 0.9k

Ein Volk macht mobil


Der Osten steht wieder auf, gegen „die da oben“ natürlich. Vorzeigearbeitslose wie der seit Wendezeiten zu kurz gekommene und neuerliche Magdeburger Demonstrationsanmelder Andreas Ehrhold lassen gleichsam wie der Leipziger Protestwütige Winfried (Wahnfried) Helbig verlauten, dass das Maß in Sachen Arbeitsmarktreform Hartz IV voll sei. „Wir machen mobil“ drohen einzelne Protestinitiativen – und das Volk folgt. Eine „soziale Schieflage“ wird beklagt und der „Ostdeutsche“, er weiß, dass es ihm jetzt an den Kragen geht, wenn er nichts tut und einklagt, was er doch schon immer im Sinn hatte – Gerechtigkeit. Genau diese hatte er doch schon erfolgreich `89 unter der Parole Montagsdemo in Leipzig, 20.6k „Wir sind ein Volk!“ zu Würden gebracht und erst kürzlich wieder gemeinsam mit der bundesdeutschen Gesellschaft gegen den Irakkrieg der „imperialistischen Streitmacht“ der USA verteidigt. Doch woraus gedeiht Volkes beharrliche Partizipationswut eigentlich? Warum geht der Ossi gegen Politiker und „Abkassierer“ auf die Straße, nicht aber für gewerkschaftliche Forderungen wie Mindestlohn und Arbeitszeitbegrenzung?
Der Ossi ist im Grunde seines Herzens ein autoritärer Anti-Etatist.(1) Seine Waffe ist die Moral, die er gegen die korrupte Staatstätigkeit in Stellung bringt. Der Staat erscheint ihm als Natur, die ihm die Lebensbedingungen wohlbehaglich einzurichten hat und abrechnen soll mit denen, die dieses gemeinsame Privileg untergraben – eben Steuerrebellen, Manager, korrupte Politiker und solche, die gerade in das Raster der Staatsverderbnis passen. Letztere Rolle können dann sowohl unliebsame Ausländer als auch in Ausnahmefällen gemeine Nazischlägerbanden ausfüllen. Doch lässt sich der Volksmob nicht einfach vom Staat vorschreiben was er zu tun hat – eine Fehlinterpretation, die auch auf den Nationalsozialismus nicht passt –, sondern Volksmob und Elite sind sich durchaus einig bei dem, was gegen „unsoziale Schmarotzer“ zu unternehmen ist. Im Zweifelsfalle bekommt sogar des Volkes Wille mehr Gehör und die Politik muss zurückrudern. Niemals aber hat dieser Wille mit politischer Partizipation zu tun, sein Movens ist explizit anti-politisch. Gerade im Osten der Bundesrepublik hat man schließlich mit klassischen Politikformen wie Gewerkschaftskampf wenig zu tun. Lieber entsagt man dem grundsätzlich anzuzweifelndem Konzept der Politik und pocht auf Gemeinwohl – etwas was der aufrechte anti-etatistische Sozialcharakter zur Not auch gegen die Staatspolitik reklamiert. Denn eines weiß der Volksgenosse ganz genau: zu einem intakten Gemeinwesen gehört, dass alle sich aufopferungsvoll abzuarbeiten haben und denjenigen, die schmarotzen oder unberechtigt viel abkassieren, der Garaus zu machen ist. Unter Verleugnung des Institutionellen, mit der Abwehr gegen Parteipolitik und Staatsgeschäft nimmt der Volksgenosse die Geschicke der Gemeinschaft lieber selbst in die Hand. Er weiß, dass letztlich nur er bestimmen kann, was das Etikett des „wirklich Sozialen“ erhalten darf. Hohe Managergehälter, nicht verbuchte Parteispenden, Vetternwirtschaft im Ministerialbüro gehören nicht dazu, wohl aber – wenn’s Not tut und der Gemeinschaft nützt – Abschaffung des Kündigungsschutzes, längere Arbeitszeiten und Zwangsarbeit für Langzeitarbeitslose und Sozialhilfeempfänger. Unentbehrlich sind letztere für die Gemeinschaft, so heißt es allerorten und folglich stellt man sie auch zum Jahresbeginn 2005 gleich, gleich schlecht, damit kein Neid aufkommt. Den kennt der Volksgenosse schließlich – der liegt in seiner Natur und kann nur im Schoß der Gemeinschaft bekämpft werden. Übereinstimmung mit der Regierungspolitik ist hier aber kein Zufall mehr, vielmehr Teil des Sozialpakts zum Wohl der Gemeinschaft – man braucht Arbeitsplätze, man will Arbeitsplätze schaffen. Nur dass es immer noch die Steuerflüchtigen und Superreichen gibt, die nicht nur die Arbeitslosen im Osten, sondern auch den ganzen Staat übervorteilen, das behagt dem Volksgenossen nicht, denn jeder – so weiß er ganz genau – hat seinen Tribut zu zahlen.
Aber Volksgenosse und überzeugter Parteigänger sind zwei unterschiedliche Gestalten im Anti-Hartz-Protestverein. Der erste schert sich keinen Deut um den zweiten, denn er ist ja von Grund auf demokratieverdrossen. Der zweite ist darauf bedacht, den ersten zu mobilisieren. Und irgendwo trifft man sich doch, Montags auf der Straße: der arbeitlose Wendeverlierer mit Hang zum Vaterland und die sozialverliebte Politiknudel des Selbsthilfevereins PDS. Gemeinsam das Gesicht zur Faust geballt, die Moral im Gepäck und grollend gegen Kanzler und Konsorten, wissen sie: „Wir sind das Volk!“. Der Staat hat schon fast abgedankt, der will den „Einzelkämpfer“, die „Monade“ als neuen Menschentypus, wie die FAZ bemerkt.(2) Aber was will das Volk, das den Staat schon längst als moralische Instanz verinnerlicht hat? Es zieht zu Felde gegen all die Unbequemlichkeiten des Repräsentativstaates, denn es will unmittelbar mitbestimmen, seine Geschicke selbst in die Hand nehmen und mal so richtig ausmisten im Schweinestall des Bürokratenstaates.
Und so trifft man sich Montags, mit oder ohne Segen des Führerpfaffen, marschiert flankiert von Neonazis und Attac durchs Örtchen und macht mobil – auf deutsch versteht sich.

Nachtrag:
Die soziale Frage auf linksradikal stellt eine Gruppierung namens „Leipziger Libertäre“, die mit Flyern zur Montagsdemonstration gegen den Sozialabbau aufrufen. Sie glauben dort, dem „antideutschen Reflex“ zuvorkommend, weder auf Linksradikale noch auf einen völkischen Mob zu treffen. Stattdessen – so versichern sie – ginge man zusammen mit einem „heterogenen Haufen Unzufriedener mit Informationsbedarf (...) gegen Staat und Kapital auf die Straße“. Solches Engagement gegen kapitalistische Verhältnisse in allen Ehren, nur glaubt man bei den Libertären, in Deutschland ginge jemals „ein Haufen Unzufriedener“ aus eigenen Interessen auf die Straße? Dass es diesen unzufriedenen Arbeitkraftbehältern schlecht geht, soll gar nicht in Frage gestellt werden, aber dass jene ihre Missstände auf die kapitalistischen Produktionsverhältnisse zurückführten, dürfte mit ziemlicher Sicherheit auszuschließen sein. Denn nach wie vor macht es in Deutschland einen Unterschied ums Ganze ob man gegen Staat und Kapital, oder gegen verfehlte Politik und überbezahlte Manager demonstriert. Unsere Libertären sollten deshalb ihre Demogenossen mal fragen, worauf diese den Sozialkahlschlag zurückführen. Aber die libertäre Seele gibt sich optimistisch, hat sie doch etwas zu sagen und vermeldet, dass „kritische Lesezirkel“ und „subkulturelle Nischen“ beim Sozialabbau auch nicht „ungeschoren davon kommen“. Und so will man all die anderen zu „kritischen Identitäten“ uminformieren, indem man aufklärt über „kapitalistische und pseudodemokratische“ Verhältnisse, in denen jeder von pseudodemokratischen Parteien gleichermaßen verarscht wird – was schlimm ist und dem geforderten „schönen Leben“ nun wirklich im Wege steht.

Roman

Fußnoten:
(1) Vgl. Uli Krug, Ende einer Zwangsdemokratie, in: Bahamas 21 (2000), S. 17 ff.
(2) Vgl. FAZ, 29. 07. 2004

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last modified: 28.3.2007