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das Erste, 0.9k

Leben ist die Lust zu schaffen


Karatekämpfer, 26.0k So war im Jahre 2000 eine Studie überschrieben, die sich mit der Leitungsbereitschaft Jugendlicher auseinandersetzte und die ergab, dass diese innerhalb von acht Jahren um sechs Prozent gestiegen sei. Die Studie war von der Industrie in Auftrag gegeben worden. Ihr wissenschaftlicher Leiter ist Professor Opaschowski. Der ist „vorausschauend, objektiv und glaubwürdig“ (FAZ), „Europas führender Trendforscher“ (TV Hören und Sehen) und ein „Vollblutwissenschaftler“ (DIE WELT) – genannt auch „Mr. Zukunft“ (BILD). Opaschowski glänzt dem Auftraggeber gemäß mit seinen die Studie illustrierenden Worten: „Der Lebenssinn wird zu Beginn des 21. Jahrhunderts von der jungen Generation neu definiert ... Leben ist die Lust zu schaffen! Schaffensfreude umschreibt das Leistungsoptimum der jungen Generation, die in ihrem Leben weder überfordert noch unterfordert werden will. ... Wer sein Leben nicht genießen kann, wird auf Dauer auch nicht leistungsfähig sein.“ (Professor Opaschowski) Der Professor hat auch in den darauffolgenden Jahren weitere Aufträge bekommen und übernommen (alle Studien unter: www.bat.de). In einer Studie von 2003 erforschte er die Bereitschaft der Arbeitnehmer, länger zu arbeiten. Auch hier war das Ergebnis für den Auftraggeber positiv und auch hier kann schwerlich beurteilt werden, ob das Ergebnis gemäß der Verblödung der Befragten oder gemäß einer gewieften und tendenziösen Fragestellung ist. Jedenfalls wollen 71 Prozent der Befragten länger arbeiten, sollte es ihrem Betrieb schlechter gehen. Wieder bringt der Professor das Ergebnis auf den Punkt: „Länger arbeiten – mehr verdienen: Das ist die zeitgemäße Antwort der Arbeitnehmer aus Angst vor Wohlstandsverlusten. ... Arbeitnehmer wollen den Kündigungsschutz individuell flexibel und sozial gerecht gestaltet wissen... Sie wollen die Wahl haben und selbst entscheiden dürfen, ob sie mit weniger Geld ihren Job behalten oder gegebenenfalls mit einer Abfindung ihren Job verlieren.“ Im aktuellen Jahr kümmerte sich der Professor in einer Studie um die Zukunftsängste, -pläne und -wünsche der Deutschen. Er kommt unter andrem zu dem Ergebnis, dass immer mehr Menschen auf Eigenverantwortung und Eigenleistung setzten, statt auf den Staat zu vertrauen. Der Professor kennt die Gründe: „Die Wohlstandseinbußen werden spürbar und schmerzhaft sein. Wenn der Wohlstand auf breiter Ebene sinkt, ist auch der Wohlfahrtsstaat gefährdet. ... Das Verständnis von Staat ändert sich grundlegend. Die Deutschen nehmen Abschied vom Obrigkeitsstaat. Sie wollen ... aus eigener Kraft das erreichte Wohlstands- und Wohlfahrtsniveau halten. ... Das ist die Zukunftschance für eine multiaktive Leistungsgesellschaft, in der alle etwas leisten und Erfolgserlebnisse haben können.“
Die Deutschen wollen also mehr arbeiten, eigenverantwortlicher die Zukunft absichern und verlangen und erhoffen weniger staatliche Wohlfahrt. Die soziale Frage sei in Deutschland immer eine barbarische Frage, weil sie Verstaatlichung kolportiere, formulierten einst die Antideutsch-Kommunistische Gruppe und das Bündnis gegen die Realität. Doch das war nur die halbe Wahrheit. Zwar zielte die soziale Frage in Deutschland zumeist auf Staat und Kollektiv. Soziale Einschränkungen und der Appell nach Eigeninitiative taten dies jedoch ebenfalls. Der Nationalsozialismus ging einher mit drastischen Kürzungen im Sozialbereich, die die Deutschen hingenommen haben. Dies geschah im Namen der deutschen Gemeinschaft. Weder soziale Einschränkungen noch die soziale Frage sind per se deutsch. Weder handeln Unternehmer deutsch, wenn sie das Kündigungsgesetz lockern, noch handeln die davon Betroffenen deutsch, wenn sie dagegen streiken. Deutsch handeln beide Fraktionen, wenn sie im Namen Deutschlands oder – aktueller formuliert – im Namen der weltweit entrechteten Kulturen oder solch ähnlichem Kram handeln. Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen einfach, ist aber nun mal so.
Anhand der Studien lässt sich nicht erkennen, ob die höhere Bereitschaft zur Eigenleistung aus egoistischem Interesse oder aus individuell verinnerlichter Kollektivverantwortung erwächst. Es lässt sich nur wissen, dass Müßiggang noch weniger Zukunft hat. Und darüber sollten alle vernünftigen Menschen traurig sein.
Wie die sogenannten kleinen Leute ihre Leistungsbereitschaft bekunden, so auch die großen. Manager beispielsweise brüllen in Motivationsseminaren „HowHowHow“ oder andere Urlaute, zerschlagen wie Karatekämpfer Holzlatten oder laufen gar durchs Feuer. All das soll helfen lernen, den inneren Schweinehund zu überwinden und damit teamfähiger und leistungsstärker zu werden. Schließlich wird es nicht leichter in einer „komplexeren globalen Ordnung... In diesem Zusammenhang steht auch die in Davos viel beachtete Frage, was die global operierenden Unternehmen von Terrororganisationen wie Al Khaida lernen können. Al Khaida ist eine global operierende Organisation, der es gelang, sich immer wieder an neue Herausforderungen anzupassen und damit ihr Überleben zu sichern. Wesentliche Elemente der Überlebensstrategie von Al Khaida sind eine ausgeprägte Wertorientierung, kleine Organsisationseinheiten und erfolgreiche Wissenstransfers zwischen den Einheiten, eine starke ‚Marke‘, sowie eine zwar charismatische, zugleich aber auch unternehmerisch denkende Führungspersönlichkeit in Person von Osama Bin Laden.“ (Behrendt/Gartzke, Davos 2004. Auf der Suche nach einer neuen globalen Ordnung, in: Internationale Politik, Februar 2004) Ich habe endlich probiert, mal nicht Marx und Adorno zu lesen, und dann stoße ich auf so einen Mist. Das wurde wirklich geschrieben – und zwar nicht irgendwo, sondern in einer renommierten politikwissenschaftlichen Zeitschrift. Schlimmer noch: wahrscheinlich muss dem sachlich-blöden Bericht geglaubt werden und dieser Quatsch war wirklich Thema in Davos, wo sich jährlich das World Economic Forum (WEF), ein Zusammenhang von hochkarätigen Wirtschaftsleuten und Politikern, trifft. So muss es also dieses Jahr gewesen sein: Drinnen diskutiert das WEF voller Ehrfurcht, was Unternehmen von Al Khaida lernen können und draußen demonstrieren Globalisierungskritiker im Schnee und unter Wasserwerferbeschuss gegen das WEF, weil sie glauben dieses führe federführend einen rassistischen und imperialistischen Krieg gegen die ach so gute islamische Welt.
Und was sagt unser Professor Opaschowski: „Die Bürger haben es selbst in der Hand, wie sie morgen leben werden, ja leben wollen. Die Zukunft beginnt jetzt.“ Dumm und lächelnd in den Wahnsinn.

Hannes

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last modified: 28.3.2007