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Nachfolgend dokumentieren wir zwei Beiträge einer gemeinsamen Veranstaltung der Gruppe liberté toujours und Autonome Antifa Nordost mit BAHAMAS-Redakteur Sören Pünjer, die Ende April in der Berliner Humboldt-Universität stattfand. Sie trug den Titel „Nie wieder Krieg gegen Faschismus – warum die deutsche Außenpolitik weder militaristisch, revanchistisch noch nationalistisch ist“.
dokumentation, 1.1k

Nie wieder Krieg gegen Faschismus?


Eine notwendige Vorrede von liberté toujours Berlin


In der Ausgabe 11/04 der Zeitschrift phase2 – Zeitschrift gegen die Realität konnte man nachlesen, dass die Herausgeber ebenso wie die Gruppe Kritik und Praxis Berlin das „Projekt Europa“ beschäftigt und sie die aktuelle Ausgabe deshalb diesem Thema widmeten. Warum es dazu kam?: „Innerhalb des Bewegungsspektrums sind Parteinahmen für ein vermeintlich zivileres Weltordnungsmodell oder einen sozialeren Wesenszug Europas thematische Anschlussstellen für euronationalistische Identifikationen. Die sozialen Bewegungen übernehmen damit die Funktion ideologischer Durchsetzungsagenturen für die Modernisierung des europäischen Kapitalismus. Unser zentrales Anliegen ist es deshalb, mit dem Schwerpunkt dieser phase 2 die polarisierende Auseinandersetzung mit positiven Europabezügen eines Teils der Linken zu intensivieren.“
Klingt auf den ersten Blick erst einmal im positiven Sinne kritisch, den Rest der Linken unter die Lupe zu nehmen, auch wenn wohl niemand wirklich weiß, was „ideologische Durchsetzungsagenturen“ sein sollen. Zumindest erfährt man aus dem Text, dass phase2 der Europäischen Union ihre Konzepte für ein „zivileres Weltordnungsmodell“ und den „sozialeren Wesenszug“ nicht abnehmen will, diese seien nur vorgetäuscht. Wie aber konnte dann die Ineinssetzung von „links“ und „europäisch“ kommen? Wenn man phase2 folgt, muß man den Eindruck haben, es ist einer besonders perfiden Strategie von Seiten europäischer Entscheidungsträger geschuldet. Es klingt, als würden diese den Linken etwas andrehen wollen, was weder in ihrem eigenen, da „vermeintlichen“, noch im Sinne der Linken sei. Manche habe man damit korrumpieren können. Die phase2 aber meint verstanden zu haben, dass diese Art von Linken recht borniert auf die EU „reingefallen“ seien und richten daher „das Diskussionsangebot vor allem an diejenigen, die sich vom sozialen, antinationalen und zivilen Schein des europäischen Projektes noch nicht blöde machen lassen, bisher allerdings nicht zu einer gemeinsamen Praxis gefunden haben.“
Die phase2 kommt gar nicht darauf, dass es die Europäer so sozial, antinational und zivil mit ihrem Europa meinen könnten, wie sie es sagen. Nein, es sei nur eine Verschleierung der „eigentlichen“ Interessen, die die halbe Linke zur Integration in das „Projekt Europa“ verleite. Europa müsse von der „besseren Linken“, hier in Form der phase2, die Maske der Friedfertigkeit heruntergerissen werden. Es müsse aufgeklärt werden, dass Europa doch auch „nur“ eine Art „global agierende Militärmacht“, ein Nationalstaat, sei, sozusagen eine Antwort auf das amerikanische „nation building“. Trotzig wird wiederholt, was man schon in der linken Kinderstube gelernt hat: dass man für keine Nation, gleich welche es sei, Partei ergreifen darf. Als Kronzeuge gibt man den geläuterten Ex-Antideutschen Heiner Möller aus dem Jahre 1994 an. Er sagte damals: „Die nationale Politik der Linken hat nie die Nationalisten, aber immer die Linke kaputtgemacht“.
Gegen diesen „Nationalismus“, so nennt man es, müsse man mit „antikapitalistischer Praxis“, „antinationaler(!) Aufklärung“ und „antideutscher Orientierung“ agitieren, damit die Linke merke, dass die EU doch nur eine Art „Vereinigte Staaten von Europa“ sei, also quasi eine Amerikanisierung europäischer Verhältnisse drohe. Hier wird’s also werden wie in den USA und wenn man nur genug aufklärt, wird‘s auch der letzte Linke merken.
Die Europäer als die Amerikaner von morgen: imperialistisch und militaristisch. So zieht es sich – bis auf wenige Ausnahmen, die der plurale Diskurs erlaubt – durch das Heft, das einen Einblick „gegen die Realität“ gewährleiste. Bewiesen werden soll, warum Europa eine Nation sei, und so seziert man wie mit einem anatomischen Messer am Gegenstand herum, den man sowieso schon verfehlt hat, klaubt sich Themen wie „Machtgefüge“, Justiz und Ideologie für einzelne Artikel zusammen und reiht das Ganze willkürlich aneinander – nach dem Prinzip: paßt, wackelt und hat Luft.
Wildes Aneinanderstückeln ersetzt die Erkenntnis, dass der Nationalstaat Teil der Entfaltung eines, in Marx Worten, „Organismus (ist), der alle ihm fehlenden Glieder aus sich selbst hervorbringt“, also das notwendige Ergebnis eines historischen Prozesses darstellt, innerhalb dessen die durch Produktion und Kapitalzirkulation, Waren- und Rechtsform konstituierte und zusammengehaltene Gesellschaft ihren Migliedern bei Strafe des Untergangs nichts anderes übrig läßt, als diesen Prozess mit- und nachzuvollziehen.
Auch wenn einer Autorin des „Bündnis gegen Realität Leipzig“ auffällt, dass die Bildung von Nationen irgend etwas mit dem „Kontext der Umbrüche der Zeit“ zu tun haben muss und die Europäische Union mehr oder weniger ein zusätzliches Angebot für die europäischen Staaten ist, kann sie nicht verstehen, wieso die Einigung Europas, das, was also als „Nation“ verkauft würde, unter jetzigen friedlichen Vorzeichen immer wieder in die Brüche geht. Sie kann es sich nur aus einem Grund erklären, der mit historischem Materialismus nichts, mit postmoderner Diskurstheorie vom „gesellschaftlichen Gespräch“ aber umso mehr zu tun hat: „Bisher vollzieht sich die Europäisierung innerhalb der Bevölkerung noch schleppend, was vorwiegend auf die fehlende Existenz einer gemeinsamen Öffentlichkeit in Form von Medien oder anderen Organen zurückzuführen ist. Nicht zuletzt stellt das Sprachproblem eine derzeitige Hürde dar.“ (Hervorh. d.A.)
Im Traum würde der phase2 eines nicht einfallen: dass die barbarische Gefahr, die von den deutschen Europakonzepten ausgeht, gerade nicht im vermeintlichen Nationalismus, Militarismus oder Imperialismus gründet, sondern, im Gegenteil, in seiner antinationalen, völkerfreundlichen und sozialen Gesinnung besteht.
Im Folgenden wird Sören Pünjer nicht nur zeigen, was die deutsche Außenpolitik ist, sondern auch, warum sie ist, was sie ist und wie die kritische Durchdringung des besagten Gegenstandes überhaupt möglich wird.


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last modified: 28.3.2007