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das Erste, 0.9k

Menschen, Tiere, Katastrophen


Schutzanzug, 28.6k Ein kleiner Service zu Beginn: Was folgt, ist das übliche zivilisationskritische Blabla eines ausgewiesenen Kulturpessimisten mit Hang zu faschistischer Krisenlösung. Sie, die sie wissen, dass es gilt, um jeden Preis die Errungenschaften kapitalistischer Zivilisation gegen solch wissenschaftsfeindliche Schwarzmalerei zu verteidigen, können also locker bleiben und weiter blättern.

Einstiegsfrage für die Übriggebliebenen: Wie lange werden linke Mackerchen noch Horrorfilmabende veranstalten können? Oder anders gefragt: Wann überrollt sie die Realität der Notfallpläne, Schutzanzüge, heulenden Sirenen und Ausgangssperren? Hintergrund der rhetorischen Frage: Die WHO warnt vor einer Pandemie (einer weltweiten Epidemie) durch eine Krankheit, deren Verlauf weit gefährlicher als der von SARS sei. Europäische Geflügelpest, auch Vogelgrippe genannt, wurde erstmals 1878 in Italien beobachtet und hat es glücklich ins Zeitalter der High-Tech-Medizin geschafft – die Krankheit ist seitdem mehrfach ausgebrochen. Das vorletzte Mal – 1997 in Hongkong – wurden mehr als 1 Million Hühner und anderes Geflügel getötet. Die bisherige Bilanz ihres jüngsten Ausbruchs: mindestens 22 Tote. Menschen.
Fleißig, aber bislang erfolglos rätselt die bürgerliche Wissenschaft an den Ursachen der Krankheit herum. Und entwirft en passant ein Szenario aus einem Stoff, aus dem die besonders schlechten Filme gemacht sind: Ein Virus mutiert – der Geflügelpest-Erreger H5N1 vereint sich mit einem menschlichen Grippevirus und löst eine Pandemie aus. Grundlage dieses Szenarios: Es besteht die Möglichkeit, dass sich Schweine mit dem Vogelgrippeerreger anstecken und – wegen der ebenfalls gegebenen Empfänglichkeit für Menscheninfluenzaviren – aus beiden ein hoch gefährliches Virus ausbrüten. Das wäre so bösartig wie H5N1 und hätte die Verbreitungsschnelligkeit der Menschengrippe. Für diesen Fall rechnet das Robert-Koch-Institut mit Millionen von Toten. (Wir malen uns Diskussionszirkel der theoretisch gebildeten Linken aus, in denen kurz vorm Exitus ihrer Mitglieder über Sprachregelungen debattiert wird – also über „Vernichtung“, „Tötung“, „Ausrottung“ und darüber, ob die Anwendung der genannten Termini in diesem Fall – “bei allem Schrecken der Realität“ – doch vielleicht der Verharmlosung der NS-Taten dient.)
Die Ursache der rasanten Verbreitung von Vogelgrippe ist das massenhafte Zusammenleben von Tieren und Menschen auf engstem Raum. Seit wann das nötig ist? Dreimal dürfen sie raten. Räumlich sind die modernen Seuchen kaum noch begrenzbar: So wie es keine ökonomischen Krisen mehr geben kann, die an den Grenzen von Nationalökonomien halt machen, genau so gibt es für Epidemien keine prinzipiell unüberwindbaren Hindernisse mehr – mit Massentourismus, globalisiertem Arbeitsmarkt und humanitär-industriellem Komplex (R. Kurz) ist die statistische Möglichkeit der Gleichverteilung der Erreger gegeben.
Die Systemtheorie macht klar, dass ein komplexer werdendes System (Zunahme von Elementen und/oder Relationen), das eine Totalität darstellt (= nur unter einem Prinzip operieren kann), automatisch fehleranfälliger wird – je mehr angebaut bzw. vernetzt wird, desto mehr Inkonsistenzen zwischen den Teilen können entstehen, desto höher muss man in Denken und Handeln generalisieren, desto schwieriger ist es, das Gesamtsystem zu überblicken. „Dem System fehlt die Vernunft.“, sagt nicht Adorno, sondern ein moderner Antipode.
Ein hübsches Bild gibt das bürgerliche Subjekt Anfang 2004 ab – seine abstrakt-individuellen Ausprägungen haben die folgenden, gut kantianischen, Regeln der „Centers for Disease Control and Prevention“ in Atlanta befolgt:

Avoid close contact!
Stay home when you are sick!
Cover your mouth and nose!
Clean your hands!
Avoid touching your eyes, nose or mouth!

Kurz gesagt: Verpissen, Hände waschen, Maul halten! Aufgeklärte Spezialisten im Umgang mit Globalseuchen tun währenddessen, was getan werden muss: Die Praktiker sind für wahllose Tötungen von Angehörigen der jeweils infizierten Tierarten zuständig und die Theoretiker für das Zusammenstreichen des Menschen auf fressende und scheißende Biomasse, die sich alle paar Stunden desinfiziert.

Auffällig ist, wie perfekt die Verdrängung funktioniert, sowohl bei der Öko-Hausfrau, wie auch beim reflektiertesten aller Kommunisten, dem antideutschen. Im folgenden resümieren wir die Ernährungsmöglichkeiten, die die kapitalistische Zivilisation für die Menschen bereithält. Erinnern sie sich noch an BSE, an die Zeit also, als hysterische deutsche Fleischfresserfamilien plötzlich nicht mehr Sauerbraten, sondern nur noch Salat in sich reinstopften, den Salat nämlich, der ein paar Jahre zuvor mit dem lustigen Appetitmacher Cäsium 137 aus Tschernobyl angereichert wurde (Aus diesem Grund übrigens wird auch 17 Jahre nach dem GAU noch vorm Verzehr bayerischer Waldpilze gewarnt.) Wie sieht’s mit Lamm aus? Schafe oder Lämmer können grundsätzlich an BSE erkranken. Verfüttertes Lamm, das von der Traberkrankheit befallen war, gilt als Auslöser von BSE. Die Verbreitung von BSE übrigens ist eindeutig auf den von Menschen verursachten Tierkannibalismus (bspw. Verfütterung von Tiermehl, das aus eigenen Artgenossen der Tiere gewonnen wurde) zurückzuführen.
Aus dem von der Vogelgrippe gebeutelten Vietnam kommt die Meldung, dass 1200 Büffel, Kühe und Schweine in der zentralvietnamesischen Provinz Quang Nam an der Maul- und Klauenseuche erkrankten. Maul- und Klauenseuche kann auf den Menschen übertragen werden.
Tofu? Nein, der fällt – mindestens für die deutschen Sauerbratenfans und den antideutschen Kommunisten – wegen des starken Verdachts der Genussfeindlichkeit aus.

So wie es einen vulgären Antikapitalismus gibt, gibt es auch eine Vulgärvariante der Wertkritik. Gregor Gysi präsentiert sie im n-tv-Chat am 25.01.:

n-tv Fan:
Aber mann [sic!] muss Sie [gemeint sind die von Gysi so bezeichneten „eigentlichen Probleme“ – Mausebär] lösen

Gysi:
Das setzte dann aber strukturelle Reformen voraus. Zum Beispiel: Wertschöpfung fand vor 100 Jahren überwiegend über Arbeitskräfte statt. Deshalb zahlten Unternehmen in die sozialen Sicherungssysteme nach der Zahl der Beschäftigten und der Höhe der Bruttolöhne. Heute haben viele Unternehmen mit wenig Arbeitskräften eine hohe Wertschöpfung durch Technik und Technologie. Eine Reform wäre zum Beispiel, wenn die Unternehmen ihre Abgabe in diese Sicherungssysteme höchst flexibel nach ihrer schwankenden Wertschöpfung zahlten. Das bedeutete auch wirtschaftliche Veränderungen zur Kenntnis zu nehmen.
Stellt ein Unternehmen jemanden ein, müsste es so lange nicht mehr in die Sicherungssysteme einzahlen, solange die Wertschöpfung nicht steigt. Umgekehrt, ein Konzern entließe 1000 Leute, hätte aber immer noch die gleiche Wertschöpfung, dann müsste er auch immer noch das gleiche in die Sicherungssysteme einzahlen.


Hat er nicht aufgepasst im Parteilehrjahr, oder zwingt er sich zur Blödheit? Er, der durchaus wissen könnte, dass nichts als abstrakte Arbeit die Substanz des Wertes ist, möchte in der Manier deutscher Ideologen dekretieren, dass das, was er nicht sieht, auch nicht da ist. (So faselt es sich eben dahin in einer Partei, deren toughstes Mitglied, die notorische Radikalinski-Tante Sarah Wagenknecht, noch schwatzt wie es im Volkswirtschaftslehrbuch steht: „Jedes Gut und jede Leistung erhält im und durch den Tauschakt einen ökonomischen Wert...“, trend online 02/04). Böse, böse Menschen müssen das gewesen sein, findet Gysi, die da die Erhaltung der Arbeitskraft an die Betätigung dieser Ware gekoppelt haben. Das muss doch nicht sein! Schließlich leben wir in Zeiten, in denen sie immer seltener angewendet wird! Geld ist auf alle Fälle genug da, wir müssen nur den Willen haben, es auch einzusetzen! – Warum nur wurde diesem Mann nicht verboten, im deutschen Fernsehen Plädoyers für Karl Marx zu halten?

Während der Gregor wiederkäut, was er von seinen sozialdemokratischen Vordenkern mundgerecht vorgesetzt bekam, sagen sich sog. Linke gegenseitig schöne Vokabeln auf: Vernunft, Kritik, Aufklärung, Zivilisation. Nebenbei schmatzen sie vor Behagen den vielleicht längst verseuchten Döner weg. Ihr eigenes Leben ist ihnen, die doch pausenlos von Genuss schwafeln, so scheißegal geworden, dass sie nur noch Säufersprüche klopfen können: „An irgendwas muss man ja sterben.“ Von Monat zu Monat werden sie fuchtiger, wenn man einfache Wahrheiten ausspricht, wie die, dass das, was unter den euphemistischen Nebelbegriffen „Marktwirtschaft“ und „Zivilisation“ firmiert, nur ein einziger blutiger Vernichtungszusammenhang ist. Ein Prinzip, das nichts anderes kennt, als seine Ausdehnung, muss alles was es selbst nicht ist, verschlucken wollen. Die Produktion von Waren innerhalb des Kapitalprinzips G-W-G’ ist auf die Vernutzung von Gebrauchswerten und damit von natürlicher Umwelt angewiesen. Läuft das Prinzip heiß, wird also ein absoluter Raubbau an allen natürlichen Lebensgrundlagen die Folge sein und direkt das menschliche Leben auf der Erde angreifen. Die absolute ökologische Schranke der Warenproduktion lässt die ökonomischen Teilkrisen fast als niedlich erscheinen. In den nächsten Heften gibt’s dazu mehr zu lesen.
Doch für diesen Monat ist unser kleiner Rundflug über die Realität beendet. Sie können sich jetzt wieder ernsthaften Dingen zuwenden – über deutschen Machtambitionen brüten, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Islamismus und Panarabismus auseinanderfitzeln und in Gruppen gegen die Realität an Zeitschriften gegen die Realität rumschreiben.
Lassen sie sich den Spass daran nicht vermiesen. Schon gar nicht vom

Mausebär

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last modified: 28.3.2007