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review corner Film, 1.4k

Ein Hauch von Revolution
in der Luft


Die Träumer, 8.0k
Die Träumer
GB/F/Italien 2003, 130 min.
Regie: Bernardo Bertolucci
Lange hatten sich nicht mehr solche Erwartungen mit einem Film verknüpft, die sich erfüllt sehen wollten, wie mit Bernardo Bertoluccis „Die Träumer“. Die Rahmenhandlung verspricht ja auch einiges: angesiedelt im mythenumrankten Pariser Mai, die gesellschaftlichen Widersprüche zugespitzt, ein Hauch von Revolution in der Luft und unter dem Pflaster des Boulavard Saint Germain der Strand. Ein wesentlicher Teil der Gewaltphantasien, von denen die heutige Linke lebt und die sich mehr schlecht als Recht bei ritualisierten Veranstaltungen wie dem 1. Mai in Berlin niederschlagen, findet hier ihren Nährboden. Die Brutalität der Polizei, die Entschlossenheit der protestierenden Studenten, die brennenden Barrikaden, die fliegenden Steine und Molotowcocktails; ohne Frage ein ästhetisches Ereignis ersten Ranges.
Von all dieser Schönheit aber lassen sich die drei Hauptpersonen, ein Pariser Geschwisterpaar und ein junger Amerikaner, erst ganz am Ende des Filmes einfangen, als ein Stein durch die Fensterscheibe ihres in einer Art feindlicher Übernahme von den Eltern der beiden Geschwister gewonnen großbürgerlichen Domizils fliegt und Isabell sagt: „Die Straße ist zu uns gekommen.“
Bis dahin leben die drei mit den Namen Matthew, Theo und Isabell in einer Scheinwelt zusammen. Sie sind aneinandergekettet durch ihre Liebe zum Film, geben sich anderen Mythen hin als denen der Revolutionen; die Erfüllung aller Wünsche durch die Illusionen der Kulturindustrie soll für sie die Realität sein. So will die einmal zustande gekommene Dreierkonstellation kein Außen zulassen; nur Theo versucht ab und zu durch Lektüre von Maos Rotem Buch den Revolutionär zu spielen, aber er spielt ihn doch ohne rechte Leidenschaft. Die Auseinandersetzungen mit den viel zu liberalen Eltern verschaffen auch keinen Distinktionsgewinn und es bleibt nur eine unerfüllte Sehnsucht nach mehr, eine Sehnsucht, die sich über die große weite Welt der Leinwand erfüllen will. Die Drei, der grünschnabelige Junge aus San Diego und die in einer inzestuösen Beziehung stehenden Geschwister, verbarrikadieren sich in ihrer schönen Wohnung und spielen Filmszenen nach, versuchen, so gut es eben geht, sich die Langweile vom Hals zu halten. Alles wird zum Spiel, egal ob Theo über ein Bild Marlene Diedrichs onaniert oder ob Matthew und Isabell miteinander schlafen und Theo sich dabei Spiegeleier brät.
Dass dieses Experiment, welches die drei versuchen zu leben, scheitern muss, ist von Anfang an deutlich, und genau in dieser Deutlichkeit liegt letztlich auch die Schwäche des Films. Man bekommt ständig auf die Nase gebunden, dass das Außen doch wieder in die Parallelwelt der Drei hineinschwappt und hineinschwappen muss, dass es mit dem bloßen Spiel eines Lebens nicht getan ist, dass es noch eine Realität hinter der Leinwand gibt. Als hätte Bertolucci einen erzieherischen Auftrag zu erfüllen, lässt er Matthew diesen Subtext ausposaunen wie ein neues Manifest. Dabei ist das Leben der drei ganz nett anzuschauen und die Episoden, die sie durchleben, sind durchaus flott und witzig erzählt. Auch an Situationen, in denen die Verletzlichkeit der jungen Menschen mit aller Deutlichkeit augenfällig wird, fehlt es nicht; etwa wenn klar wird, dass der nicht sonderlich romantische Liebesakt auf dem Küchenboden für Isabell das erste Mal war, sie darüber dann doch die Fassung verliert und in echte Tränen ausbricht. Doch die drei inszenieren sich weiter, ohne in der Lage zu sein, ihre verborgenen Konflikte zu einer Lösung zu bringen. Ihre Dreierbeziehung leidet unter den unterschiedlichen Ansprüchen, die sie aneinander haben. Mathew erfährt nicht die Liebe von Isabell, die er nötig hätte, und Isabell unterliegt einem schauerlichen Eifersuchtsanfall, als ihr abgöttisch geliebter Bruder die Regel bricht und eine andere Frau mit nach Hause bringt. Die große Katastrophe scheint sich endgültig Bahn zu brechen, als die Eltern unverhofft nach Hause kommen und die drei schlafend in ihrem Liebesnest auffinden. Bezeichnend für die Eltern ist zwar, dass sie die Wohnung so unauffällig verlassen wie sie gekommen waren, doch Isabell bemerkt ihren Besuch und will nun ganz im Stile des großen Dramas ihrem Leben und dem ihrer beiden Freunde ein Ende setzen. Dies verhindert letztlich nur der geworfene Stein.
Die drei eilen auf die Straße und werden von der Wut der Demonstration mitgerissen. Doch von welcher Wut? Die Statisten, die da irgendwelche Parolen skandieren, wirken so emotionsgeladen, wie jene Flaneure die im Jahre 1839 mit ihren Schildkröten durch die Pariser Passagen defilierten. Dass bricht den ganzen Film. Welche Probleme können die drei drinnen eigentlich haben, wenn draußen dermaßen gepflegter Anstand herrscht? Stachel sind in dieser Masse Demonstranten jedenfalls nicht loszuwerden. Welchen Sinn haben solch gewählte Worte, wie der letzte Dialog zwischen Matthew und Theo, bei dem der Amerikaner den Franzosen von Werfen eines Molotowcocktails abhalten will. „Das ist Gewalt!“ „Nein, das ist Schönheit.“. Schön ist es gerade nicht, was sich da auf der Leinwand abspielt. So richtig also der Zusammenhang ist, wonach sich Generationen Jugendlicher entweder in die Filmmythen Hollywoods oder in die Revolutionsmythen Pariser Provenienz hineinträumten, so wenig Kraft haben die Traumbilder Bertoluccis vom Pariser Mai. Umso unverständlicher bleibt dies, da sich der Regisseur mit der Revolte identifiziert und im Abspann gar Edith Piafs „Non, je ne regrette rien“ erklingt.
In Sachen ästhetisierter Gewalt ist allemal Tarentinos „Kill Bill“ Bertoluccis „Die Träumer“ vorzuziehen. Europa ist so alt geworden, dass es nicht einmal mehr die Kraft hat, seine eigene Jugend zu träumen.

mele


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last modified: 28.3.2007