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Tomorrow-Café, 1.5k

Die ungeheure Warensammlung als prozessierender Widerspruch


Zur doppelten Form des Reichtums in der Warengesellschaft und ihren Konsequenzen


In folgender Kurzfassung meines Referats soll der grundlegende Charakter der marxschen Kritik an der kapitalistischen Warengesellschaft in knapper Form dargelegt werden.
Im Untertitel nennt Marx sein zentrales Werk eine „Kritik der politischen Ökonomie“: Es handelt sich nicht um ein ökonomisches Buch, sondern vielmehr um eine Kritik an dieser politischen Ökonomie selbst. Die Marxsche Intention zielt damit auf die Abschaffung ihres Gegenstandes. Sie will die Ökonomie überwinden. Das Kapital als gesellschaftliches Verhältnis soll still gelegt werden.
Schaun wir zunächst an, was im weiteren Sinne unter „Ökonomie“ zu verstehen ist: In ihrer klassischen Gestalt (Smith und Ricardo) ist sie eine den Kapitalismus bejahende Position. Sie stellt sich diesen als eine Gesellschaft mit prinzipiell harmonischem Charakter vor. Soziale Missstände wurden zugegeben aber der noch mangelhaften Entwicklung des Kapitalismus angelastet. Ökonomie geht von der Güterknappheit als natürlich gegebenem Faktum aus. Alle wesentlichen Güter (mit Ausnahme vielleicht der Luft) seien knapp und müssten daher effektiv verteilt und effizient bewirtschaftet werden. Daraus folgen die Prinzipien der Ökonomie: Das Minimal- und das Maximalprinzip: Nach diesem soll man aus so wenig wie möglich so viel wie möglich rausholen. Eine Gesellschaft, in der alle Güter frei sind, kann sie sich nur als kindlich-märchenhafte Wunschphantasie vom „Schlaraffenland“ vorstellen.
Marx beginnt seine Kritik an dieser Ökonomie mit einer Analyse des Reichtums. „Auf den ersten Blick erscheint der bürgerliche Reichtum als eine ungeheure Waarensammlung, die einzelne Waare als sein elementarisches Dasein. Jede Waare aber stellt sich dar unter dem doppelten Gesichtspunkt von Tauschwert und Gebrauchswert“ (Marx, MEW 13, S. 15).
In diesen zwei Sätzen konzentriert sich die gesamte Marxsche Ökonomiekritik. Als Reichtum gelten Marx alle Güter in der kapitalistischen Gesellschaft. Sie treten nur in dieser einzig und allein als Waren auf. Die Ware selbst ist also die kleinste Einheit. Sie ist die Zelle der kapitalistischen Gesellschaft. Jede Ware tritt doppelt auf: Einerseits als Gebrauchswert und andererseits als tauschbarer Gegenstand im Austauschverhältnis mit anderen Waren.
Der gesamte Reichtum der kapitalistischen Gesellschaft erscheint daher in doppelter Form: einerseits als Menge nützlicher Güter und andererseits als Ansammlung von Tauschwerten. Die Waren selbst werden durch Arbeit geschaffen. Die in den Waren kristallisierte gesellschaftlich durchschnittlich notwendige Arbeitszeit bestimmt ihren Wert. Auch die Arbeit tritt unter dem skizzierten doppelten Aspekt auf: Einerseits als Gebrauchswert schaffende „konkrete“, andererseits als Tauschwert bildenden „abstrakte“ Arbeit. Einmal als bestimmte Tätigkeit, die ein einzelnes Produkt hervorbringt und einmal als ständige Vernutzung und Verausgabung menschlicher Arbeitskraft. Als solche bildet sie Wert.
Diesen Punkt bestimmt Marx selbst als den entscheidenden in seiner Analyse: „Ursprünglich erschien uns die Ware als ein Zwieschlächtiges, Gebrauchswerth und Tauschwerth. Näher betrachtet wird sich zeigen, dass auch die in der Waare enthaltene Arbeit zwieschlächtig ist. Dieser Punkt, der von mir zuerst kritisch entwickelt wurde, ist der Springpunkt, um den sich das Verständnis der politischen Ökonomie dreht“ (Marx K 1, Erstauflage, S. 22).
In diesem Punkt grenzt sich Marx grundsätzlich von den Klassikern der Wirtschafswissenschaft ab: „Der Charakter dieser ‚labour’ wird [von Ricardo] nicht weiter untersucht. Wenn zwei Waren Äquivalente sind (…) so ist auch klar, dass sie der Substanz nach, soweit sie Tauschwerte sind, gleich sind. Ihre Substanz ist Arbeit. Darum sind die ‘Wert’ (…). Den Charakter dieser Arbeit untersucht Ricardo nicht. Er begreift daher nicht den Zusammenhang dieser Arbeit mit dem Geld oder, dass sie sich als Geld darstellen muß. Er begreift daher durchaus nicht den Zusammenhang zwischen der Bestimmung des Tauschwerts der Ware durch Arbeitszeit (…)“ (Marx, Theorien über den Mehrwert 2, S. 161).
Die vormarxsche Ökonomie fasste als Arbeit nur ihre dinglich-konkrete Seite, also die materielle Umformung der Umwelt. Sie erfasste nicht, dass die Menschen, indem sie arbeiten, eine Gesellschaft erzeugen, die bestimmten Gesetzen unterliegt und die sie nicht bewusst steuern können. Sie können nicht erkennen, dass die Ware als Ware (und nicht als konkreter nützlicher Gegenstand) Ausdruck eines gesellschaftlichen Verhältnisses ist, das sich hinter ihren Rücken vollzieht. Zu dieser Erkenntnis gelangt man erst, wenn die doppelte Form des Reichtums und die sie bedingende doppelte Form der Arbeit betrachtet wird.
Um zu seiner kritischer Analyse der Arbeit durchzudringen, entwickelte Marx die so genannten Wertformanalyse – sie kann als das schwierigste – aber eben auch zentralste Stück des Marxschen Gesamtwerks betrachtet werden. Der gesellschaftliche Charakter der einzelnen Ware (also ihr zerrissenes, widersprüchliches Wesen) verschwindet – während es im einfachen Verhältnis zweier Waren noch deutlich sichtbar ist. Ebenso wird in der komplexen Warengesellschaft nicht mehr sichtbar, dass eine Ware jeweils eine zerrissene Einheit von Arbeit als stofflich-materieller Umformung der Umwelt ist, die sich gleichzeitig als abstrakten Verausgabung gesellschaftlicher Arbeitszeit erscheint.
In der Wertformanalyse bringt Marx die innere Zerrissenheit des bürgerlichen Reichtums begrifflich auf den Punkt und entfaltet die darin verborgenen Probleme. Dazu führt Marx die komplexe Warengesellschaft logisch auf ihre einfachste Form zurück: die, in der sich zwei einzelne Waren gegeneinander austauschen. Die eine stellt dann in der anderen ihre abstrakte Seite, ihren Tauschwert dar und macht sie sich in diesem Verhältnis sich selbst gleich: streng formuliert: der relative Wert drückt in der Äquivalentform seinen Wert aus. Auf den Punkt gebracht: »Ich Tomate bin x Gurken wert und drücke in den Gurken meinen Wert aus. Ich als Tomate bin nur Tomate und nichts als Tomate weil ich die Gurke ihres Gurkedasein beraube und sie zu nichts als einem Ausdruck meines Wertseins mache. Ich stelle meine zweite Seite, die gesellschaftliche an der Gurke dar, um selbst nichts als Tomate sein zu können« – so spricht es aus einer Ware als relativem Wert. Noch paradoxer spricht es aus der entgegen gesetzten Äquivalentform: »Ich Gurke drücke den Wert einer Tomate aus. Ich bin zwar Gurke aber erscheine als Tomate und kann mich auch selbst gar nicht mehr als Gurke, sondern nur noch als Tomate sehen und denken. Als Ausdruck des Wertes der Tomate bin ich selbst Tomate.« In der Unterordnung der anderen Ware bringt die als relativer Wert auftretende Ware ihren ihr anhaftenden, widersprüchlichen Charakter zum Verschwinden, indem sie ihn einer anderen Ware, die dann als Äquivalent auftritt, auszudrücken.
In einer komplexen Warengesellschaft wird schließlich eine bestimmte Ware zum allgemeinen Äquivalent, also zu der Ware, gegen die sich alle anderen Waren tauschen. Das ist das Geld.
Alle Waren verdoppeln sich in der Warengesellschaft in Ware und Geld: „Das Produkt wird zur Ware; die Ware wird zum Tauschwert; der Tauschwert der Ware ist ihre immanente Geldeigenschaft; diese ihre Geldeigenschaft löst sich von ihr als Geld los, gewinnt eine allgemeine, von allen besonderen Waren gesonderte soziale Existenz (…). Diese doppelte verschiedene Existenz muß zum UNTERSCHIED, der Unterschied zum Gegensatz und Widerspruch fortgehen. Derselbe Widerspruch zwischen der besonderen Natur der Ware als Produkt und ihrer allgemeinen Natur als Tauschwert (…), der Widerspruch zwischen ihren besonderen natürlichen Eigenschaften und ihren allgemeinen sozialen Eigenschaften, enthält von vornherein die Möglichkeit, dass diese beiden getrennten Existenzformen der Ware nicht gegeneinander kompatibel sind (Grundrisse, S. 65).
An anderer Stelle bei Marx: „Das Geld als heraus gelöste Ware erscheint (…) als die Gattungsform des Äquivalents für alle anderen Waaren. Es ist als ob neben und außer Löwen, Tigern, Hasen und allen anderen wirklichen Thieren (…) auch noch das Thier existierte, die individuelle Incarnation des gesamten Thierreichs (…). Wie die Leinwand daher einzelnes Äquivalent wurde, dadurch, dass sich eine andre Waare auf sie als Erscheinungsform des Werths bezog, so wird sie als allen Waaren gemeinschaftliche Erscheinungsform des Werths als allgemeines Äquivalent, allgemeiner Werthleib, allgemeine Materiatur der abstrakten menschlichen Arbeit. Die in ihr materialisirte besondre Arbeit gilt daher jetzt als allgemeine Verwirklichungsform der menschlichen Arbeit, als allgemeine Arbeit“ (Erstauflage K1, S. 37).
Mit der Herauslösung des Geldes aus der allgemeinen Warenwelt und seiner Krönung zur Königin aller Waren wird dieses zu jener Ware, in der sich alle anderen spiegeln und in der alle anderen ihre Identität bilden. Damit verkehrt sich das im einfachen und zufälligen Verhältnis zweier Waren zueinander angenommene Verhältnis: Der Gebrauchswert des relativen Werts wird jetzt zum bloßen Anhängsel der Äquivalentform, bzw. der in ihr sich darstellenden Arbeitskraft. Alle Waren spiegeln sich in dieser einen als allgemeinem Ausdruck menschlicher Arbeit – heißt: Sie alle nehmen ihre Qualität an, sie alle werden zum bloßen Ausdruck abstrakter allgemeiner menschlicher Arbeit. Ihre eigene sinnliche Qualität verschwindet in diesem Verhältnis. Sie nehmen alle die Qualität der in Geld dargestellten, in Zeiteinheiten gemessenen Arbeit an.
Der vorhin anhand des Verhältnisses zwischen Tomate und Gurke erklärte Prozess verkehrt sich nun wie folgt: Die Tomate tritt jetzt nicht mehr der Gurke als einzelner Ware, sondern einer Ware als allgemeiner Ware gegenüber, in der sich alle anderen spiegeln. Damit wird die Äquivalentform zur bestimmenden und der relative Wert zur untergeordneten: jetzt gilt: »Ich Tomate erscheine nur noch als allgemeiner Ausdruck abstrakter menschlicher Arbeit. Ich kann mich selbst nicht mehr als Tomate denken, sondern bin nur noch Ausdruck des Geldes als allgemeines Äquivalent. Übrigens: Wer sich seinen Geschmackssinn wenigstens ein bisschen erhalten hat, merkt: Ich schmeckte auch gar nicht mehr nach Tomate sondern ziemlich neutral, vielleicht ein bisschen wie eine gestaltlose Gallerte nicht-sinnlicher Arbeitskraft in Zeiteinheiten gemessen.«
Demgegenüber sagt das Geld als allgemeines Äquivalent: »Ich bin wie „das Gemüse“. Ich bin alle anderen Gemüse zugleich. Und selbst das kann ich noch toppen: da es mich jetzt als „das Gemüse“ wirklich gibt, gibt es die anderen Gemüse nur noch als Ausdruck von mir. Es gibt sie nur noch durch mich. Sie sind von meinem Fleisch und Saft auch wenn dieses recht dünn und abstrakt ist. Ich bin die real existierende, umherlaufende Abstraktion. Nicht anders als den einzelnen Gemüsen, geht es jetzt auch unserer Tomate. Sie ist nur noch wirklich als Ausdruck meiner selbst. Es ist, als hätte König Midas sie berührt. Nur das sie heute nicht mehr golden ist, sondern allenfalls noch knistert, bzw. in einem Superrechner aufgelöst in Nullen und Einsen ihr Dasein fristet. Und die Gurke: ja, die ist jetzt auch nur noch ein Ausdruck von mir. Aber wenigstens kann sie sich jetzt sagen, dass sie nicht mehr von der Tomate abhängig ist. Alle sind jetzt nämlich gleich. Und außerdem sind sie nur durch mich einzigartig und wertvoll – sie alle sind Ausdruck von mir mir und damit Ausdruck abstrakter vernutzter menschlicher Arbeitszeit«
Dies ist die Crux der doppelten Erscheinung des Reichtums in der Warengesellschaft: die Arbeit als dinglich-materielle, nützliche Umformung der Umwelt zu den Zwecken der Menschen wird zum bloßen Ausdruck der allgemeinen und abstrakten Arbeitskraftvernutzung. Das Wesentliche ist also in der Warengesellschaft, dass unentwegt Arbeitskraft verausgabt wird. Die Herstellung teilweise nützlicher Güter wird dabei zur puren Nebensache. Dies schlägt dann auch auf diese nützlichen Güter selbst zurück.
Mit der Herauslösung des Geldes aus der Warenwelt und seiner Verselbständigung wird das Geld zum Ausgangspunkt der Produktion. Der Kreislauf der kapitalistischen Gesellschaft beginnt also nicht, wie es bloß erscheint, nämlich mit der Ware: also Ware-Geld-Ware (ich habe ein Gut, will aber ein anderes, also verkaufe ich es für Geld, um mit diesem die von mir ersehnte Ware zu kaufen). Der Kreislauf beginnt vielmehr mit dem Geld; Geld-Ware-Geld: Ich habe Geld, tausche es auf dem Markt gegen Waren, um am Ende wieder Geld in der Hand zu halten. Dieser Prozess kann natürlich nur dann nicht ganz fei von allen Zwecken sein, wenn ich dabei mehr Geld als am Anfang in der Hand halte. Es muss sich also eine Vermehrung des Geldes zugetragen haben. Und dies ist auch der wirkliche Endzweck der Warengesellschaft: Die Verwandlung von Geld in immer mehr Geld. Produktion erfolgt nicht um menschliche Bedürfnisse zu befriedigen, sondern um die Gewinnmaximierung unentwegt voran zu treiben. Aus der doppelten Form des Reichtums, der der Warengesellschaft wesentlich ist, ergibt sich also logisch die Verselbständigung des Geldes, die Loslösung der gesellschaftlichen Entwicklung von den sie betreibenden und die Loslösung der Produktion von den Bedürfnissen der Menschen.
Indem sich der Reichtum mit der Verselbständigung des Geldes aufspaltet, trennt er sich von den Menschen. Er befindet sich immer weniger in einer Form, die von ihnen materiell und sozial angeeignet werden kann. Das betrifft nicht nur die Darstellung in riesige Mengen akkumulierten Tauschwerts, sondern vielmehr auch zunehmend den Reichtum in seiner dinglichen Form. Nicht nur, dass er vielen Menschen aufgrund mangelnden Bedarfs (=Bedürfnis + Kaufkraft!!!) nicht zugänglich ist. Er befindet sich desweiteren immer mehr in einer zerstörten und vergifteten Art und Weise vor. In der Geldkrise wird die materielle Produktion perspektivisch sogar ganz eingestellt bzw. die hergestellten Produkte verkommen, weil das Geld als Medium ihrer Verteilung nichts mehr „wert“ ist.
In der Analyse des Warenfetischs treibt Marx die in der Wertformanalyse begonnene Argumentation fort. Die fetischistische Gesellschaft, die Marx skizziert, bringt die Logik der Verdopplung des Reichtums vollends auf den Punkt. Der gesellschaftliche Charakter der Waren wird in dieser Gesellschaft vollständig verschleiert. „Indem das Geld also allgemeines Äquivalent der Warengesellschaft wird, wird es zur Darstellungsform des gesellschaftlichen Verhältnisses: Die wechselseitige und allseitige Abhängigkeit der gegeneinander gleichgültigen Individuen bildet ihren gesellschaftlichen Zusammenhang. Dieser gesellschaftliche Zusammenhang ist ausgedrückt im Tauschwert. [Das Individuum] trägt seine gesellschaftliche Macht, wie seinen Zusammenhang mit der Gesellschaft, in der Tasche mit sich…“ (K1, Erstauflage, S. 46). Damit wird das Geld als Ausdruck des Tauschwerts zur zentralen gesellschaftlichen Vermittlungsinstanz. Ihm selbst scheint unmittelbare Macht anzuhaften. Marx spricht vom Fetischismus.
Der Tauschwert verselbständigt sich im Geld und konstituiert hinter dem Rücken der Menschen das gesellschaftliche Verhältnis, welches sie fortan beherrscht: „Der gesellschaftliche Charakter der Tätigkeit, wie die gesellschaftliche Form des Produkts, wie der Anteil des Individuums an der Produktion, erscheint hier als den Individuen gegenüber Fremdes, Sachliches; nicht als das Verhalten ihrer gegeneinander, sondern als ihr Unterordnen unter Verhältnisse, die unabhängig von ihnen bestehen (…). Der allgemeine Austausch der Tätigkeiten und Produkte, der Lebensbedingung für jedes einzelne Individuum geworden, ihr wechselseitiger Zusammenhang, erscheint ihnen selbst fremd, unabhängig, als eine Sache. Im Tauschwert ist die gesellschaftliche Beziehung der Personen in ein gesellschaftliches Verhalten der Sachen verwandelt; das persönliche Vermögen ist ein sachliches (…). Die Individuen sind unter die gesellschaftliche Produktion subsumiert, die als ein Verhängnis außer ihnen existiert; aber die gesellschaftliche Produktion ist nicht unter die Individuen subsumiert (Grundrisse, S.75f).
Im Fetisch drückt sich die Konsequenz der Spaltung des Reichtums aus: Es „(…) wächst die Macht des Geldes, d.h. [es] setzt sich das Tauschverhältnis als eine den Produzenten gegenüber äußere und von ihnen unabhängige Macht fest (…). Das Geld bringt diese Gegensätze und Widersprüche nicht hervor; sondern die Entwicklung dieser Widersprüche und Gegensätze bringt die scheinbar transzendentale Macht des Geldes hervor“ (Grundrisse, S. 65).
In der Logik des Warenfetischs werden Dinge zu Quasi-Subjekten, die stellvertretend für die Menschen soziale Verhältnisse eingehen. Die gesellschaftliche Bewegung der Menschen löst sich von ihnen ab. Sie verselbständigt sich im Tauschwert und beginnt einer Eigengesetzlichkeit zu folgen. Die real handelnden Menschen werden dementsprechend zu armseligen Anhängseln ihrer eigenen gesellschaftlichen Aktionen.
Die in sich zerrissene und gespaltene Warengesellschaft folgt aufgrund dieses ihres Charakters blind den von den Menschen selbst geschaffenen angeblichen Naturgesetzen. Aus der Doppelform des Reichtums folgt logisch die ständige zwanghafte Vermehrung des Geldes um seiner selbst willen. Daraus ergibt sich die Akkumulation des Kapitals, durch welche auf der einen Seite der Gesellschaft Reichtum in Form von Geld angehäuft und auf der anderen Seite Menschen zunehmend ins nackte Elend gestoßen werden. Der Selbstwiderspruch des bürgerlichen Warenreichtums bringt infolge seiner Zerrissenheit letztendlich die Zusammenbruchstendenz der kapitalistischen Gesellschaft hervor. Die Auflösung des in der Doppelform des Reichtums schlummernden und tendenziell vulkanartig hervorbrechenden Zerstörungspotentials kann nur in einer gesamtgesellschaftlichen Aneignung des von der Ökonomie zu knappen Gütern deklarierten gesellschaftlichen Reichtums bestehen. Seine Spaltung ist in einer materiell-sozialen und sinnlich-rationalen Weise zu beenden: also Produktion von freien Gütern für die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse.

Martin Dornis



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last modified: 28.3.2007