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das Erste, 0.9k

Caputo im Kopf


CSD-Berlin 2003, 27.5k Wir fahren zum Berliner Christopher Street Day (CSD). Auch dieses Jahr gibt’s wieder zwei Umzüge, einen bösen (mainstream, Kommerz, Bäh!) und einen guten (linksradikal, bunt, Klasse!). Während die Veranstalter des bösen Klaus „Wowi“ Wowereit aufbieten und den Niedergang der schwulen Bürgerrechtsbewegung endgültig besiegeln, indem sie wie schon seit mehreren Jahren eine Loveparade mit fetzigeren Kostümen in Szene setzen, glauben die Kreuzberger Guten auf althergebrachte Widerstandsfolklore nicht verzichten zu können.
Doch diesmal läuft alles etwas anders: Sowohl auf dem großen als auch auf dem kleinen CSD treiben einige Israelfahnen den schwulen Feierhippies mit oder ohne Iro die Zornesröte ins Gesicht. Wo die mainstream-Schwulen noch mit sich reden lassen, ja einige begierig sind, zu erfahren, weshalb hier die Nationalfahne eines „Unterdrückerstaates“ mit sich geführt wird und nach einiger Diskussion zugeben, nicht unterm Regime „islamischen Tugendterrors“ leben zu wollen, droht die Situation auf dem kleinen zu eskalieren. Kiezjugendliche und traditionalistische Anti-Imps bedrohen die Träger der Israelfahnen. Wohlgemerkt: All das passiert auf einem CSD, dessen Veranstalter (wie jedes Jahr so auch diesmal) keinerlei Probleme mit „Bündnis 90/Die Grünen“-Luftballons haben. Sie ertragen es gut, das Logo dieser schlimmsten aller Kriegshetzerverbände auf ihrem antikommerziellen Vereinsfest zu sehen. Nur eine Israelfahne verursacht diese deutschen „Bauchschmerzen“. Ist es die Hitze, sinds die Drogen, die ihnen so das Denken erschweren? (Drogen? X-mal wird man vorm SO 36 danach gefragt, warum, weiß man nicht – alle haben offenkundig längst genug. Sie schauen einen aus glasigen Augen an, fragen sich, weshalb man nur so erregt ist und bedeuten einem, dass das „alles nicht so einfach“ ist, das mit Israel und so.)
Es ist wirklich ein „alternativer“ CSD in des Wortes schlimmster Bedeutung: Diese neue Mitte, die sich mit linksradikalem Getue und „transgenialem“ Multikulti-Geplapper feiert, ist in der Tat nur die „andere Möglichkeit“. Apropos: „Trans“ soll man bei ihnen sein können – und doch verfolgen sie jeden mit Argusaugen, ob er nicht vielleicht doch ein Hetero sei, der uns mit seiner Scheiß-Politik die Kreuzberger Kiezbuntheit versauen will. Richtige „Schwule“ machen sowas nicht. Wir sind hier in Deutschland – und da hat man auf einer „transgenialen“ Veranstaltung eben drei und nur drei Möglichkeiten: schwul, lesbisch oder eben trans. Und nicht politisch. Merkt euch das!
Die doch sonst recht intelligente Frau Kalaschnikowa führt die Front des Transgender-Anti-Imperialismus an und verliest zur Ergötzung des links-schwullesbischen Pöbels eine Erklärung der israelischen Schwulengruppe „Black Laundry“; diese Gruppe protestiert gegen die israelische „Besatzung“ in den palästinensischen Gebieten und sucht den Ausgleich zwischen Palästinensern und Israelis – ist also Ausdruck der Pluralität der israelischen Gesellschaft. Warum aber fragt sich Frau Kalaschnikowa nicht einmal, wieso plötzlich tosender Beifall aufkommt, wenn auf einem deutschen Kiezfest die Erklärung einer Gruppe verlesen wird, die bekennend schmutzige Wäsche der israelischen Gesellschaft waschen will? Mit Begeisterung stürzen sie sich auf die guten Juden, um nicht zur Kenntnis nehmen zu müssen, dass schwulen Palästinensern im Gaza-Streifen der sichere Tod droht, sie aber in Israel wegen ihres Schwulseins nicht verfolgt werden (an die ressentimentgeladenen Antizionisten: Die Ultra-Orthodoxen in Israel haben nicht die Macht, Schwule zu unterdrücken, sind also auch nicht „genau so schlimm“ wie die islamischen Tugendwächter der palästinensischen Verwaltung). 1000 illegal in Israel lebende palästinensische Schwule wissen ziemlich genau, was gut für sie ist – die Ratschläge deutscher Anti-Imps mit Grütze im Kopf sind herzlich überflüssig.
Der Kalaschnikowa und den ganzen anderen kaltherzigen Irgendwie-Linken ist es schnurzegal, wie es schwulen und lesbischen PalästinenserInnen geht. Ihnen allen, samt Herrn Caputo, von dem gleich zu reden sein wird, sei je ein Viertelstündchen in den palästinensischen Autonomiegebieten an den Hals gewünscht und zwar – damit wir uns richtig verstehen – in genau ihrem phantasievollen CSD-Aufzug. Falls sie es ohne fremde Hilfe wieder über die Grenze ins israelische Kernland schaffen, können sie sich meinetwegen ihre Wunden von „Black Laundry“-Mitgliedern verbinden lassen.
Eine besonders finstere Figur mit ausgeprägtem „antisemitischem Beißreflex“ (Mutti auf etuxx.com) nennt sich Antonio Caputo: „Nehmt die Scheiß Fahnen runter!“ Sie redet wie das Autonömchen auf einer antifaschistischen Demonstration in Leipzig, das in Richtung der nicht weit entfernt stehenden Nazis ein ganz besonders abstoßendes Wort rufen wollte und also länger überlegen musste: „Du ... du ... du ... Jude!“. Nein, beide sind keine Antisemiten – es bricht einfach so aus ihnen heraus. Dieser Antonio Caputo moderiert also die Veranstaltung für den ach so rebellisch-bunten Kreuzberger CSD. Tags darauf dokumentiert die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung dankenswerterweise die geistige Heimat dieses Moderators – man sieht ihn selig lächelnd eng an Klaus Wowereit gelehnt.
Diejenigen, die noch diskutieren wollen, toben sich hinterher auf etuxx.com aus. Dort scheint zunächst die Blödheit zu triumphieren – doch schließlich gibt es gewaltig Gegenfeuer für das antizionistische Pack, dessen Haupteinwand immer noch die vermutete Heterosexualität der Israelfahnenschwenker ist. (Sollten ein paar Schwule dabeigewesen sein, waren das eben „Alibi-Schwestern“. Franz B., der neunmalkluge Hetzer, weiss das ganz genau: „unbeirrbare(n) Heteros“.) Eike Stedefeldt, Clarissa und auch Mutti legen sich heftig ins Zeug und machen auch dem Mausebär wieder Hoffnung, dass für die Solidarität mit Israel in der Lesben- und Schwulenbewegung noch nicht alles verloren ist.
Hinsichtlich des sich linksradikal dünkenden CSD bleibt festzuhalten: Menschen, die noch halbwegs bei Trost sind, sollten diese Feierstunde linksdeutscher Regression schonungslos kritisieren.

Was sonst noch passierte:

Wissen wills in dieser hyperreflektierten Leipziger Linken zwar keiner, doch ich sags trotzdem: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sieht ein neuartiges wirtschaftliches Phänomen eingetreten. Im Gegensatz zu sonstigen Konjunktureinbrüchen gelte diesmal, dass der private Verbrauch nicht etwa ein weiteres Fallen des Bruttoinlandsprodukts (BIP) abfange, sondern BIP und privater Verbrauch entwickelten sich nur noch parallel. Mithin hätte man es mit einer neuen Art der Stagnation zu tun. Wenn die Keynesianer vom DIW recht hätten, hieße das, dass sich die lahmende Konjunktur nur sehr schwer aus ihrem Tal herauswühlen könnte; eine anhaltend hohe Arbeitslosigkeit und die Planungen, Arbeitslosen- und Sozialhilfe auf dem Niveau der letzten zusammenzulegen (staatliche Hilfen zum Lebensunterhalt werden fast vollständig ausgabenwirksam, da von ihnen fast niemand mehr irgendwas sparen kann) tun ihr übriges, um die Erholung der Wirtschaft zu blockieren.
Der IWF ändert seine Wachstumsprognose für Deutschland 2003 von 0,5% auf – 0,1% (Financial Times). Und schließlich wird der Chefökonom der Londoner HSBC-Bank – des Keynesianismus eher kaum verdächtig – noch deutlicher: Die Gesetze des ca. 10jährigen Konjunkturzyklus’ (...Tief, Belebung, Boom, Höhepunkt, Abschwung, Tief...) gelten nicht mehr, bspw. stagniert Japan seit zehn Jahren. Man könne von einer „new stagnation“ sprechen, meint dieser hellsichtige Ökonom (Handelsblatt, 30.06.), der so glücklich ist, sich nicht von pseudo-kommunistischen „Kritikern“ und marxologischen Klugscheißern Tag für Tag anhören zu müssen, dass es nichts Neues unter der Sonne gäbe. Sein Name: Stephen King.
Nicht nur in Japan, auch in Italien wird der Strom knapp. Der extrem heiße Sommer führt zu erhöhtem Strombedarf, den die Versorgerkonzerne immer weniger decken könnten. Weite Teile der Industrie an Tokios Peripherie mussten zeitweilig lahmgelegt werden. In Italien behilft man sich mit willkürlichen Stromabschaltungen in mehreren Wohnvierteln. Der Chef von Vattenfall Europe befürchtet ähnliche Zustände für Deutschland (FAZ).
Auf den apokalypsegeilen Mausebär muss niemand hören. Doch vielleicht hat die Wahrheit in einer Formulierung von Johannes Agnoli größere Chancen:
„Die Linken gehen sehr häufig nicht von der Wirklichkeit aus. Sie gehen immer entweder von Zukunftsvorstellungen oder von vergangenen Positionen aus. Aber die Hoffnung, daß es anders wird, hängt eben auch damit zusammen, daß es so auf keinen Fall weitergehen kann. Die Strukturen dieser Gesellschaft sind nicht mehr tragfähig, nicht mal mehr tragfähig innerhalb der Wohlstandsgesellschaft des Westens ...“.
Die letzte Talkshow „Friedman“ vor der Sommerpause wurde auf den Wunsch von Michel Friedman abgesetzt. Auf den jetzt freien Sendeplatz plaziert die ARD die Reportage „Das schmutzige Geheimnis – US-Kampfpiloten unter Drogen“. Wie feinsinnig Antisemitismus sein kann.

Mausebär (intellectual mob action)

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last modified: 28.3.2007