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Risiko des Ruhms.


Risiko des Ruhms - Rocko Schamoni, 22.3k
Risiko des Ruhms. Rocko Schamoni, erschienen im Rowohlt Verlag, 2000

Das Leben des Diskotiers Schamoni

Rocko Schamoni – Showman, Entertainer und Pop-Poet – versucht sich in seinem hundertprozentig geschmacksicheren Debütroman „Risiko des Ruhms“ als Schriftsteller. Rote Fäden verlieren sich dabei auf der Reise durch die Welt des Glamours und Ruhms wie die klare Linie von Gesprächen in einer durchsoffenen Nacht.
Hotelpaläste werden gegen planenbedeckte Löcher, Limousinen gegen Ochsenkarren getauscht. Von unseren Lachmuskeln vexiert verfolgen wir den skurrilen Weg von Schamonis Familie, die in 14 durchgeknallten Geschichten den Gülleteich des Lebens durchkreuzt. Nicht nur der Trip ins Ungefähre (Reise durch die Welt), sondern auch der Trip ins Ungewisse (Drogenwelt) durchzieht den unklaren Handlungsstrang des Romans.
Nachdem Schamoni und Bappa (die Bezeichnung für Rockos Vater) die Sache mit dem „Koksain“ mit Selbigem überwunden hatten (denn beide hatten ein klares Problem, sie waren dauernd benebelt), verfielen sie der „Magie der Manege“. In diesem Abschnitt versucht sich Schamoni als Copperfield für Arme. Wir raten an dieser Stelle allen Tierschützern, das Lesen zu beenden.
Denn eins ist mal klar, Rocko Schamoni macht Extreme wie immer zur täglichen Lebensattitüde. Bei ihm werden aus langweiligen Zaubertricks mit Hasen exorbitante Spektakel. Schamonis Home-Anleitung lautet dabei: „Der Hase eignet sich sehr gut für folgende Kunststücke: im Zylinder verstecken, im Tisch mit doppeltem Boden verstecken, rumhoppeln, einer Möhre nachhoppeln, durch Feuerreifen springen und gegen Tiger kämpfen. Die ersten fünf Kunststücke stellen für ihn so gut wie gar kein Problem dar, schwieriger wird es bei Nummer sechs. Der Hase an sich scheut sich nämlich instinktiv vor Feuer, er würde zum Beispiel nie in ein tosendes Flammenmeer hoppeln. Diese Angst muss man ihm nehmen, ich hatte dafür folgende Technik entwickelt: Ich nahm einen relativ kleinen brennenden Reifen und eine ein Meter lange Röhre aus Glas, mit dem gleichen Durchmesser wie der Reifen. Dann stopfte ich von hinten den Hasen in die Röhre, meist wollte er nicht recht voran, das war dann aber auch egal, ich nahm einen Besenstiel und schob den Hasen durch die Röhre, bis er auf der anderen Seite herausfiel. Wenn ich es mit Schwung tat, hatte der Hase meist nur ein paar Haare versengt. Dem Publikum gefiel dieser Trick sehr gut“.
Kein Wunder, dass diese Art der Unterhaltung weltweit Anhänger findet.
Aufgrund des Erfolges, den Rocko und sein familiärer Anhang erreichten, sollte ihnen das vorbestimmte Schicksal in New York ein Denkmal setzten – Ruhm. Dies deutet sich beispielhaft an der Entwicklung Rockos an. In New York angekommen, wird erst mal ordentlich Patex-Kleber mit O-Saft gemixt und sich der dort ansässigen Pennergemeinde angeschlossen. Schnell wird klar, dass durch Schamonis Familie und deren unnachahmlich schmutzigen Charme in einem Interview der Weg nach oben nur eine Frage der Zeit sein sollte. Fernsehshows brachten den nötigen Respekt des amerikanischen Establishments und ein neuer Star war geboren. Aber wie alles ist auch dies vergänglich, so dass nach einem folgenschweren Autounfall und dem damit verbundenen Reha-Aufenthalt der Abstieg folgen musste.
Ein neuer Abschnitt seines Lebens beginnt.
Asien. Dort hält sich Schamoni mit stinkigen Nebenjobs über Wasser. Doch alles ändert sich mit unverhofften Begegnungen, wie so oft in diesem Buch.
So spiegeln sich erstmalig Rockos marxistische Tendenzen wieder, als er auf eine „moderne Sozialistin“ trifft, welche eine wirkliche Freundin des Arbeiterstandes ist. Hier eine Kostprobe des Dialogs für alle kritisch-materialistischen Denker unserer Zeit:
„Ich (Rocko): Und was denkst du als privilegierte Intellektuelle von der Arbeiterklasse?
Sie (Sozialistin): Es ist sehr interessant, darüber nachzudenken. Die Arbeiter sind unser Kapital. Sie sind zwar ungebildet, aber oft auch sehr nett, wer sie erst einmal kennen gelernt hat, der weiß, was für nette Burschen sie sein können. Man muss unbedingt was für sie tun. Zum Beispiel ihnen Arbeit geben.
Ich: Aha, sehr interessant, ja, und da haben ja auch beide was davon: Die Arbeiter haben Arbeit und du hast die Arbeiter, das ist ja toll.“
Oder, und wir gehen zu anderen Textpassagen über, verhält es sich so:
„Ich (Rocko): Und was willst du für die Gerechtigkeit in der Welt tun?
Sie (Sozialistin): Spenden. Ich spende viel, im Allgemeinen zwischen 5 und 8% meines Umsatzes, zum Beispiel für Umweltorganisationen oder für Altersheime (...)
Ich: Das ist ja spitze, dann behältst du nicht alles für dich. Sondern gibst auch wieder was zurück?
Sie: Ja, so wie die Indianer es gemacht haben. (...)“
Die kritische Ausrichtung dieser Textpassage Schamonis ist demnach wohl allen klar.
Leider entpupt sich diese Frau für ihn schnell als „ordinary people“, und unser von Langeweile gepeinigter Held widmet sich anderen Dingen, wie einem Trip durch das Paris des 19. Jahrhunderts.
Als unkonventioneller Künstler beschreibt Schamoni impressionistisch sein Leben. Künstler sein bedeutet für ihn mit allerlei Körperflüssigkeiten Bilder zu verschönern. Er steht dabei in radikaler Konkurrenz mit Malern wie Marc Andre, August Beck oder Cesare Belzio, was sich wie folgt manifestiert: „Ihnen wird bald das Palavern vergehen, wenn ich erst mit den neuen Bildern herausrücke. Sie haben alle immer über mich gelacht, schon seit meiner ersten Ausstellung, auf der ich schöne antike Möbel mit Bauernmalerei verziert hatte. Ich hasse euch, dachte und fühlte ich inbrünstig, ich verachte euch wie die Sau den Regen, wie die Wurst den Schlachter, wie die Katze den Mann, der was gegen Katzen hat und sich deswegen immer etwas ausdenkt, um die Katze zu ärgern, zum Beispiel schneidet er ihr die Barthaare ab oder klebt ihr Walnussschalen an die Füße.“

Nachdem Schamoni an die Tradition alter Künstler anknüpfte, stellte für ihn die Kunst keine Herausforderung mehr dar. Und mit einem Ohr weniger stürzte er sich ins nächste Abenteuer. Es war der Abend ‘89, die Wende in der Popmusik in Deutschland bekam endlich einen Namen. Aus romantisch-nostalgischer Sicht plänkelt unser Debütant sich einen wichtigen Abschnitt seines Lebens vom Herzen, der mit den vorhergegangen Geschichten gar nichts mehr zu tun hat. In einer, dem hoffentlich nicht nur studentischen Publikum, bekannten Runde von EigensinnlerInnen, wie Frau Rabe, Lars Greve, Hilsberg und Jochen Distelmeyer, wurde die „Hamburger Schule“ begründet. Damit das Ganze nicht wieder nur ein gescheitertes außerparlamentarisches Oppositionsprojekt wurde, legten sie sich strenge Regeln auf. Hier das erste und das letzte: 1.) „Die „Hamburger Schule“ ist eine nicht-kommerzielle Vereinigung, die einzig der kritischen Referenz von Kultur verpflichtet ist.“
Denn wir wissen ja alle, was wichtig fürs Leben ist: 10.) „Diskurs ist zentrale Lebenspflicht“.

Genauso unstrukturiert wie der Verlauf des Buches war auch unser Versuch, diesen auf Papier zu bringen. Eine Odysee voller bunter Phantasien führte uns von Saleika nach Orgasmanien. Und eigentlich ist die Erde ja sowieso eine Scheibe. Wie gesagt, der rote Faden, der in diesem Buch fehlte, glich dem Chaos beim Misthaufenfahren. Wir fanden dieses destruktive Prinzip gut und strukturierten es zu einer Rezension um.

Katrin & Kaubi


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last modified: 28.3.2007