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das Erste, 0.9k

Wer hat uns verraten?


Die Sozen feiern sich. Der Anlass: 140. Geburtstag der deutschen Sozialdemokratie. Wenigstens hier wird die historische Wahrheit gesagt: Sozialdemokrat sein, heißt Lassalleaner sein – 1863 wurde der Allgemeine Deutscher Arbeiterverein (ADAV) gegründet. Das, was die dort versammelten Klassenversöhner an Theorie absonderten, war bekanntlich Marx und Engels dermaßen peinlich, dass sie eigens eine Distanzierung von ihr verfassten: Die Kritik des Gothaer Programms. Allgemeines Wahlrecht und das „Recht auf den vollen Arbeitsertrag“ zu postulieren, verträgt sich eben schlecht mit revolutionärem Pathos. Marx und Engels neigten sicher nicht zum „Bewegungsbashing“, doch was zuviel war, war zuviel.
Bei folgendem siehts mit der historischen Wahrheit ganz anders aus: Auf ihrer Webseite fälscht die SPD den 17. Juni 1953 zu einem sozialdemokratischen Aufbegehren für Freiheit, Demokratie, Kabarett für alle, sozialpädagogische Rundumbetreuung und ökologischen Landbau um. Natürlich muss ihnen dieser Tag abgrundtief verhasst sein: Wenn Arbeiter in der Tradition der frühen Sozialkritik gegen staatskapitalistische Zumutungen rebellieren, ist der Platz der Sozialdemokraten traditionell die Gegenseite. Unangenehmen Maßnahmen zur Rettung der Demokratie und des gesamtgesellschaftlichen Ausgleichs hat man sich schließlich auch 1919 nicht verweigert, als der Sozialdemokrat Gustav Noske sich zum „Bluthund“ machte und mit Freikorpsunterstützung Arbeiter zusammenschießen ließ. Ab 1933 nimmt niemand mehr übel. Die Identität der Interessen aller Gesellschaftsangehörigen ist in der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft hergestellt. Arbeiter der Stirn und der Faust begegnen sich beim gemeinsamen KdF-Urlaub, der Volkswagen rollt. Das sozialdemokratische Paradies ist nach vielerlei Missverständnissen Wirklichkeit geworden.
Nach dem „Zusammenbruch“ nimmt der rasende Antikommunist Kurt Schumacher den Faden der revolutionären Anpassung wieder auf. 14 Jahre später, 1959, wird klar, dass die SPD tiefer nicht mehr fallen kann: Das Godesberger Programm ersetzt auch noch die letzten Reste des Arbeiterbewegungsvokabulars durch einen Mix aus katholischer Soziallehre und Antikommunismus.
Man braucht kein Freund der Arbeiterbewegungsfolklore zu sein, um es als elende Gemeinheit zu empfinden, dass die genormten Fressen der sozialpaternalistischen Chargen Schmidt und Schröder neben August Bebel und Karl Liebknecht abgebildet werden. Selbst Herbert Wehner, dem knarzig-polemischen Ex- und Antikommunisten mit Herz (Der CDU-Bundestagsabgeordnete Wohlrabe beschwert sich darüber, dass er auf Grund seines Namens immer als letzter bei Abstimmungen drankäme. Wehner: „Nennen Sie sich doch Arschloch!“) tut man damit noch Unrecht.
„Erneuerung hat bei uns Tradition“, das Motto zum Sonderparteitag, klingt nicht umsonst nach verbesserter Waschformel. Diese Redlichkeitsapostel, die wirken, als seien sie einer nun wirklich übertriebenen Illustration des Kulturindustriekapitels entnommen, werden wohl bis ans Ende ihrer Tage „die alten Lieder“ singen – die von Erneuerung, Reform und Fortschritt. Dem schließlich haben sie sich noch nie verweigert. Ob es um die Automobilmachung der Gesellschaft oder das KPD-Verbot 1956 ging – Sozialdemokraten waren am Start. Selbst als es schien, es werde nach 1000 Jahren mal ganz anders kommen, konnten sie den tadellosen Antifaschisten Willy Brandt präsentieren, der den Tätern in ihrem Land in ranschmeißerischem Tonfall empfahl, „mehr Demokratie (zu) wagen“.
Die ZEIT abonnierenden Oberstudienräte erregen sich auch heute noch gern über den tapsigen Helmut Kohl und dessen angeblich dumme Rede von der „Gnade der späten Geburt“. Dabei produziert das Personal des eigenen Milieus eine finstere Stillosigkeit nach der anderen. Der „Kanzler aller Autos“ will er sein, der Gerhard Schröder. Wer erinnert sich nicht an Regine Hildebrandt, die deutsche Ideologie auf zwei Beinen, eine Art Günther Pfitzmann der Politik, Ost-Omi und gute Seele, der man die Kohlsuppe auf zwei Kilometer anriecht. Nicht zu vergessen Wolfgang Tiefensee, der meint, Leipzig liege den BMW-Managern zu Füßen wie die „Fußmatten“ in ihren Autos. An diesen Finsterlingen kommunistische Detailkritik zu üben, ist Zeitverschwendung. Es reicht völlig, ihr Auftreten zu beschreiben und auf die parlamentarische Gegenseite zu verweisen. Die ist immer noch aus anderem Holz geschnitzt. Herrlich Franz Josef Strauß’ Polterei: „Lieber ein kalter Krieger, als ein warmer Bruder“ und Helmut Kohls Polemik gegen die „rotlackierten Faschisten“.
Was sonst noch passierte: Nicht nur die sog. Restlinke sucht nach sozialen Bewegungen, an die anzuknüpfen oder zu denen überzulaufen wäre – auch Leute, die sich eher affirmativ aufs Geldmachen beziehen, sagen sich „Wer schweigt stimmt zu“. Anfangs ist die Bewegung natürlich noch klein, doch immerhin: Ein paar ehemalige Aktionäre der Bank Austria demonstrierten in München gegen die Hauptversammlung der HypoVereinsbank (FAZ, 15.05.), weil sie sich vom Geschäftsgebaren eben dieser geprellt fühlten. Vermutlich hat ihnen niemand gesagt, dass man mit Aktien nicht nur Geld gewinnen, sondern auch verlieren kann. Leider ließ sich nicht in Erfahrung bringen, ob der Lautischutz erfolgreich war und der Mob der HypoVereinsbank zurückgeschlagen werden konnte.
Erneut bewährt sich die Kritische Theorie. Diesmal an Jürgen W. Möllemann, der uns allen gezeigt hat: Es gibt kein richtiges Leben im Fallschirm.

Mausebär

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last modified: 28.3.2007